Eidwahrer
Die Hallen des Nachthimmels sind still, als ich eintrete.
Nur das Licht der Fackeln tanzt auf den silbernen Säulen wie ein ruheloser Geist. Dort oben, auf dem Thron aus dem schwarzen Stein der vom Himmel fiel ist mein Platz.
Mein rechter Ellbogen liegt schwer auf der Lehne, meine Finger trommeln wie Kriegstrommeln gegen den kalten Fels.
Heute ist es soweit, heute leistet er endlich seinen Schwur.
„Bringt ihn herein“, sage ich zu den Männern deren Anführer nun vor mich treten soll.
Die Tore öffnen sich, knarzen jetzt schon wie die alten Tore Trondheims.
Jakvar tritt ein. Mein eiserner Schatten, der Anführer meiner Leibgarde.
Er trägt noch seine Panzerung, das salzverkrustete Eisen, die Mantelschließe aus Elchhorn, den Gürtel, an dem die Klinge hängt, die zu kurz ist für seine Schultern, zu schlicht für seinen Eid. Er fällt auf die Knie, wie ich es verlange. Ohne ein Wort.
Ich erhebe mich. Meine Schritte hallen wie Hammerschläge auf dem Amboss von der Decke zurück. Langsam steige ich hinab vom Thron, hinab zu meinem Schatten.
„Du weißt, warum du hier bist, Wächter“, sage ich.
Er nickt. Nur einmal. Ich ziehe Vardgrimm.
Die Klinge blitzt im Licht der Fackeln das von den Kristallen an der Decken zurückgeworfen wird.
„Rechte Hand“, sage ich.
Er reicht sie mir.
Ich lege meine auf die Klinge. Spüre die Kälte des Stahls der ein Tyr gehörte.
Dann ziehe ich die Schneide durch mein eigenes Fleisch.
Kein Zögern. Kein Laut. Nur Blut.
Es tropft auf das Metall wie Regen auf gefrorenen Boden.
„Dein Blut soll sich mit meinem vermengen. Deine Treue soll durch meine Adern fließen. Dein Schwur soll mein Herz bewachen.“
Ich halte ihm die Klinge hin.
„Tu es.“
Er zögert nicht. Schneidet sich. Lässt sein Blut auf Vardgrimm tropfen.
Dann sage ich ihm den Schwur und er wiederholt ihn:
„Bei meinem Blut, bei meinem Namen und bei meiner Ehre
schwöre ich, Jakvar, Sohn des Sven, dir, Jarl Kragan Korbenson von Sølvøya, die Treue.
Mein Leben gehört dir,
mein Wille gehört deiner Familie,
meine Treue gehört deinem Haus,
mein Herz und Stahl gehören Sølvøya.
Deine Feinde sind meine.
Deine Kinder sind meine Pflicht.
Deine Insel ist mein Grab, wenn es sein muss.
Solange dein Haus ungebrochen ist
bin ich Schild und Speer.
Solange du atmest
werde ich fallen, bevor du fällst.
Dein Haus ist mein Herr, dein Wille mein Gesetz,
und wer dir widerspricht,
widerspricht mir
und ich werde ihn brechen wie morsches Holz.
Ich binde meine Knochen an deine Krone,
meine Zunge an deine Stimme,
mein Herz an deinen Zorn.
Du bist nicht nur mein Jarl.
Du bist mein Herr, mein Gebieter,
Ich höre nicht auf die Götter, wenn du sprichst.
Sollte ich wanken, zerschlage mich.
Sollte ich versagen, verbrenne mich.
Sollte ich dich verraten, töte mich.
Und wenn ich lüge,
dann soll das Meer mich ertränken,
die Berge mich zermahlen,
und mein Name verrotten in den Liedern der Hunde.“
„Solange ich atme, wird dein Schatten nicht weichen.
Solange ich stehe, wirst du nicht fallen.
Solange ich sterben kann, bist du unsterblich.
Ære dir, Kragan. Ære deinen Kindern. Ære deinem Haus. Ære Sølvøya.“
Stille.
Nur unser Atem. Nur das Echo eines Schwurs, der zwei Männer verbindet, zu Blutsbrüdern.
Ich spüre, wie mein Herz pocht.
„Dein Blut hat sich mit meinem vermischt“, sage ich leise, fast ehrfürchtig.
„Und damit gehörst du nun zu meinem Fleisch, zu meiner Linie, zu meinem Haus. Von heute an bist du einer der Unsrigen. Einer der von Sølvøya. Deine Vergangenheit endet hier, dein neues Leben beginnt.“
Ich gehe zu dem Altar der alten Waffen, hebe das Schwert, das dort liegt:
Eiðvǫrðr, Eidwahrer.
Der Griff aus Walrossbein, der Knauf geformt wie ein nordisches Auge.
Ich reiche es ihm.
Er nimmt es, als hätte er nie ein anderes geführt.
„Trage es, wie du den Eid trägst, solange du den Eid trägst“, sage ich.
„Als Waffe und als Zeichen.“
Dann lege ich ihm die Hand auf die Schulter.
„Du bist nun mein Eidwächter, Jakvar von Sølvøya. Der Erste seines Namens. Mein Schild im Rücken. Mein Speer im Herzen meiner Feinde.“
Er senkt den Blick.
Ich aber sehe nach oben, hinauf zum Dach des Nachthimmelsaals, dem schwarzen Stein, dem weißen Kristall, als wäre dort der Himmel selbst.
„Und wenn die Götter mich richten, sollen sie wissen, dass ich nicht allein bin. Dass ich Männer wie dich an meiner Seite habe. Und dass mein Haus nicht fällt.“
Ein Donner aus der Ferne durchbricht die Stille, ein Vorzeichen für den Sturm der kommt. Die Bestätigung des Allvaters.