Charaktervorstellung Doreah Elenwe (Zweitaccount Zsuera)

Charaktervorstellung Doreah Elenwe

Name: Doreah Idril Elenwe

Geschlecht: :female_sign:

Rasse: Hochelfe

Aussehen:
Doreah ist eine ziemlich kleine Elfe, angesichts ihrer Körpergröße von etwa 1,71 Metern. Sie hat eine schlanke, aber trainierte Figur. Von den Gesichtszügen her sieht sie ihrer Mutter, Fraeya, sehr ähnlich, auch ihre Haare sind beinahe im selben Hellblond wie die ihrer Mutter. Ihre Augen stammen mehr von ihrem Vater. Sie sind hellblau bis gräulich und können in manchen Situationen bedrohlich kalt wirken.

Bildquelle

https://www.pinterest.de/pin/805581452096437845/

Geburtsdatum: 13.4.1299 – 55 Jahre alt (Stand 1354)

Religion: Gwador – Intamba, Göttin des Krieges, Kampfes, Terror und Panik

Herkunft: Zul, später Gorak, in Myra, Paeonia

Wohnort: Távaryn

Beruf/Beschäftigung: Soldatin, Ausbilderin
Clan in Távaryn: Narmo

Fähigkeiten:

  • Lesen und Schreiben
  • Zaubern
  • Reiten
  • Nahkampf
  • Bogenschießen
  • Jagen
  • Schwimmen
  • Kochen

Magie:

  1. Feuersiegel (Elementaris):
    Der Anwender bringt ein Siegel auf einer Tür an. Sobald jemand versucht, die Tür zu öffnen, wird diese unberührbar heiß. (3 min, die Tür kann unmöglich geöffnet werden + 1 LP Schaden)

  2. Feuerball (Elementaris):
    Ein Feuerball, der auf das Ziel zuschießt und leichte Verbrennungen verursacht. (1 LP Schaden, rüstungsdurchdringend)

  3. Blitzeinschlag (Elementaris):
    Beschwört einen Blitz, der dem Ziel leichte Verbrennungen zuzieht und das getroffene Ziel lähmt. (1 LP Schaden oder der Gegner setzt eine Runde aus (muss vor dem Wirken festgelegt werden und es darf sich in jeder Runde umentschieden werden). Hat der Gegner danach 1LP, wird dieser eine Runde gelähmt)

Stärken:

Ausdauernd

Doreah ist körperlich gut trainiert und gerät auf diese Weise nicht schnell aus der Puste.

Intelligent

Doreah besitzt ein gutes Gedächtnis und ein ausgeprägtes Allgemeinwissen. Dieses stammt von ihrer Bildung während der Kindheit und ihrer Vorliebe fürs Lesen.

Schauspielkünste

Doreah hat mit der Zeit ein Talent darin gewonnen, ihre Gefühle entweder zu unterdrücken oder einem anderem falsch vorzuspielen.

Schwächen:

Gutgläubigkeit

Doreah vertraut bei vielen auf das Gute. Fremden und Unbekannten begegnet sie sehr offen, was durchaus zu Täuschungen und Schwierigkeiten führen kann.

Ihren eigenen Wünschen folgsam

Doreah folgt oftmals lieber ihren eigenen Wünschen und lässt sich durch anderes von Wichtigerem ablenken.

Angst vor ihrem Versagen

Doreah mag sich zwar lieber vom Ernsten ablenken lassen, doch füllt sich alles in ihr mit schlechtem Gewissen oder der Angst, völlig zu versagen und zu verlieren. Wird ihr dies in einer Situation klar, wird sie nahezu panisch.


Charaktereigenschaften:
Doreah ist eine freundliche Elfe und sehr ausgelassen in freundlicher Gesellschaft. Sie lässt sich gerne von anderen Dingen ablenken, die ihr in diesen Momenten lieber sind. Manchmal verschließt sie sich gänzlich vor Dingen, die ihr unlieb sind. Mehr über sie zu sagen, wäre, dass sie sehr romantisch, religiös und bücherliebend ist.

Ihre Vorlieben liegen neben dem ständigen Üben, dem Jagen oder dem Lesen in Ausflügen. Für sie sind sie ein Zeichen ihrer eigenen Freiheit, welche für sie sehr wichtig ist. Sie lässt sich nur ungerne an etwas oder jemanden binden – ausgenommen ist ihre Familie.


Familie:

Familie

Alter im Jahr: 1354

Mutter: Fraeya Gaylia Elenwe-Amsee, :female_sign:, 138 Jahre (1. Ehemann Elrond Ilbryn; 2. Ehemann in Parsifal Vincent Amsee von Wolfswacht, :male_sign:, 40 Jahre)

Vater: Elrond Ilbryn Gourael, :latin_cross: verstorben mit 154 Jahren im Jahr 1352

Tanten mütterlicherseits:

  • Mylaela Nylathria Maertel, :latin_cross: verstorben mit 132 Jahren im Jahr 1352 (1. Ehemann Círdan Earendil Maertel, :latin_cross: verstorben mit 125 Jahren; 2. Ehemann in Parsifal Jhaax Haleth, :latin_cross: verstorben mit 131 Jahren im Jahr 1350)

  • Arwen Idril Elenwe, :female_sign:, 122 Jahre alt (1. Ehemann Paeral Raegal Nháesal, :latin_cross: verstorben mit 120 Jahren im Jahr 1352; 2. Ehemann in Parsifal Taurelias Alriel, :male_sign:)

Geschwister: Ilbryn Oribel, :male_sign:, 45 Jahre

Ledig

Vorgeschichte

Vorgeschichte
Der sechzehnte Geburtstag

Durch die verwinkelten Metallsprossen des Fensters sah ich den Regen, der draußen unablässig vom Himmel prasselte. Trotz dessen, dass es Nachmittag war, war es so dunkel wie am Abend. Die Sonne hinter der riesigen Wolkenwand verborgen, die sich im Laufe des Vormittags vor den Himmel geschoben hatte.

Der Vorhof des Gourael-Anwesens war förmlich ein See geworden, die Gärten und großen Eichen hingen traurig Richtung Boden und das Tor war fest verschlossen. Mir gefiel der Anblick auch nicht, doch es war ein Bedürfnis der Natur.

Ich saß auf einem gepolsterten Sessel, bereits fertig gemacht und in mein Kleid gewandet für den heute geplanten Ball. Hinter mir schritt meine Mutter – unablässig wie der Regen – auf und ab, völlig außer sich und leise fluchend.

Es ging bereits eine Weile so, ehe ich mich zu ihr umdrehte.

„Ammë, es bringt nichts, wenn du ständig auf und ab gehst.“

Fraeya blieb stehen und wandte sich an mich. „Heute sollte dein Ball sein, Doreah. Wir hatten alles engagiert, Leute eingeladen, und nun … das!“, erwiderte sie außer sich und begann daraufhin, weiter auf und ab zu schreiten. Ich senkte leicht den Kopf und schwieg.

Die Flügeltüren zum Wohnzimmer, in welchem wir uns aufhielten, öffneten sich. Die zumeist kühle Präsenz meines Vaters trat in den Raum ein. Er trug, als er mich erblickte, ein allerdings warmes Lächeln auf den Lippen.

„Du siehst wundervoll aus, mein Schatz!“, rief er laut und kam nahe zu mir ans Fenster. Ich stand auf, um ihn zu begrüßen. Mit dem langen, kunstvollen Ballkleid war das allzu schwierig. Vorsichtig umarmte er mich, um dem Kleid nicht zu schaden.

Meine Mutter meldete sich zu Wort. „Nur kann sie es wegen des Wetters nicht nutzen. Die Straßen sind dicht und blockiert, ihre Gäste gehindert zu kommen.“

Vater ließ mich sanft los und nickte meiner Mutter zustimmend missmutig zu. „Wahrlich eine Schande. Doch auch du siehst bezaubernd aus, meine Liebe.“

Meine Mutter war auch bereits zum Ball gekleidet. Sie hatte ein edles Kleid in den Farben der Gouraels an, unter welchem sich türkise Elemente – die Farbe ihrer alten Familie Elenwe – abzeichneten. Allerdings war es lange nicht so kunstvoll und auffallend wie jenes, welche sie mir anfertigen ließen.

„Ich danke dir aus vollem Herzen“, erwiderte Mutter mit sanftem Nicken und blickte gleich darauf wieder mit missmutigem Blick nach draußen.

Ich folgte ihrem Blick hinaus, wo weiterhin der Regen den Vorhof überschwemmte. Doch eigentlich … war ich froh. Weder fühlte ich mich bereit, noch war ich freudig vor Spannung. Mutter schwärmte mir zwar immer vor, wie schön ihr Geburtstagsball damals gewesen war, und welches Gefühl es war, mit Elrond, einem bedeutenden Ratsmitglied, verlobt zu werden.

Ich wusste, dass sie beinahe jeden heiratsfähigen Mann der großen Ratsfamilien eingeladen hatten, um mich zu sehen und mir einen Tanz zu schenken. Mutter erzählte mir oft, welche besondere Bedeutung es hatte; welche Pflichten, Bestimmungen und wichtigen Anteile wir dadurch erfüllten. Dass es eine große Ehre sei, den Platz an der Seite eines Ratsherren einzunehmen, solange man selber noch kein Ratssitzender sei.

Es sei unsere Pflicht, sagte sie. Doch diese Pflicht … sie gefiel mir nicht. Es musste sein, schärfte mir Mutter ein.

Während ich nach draußen starrte, öffneten sich wieder die Flügeltüren. Unsere drei Köpfe fuhren herum. Der alte Diener, der sich seit meines Vaters Großvaters Zeiten angestellt hielt, stand in der Tür. „Aradîr Ratssitzender Gourael, Aradî Gourael, junge Aradî Gourael“, sagte er begrüßend.

Mein Vater nickte ihm zu, ehe der Elf fortfuhr. „Der junge Aradîr Gourael ist fertig gewandet. Verlangt ihr, ihn herbei zu holen?“

Er sprach von meinem sechsjährigen Bruder, Ilbryn Oribel. Mein kleiner Bruder war viel aufgeregter auf meinen Ball gewesen als ich selbst.

Mutter antwortete. „Es ist zutiefst betrübend, doch er kann sich nun in seine Ritualgewänder kleiden. Der Ball wird heute nicht mehr stattfinden. Dennoch ist das Ritual zur Segensgebung unserer Tochter für heute unerlässlich.“

Der Diener verneigte sich zur Bestätigung tief und schloss ohne jeden Laut die Tür. Meine Mutter seufzte frustriert. Die Köpfe meines Vaters und mir wandten sich verblüfft zu ihr um. Sie erlaubte sich solche Gefühlsausbrüche nur äußerst selten.

„Doreah, mein Kind, folge mir bitte“, wandte sie sich zu mir. „Wir bereiten dich vor.“ Sie erhob sich und reichte mir die Hand. Gemeinsam verließen wir den Raum, um mich für die Segensgebung vorzubereiten – vor welcher ich noch nervöser war als dem Ball.


„Die Götter scheinen Euch wohl zu sein, Aradînya! Das unliebsame Wetter ist dem warmen Schein Galads gewichen!“

Der Diener strahlte, nachdem er die große Tür zum Vorhof geöffnet hatte und leuchtende Sonnenstrahlen durch die Tür ins Eingangsfoyer, in welchem wir warteten. Mit mehr Elan, als ich für den Ball gezeigt hatte, erhob ich mich von der Bank.

Der Rest meiner Familie war eben im unablässigen Regenfall in die Kutsche gestiegen und zur Höhle gebracht worden, wo sie meine Ankunft in Kürze erwarten würden.

Ich strahlte aufgeregt und hob das reine, weiße Kleid an, um eilig zur Tür zu gelangen. Vor der Tür sog ich die frische Luft, die dem Regen folgte, ein und spürte sogleich die warme Sonne. Die Wolkendecke hatte sich gelichtet und zog zügig in eine andere Richtung fort.

Die Kutsche, die mich zur Höhle bringen würde, fuhr vor und stellte mich in ihren Schatten. Ich nahm die Hand des Elfen an, der mir in die Kutsche half und anschließend die Tür schloss. Der Kutscher schwang die Zügel und die Pferde setzten sich in sanftem Tempo in Bewegung.

Die Fahrt dauerte eine Weile. Ich blickte aus dem Fenster in die nass glänzende Gegend und die Bäume, deren Blätter nach dem Regenguss schwer hinab hingen. Beinahe unfähig stillzuhalten, blickte ich alles draußen an, rieb die Hände vorsichtig aneinander und betastete die Opfergaben, die ich ausgewählt hatte.

Eine Flasche mit Wein aus dem fernen Lacarus in Aescon, der gleich in den vergoldeten Holzkelch gegossen würde, der daneben ruhte. Ein Büschel eines seltenen, exquisiten Krautes, dessen richtigen Namen ich nicht einmal kannte. Eine handgenähte Puppe, welche mir meine Mutter gemacht und mich durch einen Großteil meiner Kindheit begleitet hatte.

Ich hielt die weiche Puppe in den Händen und blickte traurig auf sie nieder, als die Pferde langsamer wurden und die Kutsche stehen blieb. Ich hörte, dass der Kutscher abstieg, und holte tief Luft, um mich bereit zu machen.

Er öffnete in einer sanften Bewegung die Tür der Kutsche. Die Sonne fiel direkt über die Baumwipfel durch die Kutschentür hinein und blendete mich, sodass ich nur seine dargebotene, behandschuhte Hand erkennen konnte. Als ich sie erfasste, half er mir achtsam hinaus und verneigte sich.

„Ich wünsche Euch viel Glück, Aradî Gourael. Mögen die Götter weise wählen.“ Er verneigte sich erneut tief.

„Ich danke Euch.“

Auf meine Worte hin wandte er sich um und sprang wieder auf seinen Sitz auf. Er zog die Zügel und die Pferde setzten sich langsam in Bewegung. Ich blickte ihm und den Pferden noch einen langen Moment hinterher, ehe ich mich wiederfand. Den geflochtenen Korb mit den Opfergaben hielt ich in beiden Händen, ehe ich mich den Weg entlang beeilte.

Die Luft war weiterhin vom Regen kühl und frisch, und im Sonnenlicht funkelten Blätter und Gräser. Der Pfad allerdings war nur zur Hälfte gepflastert und demnach ein Feld aus Steinen, Pfützen, Erde und Matsch.

Vor mir erkannte ich bereits meine Familie. Sie waren in den Farben ihrer Götter gekleidet. Ilbryn, da er noch keinen Segen hatte, in Beige.

Ich erhöhte wieder mein Tempo, bis ich bei ihnen war. Mutter und Vater strahlten mir stolz zu.

„Hast du alles?“, fragte Mutter.

Ich nickte.

„Sehr gut“, erwiderte sie und beugte sich zu mir hinunter. „Denk daran, dass die Entscheidung bei den Göttern liegt. Sie werden sehen, zu was du fähig bist. Du musst dich stark zeigen.“

Ich nickte erneut und Mutter lächelte. Sie nahm den Wein aus dem Korb und deutete mir an, den Kelch zu nehmen. Ich packte ihn am kunstvoll gedrechselten Hals und Mutter befüllte ihn bis zur Hälfte.

„Vergiss nicht, dass du nur die Hälfte trinken sollst!“, warnte sie mich. „Der Rest ist für die Götter.“

Sie ließ die Flasche sinken und schenkte mir eine vorsichtige Umarmung, um den Wein nicht zu verschütten. Nachdem sie mich losließ, blickte ich zum Rest meiner Familie. Vater richtete keine Worte an mich, sondern nickte nur stumm lächelnd. Ilbryn grinste mich aufgeregt an und blickte zur Höhle.

Ich atmete tief durch, ehe ich mit Wein in der einen und Flechtkorb in der anderen auf den Höhleneingang zuschritt. Er war hoch gebaut, doch von Moosen, Flechten und Ranken überwachsen. Kunstfertig in den Stein gemeißelte Säulen wachten an beiden Seiten des Eingangs.

Ich blickte mich unsicher nach hinten um, wo meine Familie im Vordergrund der Dämmerung auf mich wartete, und trat dann in den dunklen Höhleneingang ein.

Ich folgte dem kühlen Gang und um die Abbiegung, wonach es plötzlich dunkel wurde. Einzelne Kerzen, die hin und wieder in Nischen in den Wänden platziert waren, stellten das einzige vorhandene Licht dar. Ihr Schein wies mir den Weg.

Schließlich fand ich die Altarhöhle. Ein hohes Gewölbe, das an den Seiten wieder von in den Stein gemeißelten Säulen gehalten wurde. Steinerne Ranken wanderten an der Höhlendecke hinauf bis zur Mitte.

In der Mitte lag ein See, dessen Wasser tief und kühl schien. Er umschloss eine Insel in der Mitte, zu welcher nur ein schmaler Übergang führte. Auf der Insel in der Mitte stand ein weißer steinerner Altar, der von Mond- und Sternenlicht geflutet wurde und das Licht überallhin in die Höhle reflektierte. Wie viel Zeit war eben in dieser Höhle vergangen?

Ich hielt inne, als ich den leuchtenden Altar erblickte. Ich spürte es, wie ich sie nie gespürt hatte: Die Präsenz der Götter. In aller Eindeutigkeit.

Lange Momente behielten der Altar und die vielen einzigartigen Eindrücke meine Aufmerksamkeit auf sich. Es fiel mir schwer, mich von ihnen zu lösen. Tief atmete ich durch, ich nahm einen Schritt nach dem anderen vorwärts zum See.

Ich überquerte den schmalen Übergang zur Insel, auf welcher der leuchtende Altar thronte. Dieser war von brennenden Kerzen gekrönt, deren Leuchten jedoch schwach im Gegensatz zum einfallenden Licht des Nachthimmels war. Eine bronzene Schale mit Muster aus Ranken, Gestirnen und Dingen, die ich nicht erkennen konnte, ruhte auf der Mitte des Altars.

Ich stellte den Kelch ab, legte die Kräuter in die Schale und die weitere Opfergabe daneben. Meine Schuhe, die ich für den Weg zur Höhle anhatte, zog ich nun aus. Ich spürte nun den Boden unter meinen Füßen, der kühl war, doch gleichzeitig dasselbe Gefühl ausstrahlte wie der Rest des Ortes.

Der Ablauf des Rituals blieb mir klar im Kopf. Ich ging vor dem Wasser auf die Knie und tauchte meine Hände unter. Es war eiskalt. Behutsam wusch ich meine Hände darin und schüttelte sie anschließend vorsichtig aus. Dann erhob ich mich wieder und wandte mich zum Altar.

Ich nahm die kleine Kerze, die nicht auf einem der Ständer thronte, und hielt sie in die Flamme der anderen. Ihr Docht fing die Flammen auf und ich wandte das Feuer in die Bronzeschale, in welcher das Kraut lag. Es qualmte leicht, ehe es sich entzündete. Ich stellte die Kerze wieder ab und kniete mich hin.

Als der Qualm deutlich zu erkennen war, holte ich tief Luft und begann das Gebet:

Erhöret mich, o ihr heiligen Götter,
ihr großartigen Freunde,
mächtige Stützen der Welt,
erhört mich, ihr unsterblichen Götter,
ihr seligen Götter, mag ich nicht aufhören,
euch Dankbarkeit zu zollen,
für alles Gute, welches ihr gabt und geben werdet.
Möge ich niemals das Wohl meiner Genossen vernachlässigen,
soweit es in meiner Macht steht.
Bereitwillig dem Gemeinwohl zu dienen,
soll auch mir als großer Vorteil gelten.
Möge ich niemals Urheber eines Übels sein,
das die Elfen trifft,
sondern von etwas Gutem,
soweit es mir möglich ist,
damit auch ich glücklich sein kann,
indem ich euch ähnlich werde.

Ich richtete mich im Knien auf und nahm den Weinkelch zur Hand. Der erste Wein, den ich je getrunken hatte. Ich nahm den Kelch zu den Lippen und trank ihn peinlich genau bis zur Hälfte leer.

Ich erwarte sehnlichst euch und euren Segen,
ich lege mich in deine Hände Iheza,
o ihr heiligen Götter,
soll mir ihre Freundschaft auf ewig gesichert sein.

Etwas zu schwungvoll und eilig erhob ich mich aus dem Knien. Ich war unruhig vor Aufregung. Langsam und konzentriert trat ich auf den See zu, der weiterhin dunkel und eiskalt schien und von keiner Bewegung gestört wurde. Als ich mit meiner nackten Fußspitze hineintrat, fühlte er sich angenehm warm an. Ich lächelte aufgeregt und watete einen Schritt nach dem anderen ins wohlfühlende Wasser hinein, bis es mir zur Hüfte stand.

Es dauerte wieder, bis ich mich wiederfand, denn es flossen wieder unglaublich viele besondere Gefühle und Eindrücke durch mich hindurch. Der See schien sich nun im Sternenlicht zu erleuchten.

Ohne Luft zu holen, tauchte ich ins Wasser unter. Unter der Oberfläche … war es pechschwarz.

Ich vernahm kein Geräusch mehr, kein einziges Gefühl der Wärme oder der Kälte oder einen anderen Gedanken. Ich vernahm zuerst nur leisen Wind. Anschließend stilles Geflüster.

Es zogen in hoher Geschwindigkeit Bilder an mir vorbei. Es waren Wälder, Berge, Höhlen, Dörfer, Meere, welche Gefühle und Wünsche in mir hervor riefen, die sich auf ewig in mich prägen würden. Ich fühlte mich frei, als würde ich durch sie hindurch fliegen. Ohne eine Pflicht oder einen Auftrag, den ich nicht wollte.

Ich fuhr plötzlich aus dem Wasser hoch.

Meine Lippen bewegten sich von selbst und sprachen den Namen einer Göttin: „Intamba.“

Lange hielt ich danach inne, ehe ich langsam aus dem See hinaus stieg und mich triefend nass vor den Altar kniete. Leise betete ich zu Intamba, die Worte entflossen meinem Mund, ohne mich an sie erinnern zu können.

Schließlich erhob ich mich und blickte ein letztes Mal zu meinen Opfergaben, die in der Flut aus Licht leuchteten. Ich wandte den Blick ab und wandelte zum Höhlenausgang.


Am darauffolgenden Tag verschickten meine Eltern Einladungen, um am selben Tag den Geburtstagsball zu wiederholen. Da sich alle anderen großen Familien in der ungefähren Nachbarschaft befanden, kamen die Zusagen schnell zurück und meine Mutter war überglücklich.

Während eine extra aus Aescon angereiste Zofe mir die Haare äußerst kunstvoll hochsteckte, saß sie daneben auf einem feinen Ohrensessel und beobachtete jeden Schritt genau. Sie lächelte und strahlte die gesamte Zeit über, als wäre dies heute ihr eigener Ball.

„Sie warten im Ballsaal und ringen bereits darum, wer mit dir tanzen darf“, meinte sie lächelnd, nachdem sie jeden heiratsfähigen Elfen der Ratsfamilien aufgezählt hatte, von denen jeder einzelne gekommen war.

„Ja, Mutter“, erwiderte ich schlicht und beobachtete die Handgriffe der Zofe im Spiegel.

„Du darfst dir deine Tänze und Partner frei wählen. Jeder von ihnen wäre geeignet, dich bei deiner zukünftigen Rolle als Ratssitzende Gourael zu unterstützen.“

Ich nickte, denn ich wusste, worauf sie hinauswollte. Indirekt sollte ich mich auf die Suche nach einem Partner begeben, den ich später heiraten sollte. Alles in mir sträubte sich dagegen – seit gestern besonders.

„Ich werde mich… – Au!“, brach ich ab und schrie auf. Die Zofe zog unbarmherzig gegen meinen Widerstand an meinen Haaren, als wollte sie sie zusätzlich in die Länge ziehen. Meine Hände verkrampften sich an der Stuhllehne, ehe sie den Zug lockerte. Mir traten vor Schmerz die Tränen in die Augen.

„Das wäre es gewesen“, hörte ich meine Mutter zu der Zofe sagen.

„Eine Freude, Aradînya“, erwiderte diese.

Im Spiegelbild sah ich etwas verschwommen, wie die Zofe tief knickste und sich umdrehte. Sie entfernte sich aus meinem Blickbereich im Spiegel und verließ gemeinsam mit dem Laut ihrer Schritte das Zimmer. Ich blinzelte, um die Tränen wieder fort zu bekommen.

Meine Mutter erhob sich vom Sessel. „Du siehst wundervoll aus, mein Schatz.“ Ich sah ihr Gesicht im Spiegelbild nicht, doch ich wusste, dass auf ihren Lippen ein strahlendes Lächeln lag.

„Vielen Dank, Mutter“, erwiderte ich und erhob mich von dem Stuhl, auf welchem ich die Tortur der Elfe erlitten hatte. Ich trat Mutter entgegen und erblickte erwartetes Strahlen auf ihrem Gesicht.

Mutter begutachtete mich und mein weißes, langes Ballkleid, den Schmuck, die Haare und wie meine Figur darin wirkte. Sie hob die Hände und strich zwei Falten auf meinem Ärmel glatt. Dann blickte sie wieder zu mir hoch.

„Perfekt. Bist du bereit?“

Ich holte leise Luft und nickte tief.

Sie lächelte mit stolzem Ausdruck und gab mir ihrem Arm, um ihr zu folgen. Gemeinsam verließen wir mein Zimmer und liefen zum hauseigenen Ballsaal des Anwesens. Wir gelangten zur Flügeltür des Ballsaals, wo sich zwei schweigende Diener aufhielten und der Rest der Familie: Mein Vater Elrond, dessen Bruder und mein Bruder Ilbryn.

Mein Vater strahlte uns beiden zu. „Man blicke zu den zwei bezauberndsten Damen des Abends“, kündigte er uns laut vor der Familie an. Die Blicke der anderen wandten sich zu uns um.

Mutter lächelte stolzerfüllt und ich setzte auch ein Lächeln auf meine Lippen. Angekommen gab er zuerst mir einen sanften Kuss auf die Stirn und Mutter einen auf die Wange.

Er blickte zu mir und musterte mich. „Fühlst du dich bereit?“

Ich nickte mit vorgespielter Sicherheit.

Er lächelte und reichte meiner Mutter seinen Arm. Elegant nahm sie ihn an und sie drehten sich zur Tür. Die Diener öffneten die schweren Flügeltüren synchron und ließen sie, Onkel und meinen Bruder hinein. Einen kurzen Moment drang die Lautstärke der Gespräche innerhalb des Saals nach draußen, ehe die Tür wieder zu schwang.

Laut und deutlich war mein Atmen hörbar, während ich mich zur Ruhe zu bewegen versuchte. Hinter der Tür hörte ich meinen Vater zu den Gästen sprechen. Seine Worte waren für mich unverständlich, doch sie gewährten mir eine lange Zeit, um mich vorzubereiten.

Leicht zuckte ich, als die Türen plötzlich öffneten und das Licht des Ballsaals mir entgegen strahlte. Mein Vater, der am Balkon stand, nickte mir sanft zu und ich blickte zu meinen Füßen, die sich langsam nach vorne in den Saal bewegten.

Sämtliche Kronleuchter und Kerzen des Saals leuchteten, durch die große Fensterscheiben zum Garten schien das Licht der Sonne hinein. Ich bewegte mich vorne zur Balustrade hin und stellte mich wie befohlen auf Zehenspitzen, damit die Gäste mich wegen meiner geringen Größe besser sehen konnten.

Mein Blick schweifte unruhig durch die Mengen an Elfen, die sich unten im Saal versammelt hatten und zu mir hinauf blicken. Ich sah einige wenige fremde Gesichter, ansonsten Cousins, Cousinen, Onkel, Tanten, Verwandte anderer Grade.

Mein Vater Elrond trat neben mich. Für die Gäste war das Lächeln auf seinem sonst kühlen Angesicht wohl ein unbekannter Anblick.

„Unsere verehrten Gäste!“, rief er, „wir feiern am heutigen Tag den sechzehnten Geburtstag unserer ältesten Tochter und der mir Nachfolgenden im Rat von Zul, Doreah Idril! Erhebet die Gläser, um sie im Kreis der erwachsenen Hochelfen zu feiern!“

Unten im Saal hoben sich die Gläser und ich lieferte ihnen ein möglichst schönes Lächeln. Als ich mich wieder umwandte, zu meiner Mutter, entglitt es mir prompt.

Sie bemerkte es gleich. „Lächeln, Doreah!“, zischte sie, „und nun die Treppe hinunter. Such dir einen würdigen Partner!“

Der Tadel brachte mich wieder in die Bahn. Das Lächeln kehrte auf meine Lippen zurück und ich wandte mich um, um die Treppe hinab zu gehen.

Die Holzstufen erschienen mir unendlich klein, viel kleiner als beim Übungsdurchlauf. Stocksteif und langsam schritt ich sie hinunter. Alle Blicke lagen auf mir und ich setzte alles daran, sie ständig zu erwidern. Es war unangenehm still im Saal, während ich hinunter stakte.

Nach einer bangen Zeit kam ich unten an und durfte darum den Gästen ein echtes, freudiges Lächeln zeigen. Ich blickte allerdings gegen eine Mauer viel größerer Hochelfen. Einige junge Elfen standen dort und warteten geduldig, wen ich auserwählten würde. Mein Blick glitt unruhig zwischen ihnen her. Es blieb still im Saal.

Nach einigen bangen Momenten trat ein Elf vor und verneigte sich tief. Als ich zu ihm blickte und er sich wieder aufrichtete, überragte er mich um Haupteslänge.

„Verehrte Doreah Idril“, sprach er mich mit charmantem Lächeln an, „darf ich Euch um den ersten Tanz bitten?“

Ich seufzte erleichtert in mich hinein und bejahte mit einem Nicken. Der Text fiel mir erst ein paar Augenblick später bei. „Gewiss … es wäre mir eine Freude.“

Der Elf lächelte und reichte mir elegant seine Hand, welche ich würdevoll annahm. Er begleitete mich zur Tanzfläche, während sich die Gäste um uns herum lichteten und tuschelten. Hatte ich irgendein Signal gegeben, indem ich als Erstes mit ihm tanzte?

Ich blickte zur Treppe, an welcher ich meine Eltern entdeckte. Mutter schwebte geübt an der Seite meines Vaters hinunter und nickte lächelnd.

Mein Blick glitt zu meinem großen Partner zurück, der seine Hand sanft um mich legte, als die Musik sachte begann. Wie gelernt legte ich die meine behutsam hinter seine Schulter und ergriff seine Hand.

Die Musiker ließen die ersten Töne verklingen und begannen, das Stück zu spielen. Im ersten Augenblick standen sich unsere Füße im Weg, da mein Partner sich geübter tat. Er führte mich anschließend über die Tanzfläche und ich bewegte mich achtsam mit. Die anderen Tanzpaare um uns herum tanzten im selben Takt. Ruhig, bedacht und anständig.

Der Elf, mit dem ich tanzte, sprach nicht viel, sondern lächelte mir schweigend zu. Ein recht angenehmes Schweigen und ein gutaussehendes Lächeln. Doch er gab mir das Gefühl, ich müsste seinen Namen kennen.

Die Musik nahm ab, ehe auch die letzten Töne verschwiegen. Der Elf trat zurück und verneigte sich tief vor mir, mit den Worten: „Die Aradî möchte gewiss noch von anderen ihrer bezaubernden Gäste aufgefordert werden.“

So gleich er verschwunden war, war just ein weiterer Elf an mich herangetreten. Er war ebenso wie ich etwas kleiner und besaß sehr dunkle, kurze Haare. Wir tanzten, während er gnadenlos auf mich einredete. Als die Musik endete, war ich beinahe erleichtert.

Nachdem er zum Schluss des Tanzes weggetreten war, atmete ich leise auf und blickte mich um. An der Seite des Saals bei der Treppe stand eine hölzerne, mit Sitzkissen belegte Bank neben einem kleinen Schränkchen mit Getränken. Ich schlängelte mich zwischen den Gästen hindurch und ließ mich dort nieder.

Einige Momente später erklangen sanft wieder die Instrumente. Ich sah meine Eltern, die gemeinsam kühl und gemächlich miteinander in den Armen lagen und den Schritten des Tanzes folgten. Auch Ilbryn, der mit einer jüngeren Elfe in seinem Alter zu tanzen versuchte. Es brachte mich zum Schmunzeln.

„Doreah?“

Die Stimme meiner Mutter ließ meinen Kopf zu ihr um reißen. Sie und Vater hatten aufgehört und standen nahe vor mir bei der Bank.

„Mutter? Vater?“

„Weshalb tanzt du nicht?“, fragte mein Vater. Seine Augen schweiften einmal umher, um zu überprüfen, ob uns jemand beobachtete.

Ich seufzte leise und ließ die Schultern sinken. „Ich- …“

Mutter vergaß sich ein wenig und fiel mir ins Wort: „Du solltest weitertanzen! Wir haben nicht umsonst so viele eingeladen!“ Ihr Gesichtsausdruck änderte sich kaum, doch an ihrem Ton bemerkte ich den fehlenden Willen zum Diskutieren.

Meine Lippen öffneten sich, um etwas zu entgegnen, doch ich sah Vaters selben Blick. Langsam schloss ich sie wieder und nickte ergeben. Ich erhob mich von der Bank, straffte die Schultern und wandte mich zur Menge um. Ein Kandidat kam gleich auf mich zu. Den Rest des Abends verbrachte ich genauso mit anderen jungen Elfen und schenkte einem nach dem anderen seinen Tanz.

Schließlich kam der Ball zum Ende und mein Vater trat auf den Balkon, um das Ende dieses schönen Balles zu verkünden und den Gästen für ihr Kommen zu danken. Ein paar Elfen blieben für kurze Wortwechsel mit mir oder meinen Eltern, bis auch sie als die Letzten gingen.

Ich sank erschöpft auf der Bank zusammen. Meine Füße und mein stets durchgestreckter Rücken schmerzten. Langsam ließ ich den Kopf gegen die Wand sinken. Mir entglitt ein tiefer Seufzer, als just in diesem Moment Mutter kam.

„Was ist los, Doreah?“, fragte sie prompt. „Was sollte das?“

Ich zuckte leicht zusammen und wandte mich zu ihr. „Ich … mir gefällt das nicht.“

„Wovon sprichst du, Doreah?“

„Ich…“

Vater kam aus einer Seitentür, ein zufriedenes Lächeln lag auf seinem Gesicht. Nachdem er Mutters und meine Haltung bemerkte, verschwand dieses augenblicklich. Er blickte uns beide fragend an.

Fraeya deutete mit einer Kopfbewegung zu mir und Vater blickte mich exakt wie vorhin an. Ich senkte den Kopf weiter hinab.

Ein paar stille Momente später fasste ich Mut und erhob mich. Mit klarer und fester Stimme sagte ich: „Es gefällt mir nicht. Ich möchte das Ratserbe ablehnen und … nach Gorak gehen.“

Mutter starrte mich wie vom Blitz getroffen an. Das schiere Entsetzen funkelte in ihren Augen. Selbst Vaters Miene entgleiste. Mutter fand als Erste wieder zu sich.

„Nach Gorak?!“, schrie sie in einer Lautstärke, dass ich heftig zusammenzuckte. Ihr Ton ließ mir die Tränen in die Augen schießen. „In die Armee?!“

Mir steckte ein Kloß im Hals, ich nickte schnell.

„Nach Gorak?!“, wiederholte Mutter schreiend.

„J-ja.“

„Wieso?!“

Mir fiel keine Antwort ein. Anstatt dessen stiegen mir die Tränen über und liefen mein Gesicht hinunter. All meine Glieder zitterten vor Aufregung. Ich nahm Mutters Gesicht nur noch verschwommen wahr.

Mir entwich kein Ton, als ich zu sprechen versuchte. Stattdessen nahm ich die Beine in die Hand und flüchtete durch die Seitentür.

Ich erkannte nur unscharf die Gänge des Anwesens und hastete sie entlang, bis ich zu meinem Zimmer fand. In dieses stürzte ich rein, verschloss die Tür und zerrte den schweren Ohrensessel davor. Ich warf mich unter mein Himmelbett und weinte.


Die anfängliche Zeit in Gorak

Am nächsten Morgen wachte ich auf. Meine Augen und mein Gesicht waren ob der Tränen völlig verkrustet, die hochgesteckten Haare samt allem unnützen Schmuck und Tamtam gelöst und auf dem Bett verteilt.

Ich kroch langsam aus dem Bett heraus und wusch mein Gesicht am befüllten Wasserbecken beim Spiegel. Mir fiel erst danach auf, dass es frisch gefüllt war, und mein Blick wanderte zur Zimmertür. Der Ohrensessel stand auf seinem angestammten Platz und die Tür war geschlossen, doch nicht verschlossen.

Ich blickte beide eine Zeit lang an, ehe ich mich weiter fertig machte und das Ballkleid für ein gemütlicheres Alltagskleid wechselte. Achtlos warf ich es und das restliche Tamtam auf den Ohrensessel und ließ mich auf das Bett sinken. Und wartete.

Nicht viel später klopfte es an meiner Zimmertür. Ich war mir dessen vorher bewusst gewesen und emotional vorbereitet.

„Herein“, rief ich und in mir spannte sich alles an.

„Guten Morgen, Doreah“, sprach die Stimme meines Vaters sanft. Ich blickte ihn verblüfft an, da ich Mutter erwartet hatte, doch ließ den Ausdruck schnell wieder verschwinden.

„Guten Morgen, Vater“, erwiderte ich mit tonarmer Stimme.

Er ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und blickte durch den Raum – am längsten zum Ohrensessel mit dahin geworfenen Kleid und Schmuck – und deutete auf einen kleinen, unbequemen Hocker. „Darf ich mich setzen?“

Ich nickte, er setzte sich. Einige Zeit lang musterten wir uns gegenseitig. Sein Gesicht strahlte dieselbe Kühle aus, welche er in der Politik des Rates immer benutzte. In mir baute sich ein ungutes Gefühl auf.

Vater holte tief Luft und begann zu sprechen: „Zu Mittag wird eine Kutsche hier einlaufen. Sie wird dich zum Hafen bringen und ein Schiff dort nach Gorak.“

Mir klappte einen winzigen Augenblick die Kinnlade runter. Ich fing mich und atmete erleichtert auf. Vater fuhr fort: „Da es in der Familie deiner Mutter keine weiteren potenziellen Ratserben gibt, wird dein Bruder Ratsmitglied Elenwe, während mein Sitz an meinen Bruder gehen wird. Deine Mutter … ist sehr ungehalten darüber. Sie möchte dich nicht sehen.“

Das zu hören, versetzte mir einen tiefen Stich. Ich schluckte laut und senkte den Blick. „Es … es tut mir leid“, flüsterte ich leise.

Vater blickte mich daraufhin lange und wortlos an. Der kühle Ausdruck war noch lange nicht gewichen. „Es ist akzeptabel“, entgegnete er schließlich.

Dann erhob er sich. „Du solltest deine Sachen packen. Nicht zu viele; als Rekrutin wirst du wenig Platz haben.“

Ich nickte eilig und hauchte ein leises „Danke, Vater.“

Er nickte knapp, ging zur Tür und öffnete sie. „Wir sehen uns am Mittag.“ Damit verschwand er hinter der Tür und sie fiel ins Schloss.

Wieder blieb ich lange sitzen, während meine Gedanken im Kreis liefen. Irgendwann raffte mich auf. Ich holte eine Truhe vom Regal, öffnete sie und überlegte, was ich einpacken sollte. Das meiste, was ich hatte? Kleidung.

Es dauerte lange. Zuletzt hielt ich eine Kette in den Händen. Sie war von Mutter. Am dreizehnten Geburtstag hatte sie sie mir geschenkt und ich hatte sie früher immer gerne getragen. Ich blickte sie lange an, ehe ich es mir verkniff, weiter daran zu denken, und sie in die Truhe packte.

Nur ein paar Augenblicke später klopfte es und die Tür öffnete sich. Zwei Elfen traten ein, Diener. Sie blickten zur Truhe und warteten auf mein Nicken. Es war Mittag. Ich erteilte es ihnen, ergriff meinen bereitgelegten Reisemantel von einem Haken und folgte ihnen mit gesenktem Haupt.

Noch nie war mir unser Anwesen so fremd vorgekommen. Das Haus, in welchem ich geboren wurde. Das Heim, in dem ich aufgewachsen bin. Wir liefen durch die Gänge bis in die Eingangshalle vor dem Hof. Mutter war nirgends zu sehen.

Die zwei Elfen trugen die Truhe durch die Tür und lagerten sie hinten auf der Kutsche auf. Mein Vater kam von außen hinein, mit ihm mein kleiner Bruder. Ihrer beiden weiß-silbernen Haare leuchteten im Sonnenlicht. Vater hielt eine ernste, kühle Miene, Ilbryn lächelte. Er verstand es wohl nicht ganz.

Ohne viel Aufhebens verabschiedete ich mich und stieg selbstständig in die dunkle Kutsche ein. Die Tür der Kutsche wurde vom Kutscher geschlossen und durch das schmale Fenster in ihr, durch das ich die beiden erblickte, fühlte ich mich wie eingekerkert.

Der Kutscher stieg vorne auf, hob die Zügel und langsam setzten sich die Pferde in Bewegung. Die Kutsche fuhr im Vorhof rund, ehe sie das Grundstück durch den Torbogen passierend verließ. Mein Heimatanwesen schwand in der Ferne.


Die Kutschfahrt war nicht von langer Dauer gewesen, doch war es die Schiffsfahrt. Ich verbrachte sie in einer schmalen Kabine unter Deck. Nachdem wir an einem Hafen Goraks angekommen waren, wurde ich erneut in eine Kutsche verfrachtet, die mich ins karge Herzland Goraks brachte. Dort wurde ich von einer Elfe abgeholt und in ein Rekrutenquartier gebracht.

Und dort stand ich nun. An einem Stockbett, von welchem ich das untere besetzen durfte, in einem Raum mit drei weiteren Hochbetten. Meine große Truhe mit Besitztümern schob ich auf dem Holzboden quietschend untendrunter, nachdem ich es mit einem Schloss versiegelt hatte. Ich fühlte mich einsam.

Langsam ließ ich mich auf dem Bett nieder und blickte mich im recht düsteren Raum um. Zwei Fenster mit zugezogenen Vorhängen aus groben Leinen und eine zurzeit erloschene Lampe waren die einzigen Lichtquellen im Raum. Zwischen den Stockbetten war recht wenig Platz, gerade genug, damit zwei schmale Elfen aneinander vorbei konnten.

Die Tür öffnete sich quietschend, ohne dass viel Licht hinein fiel, und eine Elfe trat ein. Sie blickte mich musternd an und ich sie genauso. Es war eine dunkelblonde Elfe, groß, etwa zwei Jahre älter als ich, wenn ich schätzen dürfte.

Sie lächelte sanft, als sie mich erblickte. „Seid Ihr neu?“

Sie hatte eine recht abgetragene Rekrutenuniform an. Ich hatte eine nigelnagelneue bekommen.

Ich nickte und erhob mich vom Bett. Mein Kopf streifte knapp an der Kante des oberen Bettes vorbei. „Doreah Idril Gourael.“ Zur formellen Begrüßung neigte ich den Kopf und ging als angedeuteten Knicks leicht in die Knie.

Die Elfe blickte mich verwundert an, grinste dann. „Eine Adlige“, bemerkte sie, und auch ihr Blick fiel auf meine große Truhe, die unter dem Bett hervor lugte. „Tauryên Dair.“ Sie nickte als Begrüßung und ich erwiderte es.

Sie ließ die Tür ins Schloss fallen und marschierte zu ihrem Bett. Es war das Bett neben mir. Ich sank wieder auf meines hinunter und beobachtete sie dabei.

Tauryên Dair löste eine leere, lederne Messerscheide von ihrem Gürtel und hing sie an einen Haken. Auch diese schien aus älterem, gebrauchten Leder zu sein. Sie bemerkte daraufhin meinen Blick.

„Wisst Ihr nicht, wohin?“

Ich nickte bestätigend. „Zurzeit noch nicht. Doch ich warte darauf, abgeholt und näher unterrichtet zu werden.“

Tauryên Dair nickte und ließ ein leises, verstehendes „Mhm“ verlauten. Nach einem Augenblick sagte sie:

„Ihr solltet zuerst aus Euren alten Kleidern raus und Euch in die Uniform kleiden, damit Ihr nicht so sehr auffallt.“

Ich blickte auf mein Samtkleid, welches ich anhatte. Ein Indiz meines Geburtsstandes. Ich begriff und nickte.

„Ihr habt recht, das werde ich.“

Ich erwartete es nicht, doch sah mich trotzdem um, ob es einen zusätzlichen Ankleideraum gäbe. Tauryên erriet meinen Gedanken und schmunzelte. Sie schüttelte den Kopf.

Ich nickte und öffnete die Türen des niedrigen, hölzernen Schranks. Meine Rekrutenuniform hing an einem Haken und blickte mich an. Sie bestand aus engem, grünen Leinenstoff und gehärteten Lederplatten an Armen, Knien, Schultern und Brust. Zwei Stiefel und ein Gürtel mit zahlreichen Plätzen für Beutel oder Waffenscheiden standen am Boden des Schranks. Auf der Schulter der Uniform befand sich ein Aufnäher, der mich als blutige Rekrutin auswies.

Ich nahm sie heraus und wechselte von meinem Adelskleid in die Soldatenuniform. Die Uniform passte perfekt wie eine zweite Haut. Gerne wünschte ich mir einen Spiegel herbei, um mich darin zu sehen. Selbstverständlich war hier keiner.

Tauryên Dair wandte sich von ihren eigenen Habseligkeiten um, nachdem ich aufgestanden und zur Probe in der ungewohnten Kleidung herumgelaufen war. Sie schmunzelte leicht. „Maßgeschneidert“, erkannte sie für mich. Ich nickte unsicher und blickte auf ihre Uniform, welche sich dessen nicht erfreute.

Mein altes Adelskleid faltete ich ordentlich zusammen und legte es in meiner Truhe ab. In meine Uniform fertig gekleidet fühlte ich mich weniger fehl am Platz, doch immer noch ratlos.

Ein paar Augenblicke später öffnete sich die Tür des Quartiers. Die Elfe, die mich hierher begleitet hatte, kam hinein und blickte uns beide an.

„Aradî Gourael?“

Sie blickte sich im Raum. Ich wandte mich um und nickte ihr zu. „Ja?“

Die Elfe trug eine Uniform offenbar höheren Ranges. Sie war blau gefärbt und an vielen Stellen statt von Leder mit kleinen Eisenplättchen besetzt. Genauso führte sie an ihrer linken Hüfte eine Waffe mit sich.

„Würdet Ihr mir folgen? Da vom Leibarzt Eurer Familie keinerlei gesundheitliche Beeinträchtigungen genannt wurden, wurdet Ihr – auch auf höheren Wunsch – augenblicklich in die Ausbildung versetzt.“

Ich nickte verstehend und bemerkte auch Tauryên Dairs schmunzelnden Ausdruck dabei. Die Elfe in der Tür sprach weiter:

„Bitte folgt mir, dann führe ich Euch auf dem Gelände umher.“

„Sehr gerne, habt Dank“, erwiderte ich nickend.

Die Elfe neigte den Kopf und machte auf dem Absatz kehrt aus dem Zimmer heraus. Ich erhob mich, um ihr zu folgen.

„Ich wünsche Euch viel Vergnügen“, wünschte Tauryên Dair, ehe sie sich in Seelenruhe auf ihrem Bett niederließ.

„Danke“, erwiderte ich schlicht, wandte mich um und verließ das Quartier durch die Tür. Über die enge Treppe gelangte ich ins Erdgeschoss und ging dann durch die doppelflüglige Vordertür hinaus.

Die Sonne glänzte auf dem frisch polierten Leder meiner Uniform, anders als bei den vielen anderen Rekruten, die sich hier im sehr großen Hof aufhielten. Ich fühlte mich wieder fehl am Platze, denn eine Menge Blickpaare richteten sich auf mich.

„Nach ein paar Tagen gleicht die Eure der, der restlichen“, ertönte die Stimme der Elfe hinter mir und ich wandte den Kopf zu ihr. Sie führte mich im Anschluss auf dem Gelände rum.

Sie führte mich von der Essenskantine zu den inneren Übungsräumen und zu den äußeren, die sich durch Sandgruben oder Schützenplätze bildeten. Es gab eine kleine Bibliothek mit wachsamen Augen, die jede Untat an den kostbaren Werken verfolgten und bestraften, wie die Elfe mir erzählte.

Sie klärte mich über einige Dinge auf: Pflichten, Übungsstunden, Regeln und Folgen derer Verstöße. Zu Schluss führte sie mich zurück in die kleine Baracke der Rekruten, wo ich den restlichen Tag verbrachte.


Der nächste Morgen sollte mit eisernem Handschuh beginnen. Frühen Morgens weckte mich Tauryên Dair mitsamt den anderen Elfen unseres Raums durch den Krach, den sie beim Aufstehen und Umziehen verursachten. Der Eiligkeit konnte ich mich gut anpassen und schlüpfte schnellstens in meine Uniform. Meine Haare bändigte ich wie alle anderen nur in einem losen Zopf.

Wir marschierten die Treppen hinunter und stellten uns im Hof gemeinsam mit den anderen Rekruten auf. Ein Elf gab uns die Anweisung, Runden zu laufen und prompt setzten sich alle anwesenden Elfen in Bewegung. Verwundert folgte ich ihnen und lief ihnen schnaufend hinterher. Nach wenigen hundert Metern waren meine Fähigkeiten am Ende und ich blieb zurück.

Ich beobachtete die anderen Rekruten, wie sie unbeirrt weiterliefen. Selbst die, die auch erst vor kurzer Zeit angekommen waren. Der trockene Boden staubte unter ihren Schritten und ließ sie hinter der sandfarbenen Staubwolke verschwinden.

Erschöpft schnappte ich nach Luft und stützte mich auf die Knie. Ich keuchte so arg, dass ich den aufgewirbelten Staub einsog. Der Hustenreiz ließ mich tiefer in die Knie gehen und ließ mich gegen das Rad eines herrenlosen Karrens sinken, während ich laut hustete.

Nachdem das letzte Staubkorn ausgehustet war, hörte ich Schritte.

„Für die Adligen ist der Anfang immer schwer“, vernahm ich die Stimme Tauryêns etwas entfernt. „Wir anderen sind entweder auf Höfen aufgewachsen, bei Jägern, bei Handwerkern oder sind in Städten vor den Wachen davon gerannt.“

Sie erreichte mich und hielt mir die behandschuhte Hand hin. Ich nahm sie an, während ich mich räusperte und hüstelte. Sie zog mich hoch. Meine Uniform gehörte ab sofort auch zu denen, welche nicht mehr glänzten.

„Danke“, erwiderte ich und schnaufte.

„Gewiss. Und nun lasst uns zur Kantine gehen. Ihr braucht die Mahlzeit sicher.“

Sie lief, ich torkelte mehr oder weniger zur Kantine. Mir schmerzten die Beine heftig. In der Kantine angekommen sah und kostete ich ernüchtert unsere Mahlzeit: trockenes Brot ohne Beilagen und ein Krug Wasser.

Im Anschluss folgte eine kurze Erholungspause, welcher erneut Ausdauerübung, eine Erholungspause und wieder Ausdauerübung folgte. Keuchend schaffte ich keine einzige von diesen bis zum Ende.

Unser Ausbilder war ein harsch dreinblickender Elf, welcher sicher zwei Meter maß. Er trug eine rote Uniform, welche ihn als solchen auswies. Jedoch war er zu mir milde – der Grund dafür war mir bewusst.

Wir schleppten zuletzt Wassereimer vom Fluss in die Küchenräume, wo wir es in große Fässer schütteten. Der Weg zum Fluss war, den Göttern sei Dank, nicht weit und so schaffte ich es, mitzuhalten. Nach getaner Arbeit versammelten sich die Rekruten vor unserem Ausbilder. Er erteilte einigen Elfen Verwarnungen, sollten sie sich nicht besser machen.

Viele Blicke meiner Kameraden glitten verächtlich zu mir. Mir wurde keine Mahnung ausgesprochen. Ich gab mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen, doch ihre Blicke waren schmerzend.

Nachdem die ersten sich zurückzogen, rief der Ausbilder mich zu ihm. Mit geneigtem Kopf leistete ich seiner Aufforderung folge. Er wartete, bis die letzten Elfen außer Hörweite waren.

„Ihr solltet Euch Gedanken machen, wie Ihr Euch bessern könnt“, erklärte er mit düsterem Ton. „Eure Kameraden werden das nicht gerne weiterhin so sehen.“

Ich nickte eifrig. „Ich verstehe.“

Er nickte genauso. „Wenn Euch dies beliebt, bringe ich Euch zum Heim Eurer nahen Verwandten. Sie baten darum, Euch das Angebot zu überbringen, mit ihnen zu speisen.“

„Oh, selbstverständlich, gerne!“, erwiderte ich augenblicklich. Ich wusste von zweien meiner Großonkel, die in Gorak dienten. Sie waren beide hohe Offiziere und erhielten bessere Mahlzeiten als die, die in der Kantine ausgegeben wurden.

Mein Gegenüber verzog nur kurz die Miene und erwiderte kühl: „Sie werden sich freuen. Bitte folgt mir, Aradînya Gourael.“

Er wandte sich um, um loszugehen, und ich begleitete ihn. Wir verließen den staubigen Innenhof der Rekrutenunterkünfte und marschierten eine kurze Weile lang über die offene Straße der Stadt.

Die Straßen waren gefüllt mit Soldaten, Boten, Handkarren und Wägen, welche Ladungen umher fuhren oder Elfen kutschierten. In der Ferne über den Dächern ragten die Schornsteine der Schmieden auf, welche ununterbrochen qualmten. Die Schmiedestätten fanden sich alle am Rande der Stadt, jedoch ringsum verteilt, sodass jeder Schmied seinen eigenen Bereich hatte.

Gemeinsam liefen wir eine Weile lang über die befestigte Hauptstraße, ehe die eher kleineren Häuser um uns herum größeren wichen, welche teilweise aus Stein gebaut waren und mehrere Stockwerke besaßen. Von ihrer Größe waren sie weit von den Anwesen in Zul entfernt, doch erheblich größer als die anderen der Stadt.

Es wurde wesentlich ruhiger und weitaus weniger Leute tummelten auf der offenen Straße. Mein Ausbilder führte mich zu einem größeren Haus, das sich von der Bauart der anderen Häuser nur durch einen vieleckigen Turm abhob.

Wir passierten einen kleinen Vorgarten und gelangten zu einer großen, hölzernen Tür. Mein Begleiter betätigte den schweren, kunstvoll geschmiedeten Türklopfer, dessen Ton laut hörbar innen erklang.

Innen ertönten Stimmen. Ein großer, stämmiger Elf mit blonden, geflochtenen Haaren zog die Tür auf und lächelte, als er mich erblickte.

„Du musst Doreah Idril sein, meine Großnichte“, begrüßte er mich.

Ich nickte und strahlte glücklich. Leicht knickste ich. „Ja, bin ich. Ich freue mich sehr, Euch zu sehen!“

„Komm rein!“, sagte er und trat zur Seite. Während ich eintrat und gedanklich nach dem Namen meines Großonkels suchte, verabschiedete dieser meinen Führer und schloss die Tür.

Die kleine Eingangshalle war mit mehreren Kleiderhaken, Kommoden und einem prasselnden Kaminfeuer bestückt. Jagdtrophäen befanden sich an die Wände genagelt: ein gewaltiges Hirschgeweih, die Schädelknochen einer Thôratsa, ein großer ausgestopfter Fisch sowie die Schädel oder Krallen diverser anderer Geschöpfe. Ein mannsgroßer Jagdbogen mit vergoldetem Griff und gefärbter Sehne hing unter ihnen.

Auch ein hoher Spiegel befand sich in der Halle und ich trat näher zu ihm. Erstmals konnte ich mich in meiner Uniform betrachten. Was ich sah, gefiel mir.

„So“, wandte sich mein Großonkel an mich und meine Aufmerksamkeit kehrte zu ihm zurück, „komm gerne mit ins Speisezimmer. Einige andere Mitglieder unserer Familie warten.“

Ich lächelte aufgeregt und folgte ihm eilig über den dunklen, hölzernen Dielenboden. Meine Stiefel gaben darauf laute Geräusche von sich, welche uns im Speisezimmer ankündigten. Ich strahlte, als ich die bekannten – allerdings nur bekannten – Gesichter sah. Ich konnte ihnen keine Namen zuordnen.

Es waren etwa vier Leute – drei Frauen und ein Mann –, die gemeinsam an einer großen Tafel voller Speisen saßen. Sie trugen derweil noch ihre Uniformen: hochdekorierte Offiziersuniformen. Einzig die störenden Rüstungsteile hatten sie zum Essen ausgelassen, doch die bunten Farben wiesen sie aus.

Eine Frau erhob sich, ihre Stimme klang sanft und erfreut: „Kolvar, wen hast du uns mitgebracht?“

Der Name meines Großonkels sprang mir wieder ins Gedächtnis. Kolvar Triandal Aldaval, mein Großonkel mütterlicherseits-großmütterlicherseits. Ein großer und bedeutsamer Offizier des Militärs.

Kolvar Triandal lächelte und legte seine Hand sanft auf meine niedrige Schulter. „Meine Großnichte, die Tochter von Fraeya Gaylia: Doreah Idril.“

Die anderen am Tisch nickten mir freundlich zur Begrüßung zu und Kolvar Triandal begleitete mich zum Tisch, wo er den Stuhl am Kopfende herauszog und mich setzen ließ. Ich dankte ihm mit einem Nicken, er nahm zu meiner Rechten Platz.

Von dem anderen Mann an der Tafel wurde mir ein Korb gereicht, in welchem sich auf einem gestickten, weißen Tuch mehrere Laibe dunklen Brotes befanden. Ich nahm mir eine der noch warmen Scheiben heraus, brach sie mit den Händen und steckte es mir in den Mund. Im Vergleich zu meinem Frühstück und der Mittagsmahlzeit war es göttlich.

Im Anschluss wurde von einem Hausdiener – einem recht mürrisch dreinblickenden Zwerg – der Hauptgang aufgetragen: Ein großes Stück Wildbret, etwas mehr als zur Hälfte durchgebraten und mit würziger Soße übergossen. Es war unbeschreiblich, wie sehr mir das Essen mundete. Ein Stückchen Heimat.

Während des Essens unterhielt sich die Gemeinschaft angeregt. Bei dem anderen Mann handelte es sich um Hubyr Gael Elenwe, meinen Großonkel mütterlicherseits-großväterlicherseits, welcher der Seeflotte diente.

Von den drei anwesenden Frauen war die mit den rotblonden Haaren Hubyr Gaels Ehefrau; die mit den blonden Haaren und leuchtend smaragdgrünen Augen ein General im zügigen Aufstieg und deren fast gleich aussehende Schwester, die früher jahrzehntelang im Elenwe-Anwesen gearbeitet hatte.

Der Abend wurde immer länger. In ihrer Gesellschaft und mit dem Essen fühlte ich mich wohl. Das Stück Heimat, das mir fehlte.

Schließlich stand der Mond weit am Himmel und Großonkel Kolvar Triandal erhob sich.

„Doch für nun sollte es genug gewesen sein“, verkündete er und blickte lächelnd in die Runde. „Wir – sowie besonders unsere Rekrutin Doreah – müssen am morgigen Tag wieder dem harschen Werk nachgehen.“

Er blickte daraufhin zu mir. „Doch du seist immer in unserer Runde eingeladen, liebe Großnichte. Wo Freud, Speis und Trank stets herzlich auf dich warten.“

Ich lächelte ihm mit geröteten Wangen entgegen und leerte mein Weinglas. Mein Gesicht fühlte sich heiß an. „Ja, ich werde sehr gerne jeden Abend zu euch kommen!“, rief ich strahlend und wandte mich direkt an ihn. „Hab vielen Dank, Großonkel!“

Kolvar Triandal erhob sich und zog mir den Stuhl heraus, sodass ich aufstehen konnte. Die Runde winkte und lächelte. Großonkel begleitete mich zur Tür und schnallte dort sein Schwert an den Gürtel. Ich blickte ihn fragend an.

„Du solltest nicht alleine gehen. Nicht, solange deine Ausbildung nicht fortgeschritten ist“, meinte er mit düsterem Ausdruck.

Ich nickte verstehend. Er öffnete mir die Tür und hielt sie offen. Während ich hinaus trat, spürte ich die nächtliche Kühle, die sich auf meine leicht erhitzte Haut legte.

Großonkel schloss die Tür. „Doch ich schaue mal, ob sich der Unterricht für dich etwas beschleunigen lässt“, meinte er grinsend, ehe wir gemeinsam losliefen.

Die Straßen waren leergefegt und von der nächtlichen Ruhe erfüllt. Es war sehr und ungewohnt still, denn nicht mal das übliche Rauschen der Bäume existierte hier. In Gorak gab es kaum Bäume, welche im Frühling oder Sommer ein grünes Gewand trugen.

Schließlich gelangten wir zum Tor der Rekrutenunterkunft. Es war geschlossen, doch Kolvar Triandal öffnete die schmale Tür darin mit einem eisernen Schlüssel.

„Den Weg findest du sicher alleine, liebe Großnichte. Ich wünsche dir eine angenehme Nacht.“

„Hab vielen Dank, Großonkel“, erwiderte ich mit ehrlicher Stimme. „Das Stück Heimat heute Abend … hat mir sehr geholfen.“

Er lächelte und schwieg einen Moment, ehe er sagte: „Deine Mutter … war schon immer schwierig. Nimm dir ihre Worte nicht zu sehr zu Herzen.“

Die Erinnerung an jenen Abend versetzte mir einen leichten Stich, den ich im Moment nicht mehr verspüren wollte. Ich verbarg es und nickte eilig. „Danke, Großonkel. Hab eine gute Nacht.“

Er nickte mir zum Abschied zu, ehe seine Hand auf den Schwertknauf zu seiner Linken sank und er durch den niedrigen Türrahmen des Tores trat. Ich wartete im Licht unter dem Torbogen, bis sich das Türchen geschlossen und die Schlüssel herumgedreht hatten.

Danach beeilte ich mich durch den Hof. Die Tür der Quartiere war nicht abgeschlossen und so schlüpfte ich in unser Zimmer, wo ich leise und unbemerkt schlafen ging.


Am nächsten Morgen weckte mich die Unruhe des Zimmers wieder auf. Meine Kameradinnen waren bereits auf den Beinen und schlüpften in ihre Rekrutenuniformen. Ich hielt mir die Hände an den Kopf und rutschte langsam vom Bett runter.

Meine schweren Glieder zwang ich, aufzustehen und den Schrank mit der Uniform zu öffnen. Ihr Anblick heute war weniger glänzend als gestrig, trotzdem doch feiner und neuer als die der anderen.

„Wo wart Ihr letzten Abend?“, wurde ich gefragt, als ich die Schranktür schloss. Es war Tauryên Dair.

„Bei meinem Großonkel. Zu Abendessen“, erwiderte ich der Wahrheit entsprechend. Ich dachte mir wenig dabei. Tauryên runzelte die Stirn.

„Und darum kamt Ihr nicht zur Rekrutenmahlzeit?“

Ich nickte.

Tauryên nickte verstehend und ließ ein leises „Hmpf“ verlauten.

Wir hüllten uns anschließend in Schweigen und ich schlüpfte schnell in meine Uniform. Rechtzeitig schaffte ich es, mit dem Strom meiner Kameradinnen zur Kantine zu kommen.

Ich ließ mich heilfroh auf meinem Sitzplatz nieder. Auch die anderen am Tisch schienen die Mahlzeit vor täglichem Beginn der Ausbildung zu begrüßen.

Einer der angestellten Elfe brachte die Körbe mit dem Brot an den Tisch. Wie gestern war es das trockene. Als ich widerwillig nach einem der Brotlaibe greifen wollte, stellte der Elf mir einen eigenen Korb vor mich.

Ich hielt verwundert inne und zog meine Hand vom anderen Korb zurück. Auf meinen fragenden Blick erklärte er: „Euer Großonkel und Eure Ausbilder haben gemeinschaftlich darauf bestanden.“

Ich blickte nieder auf das weiche Brot im Korb. „Ich verstehe“, erwiderte ich, als ich wieder zu ihm hochblickte. Mit der Hand nahm ich eine Scheibe – sie war weich, mit harter Außenkruste und warm.

„Habt großen Dank“, sagte ich zu dem Elf und lächelte ihm freundlich zu. Er neigte stumm den Kopf und machte zu anderen Tischen kehrt.

Ich betrachtete glücklich das Brot, welches ich bekommen hatte, brach es und aß einen ersten Bissen. Meine Zimmergenossinnen blickten zu mir. Ich ließ es langsam sinken und deutete mit der Hand auf meinen Korb.

„Es sind mehrere darin“, sagte ich und setzte ein freundliches Lächeln auf. „Nehmt es euch gerne.“ Ich schob ihn nach vorne zur Tischmitte, doch sie schüttelten wortlos die Köpfe. Stumm griffen sie in den anderen Korb das trockene. Ich runzelte die Stirn, aber machte mich gleich über mein vorzügliches her.

Schließlich war mein Magen mit der köstlichen Mahlzeit gefüllt und ich fühlte mich bereit für den Tag. Die Glocke am Ende des Saals wurde geschlagen, die die Rekruten zum Aufstehen und dem täglichen Beginn der Ausbildung rief.

Alle erhoben sich und verursachten großen Krach, als die Holzteller aufeinander gestellt wurden, die Brotkörbe ineinander geschüttet und gestapelt und die Krüge auf Tabletts gelagert. Die großen Häufen wurden schließlich auf den Tischen zurückgelassen und wir verließen gemeinsam den Saal.

Nach der Mahlzeit folgte eine Stunde Theorie-Unterricht, auf welche wieder Ausdauerläufe folgten. Wie am Tag zuvor tat ich mich schlecht und fiel nach kürzester Zeit zurück. Heute kam niemand zurück, um mir zu helfen oder nach mir zu sehen.

Zur Mitte des Tages rief uns unser Ausbilder zu sich. Ausbilder Celebrim verkündete, dass nun eine weitere Einheit des Eimerschleppens folgen würde, ehe die Ausbildung für den Vormittag zumindest beendet sei.

Leises Murren und Stöhnen ertönte aus unseren Reihen, ehe sich die Elfen langsam in Richtung des Flusses bewegten. Ich war im Begriff, dem Strom zu folgen, als ich mich wegen einer bekannten Stimme umdrehte.

„Doreah Idril!“, rief Kolvar Triandal, mein Großonkel. Er marschierte in seiner prachtvollen Offiziersuniform und mit Waffe an der Hüfte an unserem Ausbilder vorbei. Dieser neigte untergeben den Kopf vor ihm.

„Großonkel?“, fragte ich verwundert und entfernte mich der marschierenden Truppe. Mein Verschwinden wurde von den anderen aufgenommen, jedoch nicht weiter beachtet.

Kolvar Triandal lächelte mir zu und blieb stehen. „Eben dieser.“

Ich lächelte ihm erfreut zu und blickte ihn fragend an, ehe er sich erklärte: „Nun, die Verantwortlichen und ich waren uns einig, dass deine Ausbildung zügiger und intensiver werden sollte“, sagte er mit breitem Lächeln. „Keine sinnlosen Wasserschleppereien mehr. Darum folge mir!“

Er lachte und ich ließ mich vor Glück davon anstecken, ehe wir gemeinsam zum Tor liefen. Ich blickte den anderen Rekruten, die zum Fluss marschierten, hinterher, bevor wir das Tor passierten.

„Wo geht es hin?“, fragte ich, nachdem wir die Hauptstraße erreicht hatten.

„Das wirst du gleich erfahren“, meinte er lachend und warf ein kleines Säckchen, das in seiner Linken ruhte, ein paar Zentimeter in die Luft. Das leise Klimpern von Münzen war herauszuhören.

Gespannt wie ein Bogen folgte ich ihm. Es ging die gepflasterte Hauptstraße entlang, welche wieder von zahlreichen Elfen, Zwergen, Wägen, Getöne und Geschrei erfüllt war, und schließlich am Stadtrand in eine kleinere Straße hinein.

Die Straße hier war weiterhin gepflastert, doch an den Rändern karger oder plattgetretener Boden. Die Häuser hielten sich in einer normalen, durchschnittlichen Größe, nur ihre Giebel und Firste reckten sich weit nach vorne über die Straße.

Wir näherten uns den Geräuschen des Hämmerns auf einen Amboss, bis wir schließlich ein Haus erreichten. Es war gebaut wie jedes andere, doch besaß einen offenen Anbau, in welchem eine Schmiede untergebracht war.

Ein einzelner Schornstein ragte auf dem Dach des Anbaus hoch über die Häuser hinaus und ließ den Qualm des Feuers in die Luft steigen. Der Hals des Schornsteins führte hinunter in den Anbau, wo er einer bruchsteinernen Esse entsprang. Neben dieser standen zwei große Wasserkübel und der Amboss, an welchem weißblonde Elfe arbeitete.

An den Wänden hingen Regale oder Haken, an welchen Hämmer verschiedener Größen, Zangen, Messwerkzeuge, Meißel und Metallsägen baumelten. Eine schräg gebaute Falltür auf der linken Seite der Esse führte wahrscheinlich in ein Holzkohlelager.

Großonkel Kolvar Triandal trat an den hölzernen Tresen heran, der den Schmiedebereich von der Straße abtrennte. Ich folgte ihm und sofort trat mir der Geruch von brennender Holzkohle in die Nase. Unbehagt verzog ich das Gesicht.

„Meisterin Ainia?“, sprach Kolvar Triandal die arbeitende Elfe am Amboss an. Sie hielt inne, als sie seine Stimme vernahm und blickte sich um. Sie hatte lockiges, weißes Haar, welches in einem groben Zopf gebändigt über ihren Rücken fiel und war ungewöhnlich klein. Sie maß sogar weniger Körpergröße als ich!

„Aradîr Aldaval“, reagierte sie mit Überraschung in der Stimme und ließ Hammer und Zange auf dem Amboss liegen. Das rotglühende Metallstück, das in der Zange eingeklemmt war, ließ sie dort warten und kehrte ihrer Schmiede den Rücken.

„Kann ich etwas für Euch tun?“, fragte sie und streifte währenddessen ihre dunklen Lederhandschuhe ab, um sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn zu wischen.

Kolvar Triandal lächelte ihr zu und deutete auf mich. „Meine Großnichte, Doreah Idril, benötigt ein eigenes Schwert. Sie ist Rekrutin.“

Der Blick der Schmiedin wanderte zu mir, sie musterte mich sehr eingehend.

„Hat sie je ein Schwert gehalten?“, fragte sie zu Kolvar.

„Nein.“

„Mhm.“

Ihre Stimme klang kritisch und sie setzte die Musterung fort. Sie beobachtete genau meine Größe, meine Statur und meine Arme. Leicht verunsichert runzelte ich die Stirn und blickte zu Kolvar Triandal. Er nickte nur.

Meisterin Ainia blickte schließlich wieder auf und verkündete: „Es lässt sich schlecht einschätzen, wie es um ihre Kraft und ihr Gewicht in wenigen Monaten nach der Ausbildung aussieht.“

„Ist das wichtig?“, fragte ich.

„Sehr.“

Wir schwiegen lange, ehe die Schmiedin aufseufzte.

„Mit einem Anderthalbhänder können wir es probieren“, begann sie. „Der Griff ist recht lang, doch für eine Abwechslung der Hände gedacht. Die Klingenlänge … müssen wir ausprobieren.“

Sie wandte sich um und verschwand im Haus, vorbei am mittlerweile erkalteten Stück Eisen auf dem Amboss. Kurz darauf kehrte sie mit mehreren Schwertern auf den Armen zurück und ließ sie mich heben und schwingen. Schon beim ersten ächzte ich leise und schwang es unbeholfen durch die Luft. Das zweite und das dritte waren auch nicht besser.

Die Schmiedin nahm schließlich wieder das letzte Schwert und ließ es klirrend auf den Haufen auf dem Tresen fallen. „Mhm.“

Mehr sagte sie nicht und schwieg einige Momente, in welchen sie konzentriert auf die Waffen blickte.

Großonkel Kolvar meldete sich schließlich wieder zu Wort: „Nun, sie wird sich an es gewöhnen. Wie steht es um den Preis?“

Meisterin Ainia blickte kopfschüttelnd wieder auf. „Gewöhnen ist der schlechte Weg. Doch nicht meine Entscheidung.“ Ihr Blick wich kurz grimmig zu ihm und dann hinunter zu den Schwertern. „Zweihundertundfünfzig. Es ist eine Maßanfertigung.“

Meine Augen weiteten sich, doch Kolvar Triandal nickte ruhig. „Gewiss. Lasst Ihr mir eine Nachricht zukommen, sobald es fertig ist?“

Die Schmiedin nickte. „Selbstverständlich“, erwiderte sie und zog die Mundwinkel zu einem schwachen Grinsen hinauf.

Großonkel Kolvar nickte dankend. „Habt Dank. Dann wendet Euch gerne wieder Eurer Arbeit zu.“

Meisterin Ainia verbeugte sich mit Kopf und Oberkörper leicht und streifte sich wieder die Handschuhe über. Sie kehrte uns den Rücken zu und steckte die Zange mit dem klingenförmigen Metall wieder in die Esse. Knarzend betätigte sie den Blasebalg.

Großonkel Kolvar lächelte mir zufrieden zu und wandte sich um, um mit mir zurückzugehen. Ich folgte ihm und wir kehrten zur Rekrutenunterkunft zurück.


Der Rest des Tages sowie der Woche verlief im normalen Plan. Morgens standen wir früh auf und der Rhythmus gewöhnte sich mir an. Bei den Ausdauer- und Kraftübungen standen meine Leistungen weiterhin niedrig, doch ich meinte, mich langsam zu bessern. Die Schmerzen morgens und abends ließen ganz langsam ab.

Die Abendmahlzeiten verbrachte ich stets in der Runde meiner beiden Großonkel Kolvar Triandal und Hubyr Gael, dessen Frau, General Nimloth und deren Schwester Míriel. Ihre Gesellschaft war mir lieber als die, welche ich in der Rekrutenkantine erlebte.

Am dritten Morgen der nächsten Woche erhielt ich wie gewohnt einen gesonderten Korb zur ersten Mahlzeit. Wieder bot ich ihn Tauryên Dair und meinen Tischkameradinnen an, doch sie schüttelten wie jedes Mal nur die Köpfe.

Es war mir bewusst, dass sie mir diese leichten Bevorzugungen nicht gut nachsahen. Der zusätzliche Korb Essen und meine Abwesenheit bei der Abendmahlzeit, um bei meinem Großonkel zu speisen, war ein Grund für Neid. Doch ich war entschlossen, es nicht aufzugeben.

Nachdem das Essen um und in einem erheblichen Krach Körbe, Holzplatten und Krüge ineinander gestapelt worden waren, ging es hinaus, um die erste Ausdauerübung zu beginnen. Mittlerweile hielt ich länger durch, blieb jedoch weiterhin schnell zurück. Wieder liefen alle anderen weiter und an mir vorbei.

„Liebste Großnichte?“, erklang Kolvar Triandals Stimme, als die laufenden Elfen und der Staub, den sie verursachten, sich wieder weit entfernt waren.

„Ja, Großonkel?“, antwortete ich und blickte in die Richtung, aus welcher seine Stimme ertönte.

Er trat in den Innenhof und blickte sich um. Er blickte zu den übenden Rekruten und mir, die zurückgeblieben war. Auf seinem Gesicht bildete sich für einen Moment Enttäuschung ab. Im Bruchteil einer Sekunde verschwand diese hinter einem Lächeln.

„Komm mit, ich habe etwas für dich. Für heute haben dich die Verantwortlichen entschuldigt, und für das Wasserschöpfen ganz allgemein“, verkündete er stolz. „Von nun an kommst du während diesen zu mir.“

Ich blickte ihn etwas verwundert an, doch er deutete mir nur, ihm zu folgen.

Er führte mich zwei Straßen weiter in einen abgeschiedenen Platz. Staubtrockene, blätterlose Bäume mit hohen, knorrigen Zweigen und hölzerne Trennwände umringten diesen Ort und wehrten jegliche Blicke von ihm ab. Wir waren hier ganz allein. In der Mitte des Platzes fand sich eine kreisrunde, ebene Grube, welche mit großen Mengen Sand bestreut war.

Fragend blickte ich zu Großonkel Kolvar, welcher ein in Stoff gewickeltes Bündel von einer Bank hob. Es war kein allzu besonderer Stoff, doch die Form des Bündels ließ ein großes Schwert erkennen.

Aufgeregt riss ich die Augen auf. Großonkel Kolvar nickte grinsend und band die Enden auf. Ein kleiner, kunstvoller Knauf offenbarte sich am geöffneten Ende des Bündels und er griff das Schwert an diesem. Er zog es in einer fließenden Bewegung hinaus und streckte es weit in die Höhe, sodass es sich im Licht reflektierte.

Mit einer Hand hielt er es am Griff, an welchem sich genug Platz für zwei Hände befand. Der Griff war mit sauberem Leder umwickelt. Über diesem befand sich eine schmale, nach innen gebogene Parierstange, welche in rankenden Mustern in die Klinge über ging. Die Klinge selbst streckte sich weit in die Höhe, doch sichtlich kürzer als bei anderen Elfenschwertern.

Großonkel Kolvar ließ die Waffe wieder aus der Luft sinken und waagerecht auf seine offenen Handflächen fallen. Er trat einen Schritt zu mir, um sie mir zu überreichen. Meine Hände kribbelten leicht und ich ergriff Heft und Klinge. Nachdem er sie losließ, sank ich ob des Gewichts leicht in die Knie. Er grinste.

„Nun, probier es aus“, meinte er und deutet auf die Grobe. In der Mitte befand sich ein Holzpfahl, welcher mich an Größe überragte.

Ich nahm meine zweite Hand, welche die Klinge gehalten hatte, an den Griff und hob das Schwert senkrecht auf in die Luft. Das Gewicht beirrte mich leicht, doch die Waffe schien vorne und hinten gut balanciert zu sein.

Vorsichtig sprang ich den knietiefen Absatz in die Grube hinunter und schob mit den Stiefeln den Sand vor mir her. Ich näherte mich dem mich überragenden Holzpfahl und bemerkte die vielen Schnitt- und Abnutzungsspuren, die an ihm klafften.

Großonkel trat hinter mir in die Sandgrube. „Na los, ich warte“, meinte er und lachte auf ermutigende Weise.

Ich atmete tief durch, um meine Aufregung der Konzentration zu opfern, und holte mit der schweren Waffe weit über der rechten Schulter aus. Der viel zu kräftigte Schwung nach hinten, samt dem Gewicht des Schwertes, drohten, mich nach hinten umzureißen. In einer unbeholfenen Gewichtsverlagerung behielt ich mein eigenes Gleichgewicht und warf das Schwert nach vorne.

Es krachte splitternd in den Holzpfahl ein. Ein Stück Rinde löste sich und flog wirbelnd durch die Luft. Mit Mühe zerrte ich den Anderthalbhänder wieder aus dem Pfahl heraus und ließ die Spitze zu Boden in den Sand sinken.

Kolvar Triandal lachte, während ich das Schwert als Krückstock nutze, und trat zu mir.

„Die Kraft wird noch kommen“, erklärte er. „Die Sicherheit mit diesem Schwert durch die Übung.“

Er griff mit seiner behandschuhten Hand an die Klinge und drehte sie in meinen Händen wieder senkrecht in die Luft. Dann deutete er auf meine Füße.

„Einen Fuß nach hinten, den anderen nach vorne.“

Er demonstrierte es mir mit seinen eigenen und ich übernahm die Stellung. Er nickte zufrieden.

„Wenn du schlägst, machst du einen Schritt vorwärts. Du nutzt dein Gewicht, um dem Schlag Stärke zu verleihen. Im echten Gefecht solltest du ihn mit Bedacht nutzen. Er kann dein Verhängnis werden.“

Ich nickte eifrig bei jedem seiner Worte. Er lächelte. „Nun, versuch es erneut.“

Wieder hob ich das Schwert an und nahm diesmal weniger Schwung. Ich folgte Kolvars Anweisung und setzte während des Schlags einen Schritt nach vorne. Die schwere Klinge sauste von meiner Schulter aus in das Holz hinein und brach wieder winzige Holzsplitter ab.

Ich zog sie wieder zu mir und blickte Großonkel fragend an. Dieser lächelte zufrieden.

„Und nun, schlag drei Mal hintereinander auf den Pfahl ein.“

Ich nickte und hob das Schwert wieder. Unser Übungsort war vor der Sonne ungeschützt und sie brannte erbarmungslos auf mich nieder. Der Schweiß bildete sich bereits auf meiner Stirn und in meinen Handschuhen.

Wieder holte ich mit dem Schwert aus und schlug drei Mal schnell hintereinander auf dieselbe Stelle am Pfahl ein. Diesmal splitterte er weniger, denn mein Kraftaufwand war geringer.

Kolvar räusperte sich, während ich atemlos die Schwertspitze in den Sand sinken ließ. „Nun, für den Anfang akzeptabel. Du wirst dir einen eigenen Wechsel anlegen müssen, an welchen verschiedenen Orten du einschlägst. Der Wechsel muss vielreich sein, sonst wird er im echten Gefecht rasch ausgehebelt.“

Ich nickte verstehend und atmete schwer. Das große Schwert nutze ich als Stütze.

Kolvars Gesicht verzog sich. „Du kannst also nicht mehr?“, fragte er mit missfallendem Ton.

Ich senkte den Kopf und nickte langsam. „Es ist alles weiterhin neu für mich“, erklärte ich leise.

Er schnaufte, nickte und zog hinter sich eine große Scheide aus dunklem Leder hervor. In Form von Ranken zogen sich silberne Verzierungen bis zur Hälfte des edlen Stücks.

Mein Blick ruhte einige Momente auf diesem, ehe ich mit dem Handschuh die Sandkörner von der Klingenspitze strich und das Schwert die bereitgehaltene Scheide gleiten ließ. Anschließend überreichte er sie mir.

„Dann lass uns zurückkehren“, entschied er. „Der Rest deiner Ausbildung ist äußerst sinnvoll. Besonders, wenn es dir an körperlicher Kraft mangelt.“ Wieder erschien das Missfallen in seiner Stimme.

„Ich weiß“, erwiderte ich gesenkt. „Doch ich … liege hinter den anderen weit zurück.“

Kolvar hielt inne und wandte sich um.

„Ja, so ist es“, entgegnete er mit düsterem Gesichtsausdruck. „Für mich war es so, für deinen Großonkel Hubyr Gael war es ebenfalls so. Wir stammen aus einer anderen Kindheit als die anderen. Doch darin, dass wir uns schneller verbessern, zeigt sich, warum wir in die Offiziersränge gehören.“

Auf seinem Gesicht erschien ein sanftes Lächeln und er legte mir die Hand auf die Schulter. „Bald wirst du mit ihnen mithalten können. Bemüh dich!“

Er lächelte ermutigend und ich fiel schwach mit in das Lächeln ein. Dann ließ er meine Schulter wieder los und brachte mich zurück zum Rekrutenhof.

Die Blicke aller Elfen richteten sich auf uns, als ich in Begleitung des hochdekorierten Offiziers zurückkehrte. In den unzähligen Gesichtern konnte ich wenig ablesen, nur, dass ihre Blicke zu der edlen Scheide mit dem herausragenden Griff wanderten.

„Auf bald, Doreah“, verabschiedete sich Kolvar auf halbem Weg zu ihnen. „Arbeite fleißig weiter!“

Ich nickte ihm zu. „Auf bald, Großonkel.“

Er kehrte zum Tor um. Die Blicke der Rekruten lagen weiterhin auf mir. Es löste in mir unbehagliche Gefühle aus, weswegen ich das Kinn hob, um mich erhabener zu fühlen. Ich reihte mich bei ihnen ein und nickte Ausbilder Celebrim zu.

Die letzten Blicke wandten sich auch wieder ihm zu, doch ich nahm mehr als ein abfälliges Kopfschütteln neben und hinter mir wahr. Mir war klar: Damit musste ich von nun an leben.

Ausbilder Celebrim räusperte sich und fuhr seine Ansprache fort. Anschließend entließ er uns zur Mittagsmahlzeit.


Die folgende Zeit in Gorak

Langsam schritt die Zeit voran. Der Sommer wurde heißer und die Ausbildung dadurch nicht einfacher. Weiterhin hinkte ich den anderen Elfen hinterher, doch ich war auf schneller Aufholjagd.

Die ersten Übungseinheiten mit Waffen standen an. In den privaten Übungen bei Großonkel Kolvar besserte ich mich rasant, sodass ich mit den anderen Rekruten mithalten konnte. Einigen war ich mittlerweile darin überlegen und brachte sie während der Ausbildungskämpfe in die Knie.

Jeden Abend verbrachte ich in der Runde meines Großonkels und weiterer Adliger, welche sich manchmal von Abend zu Abend unterschied. Ich lernte die höheren Offiziere kennen und ließ mir von ihnen erzählen. Als Niedrigste am Tisch musste ich mich allerdings sehr wie früher verhalten.

Bei einer der privaten Unterrichtsstunden war mein Großonkel allerdings sehr schweigsam. Während ich seinen Anweisungen folgte und mit dem Schwert auf den Holzpfahl einschlug, blieb er schweigend, anstatt wie sonst sich mit mir über seine eigene Ausbildung zu unterhalten.

Schließlich ließ ich außer Atem das Schwert sinken. Es blinkte hell in der brennenden Sonne des Hochsommers und hin und wieder bemerkte ich ein heftiges Flimmern in der Luft. Ich trug nur die grüne Uniform ohne jegliche Rüstungsteile, die standardmäßig zu dieser gehörten, und hatte die langen Ärmel bis oben hin hochgekrempelt.

„Ist etwas nicht in Ordnung, Großonkel?“, fragte ich schließlich.

Er hielt inne und nickte, als wäre er dankbar, dass ich gefragt hätte. „Die Oberbefehlshaber ziehen erfahrene Offiziere und Soldaten zusammen, um nach West-Lysira zu ziehen“, erklärte er grimmig. „Es gibt Gerüchte über eine große Gruppierung Dunkelelfen, die dort angelandet ist.“

Ich stützte mich ernüchtert auf das Schwert. „Das bedeutet, du musst gehen?“

Kolvar nickte. „Und viele Mitglieder unserer abendlichen Runde. Anstatt es auf ein Gefecht ankommen zu lassen, lautet der Plan, sie im Angesicht einer Übermacht zum Aufgeben und Heimkehren zu zwingen“, erklärte er misslaunig.

Enttäuscht richtete ich mich wieder auf und steckte das Schwert in die Scheide. Ich ließ mich im Sand nieder und schlussfolgerte: „Die Übungsstunden und die Abende werden also ausfallen… Wie lange?“

Kolvar zuckte mit den Schultern. „Viele Wochen. Erst werden Truppen in den Häfen gesammelt, dann mit den Schiffen dorthin gebracht. Sie betreiben diesen dämlichen Aufwand, um kein Soldatenleben zu gefährden.“

Er schnaubte und schüttelte den Kopf. Für einen Moment schwieg er. „Schaffst du das solange alleine?“

Ich nickte. „Mach dir … keine Sorgen, Großonkel.“

Er lächelte schwach. „Sehr gut. Du hast Fortschritte gemacht. Ich weiß, du schaffst das.“

Wir erhoben uns gemeinsam.

„Aber nun … ist es an der Zeit, mich bereit zu machen“, verkündete er mit düsterem Ausdruck.

„Ich verstehe“, erwiderte ich. „Ich … wünsche dir viel Glück.“

Er lächelte. „Ich danke dir. Aber ich bringe dich noch zurück zur Unterkunft.“

Gemeinsam kehrten wir in den Hof der Rekruten zurück. Dort winkte er mir zum Abschied zu und ließ mich zurück. Es war ein Stich, den ich fühlte, als er verschwand.

Schließlich drehte ich mich um und eilte zur Mittagskantine. In letzter Zeit hatten Großonkel Kolvar und ich die Mittagsmahlzeit zusammen bei ihm eingenommen. Eine längere Zeit war ich nicht mehr dort gewesen.

Durch die Tür trat ich in den Saal ein. Einige konzentrierte Augenpaare hoben sich und blickten überrascht zu mir auf, andere behandelten mich wie Luft. Suchend blickte ich den Saal nach meinen Zimmergenossinnen ab und entdeckte schließlich Tauryên Dair mit den restlichen.

Mein Schwert führte ich weiterhin bei mir und trat an den Tisch heran. Die Blicke richteten sich augenblicklich zu mir und ihr Gespräch verstummte. Ich hielt inne. Ruckartig fühlte ich mich unerwünscht.

Tauryên Dair fand als Erste ihre Sprache. „Setz dich gerne.“ In ihrer Stimme lag ein kühler Ton.

Ich nickte dankend und entgegnete ein warmes Lächeln. Am Rand war der einzig noch freie Stuhl, auf welchem ich Platz nahm. Das Schwert legte ich unter den Blicken der anderen neben mir zu Boden.

Das Essen bestand aus einer gewärmten Schale mit Brei aus Weizengrütze. Widerwillig nahm ich mir die letzte Schale des 8er-Tisches und stellte sie vor mich. Mit einem hölzernen Löffel begann ich, den Brei auszulöffeln. Ich musste mich zusammenreißen, um nicht das Gesicht zu verziehen.

Die Runde blieb weiterhin stumm, nur kurze Anmerkungen flogen über den Tisch hinweg. Als die Glocke zum Ende der Mittagsmahlzeit schlug, war meine Schale zur Hälfte geleert. Prompt standen alle vom Tisch auf und entflohen der unangenehmen Atmosphäre.


Es sollte zurück in den Innenhof gehen. Schnell brachte ich mein Schwert in unserem Quartier unter und folgte den anderen. Es stand eine Einheit Bogenschießen an. Ich erhielt einen Bogen wie jeden anderen, aus Eibenholz und einer pflanzlichen Sehne.

Großonkel Kolvar hatte mir die Grundlagen in der Theorie erklärt. Ich ging in Schrittstellung, legte einen Pfeil auf, spannte und ließ los. Blitzschnell zischte der Pfeil durch die Luft und landete mit einem lauten „PLOCK“ in der Schulter der Strohattrappe.

Ausbilder Celebrim lief die Reihen der Schützen entlang und nickte mir zufrieden zu. Ich grinste glücklich. Wieder legte ich auf, spannte und ließ los. Dieser Pfeil allerdings zischte am Ohr vorbei und blieb mit ähnlichem „PLOCK“ in der Holzwand dahinter hängen. Auch der nächste Pfeil gedachte, nur einen der Strohhalme, die die Finger bildeten, zu streifen und in der Wand steckenzubleiben.

Nach einigen weiteren Durchgängen, in welchen ich sowohl traf als auch verschoss, war das Bogenschießen beendet. Bis zum Abend dauerten grobe theoretische Vorträge über strategische Führungsweisen und Formationen.

Als Ausbilder Celebrim uns entließ, verdunkelte sich bereits der Himmel. Einige, unter anderem meine Zimmergenossen, sprachen darüber, sich statt des Kantinenfraßes in der Taverne zu verabreden. Frohen Mutes marschierten sie dorthin. Der Rest zog sich zurück, um den Beginn der Abendmahlzeit abzuwarten.

Allein, zurück im Hof, blieb ich. Lange blickte ich mich in der fortschreitenden Dunkelheit des Hofes um, hinter dessen Wänden die Sonne verschwand, und ließ mich irgendwann auf einer Kiste an der Wand nieder.

Großonkel Kolvar und die Mitglieder meiner abendlichen Runde waren bereits abgezogen oder gerade dabei, dies zu tun. Die nächste Zeit würde ich allein sein.

Es versetzte mir einen Stich. Ich spürte, wie ich in einem Gefühl der Einsamkeit versank, das so finster war, wie die Dunkelheit, die im Hof langsam einkehrte. Die mittäglichen und abendlichen Essen bei meinen Verwandten und deren Bekanntschaften hatte sich nach Heimat angefühlt.

Ich vermisste mein Leben in Zul; meinen Vater Elrond, meinen kleinen Bruder Ilbryn, … auch Mutter, nachdem sie mich aus dem Haus gejagt hatte. Ich schniefte leise und schluchzte. Es verklang im leeren Hof ohne Reaktion. Langsam stiegen mir die Tränen in die Augen und fanden ihren Weg heraus, sodass sie mir haltlos über das Gesicht liefen.

Ich blieb auf der Kiste lange sitzen, vergrub den Kopf unter den Händen und weinte still. Währenddessen wurde es immer dunkler, die Sonne ging unter und die Hitze des Tages wich einer im Vergleich angenehmen Kühle. Frischer Wind strich hin und wieder an mir vorbei, während mein Kopf auf meinen Knien lehnte.

Schließlich richtete ich mich wieder auf, da es zu frisch an meinen nackten Armen wurde. Ich zog die Ärmel hinunter und wischte mir damit die Tränen aus den Augen. Der Hof um mich herum blieb weiterhin dunkel und verlassen, nur einzelne einsame Laternen spendeten mir Licht.

Etwas schwankend stand ich von der Kiste auf und trottete auf Umwegen in unser Zimmer, in der Hoffnung, dort niemanden anzutreffen. Tatsächlich war der Raum leer. Ich atmete leise glücklich darüber auf. An einen Eimer, der an meinem Bett stand, ging ich heran und wusch mir das Gesicht aus.

Nachdem ich es mit einem Tuch wieder getrocknet hatte, fühlte ich mich wieder einigermaßen frisch und erhob ich mich vom Bett. Die Abendmahlzeit war längst rum. Ich öffnete meine Truhe unter meinem Bett, nahm ein Beutelchen mit Münzen heraus und verließ anschließend das Gebäude, um die Taverne aufzusuchen. Ich musste etwas essen.

Der Wind auf der Straße fühlte sich kühl und angenehm auf meiner gewaschenen Haut an, während ich dem Weg zur Taverne, die sich nahe dem Rekrutengelände befand, folgte. Der Tanzende Greif stand auf dem Schild, das vor dem Eingang hing. Darauf war ein Bildnis von einem Greifen, der auf Hinterpfoten ulkig tanzte.

Es war mein erstes Mal, dass ich eine öffentliche Taverne besuchte, weshalb mich der Anblick des Schankraums umschlug. Die Decke war hoch genug, damit selbst die größten Elfen aufrecht stehen konnten. Diese drängten sich dicht an dicht mit kleineren Elfen und auch Zwergen an die Tische.

An der Theke standen große Hocker, und mehrere Personen zugleich gaben Humpen um Humpen, Krug um Krug aus. Zwei gestresst wirkende Elfen und ein Zwerg, welcher sich wohl auf Stelzen bewegte, wuselten zwischen Fässern und Tresen ständig hin und her.

Neben dem, was ich mit den Augen sah, gab es noch Unzähliges, das die Luft unangenehm erfüllte. Duftspuren von Schweiß, Ausdünstungen oder süßlichen Substanzen schwebten neben Bier und Pfeifenkraut im Raum.

Unbeholfen und erschlagen von diesem Anblick blickte ich mich um. Der Krach, den die Leute verursachten, war ohrenbetäubend – Lachen, Brüllen, Fluchen, Holzsplittern. Hinter mir drängten sich weitere Gesellen hinein und schoben mich weiter in den Schankraum hinein.

Mitten im Gerangel stehend, blickte ich mich unbeholfen um. Ich bemerkte, dass der Tresen frei wurde, und drängte mich dorthin. Erleichtert atmete ich aus, nachdem ich dort angelangt war. Der Elf, der bediente, grinste mich an. Er sah es mir wohl an.

„Na, was darf’s denn sein?“, fragte er, knallte laut einen Krug vor sich und stützte sich auf den Tresen.

„Ich, ähm…“ Mein Blick fiel auf die mit Kreide geschriebenen Angebote auf der Tafel, die über uns hing. „Nur Bier?“ – „Kommt sofort!“

Der Elf zapfte aus dem großen Fass hinter sich und donnerte den gefüllten, gekrönten Krug vor mich. „Für Neulinge geht’s erste Mal aufs Haus!“, rief er lachend gegen den Lärm der Gäste an.

Ich nickte dankend und lächelte vorsichtig. Am Henkel griff ich den Krug und trat etwas zur Seite. Argwöhnisch schnüffelte ich daran und nahm einen ersten Schluck daraus. Es schmeckte gut.

Als ich abstellte, erschien neben mir ein bekanntes Gesicht. „Noch eine Runde etwa, Fräulein Dair?“, rief der Elf und Angesprochene nickte tief und stützte sich auf den Tisch, um sicher auf den Beinen zu bleiben. Der Elf erwiderte: „Sehr wohl, die Dame! Wir bringen es gleich zu Tisch!“ Damit wandte er sich zu den Fässern um.

Tauryên Dair bemerkte mich nun. „Doreah! Ihr seid ja auch hier!“, rief sie gänzlich überrascht. Ihre Stimme war bereits leicht am Lallen.

„Ehm, ja“, erwiderte ich in normaler Lautstärke. Tauryên schien mich nicht zu verstehen, doch diese Frage brauchte keine Antwort. Sie musterte mein Gesicht und legte den Kopf schief.

„Haste geheult?“, fragte sie frei heraus. Ich schüttelte den Kopf, doch sie schien es eher als ein Ja aufzunehmen. Sie blickte auf meinen Krug.

„Komm, Euer Hochwohlgeborenheit sollte mit uns trinken gehen!“

„Ehm… ich …“ Ich nickte schnell und Tauryên führte mich auf unsicheren Schritten durch die Menge zum Tisch, an welche unsere Zimmerkameradinnen sowie einige andere Elfen saßen. Sie machten sich einen Spaß daraus, in der Mitte des Tisches einen möglichst hohen Turm aus geleerten Krügen zu bauen.

Die Blicke wandten sich überrascht zu mir, als Tauryên und ich uns setzten. Tauryên schwankte dabei so heftig, dass sie meinen Krug stieß und einen großen Schwall über meine Uniform kleckerte. Sie lachte ungeniert und ich unterdrückte meine Empörung, um mitzulachen. Die starren Blicke lockerten sich.

Meine Tischgenossen schienen alle bereits tief ins Glas geschaut zu haben. Recht verhalten trank ich anfangs noch mein Bier, während der Rest Witze riss und sich kugelnd über diese amüsierte.

Mit der Zeit leerte ich meinen ersten Krug. Der zweite wurde mir direkt hingeschoben, nachdem ich ihn abgesetzt hatte. Auch ihn trank ich recht verhalten, doch in immer zunehmenderem Tempo. Ehe ich mich versah, war es mein dritter.

Immer ausgelassener begann auch ich zu erzählen. Wie ich meiner Mutter einst als kleines Kind über die Kleidung erbrochen hatte, als sie eine Ansprache zu meinem zweiten Geburtstag hielt. Wie ich bei den Proben die Ballsaaltreppen hinunter gesegelt war. Wie die Sitten der hohen Gesellschaft sich lächerlich vom normalen Leben abhoben. Ungezügelt lachte auch ich darüber.

Schließlich verschwammen auch die letzten Erinnerungen an diesen Abend. Am nächsten Morgen wachte ich glücklicherweise in meinem Bett auf. Nur die belustigten Stimmen meiner Zimmerkameradinnen hatten mir dies versichert – um meinen Kopf zu drehen oder gar die Augen zu öffnen, dröhnte mir der Schädel viel zu sehr.

Sie ließen mich zusammen mit einer anderen, die ebenfalls schwer unter dem gestrigen Abend litt, zurück, um den Tag zu beginnen. Den Morgen über verbrachte ich leidend auf dem Zimmer. Beinahe bereute ich es. Beinahe.

Schließlich ließen zur Mittagszeit die Schmerzen nach und ich kroch elendig aus meinem Bett. Ich zog meine Ersatzuniform an, denn die von gestern war von Alkohol und anderen Substanzen vollgespritzt.

Nach langer Zeit verließ ich als Letzte unser Quartier. Durch eine Lüftungsklappe lugte ich hinaus in den Hof und blinzelte minutenlang, um im leuchtenden Sand das Fehlen der übenden Rekruten zu sehen.

Ich trottete die Treppe hinunter und mit zugekniffenen Augen zum Kantinensaal. Als ich die Tür öffnete, war der Lärm der dort Sitzenden fordernd. Langsam öffnete ich die Augen und blickte mich nach meinen Genossinnen um. Sie saßen recht nahe an der Tür und hielten mir meinen Platz frei.

Grinsend nahmen sie mich in der Runde auf und reichten mir die widerliche Weizengrütze. Ich rümpfte die Nase und machte mich trotzdem recht hungrig darüber her.

Wenig darauf wechselte das Gesprächsthema zum vorigen Abend. Ich erfuhr, was wir getrieben hatten, was ich getrieben hatte. Der adlige Teil in mir war dabei, mich genieren zu wollen.

Schließlich ertönte der Gong der Glocke und der Ton dröhnte in meinen Ohren. Der Rest grinste, als ich die Hände auf die Ohren presste.

„Es wäre wohl besser, wenn du diesen Tag aussetzt“, meinte Tauryên grinsend. Sie hatte nur ein schwaches Dröhnen im Kopf, laut ihr selbst.

„Ich fürchte ja“, erwiderte ich gedämpft und ließ mich von ihr hinauf begleiten, wo ich mich wieder hinlegte und die Augen schloss.


Anstatt wie zuvor verging die Zeit ab nun wie im Flug. Ich suchte die Gesellschaft meiner Kameraden anstatt der, anderer Offiziere oder Adligen. Abende im Tanzenden Greifen waren nicht selten.

Schließlich kehrte nach vielen Wochen auch mein Großonkel zurück, doch ich blieb den Einladungen fern. Selbst die zusätzlichen Stunden lehnte ich ab. Um hineinzupassen, musste ich eine von ihnen sein. So schwer es mir zu Beginn viel, desto leichter wurde es.

Der heiße Sommer ging schließlich zur Neige und ein etwas kühlerer Herbst fand seinen Weg. Zwar existierten in Gorak keinerlei Bäume, deren Blätter sich in bunteste Farben verwandelten, doch war er jedem trotzdem willkommen.

Die Ausbildung wurde erheblich angenehmer, nachdem nun öfters Wind durch die Stadt strich und die heiße Sommerluft vertrieb. Und mitten im Herbst … war auch das Ende der Ausbildung.

Am Abend zuvor war jeder so früh, wie es nur ging, zu Bett gegangen. Am nächsten Morgen erschallte jedoch kein Aufstehsignal, weshalb wir zu gewohnter Zeit kurz vor Sonnenaufgang aufstanden und im Quartier ungeduldig warteten.

Unsere Uniformen waren auf Hochglanz poliert und auch meine durfte nun wieder vermehrt im Licht glänzen. Meine Waffe hatte ich am Tag zuvor bei Meisterin Ainia, der Schmiedin, schleifen und polieren lassen. Die Schwertscheide hatte ich selbst gereinigt, sodass auch die silbernen Ranken auf ihr im Sonnenlicht wieder leuchteten.

Uns gegenseitig sagten wir im Zimmer die Eidworte auf, um keinerlei Fehler zu machen, wenn wir sie am Vormittag sprechen würden.

Schließlich ertönte das altbekannte Aufstehsignal und wir stürzten gemeinsam los. Vor dem Ausgang fanden sich mit uns die anderen Rekruten ein, welche sich vorbereiteten, indem sie auch die Eidworte leise aufsagten oder sich in kerzengerader Haltung übten.

Ausbilder Celebrim schlüpfte von außen durch die Tür hinein und schloss sie geschwind wieder. Er trug eine feierliche, rote Uniform. Sein Blick schweifte lange umher.

„Nun denn, sind alle hier?“

Die Menge nickte.

„Sehr gut“, setze er fort, „dann folgt mir nun gleich in geordneter Aufstellung hinaus. Wer aus der Reihe tanzt, dem werden die Füße abgehackt!“

Er wandte sich so schnell um, dass es nicht möglich war, zu erkennen, ob es ernst gemeint war oder nicht. Die Stimmen schwollen an und es bildeten sich eilig lose Pärchen. Schließlich verstummten die Stimmen und Ausbilder Celebrim, der mit dem Rücken zu uns gewandt blieb, nickte.

Vom einen auf den anderen Moment stieß er die doppelflügelige Tür auf und marschierte hinaus. Das Licht von außen fiel hinein auf die verdutzten Elfen, die sich hektisch ordneten und dann hinaus folgten.

Nach und nach drängten sich die jungen Elfen zur Tür, welche sie in ordentlicher Reih und Glied verließen. Ich geriet neben Tauryên, welche aufgeregt grinste. Wir gelangten schließlich ebenfalls zum Ausgang traten hinaus ins Licht.

Der Hof war mit den Bannern Myras und der königlichen Armee Gorkas behängt und von sämtlichen Geräten oder Gerümpel freigeräumt. An den Seiten standen wenige Leute, die dem Strom der gleich aussehenden Elfen zusahen, wie sie in Ordnung vor eine Holztribüne marschierten und sich dort in fünf Reihen aufstellten.

Auf dieser Tribüne erkannte ich mehrere Elfen in festlichen Uniformen sowie meine Großonkel Kolvar Triandal und Hubyr Gael. Sie lächelten mir zu, als ich zu ihnen blickte.

Die etwa fünfzig Rekruten hatten sich schließlich vor der Tribüne versammelt und blickten zu den dort Stehenden auf. Ausbilder Celebrim trat hervor und stieg die Tribüne hinauf.

Er verneigte sich vor einem Elfen, der anhand seiner Kleidung als der ranghöchste Anwesende zu sehen war. Von unten war zu sehen, wie sich ihre Lippen bewegten, doch es kamen kaum Geräusche unten an.

Schließlich verneigte sich Ausbilder Celebrim vor dem Elfen und gesellte sich zu den anderen Offizieren dahinter. Der ranghohe Befehlshaber nickte ruhig und wandte sich dann zu den Rekruten.

„Die Zeit eurer Ausbildung ist nun abgelaufen“, begann er laut. Seine Stimme war im ganzen Hof zu hören.

„Zu gehen hattet ihr in den letzten Tagen Zeit; heute sprecht ihr zeremoniell euren Eid, um der königlichen Armee Myras in Gorak zu dienen und für sie in den Krieg zu folgen, sollte es die Notwendigkeit sein, um eure Elfen- und Zwergenbrüder und -Schwestern zu schützen!“

Er hielt inne und blickte durch jedes Einzelne der Gesichter. Dann fuhr er fort:

„Die Zeit eurer Ausbildung habt ihr erfolgreich abgeschlossen; eine Zeit des Strebens, Verbesserns und der Kameradschaft. Sie möge euch als Zeit der Freude in Erinnerung bleiben und als Grund, euch und eurem Eid treu zu sein!“

Er trat einen weiteren Schritt vor an den Rand der Tribüne und hob feierlich die Hände in die Höhe.

„Doch nun: Kniet, und sprecht den Eid, welchen ihr auswendig lerntet, um ihn und seine Bedeutung niemals zu verlieren!“

Fünfzig Knie samt meinen gingen gleichzeitig zu Boden, fünfzig Stimmen samt meiner erhoben sich. Zuerst zögernd, doch nach den ersten gesprochenen Lauten wurden sie fester und sicherer:

Wir geloben feierlich, der Armee Goraks und dem Königreich Myras treu zu dienen und die Freiheit und das Wohlsein seiner Völker, gleich welcher Rasse, tapfer zu wahren und zu verteidigen. Dies sei unsere Aufgabe, unsere Bestrebung, bis zu unserer Freistellung oder unserem Tod.

Die Stimmen der Rekruten ebbten langsam ab, die langsamen Sprecher führten zu Ende und alle blickten zum großen Befehlshaber auf der Tribüne. Er lächelte zufrieden und erhob die Stimme:

„Damit seid ihr nun echte Soldaten Goraks, wahrhaftige Verteidiger eurer Heimat und eures Volkes in Myra! Nun erhebt euch als diese!“

Aus den Knien erhoben wir uns alle. Der Lärm verhallte einige Augenblicke im Hof. Es folgten einige Momente der Stille, in denen wir alle zu ihm auf blickten.

„Der restliche heutige Tag gilt euch“, setzte er fort. „Ihr seid junge Helden, zu denen die Kinder aufblicken werden. Doch dies auch erst ab morgen; heute sollt ihr feiern, mit euren Freunden, Familien und Lieben!“

Er trat von der Tribüne nach hinten zu den restlichen Offizieren. Von den Zusehenden brandete Applaus und nach und nach fielen wir, die frischen Soldaten, mit ein.

Nachdem der Befehlshaber mit den Offizieren hinter sich gesprochen hatte, stiegen diese von der Holztribüne hinunter und traten auf uns zu. Reihe um Reihe steckten sie den frischen Soldaten zeremoniell die glänzenden Broschen an ihre Uniformen. Großonkel Kolvar Triandal grinste mir stolz zu und heftete sie bei mir an. Er zwinkerte mir zu, ehe er sich den anderen zuwandt.

Wie uns befohlen, feierten wir den Rest des Tages lang. In der Kantine wurde ein Festmahl ausgegeben, welches sich groß vom üblichen Fraß unterschied. Von den traditionellen Soldatenfamilien erschienen Verwandte, welche ihre Kinder in höchster Weise feierten.

Von meiner eigenen Familie aus Zul – Vater, Ilbryn, auch Mutter – war niemand gekommen. Doch es beschwerte mich auf keine Weise. Meine neue Familie … sollte diese hier sein.


Wir wurden gemeinsam in eine Einheit gesteckt. Ich erhielt die Ehre, ihr Hauptmann zu sein. Als sie mir das Abzeichen neben die Soldaten-Brosche an meine neue Uniform nadelten, lachte ich vor Stolz.

Mit dieser Einheit vergingen die Jahre. Sie zogen mal bedächtig langsam, mal geschwind schnell ins Land. Schließlich war ein halbes Jahrzehnt um und ich durfte mir die Brosche eines unteren Generals anstecken lassen.

Am selben Abend des Tages meiner Ernennung kehrte ich in mein eigenes Heim in der Stadt zurück. Es lag einige Straßen vom Anwesen meines Großonkels und der anderen hohen Offiziere entfernt, doch weit näher an den normalen Soldatenbehausungen.

Mein Heim war zweistöckig, besaß eine kleine Eingangshalle, ein Speisezimmer, einen Kaminraum, ein Schlaf- und Gästezimmer, ein Arbeitszimmer und einen eigenen Baderaum. Ich war vollends damit zufrieden.

Es war bereits dunkel geworden an diesem Abend und ich war vom Tag und dem Feiern mit Tauryên, meiner besten Freundin, und unseren Kameraden erschöpft. Dasselbe Schwert wie zur Zeit meiner Ausbildung besaß und führte ich immer noch. Vor der Tür schnallte ich es bereits vom Gürtel ab, um es gleich drinnen abzulegen.

Ich steckte den Schlüssel ins Schloss, drehte ihn um, bis sich die Tür mit einem Klacken öffnete, und trat hindurch. Kaum über die Schwelle getreten, hielt ich erschrocken inne.

Mitten im Raum stand eine Elfe in dunkelblauer Gewandung mit dem Rücken zu mir gedreht, deren Blick in der Eingangshalle umherschweifte. Sie hatte blonde Haare, die in einer mir sehr bekannten Form edel hochgesteckt waren. In dem Moment, in dem die Tür sich geöffnet hatte, wandte sie sich um.

„M-Mutter?“, stammelte ich und ließ die Haustür ins Schloss fallen.

Sie hatte eine sehr kühle Miene aufgesetzt, durch welche nichts durchblitzte, und nickte mir auf meine Frage hin zu. „Ich grüße dich.“

„Was … was machst du hier?“

„Dein Großonkel großmütterlicherseits hat mich auf meine Bitten hin hineingelassen“, erklärte sie sich und wandte sich wieder um, um ihre Musterung der Eingangshalle fortzusetzen.

Ich blieb stumm an der Tür stehen, unwissend, was ich sagen sollte. Mutter nahm mir einige Augenblicke darauf die Last ab.

„Gibt es einen Ort, an welchem wir uns setzen und unterhalten können?“, fragte sie, nachdem sie sich wieder zu mir umwandte. Ihre Gesichtszüge ließen auf nichts schließen.

Ich fand nach ihrer Frage wieder zu mir und nickte. „Ja, gibt es.“

Ich ließ mein Schwert und das restliche Gepäck auf einen Stuhl fallen und schritt mit dumpfen Stiefelschlägen geradewegs an ihr vorbei zur doppelflügeligen Tür ins Kaminzimmer. Ich stieß einen Flügel der dunklen Holztür auf und hielt sie offen. Unsicher beobachtete ich sie.

Fraeya nickte dankend und schritt auf leisen, hellen Schritten durch die Tür. Ich folgte ihr hinein, schloss die Tür und deutete auf den Sessel, der in Front des Kamins stand. Sie nickte erneut und nahm dort elegant und gemächlich Platz.

Fraeya blickte zu mir auf, wartend, dass ich mich auch setzte. Stattdessen wandte ich mich in die linke Raumecke um und nahm ein paar Holzscheite. Ich kehrte zum Kamin zurück, kniete mich auf die steinerne Platte davor, warf die Scheite hinein und machte mich in aufgesetzter Seelenruhe daran, das Feuer anzufachen.

Nach einigen Versuchen schlugen die Funken und die Holzscheite begannen langsam zu brennen. Ich packte Feuerstein und Eisen wieder in das Beutelchen an meinem Gürtel und erhob mich. Fraeyas Blick ruhte geduldig auf.

Leise schnaufte ich in mich hinein und suchte in meinen Gedanken. „Kann ich dir etwas anbieten?“

Fraeya schüttelte den Kopf. „Ich möchte nur mit dir sprechen.“

Ich nickte und ließ mich stocksteif auf dem Sessel nieder. Sofort begann Fraeya zu sprechen:

„Ich hörte von den Geschehnissen und deinen Erfolgen.“

Sie blickte mich durchdringend an. Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte. Ihre blassgrünlichen Augen wurden mir unangenehm, weswegen ich den Blick abwandte und nervös an meinem Gürtel rum spielte. Es war leise zu hören.

Nach einigen unbehaglichen Momenten der Stille, in welchen ich nicht antwortete, fragte sie in einem kühlen Plauderton: „Wie geht es dir?“

Meine Stimme senkte sich auch ab, wurde kühler. „Sehr gut. Heute erst wurde ich befördert. Und, ich habe eine neue Familie gewonnen.“

Ich beobachtete ihr Gesicht beim Sprechen genau. Es blieb regungslos, nur ihr eines Auge zuckte leicht. Oder war es Einbildung gewesen? „Und wie geht es dir?“, entgegnete ich.

„Ich habe nachgedacht“, erwiderte sie. Ob es als Antwort auf meine Frage galt, ließ sich für mich nicht heraushören. „Deinen Bruder beschäftigt dein Abschied nach fünf Jahren immer noch sehr.“

„Das kann ich verstehen. Weshalb kamst du, um mir das zu sagen?“

In Mutters Gesicht blitzte ein Gefühl durch. Unsicherheit. Es verblüffte mich sehr.

„Weil ich dich vermisst habe … und es mir leid tut.“

Ich stürzte aus allen Wolken. Die vorbereiteten Worte auf meiner Zunge rutschten wieder nach hinten hinab. Mutters Ausdruck bohrte sich in mein Inneres. Ihre aufgesetzte Maske war abgefallen.

„Wie-… wieso?“, stammelte ich perplex.

Mutter neigte den Kopf nach unten und blickte mich geknickt an.

„Weil … ich dir Unrecht getan habe … und dich verletzt. Zu alldem gezwungen. Lange.“

In ihren Augen funkelten Tränen, während sie stockend sprach. Nie hatte ich sie so gesehen. Ich vermochte nichts zu antworten.

„Am Abend deines Verschwindens … habe ich lange … in Tränen geschwommen.“ Sie blickte wieder direkt zu mir auf. „Du bist meine Tochter. Und jetzt, wo ich erfuhr, was du alles erreicht hast … bin ich stolz auf dich.“

Ich blieb still, während Mutters Augen bedrückt auf mir lagen. Ihre Worte musste ich erst verarbeiten.

Schließlich lösten sich auch meine Augen langsam in Tränen auf und ich konnte meine Lippen endlich öffnen: „Danke, Ammë.“

Das elfische Wort für Mutter ließ ihre Tränen übersteigen und sie stand vom Sessel auf. „Vergibst du mir, Doreah?“

„Ja.“

Ich stand auf und schloss Mutter in die Arme. Sie legte ihre Arme fest um mich und schluchzte laut. Uns beiden liefen die Tränen das Gesicht hinab und hielten uns fest umschlossen.

Mutter hörte auf, zu schluchzen, und wir blieben still. Schließlich lösten wir uns langsam.

„Darf ich etwas bleiben?“, fragte sie leise.

Ich nickte und lächelte glücklich. „Ja. Gerne.“


Rückkehr nach Zul

Mit einem letzten Schwung vollendete ich meine Unterschrift auf dem Pergament und setzte die Feder ab. Ich steckte sie in ihren Halter zurück und versiegelte das Tintenglas, ehe ich das Schreiben nahm und zum Trocknen an eines der Fenster legte.

Auf dem Pergament stand meine Freistellung für eine Woche geschrieben, welche ich in Zul verbringen wollte. Erstmals wollte ich aus Gorak abziehen und Mutter, Vater und Ilbryn in Zul besuchen.

In den letzten dreißig Jahren, nach dem Gespräch mit Mutter, hatte ich festen Briefkontakt nach Hause gehalten, doch es nie übers Herz gebracht, leibhaftig dorthin zu reisen.

Aus Gorak war ich in den letzten Jahren auch nur selten rausgekommen. Die meiste Zeit unterstützte ich bei der Ausbildung. Einzig ein paar Einsätze, in welchen wir angelandete Dunkelelfen vertrieben oder kleineren Städte gegen Plünderer verhalfen.

Meinen ersten Elfen hatte ich damals getötet. Als es erstmals zu einer echten Schlacht kam. Eine Kleinstadt mit nichts mehr als einer Mauer aus gespitzten Holzpfählen war es gewesen, auf welcher sich unsere Präsenz nicht verdeutlichen ließ, und die Räuber über die Stadt herfielen.

Als meine Einheit sie hinter dem brüchigen Tor erwartete, nahmen sie kein Reißaus, sondern versuchten, sich brutal hindurch zu schlagen. Ich stand auf einer Plattform und hielt einen Bogen in der Hand. Vier Lebewesen waren mir zum Opfer gefallen, viele andere verletzt worden.

Im Anschluss fühlten wir uns alle trostlos und bedrückt. Zwar hatten wir niemanden verloren, doch es war das erste Mal, dass so viel Blut geflossen war. Ich erinnerte mich noch genau an die Bilder, wie stundenlang Leichenfledderer und Aasvögel über dem Feld saßen, welches sich jeder andere aufzuräumen scheute.

Am Abend wurde viel Getränk ausgegeben, dass sich jeder darin ertrinken konnte. Jeder, der teilgenommen hatte, konnte nicht anders.

Mit einem Räuspern weckte ich mich aus meinen Gedankengängen und blickte zum Pergament. Die Tinte war fertig getrocknet und eingezogen. Ich nahm es hoch und rollte es zu einer kleinen Rolle zusammen, welche ich mit einem Stoffband verschnürte und mein Generalssiegel auf das heiße Wachs drückte.

Nachdem auch das Wachs getrocknet war, verließ ich mein Arbeitszimmer mit lauten Stiefeltritten und stieg die Treppe hinunter. Die Stufen knarzten dabei leise.

Ich ging durch den Flur und ließ mich auf einem Stuhl in meiner Eingangshalle nieder, um zu warten. Kurze Augenblicke später wurde der Türklopfer an der Tür geschlagen und ich öffnete.

Eine junge Elfe in Rekrutenausrüstung stand an der Tür, pünktlich wie ich sie zu mir bestellt hatte. Mit einem Nicken begrüßte ich sie und überreichte ihr die Rolle sowie ein paar Münzen.

Sie neigte dankend den Kopf und eilte los, um die Botschaft zu überbringen. Ich schmunzelte, als ich ihr hinterherblickte. Wir nutzten gerne Rekruten, um unsere Korrespondenz auszutauschen.

Nachdem sie aus Sichtweite verschwunden war, schloss ich die Haustür wieder und kehrte in mein Arbeitszimmer zurück. Ich ließ mich auf den gepolsterten Stuhl sinken und seufzte leise.

Lange wartete ich und hielt das Fenster hinter mir geöffnet. Meine Gedanken schweiften zurück zu meiner Ausbildungszeit, als mit lauten Flügelschlägen ein Vogel durch das offene Fenster hereinflog.

Ich schreckte hoch und blickte zu der Taube, die genau vor mir auf der fein polierten Holzplatte meines Arbeitstisches landete und ihr Gefieder ungeduldig zu putzen begann. An ihrem Fuß befand sich ein winziges Röllchen angehängt. Scheinbar war die Rekrutin fertig für heute gewesen.

Ich schmunzelte bei dem Gedanken und nahm der Taube das Röllchen vom Bein.

In feiner Tintenschrift wurde mir die Freistellung gestattet. Es war kein Wunder, denn einem mittlerweile hoch im Rang befindlichen General würde man diesen Wunsch nicht abschlagen.

Zufrieden lächelte ich der Taube zu und zog aus einer Schublade ein Säckchen mit Weizenkörnern. Einen winzigen Haufen leerte ich der Taube auf meinem Schreibtisch aus. Sie machte sich glücklich darüber her.

Derweil ordnete ich die wichtigsten Pergamente und verschloss sie in einer sicheren Truhe. Anschließend wartete ich, bis die Taube fertig gespeist hatte, und half ihr dann aus dem Fenster hinaus. Einige Augenblicke blickte ich ihr hinterher, wie sie in den wolkenlosen Himmel aufstieg, ehe ich das Fenster schloss und verriegelte.

Den Rest des Hauses bereitete ich ebenso auf meine längere Abwesenheit vor und packte eine Truhe mit Habseligkeiten voll. Viel nahm ich nicht mit. Daheim würde ich wenig brauchen. Es klang merkwürdig, daheim zu sagen.

Später hielt ein Karren vor meinem Haus, welcher mich und meine Reisetruhe zum Hafen Goraks brachte. Dort mietete ich mir eine Fahrt auf einem Passagierschiff, welches auf direktem Wege zum Hafen von Zul segelte.


Bereits aus der Ferne erkannte ich das große Leuchtfeuer, das die Schiffe nach Zul leitete, und eine Zeit darauf die großen Hafengebäude der einzelnen Handelsgesellschaften. Ich lehnte vorne am Bug auf der Reling und blickte voraus.

Während das Schiff sanft schwankte, der Fahrtwind angenehm an mir vorbei strich und die Wellen laut rauschten, konzentrierte ich mich auf den immer näher werdenden Hafen. Er und die Schiffe, die an ihm lagen, erstreckten sich weit bis zum Horizont entlang. Unzählige Masten ragten hinauf.

Ich blieb vorne am Bug stehen, während das Passagierschiff in den Hafen einfuhr und am steinernen Kai vertäut wurde.

„Alle Passagiere, die nach Zul wollten, gehen von Bord!“, riefen einige Seemannsstimmen. Ich erhob mich von der Reling und hielt Ausschau nach bekannten Gesichtern. Meine Ankunft, und welches Schiff ich nahm, hatte ich per Taube angekündigt.

Die restlichen Passagiere stiegen von Bord, ehe ich in den Laderaum eilte, meine Truhe unter den Arm packte und von Bord trug. Wieder blickte ich mich suchend um.

Der Hafen war voll mit Geschöpfen, die eilig oder langsam den Kai entlang hasteten. Karren wurden umher gefahren, Kräne geladen und Ladungen von Schiffen getragen, vertäut oder gesichert. Nirgends konnte ich allerdings ein bekanntes Gesicht entdecken.

Ich packte die Truhe, die ich kurzzeitig an meinen Füßen abgestellt hatte, wieder auf und lief voran in die Menge. Nach vielen Minuten des Suchens erblickte ich zwei hilflos überforderte Elfen in klassischen Bedienstetengewändern. Einen erkannte ich als Vaters Leibdiener. Ich lief erfreut auf sie zu. Sie entdeckten mich und eilten auf mich zu.

„Aradî Doreah Idril Gourael?“, fragten sie in ungewohnter Geschwindigkeit.

Ich nickte etwas verunsichert. „Ja, diese bin ich“, antwortete ich und ließ die Truhe zu meinen Füßen nieder. Ich blickte sie fragend an.

Die Diener seufzten hoffnungsvoll auf, doch ihre Mienen blieben weiterhin verdüstert. Unruhig sagte Vaters Leibdiener: „Ihr müsst schnell in das Anwesen Eurer Familie eilen!“

„Was ist passiert?“, fragte ich erschrocken. „Geht es allen gut?“

„Es geht um Euren Vater“, erklärte der andere eilig. „Ihr sollt sofort schnellstmöglich dorthin kommen!“

Ich nickte schleunigst und begann, unruhig mit den Händen zu zittern. Die Diener hoben ohne Vorwarnung meine Truhe auf.

„Kommt schnell zur Kutsche!“, riefen sie und trugen sie zum bereitgestellten, winzigen Gefährt, dessen offenes Dach zum aktuellen Wetter passte. Ich folgte ihnen hastig und sprang auf die Kutsche auf. Der Kutscher sah sich nach mir um und gab den Pferden die Zügel.

In ungewohnter Eile steuerte der Kutscher das Gefährt durch die gelichteten Straßen der Stadt und durch ein Tor in das Viertel der Ratsfamilien. Er fuhr durch den Torbogen in den Vorhof des Gourael-Anwesens und hielt dort.

Ohne abzuwarten, öffnete ich die Kutschentür und sprang hinunter. An der Tür standen Elfen in Dienstgewändern, die betroffen zu Boden blickten. Sie hielten mir den Eingang offen und ich eilte in die Eingangshalle meines alten, vertrauten Heims.

Ein junger Elf erwartete mich dort, dessen blondweiße Haare recht kurz geschnitten waren und mich mit blaugrauen Augen anblickte. Ich erkannte Vaters Züge in seinem Gesicht.

„Ilbryn?“, fragte ich überrascht.

„Doreah!“ Mein kleiner Bruder strahlte erfreut und kam auf mich zu, um mich zu umarmen. Jedoch nur für einen kurzen Augenblick, ehe er sich löste. Sein Gesicht schlug in tiefe Betroffenheit um.

„Ilbryn, was ist passiert?“, fragte ich. Jetzt bemerkte ich, dass er vorhin geweint hatte. Ein schmerzhaftes Angstgefühl stieg in mir auf. „Wo ist Vater? Wo ist Mutter?“

„Komm, ich … ich bringe dich zu ihm“, erwiderte er schwach und nahm meine Hand. Er drückte sie ganz fest, während ich mich von ihm führen ließ. Ohne zu viel Eile leitete er mich durch die Gänge zu den Schlafgemächern. Er steuerte auf Vaters privates Schlafgemach hin, welches er nur äußerst selten benutzte. Mein Gefühl verschlimmerte sich und ich eilte mit Ilbryn an der Hand schneller.

Wir eilten in den düsteren Raum hinein. Die dunklen Vorhänge waren vor den Fenstern zugezogen und nur spärliches Sonnenlicht leuchtete hinein. Ich blickte mich planlos im Raum um und entdeckte meinen Onkel. Sein Blick war trauererfüllt auf das große Bett gerichtet.

Ich schlug mir entsetzt die Hände vor dem Mund zusammen, als ich Vater dort liegen sah. Sein Kopf war auf ein Kissen gebettet und es ruhte ein großes, weißes Tuch über ihm. An einer Stelle des Tuches, auf seinem Bauch, bemerkte ich einen roten, vollgesaugten Fleck. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel.

Unter meinen Händen unterdrückte ich einen erschrockenen Aufschrei. „V-Vater!..“, presste ich darunter hervor und sank entsetzt auf den Hocker hinter mir.

„W-Was ist g-geschehen?“, fragte ich und blickte Ilbryn und meinen Onkel an.

Ilbryn schniefte laut. Ihm liefen wieder Tränen in die Augen, welche er mit den Fingern abwischte, ehe er antwortete: „Er hat noch gelebt, als wir die Diener zum Hafen sch-schickten…“

Ilbryn ließ den Kopf hängen und brach schluchzend ab. Mein Onkel setzte für ihn fort. „Wir waren jagen“, erklärte er düster, „dein Vater … ist allein vorausgegangen. Eine Waldbestie hat ihn ermordet.“ Er schien gefasster als Ilbryn und ich.

Fassungslos blickte ich rüber zu Vaters Leichnam und brach in Tränen aus. Wie lange hatte ich ihn nicht mehr gesehen? Es war ein Jahrzehnt gewesen. Meine Vorfreude auf das Wiedersehen war immerzu unbändig gewesen. Ihn endlich wieder kennenlernen, nach all den vielen Jahren.

Wie lange hatte ich mich früher auf diesen Tag nur gefreut?

„A-Aber…“, stammelte ich wieder und vermochte nicht, weiterzusprechen. Ich wusste nicht, was ich sagen konnte.

Nach einiger Zeit beruhigte sich mein Tränenfluss ein wenig und ich blickte verschwimmen hoch. „Wo ist M-Mutter?“ Fragend blickte ich Ilbryn an, welcher nur den Kopf auf die Knie gelehnt hatte und mir nicht antwortete.

Onkel, der weiterhin vor den verdunkelten Fenstern stand, antwortete wieder für ihn: „Deine Mutter ist aus dem Raum verschwunden, nachdem sie ihn gesehen hat. Sie brauchte Zeit für sich.“

Langsam nickte ich und erhob mich auf wackeligen Beinen. „Ich … ich brauche auch etwas Zeit für mich“, nuschelte ich und trottete daraufhin zur Tür. Im Augenwinkel sah ich unscharf, dass Onkel langsam nickte. Im Gang stand nur ein stummer Diener mit gesenktem Haupt, an dem ich vorbei lief.

Meine Schritte schallten laut auf dem Boden, als ich schniefend und weinend die Flure entlang irrte. Schließlich kam ich an und stieß die Türen zu meinem alten Zimmer auf. Es war gehegt und gepflegt worden und mit teilweise neuen Möbeln bestückt. Doch ich beachtete sie nicht, sondern warf mich auf mein altes Himmelbett.


Später, als ich mein Zimmer wieder verlassen konnte und ins große Kaminzimmer kam, teilte mir mein Onkel mit, dass Mutter verschwunden sei. Es war ein weiterer harter Schlag, der mich traf.

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. „Nein, das kann nicht sein“, erwiderte ich fest entschlossen.

Onkel seufzte tief und schüttelte den Kopf. „Doch, so ist es. Sie ist nicht mehr aufzufinden.“

„Nein, das würde sie nie tun!“, beharrte ich eisern. „Sie würde nicht einfach ihre Pflicht verlassen und verschwinden!“

„Dennoch ist sie weg.“

Auf Onkels Worte vermochte ich nicht zu antworten. Verstummt sank ich in den Ohrensessel, auf welchem ich saß, ein und rieb mir die Augen, in welchen sich wieder Tränen zu rühren versuchten. Frustriert ballte ich die Hand zur Faust. Weder konnte, noch wollte ich es glauben.


In den nächsten Tagen tauchte Mutter allerdings nicht auf, nicht einmal hörte man etwas von ihr. Sie war tatsächlich verschwunden.

An Vaters Beerdigung regnete es in Strömen und der Regen lief mir durchs Gesicht und unter die Kleidung, während ich den Worten und Gebeten des Priesters folgte und hoffnungsvoll zu den Toren und den Waldrändern blickte. An ihnen war nichts zu sehen.

Nachdem Ilbryn seine Trauerrede tapfer gesprochen hatte, forderte man mich auf. In durchnässtem schwarzen Kleid trat ich vor und blickte zu den vielen Gästen, die sich versammelt hatten: Meine Großeltern beiderseits, Cousins und Cousinen, Onkel und Tanten, einflussreiche Persönlichkeiten und alle einzelnen Ratssitzenden.

Ich überlegte panisch, was ich über den Mann sagen sollte, der mein Vater war, den ich aber seit meinem sechzehnten Geburtstag nur kurzfristig einige Male gesehen hatte. Ich wollte ihn doch endlich kennenlernen!

Während ich schweigend dort stand und meinen leeren Kopf nach Worten durchforstete, die nicht Ilbryns sagenhafter Rede glichen, grollte es entfernt am Himmel. Einige Elfen wippten unruhig hin und her, blickten duldlos zu mir.

Ich senkte den Blick auf das ausgehobene Grab mit dem wegen des Regens geschlossenen Sarg. Das Familienwappen unserer Familie war darin aufgezeichnet. Langsam begann ich zu sprechen:

„Ich … weiß nicht, was ich über ihn sagen kann“, gab ich stockend vor allen zu. Meine Stimme ging unter den Regenfällen unter, weshalb hoffentlich nur die Vordersten mich hörten.

Stockend liefen mir die Worte von den Lippen. Die Gäste hörten mir schweigend zu. „Dank Vater, am Folgetag meines Balls … bin ich glücklich im Leben geworden.“ Ich blickte wieder etwas höher. „Ich habe ihn danach … viele, viele Jahre nicht mehr gesehen. Und war voller Freude, ihn, Mutter und meinen Bruder wiederzusehen.“

Ich hielt wieder inne und überdachte meine Worte. Dann setzte ich zögerlich weiter: „Ich verdanke Vater viel … und ich … werde der verlorenen Zeit auf ewig hinterher trauern.“

Langsam trat ich zurück und wagte es nicht, zu den anderen Gästen aufzusehen. Ich wollte nicht sehen, was sie über meine Worte dachten. Nachdem ich mich wieder bei Ilbryn eingefunden hatte, griff ich nach seiner Hand. Er drückte sie fest.

Der Hohepriester kam nun wieder in den Vordergrund ins Grab. Er erhob laut die Stimme: „Nach den bewegenden Worten seiner Nächsten übergeben wir Elrond Ilbryn, aus der Familie Gourael, der Göttin Gur und ihrem Reich des Nachlebens.“

Die letzten Worte wurden nachgemurmelt und schließlich von zwei Elfen die feuchtgesagte Erde über dem Grab mit Schaufeln verteilt. Ilbryn und ich hielten uns weiterhin an den Händen und sahen tapfer zu. Mutter war auch nach der Beerdigung nicht zu sehen.


Nachdem die Regenfälle, welche in Zul kein seltenes Ereignis waren, sich gelegt hatten, sandte ich mit einer Taube die Bitte auf Freistellung für die nächsten Monate nach Gorak. Es dauerte einige Tage, doch die Antwort kehrte mit einer Zusage und Beileidswünschen zurück.

Ilbryn und ich verbrachten viel Zeit gemeinsam im so unendlich leeren Gourael-Anwesen. Wir sprachen über uns, unsere Gefühle und Erlebnisse, um uns endlich richtig kennenzulernen.

Mutter kehrte in all der Zeit nicht zurück. Überall ließen wir nach ihr suchen, doch sie war genauso verschwunden wie ihre beiden Schwestern. Unter der Hand sprach man von einer Intrige gegen die Familie Elenwe.

Mit beinahe jedem Tag wurde es wahrscheinlicher. Schließlich verschwanden selbst unsere Cousinen Antheia Gaylia und Taenya Fraeya spurlos, die Töchter unserer Tante Arwen Elenwe-Nhaésal.

An einem Abend der darauffolgenden Woche suchte ich Ilbryn auf. Er kannte auch die Gerüchte und war sich ebenso sicher wie ich.

„Denkst du auch … dass Vaters Tod kein Unfall gewesen war?“, fragte er mich, als wir allein im Kaminzimmer saßen und das Knistern des Kamins als einzige andere Geräuschquelle existierte. Draußen war es still und die Dunkelheit bereits heraufgezogen.

Ich hatte den Gedanken bereits lange in Erwägung gezogen und nickte langsam.

Ilbryn holte tief Luft und schluckte laut hörbar. „Und dass Onkel …?“, begann er nervös und beendete den Satz nicht.

Ich hob langsam die Schultern. „Ich weiß es nicht.“

Seit geraumer Zeit trug ich einen verdeckten Dolch bei mir. Ich fühlte mich nicht mehr sicher, genauso wie Ilbryn. Während ich in die Flammen starrte, machte er nervös an seinen Ärmeln rum. Eine Angewohnheit von ihm, sobald ihm unwohl war.

Das Knistern des Kamins lag beruhigend in den Ohren, doch die Stille drum herum war unangenehm. Schließlich brachte ich es über mich, meinen Gedanken zu äußern:

„Meine Zeit in der Freistellung wird bald enden“, sagte ich und hob den Kopf, um zu Ilbryn zu blicken. Er blickte mich lauschend an. „Du kannst mit mir nach Norden, nach Gorak, kommen. Und dort bleiben … fürs Erste. In Sicherheit.“

Ich sah ihm an, wie sein Blick hoffnungsvoll aufblitzte und er daraufhin innerlich abwägte. Doch er schüttelte kraftlos den Kopf. „Auch wenn ich möchte, kann ich meine Pflichten hier nicht loslassen“, erwiderte er geknickt.

„Du hast keine Pflichten“, entgegnete ich und lehnte mich vor, um ihm besser in die Augen zu blicken. „Nicht, solange du kein Ratsmitglied bist.“

„Das Anwesen … die Besucher … unsere Familie …“

„Was willst du sonst machen?“

Die Frage ließ ihn in ein verzweifeltes Schweigen fallen. Ich senkte den Blick auf den Teppich am Boden und folgte dessen Mustern, um ihm den Raum für seine Entscheidung zu lassen.

Schließlich hörte ich ein lautes Schnaufen von ihm. „Ich … komme mit dir.“

Ich atmete auf, mir fiel deutlich ein Stein vom Herzen. Beruhigend lächelte ich ihm zu. Er reagierte nur schwach.

„Dann … versuche ich, ein Schiff für morgen zur späteren Abendzeit aufzutreiben“, sagte ich und erhob mich aus dem Sessel. Ilbryn tat es mir langsam gleich.

„Alles wird gut“, flüsterte ich sanft und nahm ihn in den Arm. Er erwiderte die Umarmung fest.

„Pass bitte auf dich auf“, flüsterte er mir ins Ohr.

Ich nickte ernst. „Du auch.“


Einen Großteil der Nacht blieb ich auf den Beinen. Meine Augen wollten sich nicht schließen und Ruhe finden. So fand ich mich irgendwann morgens auf einem Sessel im Flur wieder, wo ich vor mich hin gedämmert hatte.

Tagsüber packte ich meine eigenen Sachen ein und schlüpfte wieder in meine Uniform aus Gorak – samt aller Panzerungen –, welche ich unter einem Mantel verbarg, als ich hinaus ging und am Hafen eine Überfahrt suchte.

Der Kapitän eines kleinen, zweimastigen Schiffes sicherte mir eine Überfahrt zu bescheidenen Bedingungen zu. Die Hälfte zahlte ich im Voraus, damit er keinesfalls ohne uns auslief.

Zügig kehrte ich ins Gourael-Anwesen zurück und traf letzte Vorbereitungen. Schließlich dämmerte der Abend und ich holte Ilbryn in seinen Räumlichkeiten ab.

Nachdem ich geklopft hatte, öffnete er bereits. Er hatte sich einen dunkelbraunen Filzmantel umgezogen, welchen man nur bei einem Mitglied des normalen Volkes erwartete. Gleichzeitig hob er einen schwer gepackten Rucksack. Er war dick und prall gefüllt, sodass der Stoff über dem Inhalt spannte.

Ich nickte zufrieden und schulterte meinen eigenen Rucksack, der wesentlich weniger gefüllt war. „Es wird alles gut“, wiederholte ich mich vom vorigen Abend.

Ilbryn nickte leicht. „Bringen wir es hinter uns …“

Gemeinsam eilten wir durch die Gänge unseres Heims, aus welchem wir flohen. Es war ein noch sonderartigeres Gefühl als damals, als ich es für Gorak verließ. Das Heim, welches ich damals verlassen hatte, war Familie. Heute schien es wie eine leere Hülle.

Wir schafften es, ohne Begegnungen mit Bediensteten zur Eingangstür und durch den Vorhof zu gelangen. Dort erwarteten uns zwei Ackergäule, welche ich heute erworben hatte. Unsere Familie hatte noch genug Geld.

Wir stiegen auf und ritten geschwind die Straßen entlang. Auf meine Anweisung hin verbargen wir unsere Gesichter tief in den Mänteln. Schnell gelangten wir aus dem Viertel der Ratsfamilien hinaus in die normale Stadt, wo wir uns mit dem normalen, tüchtigen Volk vermischten.

Nach einiger Zeit gelangten wir zum Hafen. Ich hielt Ausschau und entdeckte das Schiff des Kapitäns, bei welchem wir die Überfahrt gekauft hatten.

„Dort hinten!“, rief ich Ilbryn zu und stieg vom Pferd ab. Die Erleichterung war ihm ins Gesicht geschrieben. Wir banden die Pferde an einen Pfahl, in der Hoffnung, dass jemand sie finden und versorgen würde, und eilten los.

Der Kapitän erkannte mich sofort und nickte mir freundlich zu. Ilbryn und ich stiegen über die Planke an Bord des Schiffes. Ein Seemann führte uns nach unten in unsere Quartiere.

Es war ein kleines Abteil mit einer Hängematte auf beiden Seiten. Jeder Matte hingen zwei Haken zur Verfügung. Der Elf verließ uns wieder und ließ den dicken Vorhang, der uns vom Gang trennte, zufallen.

Ilbryn verzog angewidert das Gesicht und ließ sich achtsam auf die Hängematte sinken. Der Stoff war ausgeleiert und vielfach benutzt worden. Er sank beinahe bis zum Boden durch, doch beschwerte er sich nicht.

„Nur für die Schiffsfahrt“, meinte ich entschuldigend und ließ meinen Rucksack auf meine eigene Matte sinken. Ich beabsichtigte, sie erst später zu nutzen. „Danach … kannst du bei Großonkel Kolvar Triandal unterkommen. Wir können ihm vertrauen.“

Er nickte matt und ließ sich in seiner ausgeleierten Matte hängen.

„Wie soll man darin nur schlafen?“, murmelte er leise zu sich selbst. Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Anker auf, Taue los!“, ertönte von oben die Stimme des Kapitäns. Wir beide blickten hoch zur Decke. Unzählige Stimmen antworteten daraufhin in Form eines gewaltigen Gebrülls.

Die Schritte zahlreicher Seeleute stampften nun über Deck und waren wie unaufhörliches Trommeln dumpf unter Deck hörbar. Begleitet wurden sie von dem Knarzen und Quietschen der Holzplanken, die unter ihren Stiefeln oder den Wellen litten. Kreuz und quer wurde vom Heck zum Bug und von Deck zum Krähennest geschrien.

Einige Zeit später legte sich endlich der Lärm und die großen Segel wurden gesetzt. Die lauten Geräusche des Hafens entfernten sich und wichen allmählich dem alleinigen Rauschen des Meeres.

„Ich gehe nach oben an Deck“, erklärte ich zu Ilbryn, als die Chance wieder bestand, verstanden zu werden. Mein Bruder nickte wortlos und versuchte erneut, sich gemütlich in der Matte sinken zu lassen.

Ich ließ alle meine Sachen unten und schob mit der Hand den Vorhang zur Seite, um hinauszugehen. Über die unebenen Holzdielen schritt ich im Gang zur Treppe hinauf, die durch ein metallenes Gitter auf Deck führte.

Augenblicklich spürte ich den frischen, heftigen Seewind, der die Segel hoch über mir blähte und meine Haare in Fahrtrichtung fliegen ließ. Ich störte mich wenig daran, sondern spazierte zwischen den gesicherten Ladungen und auf dem Boden hockenden Seeleuten zur Reling vorne am Bug.

Seereisen und das Meer gefielen mir. Nicht genug, um der königlichen Flotte beizutreten, jedoch genug, um gerne auf dem Meer zu sein. Ich stützte mich mit den Ellbogen auf die Reling und blickte hinab zum Bug, an welchem zahlreiche Muscheln und Seepocken wuchsen. Die Wellen schlugen sanft gegen die Außenwände.

Mein Großonkel Hubyr Gael, mittlerweile ein Admiral der Flotte, hatte mir einiges über die Seefahrt und das Meer erzählt. So konnte ich erkennen, dass gutes Fahrtwetter vorauslag. Das beruhigte mich.

Nach einiger Zeit des Lauschens und Blickens wandte ich mich wieder um und beobachtete die Seeleute bei ihrer Arbeit. Zwei Zwerge mit mehrfach zusammen gebundenen Bärten waren mit dem Schrubben des Decks beschäftigt; der Kapitän und eine weitere Elfe – vermutlich der Maat – standen ausgelassen sprechend auf dem Achterdeck und zwei Elfen würfelten mit verzweifelten Mienen gegen einen grinsenden Zwerg über einer umgedrehten Frachtkiste.

Ich ließ mich auf dem Holzabsatz des Bugs nieder und lehnte den Kopf seitlich an die Reling. Oben, über der Takelage, sah ich im Krähennest eine Gestalt sitzen, die sich schwindelfrei in alle Richtungen lehnte. Unter ihr wehte das Segel im seichten Fahrtwind.

Ich atmete erleichtert auf. Ilbryn und ich waren ab nun fort aus Zul, fort von der unsicheren Gefahr. Meine Lider wurden schwer wegen der schlaflosen Nacht, die ich halb wach aus Sorge verbracht hatte. Beruhigt ließ ich es zu und nickte ein.


Das eilige Fußgetrampel auf Planken weckte mich nach einiger Zeit. Die gesamte Mannschaft schien auf den Beinen und wirbelte auf Deck herum. Einige ruhiger, andere hektischer als die anderen.

Verwundert erhob ich mich und dehnte meinen Nacken, der vom Ruhen steif geworden war. Mein Blick schweifte zum Meer, besonders auf den Wellengang. Große, lange Wellen schlugen dem Schiff aus Steuerbordseite entgegen. Keine guten Wellen. Den Himmel trübten allerdings nur ein paar kleine Wolken.

Trotz dessen räumten die Seeleute in ziemlicher Eile Fässer und Kisten unter Deck und begannen die Taue doppelt oder dreifach zu verknoten. Oben in der Takelage machte sich zu meiner Beunruhigung ein stärkerer Wind bemerkbar.

Ich studierte die Vorbereitungen eine Weile lang, ehe ich zur Steuerbordseite blickte und am Horizont eine dunkle Wolkendecke entdeckte. Sie zog rasch näher.

„Passagiere unter Deck!“, gellte die Stimme des Maats laut über das Schiff hinweg. „Passagiere unter Deck!“

Die Passagiere, die sich oben befanden, folgten den Blicken der Seeleute zur Steuerbordseite und drängten sich im Nu geschwind über die Treppe unter Deck. Ich folgte ihnen als Letzte hinunter.

Ein Seemann nickte uns beruhigend zu und schloss das metallene Gitter über uns. Anschließend spannten mehrere Seeleute eine große Plane und befestigten sie über dem Gitter, damit weder Regen noch Meerwasser hinunter gelangen konnten.

Nachdem es gespannt und befestigt war, entfernten sich die Schritte der Seeleute eilig. Unter Deck lief das Dutzend Passagiere unruhig wie ein Haufen Hühner hin und her. Ein einzelner Seemann, der frischste der Mannschaft, blieb hier unten bei uns und versuchte, die Leute zur Ruhe zu rufen und in ihre Kabinen zu bringen.

Nach und nach folgten wir der Aufforderung und ich kehrte in Ilbryns und meine Kabine zurück. Als ich durch den Vorhang trat, blickte er überrascht auf.

„Was ist los?“, fragte er besorgt. „Ich hörte zahllose Rufe.“

Die unzähligen Stimmen auf Deck schrien weiter und unaufhörlich trommelten die Füße der Seeleute über uns auf der Decke.

„Ein Sturm“, antwortete ich gegen den Lärm von oben an. Im gleichen Moment wurde ein heftiger Wind hörbar, der wild über Deck und durch die Takelage pfiff.

„Die großen Segel einholen!“, donnerte über uns die Stimme des Kapitäns. „Weniger Segelfläche! Rasch!“

Ein düsteres, entferntes Donnergrollen untermalte den Ernst der Lage, bis leise der erste Regen zusätzlich zum harten Wellenschlag zu hören war. Das Boot schaukelte zunehmend.

Durch den Vorhang lugte und kam der Seemann hinein. Ihm war die Furcht deutlich ins Gesicht geschrieben, was nicht dazu beitrug, dass wir uns besser fühlten. „Sind Eure Kisten und Habseligkeiten gesichert?“, fragte er eilig.

Wir beide nickten. Er erwiderte das Nicken und schob sich geschwind wieder zurück aus dem Vorhang und fragte auf der gegenüberliegenden Seite dasselbe.

Der Regenschlag auf Deck nahm zu und vermischte sich mit dem anhaltenden Stiefelgetrampel.

„Wir sollten zu Vilya beten“, meinte Ilbryn plötzlich, nachdem wir einige Momente den Geräuschen gelauscht hatten. Ich blickte ihn einige Momente still an, ehe ich zustimmend nickte. Was blieb uns viel anderes übrig?

Gemeinsam gingen wir in die Knie und drückten uns mit den Armen fest an die Wände, denn das Schiff schwankte immer mehr. Unsere Blicke gingen nach oben Richtung Himmel, in welchem Vilya saß.

O Vilya, bitte errette uns von dieser grauenerfüllenden Stunde“, begann Ilbryn zu sprechen und ich sprach, so gut es ging, nach.

Wir bitten dich: Rufe deine wilden Kinder – die Winde – zurück und lasse deinen Regenguss anderorts hinunter, wo man deinen Namen dafür preisen wird. O Vilya, wir bitten dich, lass dein Grollen verstummen und deine Gutmütigkeit wiederkehren, die uns unter strahlenden blauen Himmel führen wird! Besänftige deinen Bruder, den mächtigen Nén, Gott der Meere, auf dass sein Wellenschlag nur noch sanft an unseres Schiffes Wände klopfen wird! O Vilya, wir beten dich an!

Einige Minuten blieb es anschließend still, ehe wir uns wieder erhoben. Die dumpfen Schritte hatten abgenommen, der Regen prasselte nur leise auf das Deck und das Wellenrauschen regelmäßig.

Ein ohrenbetäubendes Donnergrollen ließ uns beide zusammenzucken und von einem auf den anderen Moment schwankte das Boot zur einen Seite. Erschrockene Schreie ertönten aus den anderen Kabinen. Ich klammerte mich an einen Haken und an ein Loch zwischen den Brettern der Wand.

Die Rufe über Deck schwollen an und verstummten nur, wenn sie von einem lärmenden Wellenschlag, einem weiteren Donnergrollen oder dem pfeifenden Wind unterbrochen wurden. Die Wände des Schiffes knarzten laut unter dem Druck, dem sie sich ausgesetzt fühlten.

Der Boden schwankte erneut und hob sich nach achtern. Unvorbereitet verlor ich meinen Halt und stolperte vorwärts zu Boden. Bevor weder Ilbryn noch ich schreien konnte, stürzte ich mit den Händen gegen die Wand, an welcher er stand.

Meine rechte Hand knackte laut und ich schrie vor Schmerz auf. Der Schmerz lähmte meine gesamte Hand.

„Doreah!“, schrie Ilbryn und streckte mir seine Hand aus, um mich wieder auf die Beine zu ziehen. Mit der Linken griff ich nach seiner und er brachte mich wieder auf die Beine.

Er packte meine Hand und zog mich zu sich. Ich biss die Zähne zusammen, um den Schmerz meiner Hand auszuhalten, als ich mich notgedrungen mit ihr abstützte. Ilbryn legte seinen Arm um mich und hielt mich fest, während meine gesunde Hand sich an einer Kante an der Seite festkrallte.

Die Passagiere unter Deck schrien auf und ein lautes Rumpeln ertönte, als das Schiff zur Seite wankte. Ein schmerzender Aufschrei war zu hören, nachdem dem Poltern ein dunkler Aufprall folgte. Wieder wandte sich das Schiff zur anderen Seite und die Ladung polterte umher.

Über Deck erklangen hektische Rufe. Ein langes, anhaltendes Knarzen machte sich bemerkbar sowie das Reißen sämtlicher Leinen und Taue. Es schwoll an und schlug auf Deck ein. Im Bruchteil einer Sekunde splitterte die Decke über uns auseinander.

Schreiend zog ich Ilbryn zu Boden. Holz- und Plankenstücke jagten in hohem Bogen durch die Luft und schlugen uns auf die Rücken. Augenblicklich klatschte der Regen von oben auf uns herab und eine Woge Wasser schwappte über Bord hinein.

Der Boden füllte sich zunehmend mit Wasser. „Steh auf!“, schrie ich Ilbryn an und zerrte mich auf die Beine. Eilig rappelte er sich mit meiner Hilfe auf. An seiner Stirn klaffte ein großer Holzsplitter. Er klapperte genauso wie ich am gesamten Körper.

Ich griff ihn an der Hand. „Wir müssen hier raus!“, schrie ich gegen den Wind und den peitschenden Regen an. Er nickte eifrig und ich zog ihn hinter mir her.

Zunehmend füllte sich der Boden mit Wasser, in welchem zersplitterte Planken, Fässer und verschiedene unserer Habseligkeiten schwammen. In meinen weiten Stiefeln sammelte sich zusätzlich Wasser und machte mir jeden Schritt schwieriger.

Planlos zog ich Ilbryn mit, um über den eingebrochenen Mast zu klettern und uns zur Treppe zu kämpfen. Unter den Überresten des vom Wind gefällten Mastes erkannte ich den erschlagenen Seemann. Wir schenkten ihm nur wenig Beachtung mehr. Nur der Drang, zu fliehen, war in uns übrig.

„Doreah!“, schrie Ilbryn plötzlich auf und mir entglitt seine Hand. Erschrocken riss ich den Kopf herum. Ilbryns Robe steckte an zwei abgebogenen Splittern des Mastes fest. Er zerrte verzweifelt daran, doch der teure Stoff gab nicht nach.

„Ich komme!“, schrie ich zurück und zückte meinen Dolch aus meinem Gürtel. Ich kletterte über den Mast und legte die Schneide an den durchnässten Stoff. Wie wild sägte und riss ich am Stoff, bis er schließlich nachgab und durchriss.

Der Moment der Erleichterung wurde jäh von einer Welle unterbrochen, die uns beide zu Boden riss. Mir verging Hören und Sehen. Das Schiff erlangte Schlagseite und kenterte. Die starke Strömung erfasste mich und riss mich von Ilbryns Hand los.

Mein Schrei wurde unterdrückt und stieg in Form von wild sprudelnden Blasen auf. Das Wasser zerrte mich fern vom Schiff und drückte mich nach unten, wo alles dunkel wurde. Alles war finsterblau, kein einziger Lichtschimmer erschien, in dessen Richtung ich strampeln konnte.

Sinnlos ruderte ich hektisch mit Armen und Beinen in eine beliebige Richtung. Das Salzwasser brannte mir zunehmend in den Augen, weshalb ich sie feste zukniff. Mir ging langsam die Luft aus. Die Energie wich aus meinen Gliedern und die Schwärze rückte mir vor Augen.


Wärme und Trockenheit verspürte ich, als meine Sinne zurückkehrten. Ich spürte ein weiches Bett und ein weiches Kissen unter meinem Kopf. Eine helle Laterne leuchtete hell mitten im Raum, deren Licht mich langsam weckte. Meine Augen öffneten sich nur schwach und blickten verschwommen in einem Krankenzimmer umher. Mir gegenüber sah ich Ilbryn auf einem Bett liegen.

Eine warme, sanfte Hand strich mir über die Stirn und lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich öffnete die Augen ganz und blickte zu der Hochelfe, die neben mir stand. Sie blickte mich aus tiefen, glücklichen Augen an. Mir selbst stockte der Atem. „Mutter?“


9 „Gefällt mir“

Huhu,

die CV sieht soweit gut aus und entspricht allen Anforderungen. Besonders gut gefällt mir der ausführliche Stammbaum!

Die CV wäre von mir angenommen.

Viel Spaß beim Spielen dieses Charakters (:

2 „Gefällt mir“

Weiterführung Teil 1

Mit laut vernehmbaren Klacken des Schlosses fiel die Türe des Gasthauses zu, nachdem die letzten beiden Gäste auf schwankenden Beinen und mit schwerer Zunge Abschiede nuschelnd das Gasthaus verlassen hatten.

Nebst dem ruhigen Knistern des Kamines war noch das Aufeinanderstapeln der Krüge des Wirtes vernehmbar. Ächzend ob seines alten Rückens bückte er sich und brachte die Trinkgefäße unter der Theke unter, ehe er den Lappen zückte und die Reste verschütteten Gebräus von der Holzfläche zu schrubben begann.

Nach einigen Augenblicken der Arbeit wandte sich sein Blick auf, zum Tisch auf der erhöhten Ebene vor dem Kamin.

„Aradî Elenwe“, sprach er laut zu Doreah hinüber. „Auch wenn es den Letzten Hirschen mit Eurer allabendlichen Anwesenheit beehrt, so ist zu dieser späten Zeit auch das Ende des Ausschanks.“

Besagte Hochelfe, die an besagtem Tisch saß, trank gemächlich und sichtlich unbekümmert einen weiteren Schluck aus dem dritten voll gefüllten Krug des heutigen Abends.

„Fräulein Elenwe lautet es für mich weiterhin“, erwiderte sie, ohne auf seine Bitte einzugehen. Ihr Blick wandte sich wieder dem Chaos zu, das sich vor ihr auf dem Tisch ausgebreitet hatte. Pergamente, Notizblätter; das entkorkte, unbenutzte und in Bälde vertrocknete Tintenfass, die Schreibfeder und in der Mitte, mit einigen Bierklecksen versehen, das aufgeschlagene Taschenbuch.

Fräulein Elenwe“, wiederholte der Wirt und trat hinter der Theke hervor. Er blickte zu ihr auf. Durch das Geländer der erhöhten Ebene, auf der sich ihr Tisch befand, entgegnete Doreah seinen Blick.

„Eure treue Stammkundschaft ist eine große Ehre für das Gasthaus, jedoch muss ich Euch bitten, gleich zu gehen. Elunas Gestirne stehen weit am Himmel; die Zeit des Tages und des Trinkens ist vorüber.“

Stöhnend reckte Doreah ihren Kopf über das Geländer hinüber. „Dann lasst mich wenigstens meinen letzten Krug des heutigen Abends in Ruhe austrinken.“

Der Wirt schnaufte ernüchtert und neigte den Kopf. „Gewiss doch“, gab er nach und verschwand mit dem Lappen in den Händen zu den hinteren Bereichen. Doreah lauschte seinen Schritten, die über die hölzernen Dielen liefen und schließlich auf dem Teppich verstummten.

„Bei den Göttern…“, murmelte sie leise zu sich selbst, ehe sie den Korken des Tintenfasses zu suchen begann. Wo versteckte er sich bloß?

Sie kniff die Augen zusammen und drehte und wendete jedes Papier ein Mal oder mehrere Male – sie wusste nicht zu unterscheiden –, ehe er sich ihr endlich in ihrem Schoß offenbarte. Seufzend ergriff sie das vermaledeite Ding und drückte es auf die Öffnung des Tintenglases.

Langsam suchte sie ihre Papiere zusammen. „‚Wir suchen Fraeya Elenwe‘… ‚Biete Euch meine Hilfe‘… Gehöft… Lok’tar Ogar…“, flog ihr träge über die Lippen, während ihre müden Augen über die Wörter der unzähligen Papiere glitten, die sie in das Buch steckte.

Ein tiefes Seufzen entglitt ihr. Wieder griff sie zum Henkel des Kruges und ließ das bittere Getränk in sich hinein tröpfeln. Es half. Sobald sie ihn wieder abgesetzt hatte, ließ sie den Kopf auf die Tischplatte sinken.

Neun Monate. Bald würde es ein Jahr sein. Ein ganzes Jahr gab es keine Spur von ihr. Keine Spur von Mutter.

Seit so langem war sie am Suchen. Kein Winkel Parsifals war ihr unentdeckt geblieben. Kein Hinweis war vernachlässigt worden. Keine Spur hatte zum Ziel geführt.

Kein einziger Söldner, Mietling oder Informant hatte sich als tauglich erwiesen. Keine Belohnung der Welt, egal wie hoch diese ausfallen sollte, konnte dieses verachtenswerte Pack zu nennbaren Erfolgen bewegen.

Selbst der Dunkelelf, der ihr unter Druck bei seinen schändlichen Göttern die Treue schwor, war verschwunden. Gewiss lag sein toter Leib vergessen im Graben eines einsamen Weihers … oder war er zu weit in eine Verschwörung vorgedrungen und selber entführt worden?

Doreah seufzte laut und hob wieder den Kopf. Schwerfällig rieb sie sich die Stirn, auf der sie gelegen hatte, wischte sich dann durch die Augen.

Nicht einmal die mächtigsten Städte hatten bei der Suche ihr Glück haben können. Umso besser noch war es, dass sich diese als religiöse Fanatiker, Häretiker und Frauenfeinde entpuppten. Sie hatten die Suche längst aufgegeben, auch wenn sie sich als Verbündete darstellen wollten.

All diese Politik war schlimmer als die Handvoll Schlachtfelder, die Doreah in ihrem Leben gesehen hatte. Schmeichelnde, falsche Worte von trügerischen Schlangen oder schandhafte, götterverruchte Schädlinge.

Ihre Tante Arwen, die ehrenwerte Tári Távaryns, war schwer erkrankt. Und Doreah musste diese Aufgaben stemmen, die sie ihr und ihrem Bruder, Ilbryn, hinterließ.

Ihre Suche nach Fraeya, ihrer Mutter, war so weit eingeschränkt, dass sie Távaryn kaum noch verließ, um weitere Regionen und hinterwäldliche Käffer erneute Male zu durchforsten. War sie nach dieser langen Zeit überhaupt noch am Leben? War es denn ein nicht endender Irrsinn, nach ihr zu suchen?

Verzweifelt schnaubte Doreah und goss den Krug bis zum letzten Tropfen in sich hinein. Knisternd und raschelnd stopfte sie die übrigen Papiere in das Notizbuch und klappte es laut zu. Feder und Tintenfass verschwanden in ihrer Tasche.

Sie kletterte aus der Bank und trat vor zum Kamin, dessen Flammen ruhig züngelten und wohltuende Wärme ausstrahlten. Außer dessen Knistern hörte Doreah nichts. In ihrer Hand zitterte das ledergebundene Notizbuch. Momente vergingen, in denen sie es sich nicht traute.


Quelle

Die Holzscheite knackten laut und ließen Doreah vor Schreck zusammenzucken. Beinahe fiel ihr das Büchlein aus den Händen, doch schnell genug griffen ihre Finger danach und drückten es ihr gegen die Brust.

Unruhig holte Doreah Luft, während sie es weiter an ihre Brust presste, und blies sie wieder aus. Ihr Blick lag weiter im Feuer, das sich ihr und dem Büchlein förmlich entgegenstreckte, wie ihr schien. Ihre Augen brannten, ehe sie ein paar Schritte zurück ging und mitsamt des Buches nach draußen ins Freie flüchtete.

5 „Gefällt mir“

Weiterführung Teil 2

Gleißend schob sich die Sonne über die östlichen Ränder des Tales und tauchte die grünen Hänge und Wiesen allmählich in warmes Sonnenlicht. Die frische Farbe der Bäume strahlte hell auf, ebenso wie die Blüten von kräftig rotem Mohn, gigantischem Löwenzahn und leuchtender, magentafarbener Ye Cuile.

Die Straße wurde ebenfalls in helles Licht getunkt. Es kitzelte angenehm auf ihrer Haut, als die reitende Hochelfe die Schatten der Bergkuppen verließ. Die Sonne wärmte ihre gemühten Knochen und sie reckte sich wie eine Blume dem Lichte entgegen.

Unter ihr schnaubte ihre Stute Isilyen beglückt und auch der Packesel, der sich mit der vielen Last auf seinem Rücken mühte, ließ einen erquickten Laut von sich hören.

Schließlich ließ sich die kleine Hochelfe wieder sinken und klopfte der Stute sanft auf den Rücken. Isilyen beschleunigte ihren Gang und auch der Esel, der brav an der Leine folgte, legte einen Schritt zu. Doreah war einige Tage nicht mehr in Távaryn gewesen. Sie wollte schnell wieder dort ankommen.

Bei jedem Schritt Isilyens klapperte Doreahs Jagdbogen, der mit dem Köcher seitlich an der Satteldecke hing. Neben ihr selbst – und ein wenig Proviant – war dies die einzige Last, die ihre Stute tragen musste. Ihr anderer Begleiter jedoch trug in langen Taschen die Beute auf seinem Rücken. Es war nichts Großes dieses Mal gewesen, doch eine erholsame Ablenkung vom marternden Alltag.

Der Himmel blieb klar und unberührt, wolkenfrei, während die Sonne weiter von Osten auf hinauf stieg. Unbekümmert und voller Freude sangen die Vögel. Ein gutes Zeichen, wenn ich mich nicht irren sollte, dachte Doreah.

Sie folgten fortwährend der Straße, die hinunter vom Dandelion-Gebirge und zu den Sidon-Bergen führte, an dessen Hängen Távaryn lag. Die reichen Felder der Ye Cuile nahmen zu, während sie sich immer weiter dem Fluss und der Brücke näherten.

Das Wasser des Flusses rauschte laut und klatschte gegen die Felsen wie stets je zuvor. An der Pforte des Übergangs hielt Doreah an und blickte in das wild schäumende Wasser. Wie jedes Mal erhoffte sie sich, das zu erkennen, wovon sich die Kinder immer die Münder fusselig redeten. Doch nach kurzer Zeit blieb sie enttäuscht und klopfte Isilyen wieder gegen die Flanke, um weiterzugehen.

Sie ritten durch das Tor auf die andere Seite der Brücke und trabten gemächlich zur hölzernen Mauer, die sich in Sichtweite zwischen den Felsen erhob. Die weiß-türkisen Banner Távaryns flatterten sanft im Wind, derweil die Sonne ihre Farben in ihrem Licht kräftiger denn je erscheinen ließ. Ihr Schein ließ auch die Kettenhemden und Speerspitzen der Narmo, die das Tor bewachten, hell funkeln. Die Götter wollen mir wahrhaft sagen, dass etwas Gutes geschehen ist, ging es Doreah erneut durch den Kopf und mit erwartungsfreudigem Lächeln ritt sie näher.

„Fräulein Elenwe!“, ertönte augenblicklich der Ruf einer Elfe, die oben auf dem Tor stand. Sie nahm den Helm ab, ließ ihr Haar im sanften Wind fliegen und neigte tief den Kopf. „Ihr wurdet sehnlichst erwartet!“

„Erwartet?“, entgegnete Doreah überrascht und ritt bis vorne ans Fallgatter heran, das sich einen Augenblick später ächzend nach oben schob. Die Elfe, die den Helm vor der Brust und mit der anderen den Speer hielt, wartete dahinter und nickte eifrig.

„Seit dem gestrigen Tage sollen wir nach Euch Ausschau halten, um Euch höchst erfreuliche Kunde zu bringen“, erzählte sie. „Eure Mutter, Aradî Fraeya, wurde wiedergefunden.“

Doreah riss die Augen weit auf und vergaß vor Entsetzen ganz das Atmen. Die Nachricht brannte sich in ihren Kopf – jedweder andere Gedanke war fort. Ihre Stimme schwang rasch wie eine Peitsche: „Wann? Wo?“

„Wie ich sagte, seit gestern. Sie kehrte alleine auf einem alten, humpelnden Esel zurück“, erklärte sie sachlich, doch fügte gleich, als sie Doreahs Blick sah, eilig hinzu: „Ihr findet sie im Hospital.“

Ohne zu zögern ließ Doreah die Leine des Esels fallen und peitschte Isilyens Zügel. Augenblicklich galoppierte sie los. Mit brennenden, verschwommenen Augen jagte die junge Hochelfe den Weg hoch, durch die Straßen Távaryns, bis zum Hospital. In meisterlicher Aktion sprang sie vom Rücken des Pferdes und stürmte durch die Tür ins Hospital.

Ohne anzuklopfen polterte sie durch die Tür in den Behandlungsraum, wo eine mitgenommene, blonde Elfe in dem Krankenbett ruhte. „Mutter!“, schrie Doreah laut und stürzte sich auf sie. Der Blick ihrer Mutter, den sie nur kurz erhaschte, füllte sich auch mit Tränen. Sie fiel weinend in ausgebreitete Arme.


Doreah und ihre Mutter verharrten eine lange Weile in den Armen des anderen. Sie sprachen endlose Zeit – so viel gab es zu erzählen, zu beweinen, zu beglücken. Fraeya fieberte noch und würde weitere Wochen benötigen, um wieder völlig zu sich zu kommen.

Doch anschließend würde sie ihre alten Aufgaben wieder übernehmen. Jene Aufgaben, die Doreah in den letzten neun Monaten zugefallen waren. Jene, die ihr größte Marter bereitet hatten. Was sollte sie noch anderes sagen? Sie war von diesen Pflichten endlich frei!

OOC

Doreah wird nun auf dem Zweitaccount Zsuera gespielt.

Bildquelle: https://www.pinterest.de/pin/205828645462114534/

5 „Gefällt mir“

Gemäß der ermöglichten Zauberänderung im Changelog wurde ein Zauber von Doreah, der im RP nur ein Mal Nutzung fand, ausgetauscht. RPlich erlernte sie ihn beim Magiemeister Távaryns, Estel Turingól.

1 „Gefällt mir“

Weiterführung Teil 3

Das Kerzenlicht flackerte ruhig, beinahe unbewegt, und erhellte das Schreibpult, an dem sie schrieb, und die vielen Buchrücken vor ihr, die sich gelesen im Regal geduldeten. Es war das Einzige, das Licht spendete, während Doreah in völliger Düsternis der Nacht in ihren Gemächern saß und schrieb. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit zeichnete sie ruhig und in schönster Schrift die Lettern auf das Papier, nicht schnell, grob und unleserlich wie sonst. Fein und ordentlich, wie als sei es das letzte Werk, das sie jemals erbringen würde.

Das schwere Gewicht der Kettenbrünne, die unter dem Reisemantel verborgen war, lag gewichtig auf ihren Schultern und ließ sie das eine oder andere Mal ungeduldig aufseufzen … doch sobald sie das kleine Bildnis von sich, ihrer Mutter und ihrem Bruder Ilbryn sah, das in einem Medaillon geöffnet zur Decke starrte, senkte sie wieder den Blick und kehrte zum Brief zurück, den sie am Schreiben war. Zwar lösten sich langsam die Ketten von ihr, während sich die Zeilen füllten, und sie spürte Freiheit … doch auch Schmerz.

Während sie den Federkiel in den Händen hielt und die tintenbesudelte Spitze auf dem Pergament bewegungslos verweilen ließ, kehrten die Erinnerungen der vielen vergangenen Monde und Jahre zurück.

Versagen.

Verlust.

Folter.

Schwäche.

Tod.

Raub.

Unreinheit.

Und Liebe.
Sie vermisste ihn noch immer.


Die Träne, die bereits eine Weile in ihrem Augenwinkel schlummerte, löste sich und rann langsam ihre Wange hinab. Endlos zog sich ihr Fluss dahin und hinterließ eine kühle Spur, ehe sie wie ein schwerer Regentropfen auf das trockene Pergament niederfiel – gleich hinter ihre verschnörkelte Unterschrift. Welch ein Siegel, um abzuschließen, huschte nur durch ihren Kopf.

Sie erhob sich unter dem rasselnden Klang der Kettenringe und faltete den Brief in der Mitte und dann in Viertel. Mit den Fingern strich sie mehrfach sorgsam die Kanten glatt, als würde sie damit das Vergangene liebkosen oder altes Glück wieder erspüren. Unruhig und nervös schnaufte sie durch, schob Feder und Tinte in die hintere Ecke des Schreibtisches, nahm Medaillon und Kerze und drückte den Stuhl wieder ran. Sie ging lautlos mit dem Licht und dem kühlen Anhänger zum Bett, stellte sie ab, schulterte den Rucksack, gurtete das Schwert und blies vorsichtig das Licht aus.

Die plötzliche Dunkelheit umhüllte sie und raubte ihr für einen winzigen Moment den Atem. Doch die Zweifel machten rasch kehrt, und so schlich sie durch die Gänge des Palastes, aus dem großen Tor hinaus, die lichten, heimeligen Straßen Távaryns entlang, und zu den Ställen. Sie erreichte sie, grüßte Isilyen, sattelte sie und ritt los. Schon bald hatte sie das Südtor verlassen und den Fluss überquert.

Der lange, dunkle Pfad der weiten Welt offenbarte sich ihr, und Elunas sorgsamer Schatten legte sich um sie. Er würde ihr ihren Namen endlich nehmen. Sie würde endlich nur noch Doreah sein …

Ihre Nacht war nun finsterblau, und sie sah wieder die Sonne, die unter dem Horizont weilte, um wie stets für einen neuen Tag wieder aufzugehen.


OOC

Und somit hat Doreah endlich ihr Ziel erreicht und sich den beengenden Fesseln des Hochadels entwunden. Mögen die Götter sie auf ihren endlosen Reisen und Abenteuern behüten, mögen sie sie mit Freude und Glück bereichern.

Die CV kann geschlossen werden.

5 „Gefällt mir“