-Wie das Schicksal Rogar Siram nach Parsifal führte-

Ein Pfeil durchbrach die Stille des Waldes und bohrte sich nur wenige Zentimeter neben Rogars Kopf in die dunkle Rinde einer Buche. Er duckte sich und ein weiterer Pfeil verfehlte ihn nur um Haaresbreite. In Panik rannte er immer weiter in den Wald hinein, ohne darauf zu achten, wohin seine Beine ihn führten. Er konnte hinter sich hören, wie seine Verfolger durch das Gestrüpp preschten, als wäre es nichts weiter, als niedrige Wildgräser, während er sich verzweifelt damit abmühte, einen Weg durch das dichte Dickicht von Brombeerranken und Sträuchern zu bahnen. Schließlich lichtete sich der Wald und er rannte, nein stolperte auf die Lichtung zu, mit der naiven Hoffnung ihnen zu Entkommen, welche ihm jedoch sofort genommen wurde, als sich vor ihm eine Klippe auftat. Er konnte gerade noch abbremsen, sonst wäre er in das tosende Meer gestürzt. Entsetzt schaute er in die Tiefe. Mehr als 150 Fuß unter ihm tat sich das blau-graue Meer auf und Wellen schlugen im erbarmungslosen Takt, eine fast schon mystische Melodie gegen die schroffen Felsen. Er drehte sich zurück, in die Richtung aus der er gekommen war und erstarrte. Vor ihm ragte ein gigantischer Schwarzork gen Himmel. Die Haut so rau und zerklüftet wie Baumrinde, die Beine so dick und stark wie Baumstämme und einen von Muskeln bepackter Körper, mit dem er, so war sich Roger sicher, selbst einen Drachen entgegenstellen konnte. „Rogar Siram“ grollte er und seine Stimme brachte den Boden zum Beben, sodass Rogar schon befürchtete, die Erde würde aufreißen und sie in das schäumende Meer stürzen lassen. „Nun werde ich deinem Lächerlichen Dasein ein Ende bereiten …“. Rogar brachte nur ein Lächeln zustande.

Einige Tage zuvor:

Es war ein stürmiger Tag und Rogar verbrachte ihn, wie die meiste Zeit in diesem trostlosen Kaff, in der einzigen Schenke des Ortes. Missmutig schaute er in seinen Krug, den er bereits zum zehnten Mal geleert hatte, ohne auch nur die geringste Wirkung des Mets zu verspüren. Der Alkohol ist nichts Wert dachte er. Am liebsten würde er damit seine Sinne betäuben. Die Geschäfte liefen schlecht, seit der neue Fürst in das Land gezogen war um es sich unter den Nagel zu reißen. Damit waren auch ein Haufen neuer Gesetze ernannt wurden, welche nicht sonderlich förderlich für die Bewohner, einschließlich ihm, waren. Doch niemand wollte sich dagegen aufbäumen. Der Fürst hieß nicht umsonst : Otto der Unberechenbare. Ihm war das alles sowieso egal. Er würde sich nicht von irgendeinem verzogenen Adelsgeschlecht in die Knien beugen lassen. Deshalb plante er schon seit geraumer Zeit die Gegend zu verlassen, doch bis jetzt fehlten ihm schlichtweg die Taler, um sich irgendwo anders eine neue Existenz aufbauen zu können. Er wollte gerade dem Wirt ein Handzeichen zum nachfüllen geben, als die Tür aufgestoßen wurde. Im Gasthaus wurde es Augenblicklich still. In der Tür stand ein Ork. Seine zerrissenen Felle flatterten im Wind und sein rechtes Auge wurde von einer langen, hässlichen Narbe durchzogen. Mürrisch tastete sein Blick durch das Haus und blieb schließlich an Rogar Siram hängen. Er zog den Kopf ein und betrat die Schenke. Die Holzbohlen knarrten unter seinem Gewicht und mit jedem Schritt kam er Rogars Tisch näher, bis er schließlich davor stehen blieb. Der Ork schaute sich um und blaffte zu den Anwesenden „Habt ihr noch niemals einen Ork gesehen? Wendet euch eurem eigenen Gelumpe zu ihr Schwächlinge!“. Es begann ein Getuschel und der Normale Schenkenlärm setzte ein. Nun wendete sich der Ork Rogar Siram zu und setzte sich unaufgefordert ihm gegenüber, was angesichts seiner beträchtlichen Wampe und dem Abstand vom Tisch zur Bank nicht sonderlich einfach war. Als er sich schließlich hinein gequetscht hatte sprach er zu Rogar : „Mein Stammesführer Hagrist schickt mich.“ Rogar Siram dachte nach … Hagrist? Woher kannte er diesen Namen. Plötzlich breitete sich Gänsehaut auf ihm aus. Er hatte bereits viele Geschichten über ihn gehört. Man erzählt sich, er lebt mit seinem Stamm im Gebirge oberhalb des Grenzlandes und messe über 16 Fuß. Er soll allein 15 starken Männer mit seinem Gebrüll besiegen können, 30 Männer mit einem einzigen Schlag und Feuer speien. Gerade letzteres hielt Rogar für ein Märchen. Doch dennoch stand für ihm außer Frage, dass ein blutrünstiger Anführer sich für seine Wenigkeit interressierte. Er schluckte den Kloß im Hals hinunter und zwang sich ein Lächeln auf seine Lippen: „Nun, dass ist mir eine große Freude. Womit kann ich den ihrer Wenigkeit zu Dienste sein?“ Der Ork schaute ihn angewidert an „Wenn du weiter so Süßholzraspelst reiße ich die die Zunge aus deinem erbärmlichen Leib!“ Rogars Lächeln verschwand und eine ungesunde Blässe breitete sich auf seinem Gesicht aus. Dies schien dem Ork mehr zu gefallen und er fuhr fort: „Nun, man hört von dir, dass du gut im Besorgen von den Ungewöhnlichsten Dingen bist. Du sollst ein wahrer Meister darin sein. Ich für meinen Teil halte das für Schwachsinn, doch wenn Hagrist deine Hilfe will, wollen wir alle sie. Ich denke nicht, dass du uns unseren Gefallen abschlagen wirst.“ Es war unmissverständlich eine Drohung, doch Rogar versuchte sich seine Angst nicht anmerken zu lassen und erwiederte: „Worum geht es?“. Der Ork kramte in seiner Tasche und förderte ein großes Leinensäckchen zu Tage, welches mit einem Geräusch auf dem Tisch landete, der alle Zweifel in seinen Gedanken wegbließ. Goldmünzen! Das mussten locker 1000 Goldmünzen sein! Gierig leckte er sich über seine gesprungenen Lippen und wollte das Säckchen schon greifen, als eine große Orkhand auf den Tisch schlug.
Der Ork sagte: „Besorge uns einen genauen Plan der Burg dieses Fürsten, sowie jegliche Wachpostenaufenthalte und dir gehört die Doppelte Menge dieser Taler hier“. Er deutet mit seinem Kopf auf das Leinensäckchen. „ Du hast 5 Tage und Nächte Zeit. Ich erwarte dich vor der Schenke. Die auf dem Tisch liegenden Taler darfst du behalten. Aber wenn du es nicht schaffts oder uns hintergehst …“ Er hielt das Ende offen. Doch Rogar interessierte dies wenig. Er hatte nur Augen für die glänzenden Goldmünzen. Er nickte und sagte mit einem Lächeln: „Ihr könnt euch auf mich verlassen!“.
Die nächsten Tage und Nächte verbrachte er damit den Architekten der Burg ausfindig zu machen und die Wachposten zu beobachten. Seine schlechte Laune der letzten Tage war wie weggeblasen. Er hatte ein Ziel vor Augen! Bald würde er diesem elenden Land dem Rücken zukehren können und sich woanders einen schönen Lebensabend machen! Doch aufgrund der damit einhergehenden Aufregung unterlief ihm ein entscheidender
Fehler…

Sechs Tage später war es soweit: Der Stamm des Schwarzorks Hagrist bereitete sich auf einen Überfall vor. Sie wollten sich das Land nehmen. Noch war es geschwächt, da der Fürst gerade mal einige Mondzyklen an der Macht war. Das wollten die Orks nutzen. Die Äxte waren geschliffen und die Karte wurde ebenfalls von einem Mann, namens Rogar Siram besorgt. Sie wollten sich im Schutze der Nacht durch einen nicht gut bewachten Eingang ins Innere der Burg gelangen um von dort aus ein Blutbad anzurichten. Doch soweit sollte es niemals kommen…

Rogar Siram lag auf einer Böschung unweit der Burg des Fürsten Otto der Unberechenbare. Es war eine wunderschöne Vollmondsnacht. Die Burgmauern erstreckten sich weit gen Himmel und warfen lange Schatten, wodurch sie noch bedrohlicher wirkten.
Eigentlich wollte Rogar schon lange seine wenigen Habseligkeiten zusammengepackt haben und auf einem Pferd seinem alten Leben den Rücken zukehren. Doch seine Neugierde hinderte ihn daran. Das hatte er schon immer an sich gehasst. Wenn sie einmal in ihm aufloderte, dann konnte er sie nicht stillen. „Wie ein Feuer verzehrt es mich und nur die Antwort darauf vermag es zu löschen“ sagte er zu sich selbst. Aus welchem Werk war das? Dachte er und kam sich selbst lächerlich vor, wie er irgendwelche Poesie-Texte zitierte. Der entscheidende Punkt war, dass er wissen wollte, wieso die Orks an einer Karte der Burg interessiert waren. Nein, natürlich wusste er es in einer gewissen Weise. Er war ja nicht dumm! Aber dennoch war er eben neugierig. Schließlich erspähte er, wie die Orks sich im Schatten des angrenzenden Mischwaldes der Burg näherten. Es sah irgendwie lustig aus, wie sie versuchten leise zu sein, da Orks bekanntlich das genaue Gegenteil sind, dachte Rogar. Er überlegte, wo genau sie in die Burg einbrechen könnten und ihm fiel der Händlereingang ein. Rogar schüttelte den Kopf. Im Händlereingang ist doch ein Späher … Rogar Siram bleib die Luft weg. Hatte er das auf der Karte angegeben? Er versuchte sich verzweifelt ins Gedächtnis zu rufen, wie er es mit einem schnellen Federschwung auf das vergilbte Pergament übertrug. Doch da war nichts. Er konnte sich schon immer gut Dinge merken. Das war eine seiner vielen Begabungen und so sehr er sich anstrengte, so sehr er sich das Gegenteil erzählte … er wusste es: Er hatte vergessen, es den Orks aufzuschreiben. Als er sich aus seiner Gedankenwelt zurückzog, hörte er Kampfgeschrei. Seine Hoffnung, dass es aus der Burg über den kalten Nachtwind zu ihm getragen wurde, starb als er einen flüchtigen Blick vor die Burg warf. Dort lagen bereits 3 Tote Orks. Wohl im Pfeilhagel niedergestreckt. Die anderen rannten in Richtung des Mischwaldes, aus der sie gekommen waren und er konnte ihre Schmerzverzehrten und doch Wutentstellten Gesichter, trotz der großen Entfernung zu Rogar, deutlich sehen. Ein Ork nach dem anderen viel. Die Pfeile die auf sie niederprasselten waren vergleichbar mit einem Hagelsturm, der die Gegend in den kalten Wintermonaten heimsucht. Rogar Siram war wie erstarrt und die Stimme des Orks hallte in seinem Kopf wieder: „Aber wenn du es nicht schaffts oder uns hintergehst …“. Er wurde durch einen lauten, ja fast donnergleichen Gebrüll aus seiner Starre gerissen: „ROGAR SIRAM! DU WIRST DEIN LEBEN AB DEM HEUTIGEN TAG IN ANGST VERBRINGEN! WIR FINDEN DICH!“
Er rannte zu seinem Haus, doch als er dort, nach Atem ringend ankam, brannte es lichterloh. Er machte kehrt und rannte zu seinem Pferd, welches unbeschadet in den Ställen stand. Er schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er das Gold im Pferdesattel versteckt hatte und schwang sich auf den altersschwachen Schimmel. Trotzdem legte er eine beachtliche Strecke zurück. Als er schließlich gegen Morgengrauen an einem kleinen Ort hielt, um sich etwas Essen zu kaufen sah er ihn … Rogar gefror das Blut in den Adern. Es war Hagrist. Sofort drehte er sich um, wollten schon auf sein Pferd springen, als ein Pfeil den Kopf des Schimmels durchbohrte. Rogar Siram rannte um sein Leben …

Nun stand er hier, den Rücken der todbringenden Tiefe gekehrt, das Gesicht dem Todbringenden Ork zugewandt und wusste, dass es um ihn geschehen war. Er musste unwillkürlich lächeln. Wie konnte man in seinen alten Tagen nur so viel Pech haben? Hagrist sprach „Du hast vielen meiner Brüder den Tod bereitet … du kommst mir nicht davon!“ Und mit einem Satz trat er nach vorn und packte Rogar Siram am Kragen. An einer gewaltigen Pranke hing er nun über dem tosenden Meer. Er konnte nicht einmal einen Satz sagen. Es war, als wäre sein Mund zugeschnürrt. Und dann … fiel er …

Es wurde schwarz.
Rogar Siram erwachte und sah einen eine Frau, halb Mensch halb Fisch und dennoch schöner, als das schönste was er je Gesehen hatte. Mit ihrer hellen Stimme sang sie ein Lied und Rogar Siram stimmte mit ein. Er wusste nicht, woher er den Text kannte, denn er hatte ihn nie zuvor gehört, doch es war ihm egal. Er war glücklich mit dieser Frau und wollte nur noch mit ihr in die Tiefen des blauen Ozeanes eintauchen.

Es wurde schwarz.
Schließlich erwachte er hustend. Er spürte, den weichen Sand unter seinem Rücken und als er sich aufsetzte sah er, einen Kutscher, der nicht weit von ihm anhielt und zu Rogar hinuntereilte. Er war es auch, der Rogar Siram half und ihm erklärte, dass er auf einem völlig neuen Land gestrandet sei … Parsifal.

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