Charaktervorstellung von Eloran Vayérun

Charaktervorstellung: Eloran Vayérun

Grundlegende Informationen

  • Name: Eloran Vayérun
  • Geschlecht: Männlich
  • Alter: Geboren 23.964
  • Rasse und Kultur: Seelelfe
  • Wohnort: Exulor (Vulkaninsel) – Zum Start im RP
  • Herkunft: Geboren in Averlyn und aufgewachsen vor dessen Untergang
  • Religion: Tharyána
  • Beruf: Alchemist und Forscher

Familie

Eltern:

  • Mutter: Lyrianna Vayérun (geb. Nirosael) – Eine angesehene Heilerin und Alchemistin in Averlyn & Raélyn
  • Vater: Taelon Vayérun – Ein Schriftgelehrter und Bibliothekar (verstorben)

Aussehen und Merkmale

Eloran besitzt ein markantes, fast ätherisches Aussehen mit faszinierenden Augen, die wie Wintergletscher im Sonnenlicht schimmern – ein kristallklares Eisblau, durchzogen von subtilen bernsteinfarbenen Reflexen, die bei jedem Lichteinfall hypnotisierende Muster erzeugen. Diese Augen scheinen mehr zu sehen als das Offensichtliche und verleihen seinem Blick etwas wahrhaft Übernatürliches. Sein kurzes welliges, schneeweiß-silbern schimmerndes Haar mit feinen bläulichen Reflexen umrahmt sein jugendliches Gesicht, während seine schmalen, langen und spitz zulaufenden Ohren – typisch für alle Seelelfen – deutlich hervorstechen.

Seine Statur ist athletisch und schlank, typisch für einen aktiven Seelelfen. Mit einer Größe von 2,02 m bewegt er sich mit einer natürlichen Eleganz, die jedoch häufig von seiner Zerstreutheit unterbrochen wird, wenn er in Gedanken über alchemistische Formeln versinkt.

Sein Outfit ist eine präzise Komposition zwischen praktischer Alchemistentracht und eleganter Handwerkskunst. Er trägt eine weiße Leinenbluse, darüber einen stabilen Lederschutz, der von einer tiefdunkle blauen Weste bedeckt wird. Die Weste ist mit filigranen silbernen und bronzenen Stickereien versehen, die alchemistische Symbole andeuten.

Seine Taille umschließt ein kunstvoll gearbeiteter Ledergürtel, von dem kleine Phiolen herabhängen. In ihnen schimmern rätselhafte Flüssigkeiten – manche strahlen ein geheimnisvolles Licht aus, während andere sich wie beseelt zu kräuseln und zu winden scheinen, als reagierten sie auf jede seiner Bewegungen. An seiner Seite befindet sich eine abgenutzte, aber sorgfältig gepflegte Ledertasche, deren Oberfläche Geschichten von zahllosen Reisen und alchemistischen Experimenten zu erzählen scheint.

Auf seinem Rücken trägt er einen Köcher, nicht für Pfeile, sondern gefüllt mit seltenen Zutaten, zerknitterten Pergamenten und in Wachs versiegelten Schriftrollen. Der Köcher ist mit einer eleganten Raffinesse gefertigt, die seine Präzision und Hingabe an die Kunst der Alchemie widerspiegelt.
Seine Finger tragen die Spuren seiner Arbeit – feine Überreste von Kräutern und metallischem Pulver, die seine Leidenschaft für das Experimentieren verraten und seine Verbindung zur verborgenen Magie der Substanzen unterstreichen.

Seeltier

Name des Seeltiers: Nyxis
Art des Seeltiers: Schneeeule mit silbern-blauem Gefieder
Gemeinsame Merkmale: Eisblau/Bernsteinfarbene Augen
Bindungsgegenstand: Ein kleiner, perfekt runder Kristall aus Mondstein, der sich während seiner Seelenbindung bildete.

Während Eloran oft impulsiv und enthusiastisch an neue Entdeckungen herangeht, bringt Nyxis die nötige Weisheit und Geduld mit. Für andere ist die Schneeeule unsichtbar, doch aufmerksame Beobachter bemerken, wie Eloran manchmal mitten im Gespräch innehält, um einem unhörbaren Kommentar zu lauschen.

Charaktereigenschaften

  1. Wissbegierig: Eloran ist getrieben von einem unstillbaren Wissensdurst und dem Drang, die Grenzen des Bekannten zu erweitern. Er verbringt Stunden über Büchern und Experimenten, stets auf der Suche nach neuen Erkenntnissen.

  2. Unkonventionell: Anders als viele Alchemisten hält er wenig von strikten Regeln oder Traditionen. Er bevorzugt eigene Wege und experimentelle Ansätze, was ihm sowohl Bewunderung als auch Kritik einbringt. Dennoch respektiert er die kulturellen Grundlagen der Seelelfen tief.

  3. Zerstreut: Wenn er über komplexe Theorien nachdenkt, vergisst er oft seine Umgebung. Er kann mitten in einem Gespräch in Gedanken abdriften oder wichtige Alltagsdinge vernachlässigen, was manchmal zu komischen Situationen führt.

  4. Enthusiastisch: Wenn ihn ein Thema begeistert, spricht er schnell und leidenschaftlich, wobei er manchmal vergisst, dass nicht jeder seinen Gedankensprüngen folgen kann. Diese Begeisterungsfähigkeit macht ihn zu einem inspirierenden, wenn auch manchmal verwirrenden Gesprächspartner.

Stärken und Schwächen

Stärken:

  1. Alchemistisches Talent:
    Eloran besitzt eine natürliche Begabung für Alchemie und kann Zusammenhänge erkennen, die anderen verborgen bleiben. Seine Tinkturen und Elixiere sind von außergewöhnlicher Qualität und Wirksamkeit, besonders jene, die Heilung und geistige Klarheit fördern.

  2. Gutes Gedächtnis:
    Er kann sich komplexe Formeln und Rezepturen mühelos merken und abrufen, was ihm beim Experimentieren große Vorteile verschafft.

  3. Anpassungsfähigkeit:
    Er kann schnell auf unerwartete Situationen reagieren und seine Pläne entsprechend anpassen - eine Fähigkeit, die er während des großen Sturms und der anschließenden Aufbauphase perfektionierte.

  4. Analytisches Denken:
    Selbst in stressigen Situationen behält er einen klaren Kopf und kann Probleme logisch analysieren, eine Eigenschaft, die er von seinem Vater geerbt hat.

Schwächen:

  1. Ungeduld:
    Wenn Ergebnisse nicht schnell genug kommen, wird Eloran ungeduldig und neigt zu riskanten Abkürzungen in seinen Experimenten. Dies hat bereits zu gefährlichen Situationen geführt, einschließlich der mysteriösen Krankheit in seiner Kindheit und verschiedenen fehlgeschlagenen Experimenten.

  2. Soziale Unbeholfenheit:
    In sozialen Situationen wirkt Eloran oft unbeholfen und hat Schwierigkeiten, Small Talk zu führen oder die Emotionen anderer richtig zu deuten. Diese Schwäche erschwert es ihm, neue Bekanntschaften zu schließen und sich in Gemeinschaften zu integrieren.

  3. Selbstvernachlässigung:
    Seine Besessenheit von der Arbeit führt oft dazu, dass er grundlegende Bedürfnisse wie Schlaf, Nahrung oder persönliche Hygiene vernachlässigt. In intensiven Forschungsphasen muss Nyxis ihn oft daran erinnern, Pausen einzulegen.

  4. Skepsis gegenüber Autoritäten:
    Obwohl Eloran großen Respekt vor Wissen hat, steht er autoritären Figuren oft kritisch gegenüber. Diese Einstellung hat ihm in der Vergangenheit Konflikte mit religiösen Führern und traditionellen Alchemisten eingebracht, besonders wenn diese seine unkonventionellen Forschungsmethoden in Frage stellten.

Fähigkeiten

  1. Lesen, Schreiben, Rechnen
  2. Alchemie
  3. Kräuterkunde
  4. Präzise Handarbeit
  5. Experimentelle Methodik
  6. Schwimmen
  7. Kochen
  8. Überleben in der Wildnis
  9. Magietheorie / Magieverteidigung
  10. Heilkunst

Magie

Altagszauber

Elementare Analyse

Als erfahrener Alchemist und forschender Geist hat Eloran einen einfachen Alltagszauber entwickelt, der ihm hilft, die grundlegenden Elemente und magischen Eigenschaften einer Substanz zu erkennen.

Wenn er diesen Zauber anwendet, beginnen seine eisblau-bernsteinfarbenen Augen subtil zu leuchten, während er einen untersuchten Gegenstand mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet. Die bernsteinfarbenen Reflexe in seinen Augen werden dabei intensiver und scheinen wie kleine Lichter zu tanzen. Für ihn selbst erscheinen feine Energiemuster und Zusammensetzungen, die ihm Hinweise auf die Natur der Substanz geben.

Hinweis: Dieser Zauber bietet keine direkten Kampfvorteile und ist ein reiner Atmosphäre-Zauber, der Elorans Charakter als Forscher und Alchemist unterstreicht. Er kann damit keine verborgenen Eigenschaften oder magische Geheimnisse entdecken, sondern lediglich eine intuitive Einschätzung der grundlegenden Beschaffenheit erhalten - ähnlich wie ein erfahrener Koch durch Geruch und Anblick die Qualität von Zutaten einschätzen kann.

Vier Zauber

Mit persönlichen Anpassungen

  1. Salve der Elemente:
    Eloran formt kaltes, silbrig-blaues Licht zwischen seinen Handflächen, das sich zu kristallinen Geschossen verdichtet. Die Projektile schimmern in den Farben seiner Augen - eisblau mit feinen bernsteinfarbenen Reflexen. Wenn er sie auf ein Ziel richtet, fliegen sie in eleganten Spiralbahnen und hinterlassen Spuren aus winzigen, funkelnden Kristallen, die kurz in der Luft schweben, bevor sie sich auflösen.

  2. Heilbindung:
    Eloran erschafft eine schimmernde Verbindung aus silbrig-türkisen Energiefäden zwischen sich und dem Ziel. Die Fäden weben ein komplexes, pulsierendes Muster, das an traditionelle seelelfische Ornamente erinnert. Während die Heilenergie fließt, summt er leise eine alte Melodie aus Averlyn, die den Heilungsprozess unterstützt und beruhigend wirkt.

  3. Nährendes Licht:
    Eloran formt in seiner Handfläche einen zarten Pfeil aus kristallklarem Licht mit türkisen und silbernen Reflexen, ähnlich dem Schimmer der Türme von Averlyn im Sonnenuntergang. Der Pfeil bewegt sich in einer eleganten, spiralförmigen Bahn zum Ziel und hinterlässt eine Spur aus winzigen, glitzernden Partikeln. Die zurückfließende Energie manifestiert sich als feine Lichtströme, die in Elorans Körper eindringen und sich dort in heilende Wärme verwandeln.

  4. Gleißen der Reinheit:
    Wenn Eloran diesen Zauber wirkt, beginnt der Mondsteinkristall seines Seelentieres sanft zu pulsieren. Seine Hände werden von einem sanften, silberweißen Licht umhüllt, das mit eisbläulichen und bernsteinschimmern Schattierungen durchzogen ist - die Farben seiner und Nyxis’ Augen. Die Heilenergie fließt in einem eleganten Muster, das an Schneeflocken erinnert, und hinterlässt vorübergehend eine schimmernde Aura um die geheilte Wunde, die langsam verblasst.

Vorgeschichte

Da meine Geschichte recht lang geworden ist habe ich eine kleine Zusammenfassung beigefügt.

Zusammenfassung

Eloran Vayérun wurde im Jahr 23.964 während des Tiy yé Fairevclévan, dem heiligen Ritual zur Sichtbarmachung der Seeltiere, in der prächtigen Stadt Averlyn geboren. Als Sohn von Taelon, einem angesehenen Schriftgelehrten, und Lyrianna, einer begabten Alchemistin, zeigte er früh außergewöhnliches Interesse für Alchemie und die Wissenschaften. In seiner Kindheit entwickelte er eine tiefe Freundschaft mit Elyria, der Tochter einer Apothekerin, die seine Begeisterung für Heilkunde teilte.

Mit siebzehn Jahren begann Eloran sein Studium an der Akademie von Lohandriel, wo er sich auf die Erforschung der Verbindung zwischen Alchemie und Seeltierbindung spezialisierte. Seine unkonventionellen Theorien stießen auf geteilte Meinungen unter seinen Lehrern. Während dieser Zeit erlebte er seine eigene Seelenbindung mit Nyxis, einer Schneeeule mit silbern-blauem Gefieder, während eines ungewöhnlichen alchemistischen Experiments. Zugleich vertiefte sich seine Beziehung zu Elyria, die zu unausgesprochenen Gefühlen führte.

Der tragische Wendepunkt in Elorans Leben kam mit einem verheerenden Schiffsunglück, bei dem der gesamte Hochadel der Seelelfen ums Leben kam. Dieser Verlust löste den langsamen Niedergang Averlyns aus. Die zunehmenden Unruhen und der Zerfall der einst strahlenden Stadt zwangen Elyria und ihre Mutter zur Flucht, bevor Eloran seine Gefühle gestehen konnte. Kurz darauf verlor er seinen Vater, der beim Versuch starb, wertvolles Wissen aus der einstürzenden Bibliothek zu retten.

Nach dem endgültigen Fall Averlyns lebte Eloran mit seiner Mutter in einer kleinen Siedlung am Rand der Ruinen, bis sie im Jahr 23.992 von der Gründung einer neuen Stadt namens Raélyn hörten. Diese Stadt, erbaut von den totgeglaubten Valrás-Schwestern, die die heiligen Bücher der Seelelfen gerettet hatten, wurde ihr neues Zuhause. Dort etablierte sich Eloran als respektierter Alchemist und Lehrer, überlebte den „Großen Sturm“ und half beim Wiederaufbau.

Trotz seines Erfolgs in Raélyn spürte Eloran eine wachsende Unruhe. Die Begegnung mit dem weitgereisten Händler Kazimir weckte sein Interesse an Exulor, einer Vulkaninsel, deren einzigartige energetische Eigenschaften neue Möglichkeiten für seine Forschungen versprachen. Nach langem Abwägen entschied er sich, Raélyn zu verlassen, um in Exulor sein Wissen zu erweitern – mit dem Versprechen, eines Tages zurückzukehren und vielleicht sogar Elyria wiederzufinden, deren Andenken er in Form eines getrockneten Jasminzweigs stets bei sich trägt.

Kapitel I

Die Dämmerung senkte sich langsam über Averlyn, und der Ritualplatz am Seeufer war erfüllt vom sanften Glühen hunderter Kerzen. Das Tiy yé Fairevclévan, das heilige Ritual zur Sichtbarmachung der Seeltiere, hatte seinen Höhepunkt fast erreicht. Dutzende Seelelfen standen im Kreis, ihre Gesichter von Erwartung gezeichnet, während die Sonne den Horizont berührte und die ersten leuchtenden Auren um die im Kreis niedergelegten Gegenstände zu tanzen begannen.

Der Himmel färbte sich in tiefem Purpur und Orange, während leichte Nebelschwaden über dem See tanzten. Ein leiser Wind trug den Duft von Kräutern und heiligen Ölen über den Ritualplatz, vermischt mit dem frischen Geruch des Wassers. Die Luft vibrierte förmlich vor Magie, als würde die Grenze zwischen den Welten dünner werden mit jedem Atemzug, den die Anwesenden nahmen.

Unter den Anwesenden war auch Lyrianna, hochschwanger mit ihrem ersten Kind. Sie hatte darauf bestanden, am Ritual teilzunehmen, trotz Taelons wiederholter Bedenken. „Das Kind wird kommen, wenn es kommen soll,“ hatte sie sanft zu ihrem besorgten Gemahl gesagt und seine Hand beruhigend gedrückt. „Und was könnte ein schöneres Willkommen sein als die Gegenwart aller Seeltiere?“.

Ihre Stimme war ruhig geblieben, doch Taelon konnte die Entschlossenheit in ihren Augen sehen. Seine geliebte Frau, deren langes silberblaues Haar im Kerzenschein schimmerte, hatte diese innere Stärke, die ihn stets aufs Neue beeindruckte. So hatte er nachgegeben und sie zum Ritual begleitet, wobei er nicht von ihrer Seite wich und jede ihrer Bewegungen aufmerksam beobachtete.

Als die Sonne den Horizont berührte und die ersten schimmernden Silhouetten der Seeltiere sichtbar wurden, spürte Lyrianna die ersten Wehen. Sie stand am Rand des Kreises, eine Hand auf ihrem gewölbten Bauch, die andere fest mit Taelons verschränkt. Ein leises Keuchen entfuhr ihr, doch es ging fast unter im kollektiven Ausatmen der Anwesenden, als die Magie des Rituals sich entfaltete.

„Es beginnt,“ flüsterte sie, ihre Stimme ein Gemisch aus Schmerz und Ehrfurcht.

Taelon blickte sie alarmiert an, doch in diesem Moment leuchtete der gesamte Ritualkreis in einem blendenden Licht auf. Die Seeltiere waren nun vollständig manifestiert – majestätische Hirsche mit schimmernden Geweihen, elegante Füchse mit feuergleichem Fell, stolze Adler mit ausgebreiteten Schwingen. Die Anwesenden stießen Rufe des Entzückens aus, als diese ätherischen Wesen zwischen ihnen wandelten, durchscheinend wie Mondlicht und doch von unbeschreiblicher Präsenz.

Ein junges Mädchen lachte entzückt, als ein leuchtender Fuchs verspielt um sie herumtanzte. Ein älterer Seelelf stand mit Tränen in den Augen, während ein prächtiger Hirsch seinen Kopf vor ihm neigte. Die Luft war erfüllt von einem sanften, summenden Klang, als würde die Seelenwelt selbst ein Lied anstimmen.

Inmitten dieser magischen Szene bemerkte Taelon, wie seine Frau sich vorbeugte, das Gesicht vor Schmerz verzogen. Er verständigte sich mit einem Blick mit zwei erfahrenen Heilerinnen, die sofort verstanden und zu ihnen eilten. Zusammen führten sie Lyrianna behutsam vom Ritualplatz fort.
„Es tut mir leid, dass wir gehen müssen,“ flüsterte Lyrianna, während eine weitere Wehe sie durchfuhr. Ihr Blick wanderte noch einmal sehnsüchtig zu den leuchtenden Gestalten der Seeltiere.

„Das Leben schreibt seine eigenen Rituale,“ erwiderte die ältere der beiden Heilerinnen mit einem weisen Lächeln und stützte Lyrianna auf der anderen Seite. „Und heute scheint das Tiy yé Fairevclévan ein besonderes Geschenk zu erhalten.“

Sie brachten Lyrianna in ein nahegelegenes Gebäude aus weißem Stein, dessen Fenster mit kunstvollen Schnitzereien verziert waren. Der Innenraum war mit Teppichen in den heiligen Farben Averlyns ausgelegt – Türkis wie der See, Silber wie der Mond. An den Wänden brannten Kerzen in filigranen Haltern, und in einer Ecke dampfte ein Kessel mit heilenden Kräutern über einer kleinen Flamme.

Während die Nacht fortschritt und am Ritualplatz die Seeltiere in ihrer vollen Pracht zwischen den Seelelfen wandelten, kämpfte Lyrianna tapfer. Die Heilerinnen unterstützten sie mit sanften Berührungen und leisen Gebeten. Sie flüsterten Anrufungen an die Göttin der des Lebens, deren Name wie eine Melodie durch den Raum schwebte.

Taelon wartete draußen, den Blick abwechselnd zum sternenübersäten Himmel und zur Tür des Gebäudes gerichtet. Er konnte spüren, wie sein eigenes Seeltier aufgeregt um ihn herumtanzte, als würde es die Bedeutsamkeit dieses Moments erahnen.

Genau in dem Augenblick, als der Mond am höchsten Punkt des Himmels stand und das Ritual des Tiy yé Fairevclévan sich seinem Ende neigte, durchdrang der erste Schrei des Neugeborenen die Nacht. Wie ein feiner Silberfaden webte sich sein klarer, kraftvoller Laut durch die Dunkelheit. Auf dem Ritualplatz hielten die Seelelfen in ihrer Bewegung inne, als hätten sie die Ankunft des neuen Lebens im Äther gespürt. Die Seeltiere richteten für einen kurzen Moment ihre Aufmerksamkeit auf das Geburtshaus, bevor sie langsam begannen, sich in die Unsichtbarkeit zurückzuziehen.

Taelon wurde hereingerufen, sein Herz klopfte wild in seiner Brust. Der Raum war erfüllt von einem warmen Licht und dem würzigen Duft der Heilkräuter. Und dort, auf einem Bett aus weichen Fellen, lag Lyrianna, erschöpft aber strahlend, ein kleines Bündel in ihren Armen.

Lyrianna hielt ihren Sohn in den Armen, erschöpft, aber strahlend vor Glück. Das Köpfchen des Kleinen zierte ein feiner Flaum aus schneeweiß-silbrigem Haar, und seine Augen zeigten eine für Neugeborene seltene Klarheit und Wachheit. Diese Augen, von kristallklarem Eisblau, das bereits von feinen bernsteinfarbenen Reflexen durchzogen war, schienen die Welt bereits mit ungewöhnlicher Aufmerksamkeit zu betrachten.

„Eloran,“ flüsterte sie und küsste sanft seine Stirn. „Dein Name ist Eloran.“ Sie blickte zu Taelon, der nun an ihrer Seite kniete, Tränen der Freude in den Augen. „Geboren im Moment, als unsere zwei Welten sich berühren – die der Lebenden und die der Seelenwesen.“

Taelon berührte ehrfürchtig die winzige Hand seines Sohnes, die sich sofort um seinen Finger schloss. „Eloran,“ wiederholte er, und der Name schien im Raum nachzuhallen, als hätte er eine besondere Kraft.

Die ältere Heilerin betrachtete das Kind mit einer Mischung aus Staunen und Ehrfurcht. Sie hatte in ihrem langen Leben viele Kinder zur Welt gebracht, doch dieses war anders. Es lag eine besondere Ruhe in seinem Blick, eine Präsenz, die über sein zartes Alter hinausging.

Der heiligen Tradition folgend, hüllten sie den Säugling in ein Tuch aus erlesenster Seide, das im geweihten Türkis von Averlyn schimmerte. Mit behutsamen, von Generationen überlieferten Bewegungen trug Lyrianna ihren Sohn zu einem kleinen Altar, der in einer stillen Nische des Geburtsraumes bereitstand – ein heiliger Ort, verziert mit funkelnden Kristallen, frischen Blumen und silbernen Symbolen der Ahnen.

„Ruhe nun, mein Sohn,“ flüsterte sie, während sie ihn behutsam niederlegte. „Mögen die Energien der Welt sich mit dir verbinden, während ich mich erhole.“

Wie es die Tradition verlangte, verließ Lyrianna den Raum, um sich für zwei Stunden auszuruhen, während das Neugeborene allein mit dem Universum war und die Fäden seines Schicksals gewebt wurden.

Als Lyrianna zwei Stunden später zurückkehrte, um ihr Kind wieder in die Arme zu nehmen. In diesem Moment spürt sie es - ein sanftes Pulsieren, ein Leuchten, das nur ihre Augen wahrnehmen können. Um den kleinen Eloran formt sich eine Aura, deren Anblick ihr den Atem raubt. Silberweiß wie frisch gefallener Schnee im Mondlicht, durchzogen von schimmernden Bändern in Kristallblau, die wie Gebirgsbäche durch die Helligkeit fließen

Lyrianna fühlt, wie die Aura mit ihrem eigenen Wesen zu kommunizieren scheint. Mit jedem Atemzug ihres Kindes verändert sich das Muster leicht, tanzt und wirbelt in harmonischen Bewegungen. Es ist, als würde sie in die Seele ihres Sohnes blicken, seine Verbindung zur Natur und den Seeltieren in ihrer reinsten Form erkennen.

Später, als Taelon zu ihnen stieß, versuchte Lyrianna das Gesehene in Worte zu fassen. „Es war, als würde ich direkt in sein Wesen blicken,“ erklärte sie mit einer Stimme, die vor Ehrfurcht leicht zitterte. „Die Aura umhüllte ihn wie flüssiges Mondlicht, klar und rein, und ich konnte spüren, wie stark die Seeltierkräfte in ihm fließen.“

Während Averlyn sich unter dem Sternenhimmel zur Ruhe legte, trug Lyrianna dieses tiefe, persönliche Erlebnis in ihrem Herzen - eine Erinnerung, die nur einer Mutter zuteil werden kann, ein erstes Erkennen der Seele, die sie zur Welt gebracht hatte."

Kapitel II

Averlyn umgab Eloran wie ein lebendiger Traum – weiße Türme mit flatternden türkisen Bannern ragten in den Himmel, während die Morgensonne ihre Schatten über die geschwungenen Straßen und blühenden Gärten der Seelelfstadt warf. An manchen Tagen trug Taelon seinen Sohn auf den Schultern durch die Marktplätze und gewundenen Gassen, und der kleine Eloran streckte entzückt seine Hände nach den schimmernden Kristallen und leuchtenden Steinamuletten aus, die von den Händlern feilgeboten wurden.

Sein erstes Wort mit neun Monaten war nicht etwa „Mutter“ oder „Vater“, sondern „Licht“, als seine kleinen Finger nach den Sonnenstrahlen griffen, die durch die bunten Glasfenster des Familienhauses tanzten und Regenbogenmuster auf den polierten Steinboden warfen. Lyrianna und Taelon tauschten überraschte Blicke aus – beeindruckt von der frühen Sprachentwicklung ihres Sohnes und seiner offensichtlichen Faszination für die Lichtspiele, die ihr Zuhause täglich erfüllten.

Mit zwei Jahren begann er, die Welt um sich herum mit einer Neugier zu erkunden, die selbst für ein Seelelfenkind ungewöhnlich war. Er beobachtete stundenlang das Spiel des Lichts auf den Wasseroberflächen des großen Brunnens im Garten, lauschte dem Gesang der Vögel mit geschlossenen Augen und zeigte eine besondere Sensibilität für die feineren Energien seiner Umgebung.

„Schau, Mama,“ sagte er einmal und deutete auf eine scheinbar leere Ecke des Raumes, „dort tanzt etwas.“ Lyrianna konnte nichts sehen, aber sie spürte eine Veränderung in der Luft, einen Hauch von Magie, den nur ihr Sohn wahrnehmen konnte.

Die Entdeckung der Alchemie

Mit drei Jahren begann Eloran, seine Mutter in ihre Werkstatt zu begleiten. Die Werkstatt befand sich im untersten Stockwerk ihres Hauses, ein großer, lichtdurchfluteter Raum mit hohen Fenstern und Regalen voller geheimnisvoller Gläser, Flaschen und Behälter. Die Luft war erfüllt vom Duft getrockneter Kräuter, die in Bündeln von der Decke hingen, und vom subtilen Geruch verschiedener Mineralien und Essenzen.

Lyrianna war eine angesehene Alchemistin, deren Heilmittel in ganz Averlyn geschätzt wurden. Ihre Spezialität waren Tinkturen zur Linderung von Kopfschmerzen und zur Heilung von Hautverletzungen, aber ihr wahres Talent lag in der Entwicklung von Elixieren, die die mentale Klarheit förderten und die Verbindung zum eigenen Seeltier stärkten.

Anfangs saß Eloran still auf einem kleinen, eigens für ihn angefertigten Hocker aus poliertem Eschenholz und beobachtete mit großen Augen, wie seine Mutter Kräuter sortierte, Flüssigkeiten mischte und Pulver mit einer Präzision abwog, die von jahrelanger Übung zeugte. Was andere Kinder vielleicht gelangweilt hätte, faszinierte ihn über alle Maßen. Besonders die Farbveränderungen bei chemischen Reaktionen schienen ihn zu bezaubern. Wenn eine klare Flüssigkeit sich plötzlich in ein leuchtendes Blau verwandelte oder ein Pulver aufschäumte und den Geruch von frischem Regen verströmte, klatschte er begeistert in die Hände, seine Augen weit vor Erstaunen.

„Mama, zeig mehr!“, war sein ständiger Ruf, und Lyrianna, erfreut über sein Interesse, erklärte ihm geduldig jede ihrer Handlungen. „Dies ist Mondträne,“ sagte sie und hielt eine zarte, silbrig schimmernde Pflanze hoch. „Sie sammelt das Licht des Mondes und gibt es zurück, wenn wir sie richtig verarbeiten. Sie hilft jenen, die von Alpträumen geplagt werden.“

Sie erkannte früh die außergewöhnliche Aufmerksamkeitsspanne ihres Sohnes und sein Talent, Muster zu erkennen und sich Prozesse zu merken. Wo andere Kinder schnell das Interesse verloren hätten, blieb Eloran konzentriert und stellte durchdachte Fragen, die manchmal selbst Lyrianna überraschten.

Mit vier Jahren durfte Eloran seiner Mutter bei einfachen Aufgaben helfen. Seine kleinen Finger zählten sorgfältig Blütenblätter, sortierten Kräuterbündel nach Größe und Farbe, und mit besonderer Hingabe wusch er die Glasflaschen aus, in denen Lyrianna ihre Tinkturen aufbewahrte. Sie hatte ihm eine spezielle Schürze nähen lassen, aus dem gleichen türkisfarbenen Stoff, den sie selbst trug, mit seinem Namen in silbernen Fäden eingestickt. Er trug sie mit ernsthaftem Stolz, als wäre sie ein offizielles Gewand.

„Sieben Blütenblätter für die Mondtinktur, Mama,“ verkündete er eines Tages stolz und legte die gezählten Teile auf ein sauberes Tuch aus feinstem Leinen. Lyrianna nickte anerkennend. Es war nicht nur die Genauigkeit, mit der er arbeitete, sondern die intuitive Verbindung, die er zu den Materialien zu haben schien, die sie beeindruckte.

Einmal, als ein Kunde mit Kopfschmerzen in ihre Werkstatt kam, zog Eloran, bevor seine Mutter reagieren konnte, zielsicher ein kleines blaues Fläschchen aus dem Regal und reichte es dem überraschten Mann. Der ältere Seelelf mit dem silbergrauen Haar betrachtete das Kind mit einer Mischung aus Verwirrung und Belustigung, nahm aber das Fläschchen entgegen. Lyrianna untersuchte es – es war tatsächlich ihre Tinktur gegen Kopfschmerzen, genau diejenige, die sie selbst ausgewählt hätte.

„Woher wusstest du, welches das richtige ist?“, fragte sie ihren Sohn später, während sie ihm beim Abendessen eine zusätzliche Portion auf den Teller legte.

Eloran zuckte mit den Schultern, seine silber-weißen Haare schimmerten im Kerzenlicht wie frisch gefallener Schnee. „Es hat nach seinen Schmerzen gerochen,“ antwortete er schlicht, als sei es das Natürlichste der Welt. Dann biss er fröhlich in sein mit Honig bestrichenes Brot, unbekümmert über die nachdenklichen Blicke, die seine Eltern austauschten.

Der erste eigene Alchemistisch

Zu Elorans sechstem Geburtstag bereitete Lyrianna eine besondere Überraschung vor. In einer kleinen Nische neben ihrer eigenen Werkstatt hatte sie einen kindgerechten Alchemietisch eingerichtet – mit einer niedrigen Arbeitsplatte aus polierter Eiche, kleinen, aber funktionalen Glasgefäßen und einer Sammlung ungefährlicher Substanzen. Sie hatte sorgfältig überlegt, welche Materialien sicher genug für ein Kind waren, aber dennoch echte alchemistische Experimente ermöglichten.

Mit dem ersten Licht des Tages versammelten sich Taelon und Lyrianna um Elorans Bett. Lyrianna trug eine weiße Schale mit frischem Quellwasser, in der ein einzelnes Maiglöckchen schwamm – die heilige Blume Maylas, der Göttin des Lebens. Sie begannen leise zu singen, um ihren Sohn sanft zu wecken.

Als Eloran langsam die Augen öffnete, blinzelte er verschlafen in das sanfte Morgenlicht, das durch das Fenster fiel. Lyrianna reichte ihm lächelnd die Schale und sprach:

„An diesem Tag vor sechs Jahren schenkte Mayla dir das Licht des Lebens, unser kostbarer Sohn. Möge ihr sanfter Pfotentritt dich auch im kommenden Jahr durch die Wogen des Daseins tragen.“

Mit neugierigen Augen nahm Eloran einen kleinen Schluck aus der Schale. Seine Mutter führte sanft seine kleinen Finger, damit er mit den feuchten Fingerspitzen seine Stirn, sein Herz und beide Handflächen berührte – ein Symbol dafür, dass Maylas Segen seine Gedanken, Gefühle und Taten im neuen Lebensjahr begleiten würde.

Taelon entzündete eine weiße Kerze auf einem kleinen Altar neben Elorans Bett, der mit Maiglöckchen und frischen Setzlingen geschmückt war. Beide Eltern legten ihre Hände auf Elorans schmale Schultern und sprachen gemeinsam:

„Mit deinen Pfoten trägst du Jeden durch die Wogen des Lebens, somit schenke uns deinen Segen und deine Obacht über das Dasein Elorans. Gebe uns die Kraft und leite uns durch das wundervolle unverheißene Leben. Ermögliche uns die Feinheiten des Lebens zu verinnerlichen.“

Nach dem Gebet überreichte Lyrianna ihrem Sohn einen kleinen Setzling und Taelon ein kunstvolles, kleines Ei aus geglättetem Bergkristall – beides Symbole Maylas für Wachstum und neues Leben.

„Diese werden wir später gemeinsam einpflanzen,“ erklärte Lyrianna, „damit dein sechstes Lebensjahr stark und gesund wachsen kann, so wie du.“
Eloran umarmte seine Eltern fest, seine Augen leuchteten vor Freude und Erwartung für den besonderen Tag.

Anschließend genossen sie ein festliches Frühstück mit Elorans Lieblingsgerichten – Honigbrot mit Waldbeerenaufstrich und warme Vanillemilch mit einem Hauch von Zimt.

Danach führte Lyrianna ihren Sohn mit verbundenen Augen durch das Haus, Taelon folgte ihnen mit einem sanften Lächeln im Gesicht.

Als sie ihm die Augen öffnete, stockte Eloran der Atem. Seine Augen weiteten sich vor Staunen, und für einen Moment schien er sprachlos. Dann fiel er seiner Mutter um den Hals und flüsterte: „Mein eigener Zauberplatz.“ Seine Stimme zitterte leicht vor Aufregung.

Lyrianna lachte sanft und strich ihm über das schneeweiß-silberne Haar. „Kein Zauber, mein Sohn. Die Alchemie ist Wissenschaft und Kunst zugleich. Sie ist die Kunst der Transformation – nicht nur von Materie, sondern auch des Geistes, der diese Materie beobachtet.“ Sie nahm seine kleine Hand und führte ihn zum Tisch. „Hier wirst du lernen, zu sehen, was andere nicht sehen, und zu verstehen, was unter der Oberfläche liegt.“

Diese Worte, obwohl zu komplex für ein Kind seines Alters, prägten sich tief in Elorans Bewusstsein ein. In späteren Jahren würde er sie oft wiederholen, als Mantra seiner eigenen alchemistischen Praxis, wenn er vor schwierigen Experimenten stand oder neue Wege der Transformation erforschte.
Mit seinem eigenen Alchemietisch begann für Eloran eine Zeit des begeisterten Experimentierens. Lyrianna gab ihm einfache Rezepte und beaufsichtigte seine Versuche. Doch oft überraschte er sie mit eigenen Ideen und Kombinationen, die eine intuitive Einsicht in die Prinzipien der Alchemie zeigten.

„Warum vermischst du Lavendelöl mit Mondsteinsplittern?“, fragte sie einmal, als sie ihn bei einem nicht vorgesehenen Experiment ertappte. Er hatte die feinen, pulverisierten Splitter des schimmernden Steins in das duftende Öl gerührt und betrachtete nun konzentriert, wie sich die Substanzen vermischten.

„Um zu sehen, ob es nach den Sternen riecht,“ antwortete er mit kindlicher Logik, die dennoch eine tiefere Intuition verriet. Lyrianna beobachtete fasziniert, wie sich das Öl langsam veränderte, einen silbrigen Schimmer annahm und tatsächlich einen Duft entwickelte, der an frische Nachtluft erinnerte.

Nicht alle seine Experimente waren erfolgreich, natürlich. Es gab umgestoßene Flaschen, misslungene Mischungen und einmal sogar eine kleine, schnell gelöschte Flamme, die Lyrianna einen Schreck einjagte. Doch sie erkannte, dass diese Fehlschläge ebenso wichtig für sein Lernen waren wie die Erfolge. Nach jedem Missgeschick half sie ihm, zu verstehen, was schiefgelaufen war, und ermutigte ihn, es erneut zu versuchen.

Der erste Heilungserfolg

Mit acht Jahren erzielte Eloran seinen ersten echten alchemistischen Erfolg. Nach wochenlanger sorgfältiger Arbeit und mehreren fehlgeschlagenen Versuchen gelang es ihm, eine einfache Tinktur herzustellen, die kleine Schnittwunden heilte. Die Grundlage bildeten Extrakte aus der Rinde des Silberweidenbaums, gemischt mit dem Saft des Sternenmoos, einer seltenen Pflanze, die nur an den Ufern des großen Sees von Averlyn wuchs.

Die Gelegenheit, seine Kreation zu testen, kam schneller als erwartet. Taelon schnitt sich beim Beschneiden eines Pergaments in den Finger. Die Wunde war nicht tief, aber schmerzhaft, und Eloran holte aufgeregt seine Tinktur, die er in einem speziellen, von ihm selbst verzierten Fläschchen aufbewahrte.

„Darf ich es versuchen, Vater?“, fragte er mit einer Mischung aus Eifer und Unsicherheit, während Taelon versuchte, die Blutung mit einem Tuch zu stillen.

Taelon, der den Eifer seines Sohnes stets unterstützte, nickte lächelnd.
„Natürlich, mein kleiner Alchemist. Lass uns sehen, was deine Kunst vermag.“

Eloran trug mit größter Sorgfalt einen Tropfen der grünlich schimmernden Flüssigkeit auf die Wunde auf. Zu aller Erstaunen hörte die Blutung fast sofort auf, und ein dünner, durchsichtiger Film bildete sich über dem Schnitt, wie eine zweite Haut, die die Verletzung schützte.

„Bei den Ahnen!“, rief Taelon beeindruckt und betrachtete seinen Finger mit einer Mischung aus Erstaunen und väterlichem Stolz. „Das ist bemerkenswert, mein Sohn! Es fühlt sich an, als wäre der Schmerz völlig verschwunden.“

Die Familie betrachtete diesen Erfolg als einen Segen von Vitalyhia, der Göttin der Heilung. Stolz trug Lyrianna eine kleine Phiole von Elorans Tinktur bei sich, um allen zu zeigen, was ihr Sohn erschaffen hatte. In den Augen der anderen Alchemisten Averlyns war es vielleicht nur eine einfache Wundheilungstinktur, aber die Tatsache, dass ein Achtjähriger sie selbstständig hergestellt hatte, erregte Aufmerksamkeit und nährte die Gerüchte über Elorans besondere Gaben.

Eine besondere Freundschaft

In diesen frühen Jahren seiner Entdeckung der Alchemie trat eine Person in Elorans Leben, die für ihn ebenso wichtig werden sollte wie seine eigene Familie: Elyria Valiswen, die Tochter von Meisterin Soralia, einer angesehenen Apothekerin und engen Freundin seiner Mutter Lyrianna. Die beiden Frauen hatten zusammen ihre Ausbildung absolviert und pflegten sowohl eine berufliche als auch persönliche Freundschaft, die sich in regelmäßigen Besuchen und gemeinsamer Forschungsarbeit äußerte.

Elyria war ein Jahr jünger als Eloran, aber in ihrer Neugierde und Wissbegier stand sie ihm in nichts nach. Sie hatte helles, fast platinfarbenes Haar, das sie in zwei ordentliche Zöpfe geflochten trug, und aufmerksame, sanfte smaragdgrüne Augen, die vor Intelligenz funkelten. Ihre zierliche Gestalt verbarg einen unbeugsamen Willen und einen Forscherdrang, der dem von Eloran in nichts nachstand. Während Elorans Interesse früh der Alchemie galt, war Elyria fasziniert von der Botanik und den heilenden Eigenschaften von Pflanzen – ein Interesse, das ihre Mutter förderte und dass die perfekte Ergänzung zu Elorans Neigungen bildete.

Ihre Freundschaft begann, als sie sieben und sechs Jahre alt waren, bei einem der zahlreichen gemeinsamen Abendessen ihrer Familien. Das Haus der Valirwens lag nur wenige Straßen entfernt, und die Familien trafen sich oft zum Austausch von Neuigkeiten und zum gemeinsamen Forschen. Während die Erwachsenen sich über komplexe alchemistische Theorien unterhielten, zeigte Eloran Elyria stolz seine kleine Sammlung von Mineralproben, die er sorgfältig in einer geschnitzten Holzbox aufbewahrte. Jeder Stein war von ihm selbst poliert und mit einem selbst geschriebenen Etikett versehen.

Elyria ihrerseits holte ein kleines, in Leder gebundenes Buch hervor, in dem sie getrocknete Blütenblätter und Blätter mit sorgfältigen, wenn auch kindlichen Zeichnungen und Notizen aufbewahrte. Die Seiten waren mit Sorgfalt beschriftet, jede Pflanze mit ihrem Namen, Fundort und vermuteten Eigenschaften.

„Das ist Sternenlicht-Jasmin,“ erklärte sie ernsthaft und zeigte auf ein zartes, silbrig schimmerndes Blütenblatt, das so dünn war, dass man fast hindurchsehen konnte. „Er blüht nur bei Vollmond und hilft gegen böse Träume. Meine Mutter macht daraus einen Tee für meinen kleinen Bruder, wenn er nachts schreit.“

Eloran betrachtete das Blatt mit Ehrfurcht, vorsichtig, um es nicht zu beschädigen. „Könnte man daraus eine Tinktur machen?“, fragte er, schon damals mit dem Blick eines angehenden Alchemisten, der stets nach neuen Möglichkeiten suchte.

Elyria nickte eifrig, ihre Augen leuchteten bei dem Gedanken an ein gemeinsames Projekt. „Mama hat es mir gezeigt. Man braucht Mondwasser und muss es genau sieben Tage ziehen lassen. Nicht einen Tag mehr oder weniger, sonst verliert es seine Kraft.“

Von diesem Tag an waren sie nahezu unzertrennlich. Wenn Eloran mit seiner Mutter Mineralien und Kristalle für ihre alchemistischen Experimente sammelte, kam Elyria oft mit, um seltene Kräuter zu finden, die in denselben Gebieten wuchsen. Im Gegenzug nahm Eloran an Elyrias botanischen Exkursionen teil, wo sie ihm die verschiedenen Pflanzenarten und ihre Eigenschaften erklärte, mit einer Kenntnis, die selbst Erwachsene beeindruckte.

„Siehst du, wie sich die Blätter der Mondträne am Rand kräuseln?“, sagte sie während einer ihrer Expeditionen in die Gärten am Stadtrand von Averlyn, wo sie mit Erlaubnis der Gärtner nach seltenen Pflanzen suchten. „Das bedeutet, dass sie bald blühen wird. Die Blüten müssen in der ersten Stunde nach dem Öffnen gesammelt werden, sonst verlieren sie ihre heilende Kraft.“

Eloran hörte aufmerksam zu und prägte sich diese Details ein, wissend, dass solches Wissen für seine alchemistischen Studien unschätzbar sein würde. Im Gegenzug lehrte er Elyria, wie man Mineralien identifiziert und ihre Reinheit testet, indem man ihre Härte prüft oder sie im Licht betrachtet, um ihre innere Struktur zu erkennen.

Als Eloran seinen eigenen Alchemietisch bekam, war Elyria eine der ersten, die er einlud, um ihm bei seinen Experimenten zu helfen. Ihre geschickten Hände waren perfekt für das präzise Abwiegen von Kräutern und das Mischen von Tinkturen. Gemeinsam entwickelten sie kleine Verbesserungen an traditionellen Rezepten, wobei Elyria oft intuitive Vorschläge machte, die Eloran mit seinem methodischen Ansatz verfeinerte.

Diese frühe Freundschaft, geboren aus gemeinsamer Neugier und gegenseitigem Respekt, sollte in den kommenden Jahren nur noch tiefer werden und beiden Kindern helfen, ihre jeweiligen Talente zu entfalten und zu verfeinern.

Einführung in die Thyaryána-Religion

Parallel zu seiner alchemistischen Ausbildung führte Taelon seinen Sohn in die Geheimnisse der Tharyána-Religion ein. Als einer der angesehenen Gelehrten und Bewahrer des Wissens um die Nyáre va Galys, dem heiligen Buch der Seelelfen, lag es Taelon am Herzen, seinem Sohn nicht nur weltliches Wissen, sondern auch spirituelle Weisheit zu vermitteln.

Die ersten religiösen Erfahrungen Elorans waren sinnlicher Natur: der Duft des heiligen Räucherwerks in den Tempeln, das sanfte Klingen der Silberglocken während der Morgen- und Abendgebete, die schimmernden Symbole der siebzehn Ahnen, die an den Wänden des Familienaltars hingen. Diese frühen Eindrücke prägten seine Wahrnehmung der Religion als etwas Lebendiges und Greifbares, nicht als abstrakte Lehre.

Der Familienaltar befand sich in einer kleinen, aber lichtdurchfluteten Nische im Herzen ihres Hauses. Hier versammelten sich Eloran und seine Eltern jeden Morgen zum Sonnenaufgang und jeden Abend zum Sonnenuntergang, um kurze Gebete zu sprechen und den Ahnen ihren Respekt zu erweisen. Eloran durfte die kleinen Silberschalen mit frischen Blumen füllen und die Kerzen anzünden, Aufgaben, die er mit wachsender Ernsthaftigkeit übernahm.
„Warum sind es siebzehn?“, fragte der kleine Eloran eines Tages, während er ehrfürchtig die kunstvollen Darstellungen der Ahnen betrachtete, die in feinem Silberdraht an der Wand befestigt waren.

„Siebzehn Seelelfen waren es, die sich zuerst fanden und Averlyn gründeten,“ erklärte Taelon geduldig, während er eine frische Kerze in den silbernen Halter stellte. „Siebzehn, die aus allen Teilen der Welt kamen, geführt von der Hüterin, der Mutter aller Seelelfen. Sie legten den Grundstein für unsere Kultur, unsere Werte und unsere Gemeinschaft. Deshalb ehren wir sie als unsere Ahnen.“

Mit sieben Jahren begann Eloran, seinen Vater zu den mittleren Ritualen der Tharyána zu begleiten – jenen Zeremonien, die zwischen den großen, gemeinschaftlichen Festen und den privaten, täglichen Gebeten standen. In den mit Kristallen geschmückten Tempelhallen lernte er, die Gebete an die 17 Ahnen mitzusprechen und die heiligen Gegenstände der verschiedenen Gottheiten zu erkennen und zu respektieren.

Von Anfang an zeigten sich bei ihm besondere Affinitäten. Während andere Kinder seines Alters von den kriegerischen Attributen Kharlyns oder den verspielten Symbolen Lyraeas angezogen wurden, faszinierten Eloran vor allem Mhyriyé, die Göttin der Wissenschaft, und Minerva, die Göttin der Weisheit. Ihre Attribute – das Wasserglas und das Buch – wurden zu seinen Lieblingsmotiven, die er in seine Zeichnungen einfließen ließ und kleine Darstellungen davon aus Holz schnitzte, die er an seinem Alchemietisch aufstellte.

„Sie sehen mir zu, wenn ich arbeite,“ erklärte er seiner Mutter ernst, als sie ihn nach den kleinen Figuren fragte, „und helfen mir, die richtigen Ideen zu finden.“

Oft begleitete Elyria ihn zu diesen Zeremonien. Obwohl sie selbst nicht so tiefgründig in die Tharyána-Religion eingetaucht war wie Eloran, respektierte sie seinen Glauben und fand Gefallen an den ästhetischen und rituellen Aspekten. Manchmal zeichnete sie die komplizierten Muster der Tempelfenster in ihr Notizbuch oder sammelte gefallene Blütenblätter von den Opfergaben, um sie später zu pressen und zu studieren.

Mit acht Jahren lernte Eloran die heiligen Gebote der Tharyána auswendig, jene grundlegenden ethischen Prinzipien, die das Leben der Seelelfen leiteten. Besonders das zweite Gebot – „Ehre die Ahnen und stelle dich nicht über sie“ – schien in ihm tief zu resonieren, passend zu seiner natürlichen Bescheidenheit trotz seiner besonderen Gaben.

„Was bedeutet es, sich nicht über die Ahnen zu stellen?“, fragte er seinen Vater eines Abends, während sie gemeinsam die heiligen Texte studierten, bei Kerzenlicht in Taelons kleiner Bibliothek, wo die kostbaren Pergamente und Bücher in Regalen aus dunklem Holz aufbewahrt wurden.

Taelon dachte einen Moment nach, seine Finger strichen nachdenklich über die fein geschriebenen Zeilen des Buches, das vor ihnen lag. „Es bedeutet, dass wir unser Wissen und unsere Errungenschaften nicht als Grund zur Überheblichkeit betrachten sollten. Alles, was wir sind und haben, baut auf dem auf, was die vor uns Gekommenen erschaffen haben. Wir fügen dem nur unseren eigenen kleinen Teil hinzu.“

Eloran nickte nachdenklich, seine Augenbrauen leicht zusammengezogen, während er über die Worte seines Vaters nachdachte. „Wie meine Heiltinktur,“ sagte er schließlich. „Ich habe sie nicht wirklich erfunden. Ich habe nur gelernt, was Mama mir gezeigt hat, und was sie von ihrer Mutter gelernt hat, und so weiter zurück bis zu den Ahnen.“

Diese Erkenntnis, so frühreif sie auch erscheinen mochte, zeigte Taelons und Lyriannas Erziehung Früchte trug. Ihr Sohn verstand bereits in jungen Jahren die Verbindung zwischen praktischem Wissen und spirituellen Werten, zwischen der Transformation der Materie und der des Geistes.

So wuchs Eloran in diesen frühen Jahren in Averlyn heran, umgeben von der Liebe seiner Eltern, der Freundschaft mit Elyria, der Weisheit der Tharyána-Religion und der faszinierenden Welt der Alchemie. Seine besondere Natur, geboren im Moment des Tiy yé Fairevclévan, zeigte sich in kleinen, aber bedeutsamen Momenten – in seiner außergewöhnlichen Wahrnehmung, seiner tiefen Verbindung zu den Materialien, mit denen er arbeitete, und seiner intuitiven Einsicht in die Bedürfnisse anderer.

Kapitel III

Die kulturelle Blüte Averlyns

Während Elorans Kindheit erlebte Averlyn eine Zeit kultureller und wirtschaftlicher Blüte. Die Stadt war ein strahlender Mittelpunkt seelelfischen Lebens, mit lebendig gefüllten Märkten, regelmäßigen Festen und einer florierenden Gemeinschaft von Künstlern, Handwerkern und Gelehrten. Die weißen Türme mit ihren flatternden türkisen Bannern waren weithin sichtbar, und die kristallinen Spitzen der Tempel funkelten im Sonnenlicht, als wären sie aus reinem Licht geschaffen.

Die breiten, mit kunstvollen Mosaiken ausgelegten Straßen Averlyns waren stets gefüllt mit Seelelfen aller Altersgruppen. Händler boten exotische Waren aus fernen Ländern an, Straßenmusikanten spielten auf zartbesaiteten Instrumenten, und Handwerker führten ihre Künste vor den Augen begeisterter Zuschauer vor. Die Luft war erfüllt vom Duft frischer Backwaren, exotischer Gewürze und dem süßen Aroma der Blumen, die in kunstvollen Arrangements die Stadtviertel schmückten.

„Schau dir den Sternbrunnen an,“ sagte Taelon oft zu seinem Sohn, wenn sie über den zentralen Platz gingen, wo das kristallklare Wasser in komplizierten Mustern empor sprudelte und im Sonnenlicht wie Diamanten glitzerte. „Er ist ein Symbol für die Lebendigkeit unserer Stadt - immer in Bewegung, immer strahlend.“

Der Sternbrunnen war tatsächlich ein Meisterwerk seelelfischer Kunst und Magie - ein komplexes System aus Fontänen und Wasserstrahlen, die sich in geometrischen Mustern bewegten und dabei ihre Form ständig veränderten. Bei Vollmond, so hieß es, tanzten die Wasserstrahlen zur unhörbaren Musik der Sterne und bildeten Formen, die die Zukunft vorhersagten.

Für Eloran war das Leben in Averlyn eine ständige Quelle der Inspiration und des Staunens. Die Stadt pulsierte vor Energie, mit ihren prächtigen Bauten, den kunstvollen Gärten und den von Magie durchwobenen öffentlichen Plätzen. Jeder Tag brachte neue Entdeckungen - ein bisher unbekannter Winkel in den weitläufigen Stadtgärten, ein faszinierendes Kunstwerk in einer versteckten Nische, ein Straßenkünstler mit einem ungewöhnlichen Talent.
Eloran und Elyria erkundeten gemeinsam die kulturellen Schätze der Stadt. Mit wachsender Selbstständigkeit streiften sie durch Averlyns Viertel, immer auf der Suche nach neuen Eindrücken und Erfahrungen. Sie besuchten Konzerte der berühmten Kristallharfen-Spieler, deren Musik so zart und doch so kraftvoll war. Sie bestaunten die Werke der Meisterglasbläser, deren filigrane Kreationen das Licht in tausend Farben brachen, und schlichen sich manchmal in die Nähe der großen Versammlungshallen, um den Debatten der Gelehrten zu lauschen.

„Hast du gehört, was der Älteste über die Verbindung zwischen Sternenlicht und alchemistischer Transformation gesagt hat?“, flüsterte Eloran begeistert, als sie sich nach einer solchen heimlichen Beobachtung zurückzogen.
„Ja, und es passt perfekt zu dem, was meine Mutter über die Mondphasen und das Wachstum bestimmter Heilpflanzen sagt!“, erwiderte Elyria ebenso aufgeregt.

Ihre unterschiedlichen Perspektiven – Elorans alchemistischer Blick und Elyrias botanisches Interesse – ließen sie die Stadt auf komplementäre Weise erleben und verstehen. Wo Eloran die mineralischen Eigenschaften der Stadtmauern und Brunnen studierte, bemerkte Elyria die seltenen Moose und Flechten, die zwischen den Steinen wuchsen. Wo er die chemischen Reaktionen der Farbmischungen in den Werkstätten der Künstler analysierte, erkannte sie die pflanzlichen Ursprünge der verwendeten Pigmente.

Geschichten aus der goldenen Zeit

Abend für Abend, während die Lichter der Stadt wie Sterne in der Dämmerung aufleuchteten, erzählten Elorans Eltern ihm Geschichten aus der Geschichte Averlyns. Sie setzten sich in den gemütlichen Wohnraum ihres Hauses, oft vor dem knisternden Kamin, wenn die Abende kühler wurden, oder auf der Terrasse unter dem Sternenhimmel in warmen Nächten. Bei gedämpftem Licht und mit einer Tasse duftenden Kräutertees in den Händen öffneten sie für ihren Sohn die Tore zur Vergangenheit.

Sie sprachen von der Gründung durch die 17 Ahnen, jene mutigen Seelelfen, die aus allen Teilen der Welt zusammengekommen waren, um einen Ort zu schaffen, an dem ihr Volk in Frieden und Harmonie leben könnte. Sie erzählten von den großen Festen, bei denen die Seeltiere in solcher Fülle erschienen, dass der Nachthimmel von ihrem Leuchten erhellt wurde, von den bedeutenden Entdeckungen auf den Gebieten der Alchemie, der Heilkunst und der verschiedenen Magieformen, von den heroischen Taten und den weisen Entscheidungen, die Averlyn zur strahlendsten Stadt der Seelelfen gemacht hatten.

„Weißt du noch, wie der Sternenregen während des Tiy yé Fairevclévan vor fünfzehn Jahren den ganzen Himmel erleuchtete?“, fragte Lyrianna ihren Mann, während Eloran mit großen Augen lauschte. Sie beschrieb, wie tausende von Lichtern vom Himmel gefallen waren, langsam und anmutig wie leuchtende Schneeflocken, und wie einige von ihnen sich in kristalline Formen verwandelt hatten, als sie den Boden berührten.

„Und wie die Musikmeisterin Erenya auf ihrer Kristallharfe spielte, und alle Seeltiere zu tanzen begannen? Sogar die, die sonst nie sichtbar werden wollten!“, ergänzte Taelon lächelnd. Seine Augen leuchteten bei der Erinnerung. „Mein eigenes Seeltier, das normalerweise so zurückhaltend ist, vollführte die elegantesten Pirouetten in der Luft.“

Für Eloran waren diese Geschichten Fenster in die reiche Vergangenheit seiner Kultur, die er als kostbaren Teil seiner Identität empfand. Er saugte jedes Detail auf, fragte nach Einzelheiten und zeichnete manchmal Bilder von den Szenen, die seine Eltern beschrieben. In seinem kleinen Skizzenbuch sammelten sich Darstellungen historischer Momente, die von bemerkenswertem Einfühlungsvermögen zeugten – als könnte er tatsächlich die Vergangenheit sehen, von der seine Eltern sprachen.

Oft lud Eloran auch Elyria zu diesen Geschichtenabenden ein. Die beiden Kinder saßen dann zu Füßen der Erwachsenen, manchmal auf weichen Kissen, manchmal auf dem kunstvoll gemusterten Teppich, während Taelon mit seiner tiefen, melodischen Stimme Legenden von mutigen Seelelfen-Helden rezitierte oder Lyrianna von alchemistischen Durchbrüchen vergangener Zeiten erzählte.

Soralia, Elyrias Mutter, trug manchmal Geschichten über berühmte Heiler und deren pflanzliche Wundermittel bei. Sie war eine elegante Frau mit dem gleichen fast platinfarbenem Haar wie ihre Tochter, aber mit einer ruhigeren, bedächtigeren Art. Ihre Geschichten waren oft praktischer, fokussierter auf die Heilkunde und das alltägliche Leben der einfachen Seelelfen.

„Die große Heilerin Myralis,“ erzählte sie einmal, „konnte einen Tropfen Morgentau von einer Sternblume nehmen und daraus ein Mittel bereiten, das selbst die schwersten Wunden heilte. Aber ihr wahres Geheimnis war nicht die Zutat selbst, sondern die Liebe und Hingabe, mit der sie arbeitete.“

Elyria und Eloran tauschten bei solchen Worten bedeutungsvolle Blicke aus. Für sie waren diese Geschichten nicht nur Unterhaltung, sondern auch Inspiration und Wegweiser für ihre eigenen Studien und Experimente.

Die Bibliothek des Wissens

Ab seinem neunten Lebensjahr nahm Taelon seinen Sohn regelmäßig mit in die Große Bibliothek von Averlyn, jenes ehrwürdige Gebäude, in dem die Nyáre va Galys und unzählige andere Schriften aufbewahrt wurden. Von außen glich die Bibliothek einem kristallinen Dom, dessen Facetten das Licht in allen Regenbogenfarben reflektierten. Im Inneren öffnete sich ein gewaltiger Raum mit spiralförmig angeordneten Bücherregalen, die sich bis zur hohen Kuppel hinaufwanden.

Schmale Brücken und geschwungene Treppen verbanden die verschiedenen Ebenen, und im Zentrum des Raumes stand ein imposanter Tisch aus jahrhundertealtem Holz, an dem die Gelehrten arbeiteten. Das natürliche Licht, das durch die Kuppel fiel, wurde von strategisch platzierten Kristallen aufgefangen und in alle Winkel der Bibliothek gelenkt, sodass trotz der Größe des Raumes kaum künstliche Beleuchtung nötig war.

Als Hüter über das Wissen über die heiligen Schriften hatte Taelon Zugang zu Bereichen, die für die Öffentlichkeit geschlossen waren, und er nutzte dieses Privileg, um seinen wissbegierigen Sohn mit den Schätzen des Wissens vertraut zu machen. In abgeschirmten Alkoven, wo nur ausgewählte Gelehrte Zutritt hatten, zeigte er Eloran seltene Manuskripte und Pergamente, deren Weisheit über Jahrhunderte bewahrt worden war.

„Dies ist unser wahres Erbe,“ sagte er zu Eloran, während sie durch die hohen Regale wanderten, ihre Schritte gedämpft vom weichen Teppich. „Die Weisheit, das Wissen und die Geschichten unseres Volkes. Sie sind der Grundstein unserer Kultur und der Schlüssel zu unserer Zukunft.“
Er lehrte Eloran, wie man mit den alten Texten umgeht – behutsam, mit sauberen Händen und einer speziellen Atemtechnik, die verhinderte, dass zu viel Feuchtigkeit auf die empfindlichen Seiten gelangte. Er zeigte ihm, wie man die verschiedenen Schriftstile und Dialekte entziffert und wie man Quellen kritisch bewertet und vergleicht.

In der Bibliothek fühlte sich Eloran von einer fast greifbaren Magie umgeben – nicht der spektakulären Art, wie sie in den Legenden beschrieben wurde, sondern einer ruhigeren, tieferen Magie, die in den Seiten der alten Bücher pulsierte und im Flüstern der Gelehrten widerhallte, die zwischen den Regalen arbeiteten. Es war, als könnte er die Gedanken und Gefühle all jener spüren, die diese Bücher geschrieben, gelesen und bewahrt hatten.

„Spürst du das?“, fragte er Elyria, als er sie einmal mitbringen durfte. „Es ist, als würden alle Seelen, die jemals hier waren, noch immer irgendwie anwesend sein.“

Elyria nickte ernst. „Wie ein Echo, das nie ganz verklingt.“ Sie strich mit den Fingerspitzen über den Rücken eines alten Buches über Heilpflanzen. „Ich frage mich, ob die Person, die dieses Buch geschrieben hat, jemals gedacht hätte, dass wir es eines Tages lesen würden.“

Die verhängnisvolle Krankheit

Kurz vor seinem zehnten Geburtstag begann Eloran, sich seltsam zu fühlen. Zuerst waren es nur kleine Anzeichen – ungewöhnliche Müdigkeit nach seinen alchemistischen Experimenten, gelegentliches Schwindelgefühl, wenn er zu lange in den alten Büchern las, ein merkwürdiges Kribbeln in seinen Fingerspitzen, wenn er mit bestimmten Substanzen arbeitete. Er verschwieg diese Symptome seinen Eltern, teils aus kindlicher Furcht vor Verboten, teils aus einem instinktiven Gefühl, dass dies etwas war, das er selbst verstehen musste.

Er beobachtete seine Reaktionen sorgfältig, machte Notizen in einem kleinen Buch, das er unter seinem Bett versteckte, und versuchte, Muster zu erkennen. War es schlimmer nach der Arbeit mit bestimmten Substanzen? Gab es Tageszeiten, zu denen die Symptome stärker waren? Konnte er durch bestimmte Kräutertees oder Meditationsübungen Linderung finden?

Doch die Symptome verschlimmerten sich allmählich, und an einem kühlen Herbstmorgen, als er seiner Mutter in der Werkstatt half, überkam ihn plötzlich eine Welle von Schwindel und Übelkeit, stärker als je zuvor. Der Raum schien sich um ihn zu drehen, und seltsame Lichtmuster tanzten vor seinen Augen. Die Flasche, die er gerade hielt – ein kostbares Kristallgefäß mit einer seltenen Essenz aus den Bergen – entglitt seinen Fingern und zerschellte auf dem Steinboden, ihren wertvollen Inhalt verspritzend.

Lyrianna wandte sich alarmiert um, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ihr Sohn zu Boden sank. „Eloran!“ Sie war sofort an seiner Seite, hob seinen schlaffen Körper an. Sein Gesicht war unnatürlich blass, seine Haut fiebrig heiß, und seine Atmung kam in flachen, unregelmäßigen Stößen. „Taelon!“, rief sie, ihre sonst so ruhige Stimme von Panik erfüllt. „Hilfe! Schnell!“

Was folgte, waren zwei Wochen voller Angst und Ungewissheit. Eloran lag mit hohem Fieber im Bett, während gewöhnliche Heilmittel keine Wirkung zeigten. Die einfachen Tinkturen und Tees, die normalerweise bei Kindererkrankungen Wunder wirkten, schienen bei ihm wirkungslos zu sein. Selbst die stärkeren alchemistischen Präparate, die Lyrianna mit zitternden Händen mischte, brachten keine Linderung.

Lyrianna wich nicht von seiner Seite, experimentierte unermüdlich mit verschiedenen Heilmitteln, während Taelon die Bibliothek nach ähnlichen Fällen durchforstete und Boten zu den angesehensten Heilern der Stadt schickte. Die ersten Heiler, die sie aufsuchten, kamen ratlos. Einige vermuteten eine Vergiftung durch alchemistische Dämpfe, andere konnten keine Erklärung finden. Doch Taelon fand schließlich in alten Schriften der Bibliothek Hinweise auf eine sehr seltene Kinderkrankheit, die alle paar hundert Jahre auftrat. Diese Krankheit führte zu hohem Fieber, Halluzinationen und einer starken Erschöpfung des Körpers, die in der Regel ohne spezifische Behandlung vorüberging, aber der Heilungsprozess war langwierig und schmerzhaft.

„Es ist eine alte Krankheit, die wir in diesen Zeiten kaum noch kennen“, erklärte Taelon, als er das Buch mit der Beschreibung fand. „Die Symptome stimmen mit denen überein, die Eloran zeigt. Diese Krankheit tritt selten auf, aber wenn sie vergeht, heilt der Körper vollkommen. Er braucht nur Zeit und Ruhe.“

Lyrianna starrte auf die Worte ihres Mannes und atmete auf. „Es ist also keine vergiftende Substanz? Kein alchemistisches Missgeschick?“ Sie sah ihn ungläubig an.

„Es scheint so, als ob es nichts mit seinen Experimenten zu tun hat“, antwortete Taelon, erleichtert, aber auch besorgt. „Es ist einfach eine Krankheit, die sehr selten auftritt. Wir müssen ihm nur die nötige Zeit geben, sich zu erholen.“

In den darauf folgenden Tagen begannen die Symptome von Eloran allmählich zu schwinden. Er schlief viel, und seine Atmung wurde ruhiger. Es dauerte jedoch noch einige Zeit, bis das Fieber endgültig nachließ und Eloran zu Kräften kam.

Während dieser angsterfüllten Tage wich auch Elyria kaum von seiner Seite. Die junge Seelelfe zeigte eine Reife und Hingabe, die weit über ihr Alter hinausging. Sie brachte frische Heilkräuter aus dem Garten ihrer Mutter, legte sie in dünnen Schichten auf Elorans Brust und Stirn und wechselte sie regelmäßig aus. Sie las ihm Geschichten vor, wenn er bei Bewusstsein war – alte Legenden und Märchen, die er besonders liebte – und flüsterte ihm beruhigende Worte zu, wenn er von Fieberträumen geplagt wurde.

Als der Morgen dämmerte und die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster fielen, öffnete Eloran die Augen und lächelte schwach.

„Es geht mir besser, Mama,“ flüsterte er mit rauer Stimme, die erste klare Äußerung seit Tagen. „Die Farben… sie sind verschwunden.“

Lyrianna strich ihm sanft über die Stirn, Tränen der Erleichterung in den Augen. „Du bist stark, mein Junge. Du bist wieder gesund.“ Sie lächelte durch ihre Tränen, während Taelon und die Heiler sich um das Bett drängten, ungläubig und erleichtert zugleich.

Nach Elorans Genesung

Nach Elorans Genesung veranstaltete die Familie eine kleine, aber bedeutungsvolle Zeremonie, um der Göttin Vitalyhia, der Göttin der Heilung, für die Rettung ihres Sohnes zu danken. Diese Zeremonie fand in einer ruhigen Ecke des Tempels statt, abseits der größeren Versammlungen. Sie entzündeten Kerzen und arrangierten sie in einem Muster, das Lyrianna als kraftvoll erachtete. Der Duft frischer Heilkräuter, die von Elyria und ihrer Mutter gesammelt worden waren, erfüllte den Raum.

Taelon sprach die traditionellen Dankesgebete, während Lyrianna eine kleine Gabe aus Kräutern auf den Altar legte. Der Raum war erfüllt von einem Gefühl der Ruhe und Dankbarkeit.

Eloran, noch schwach, aber mit einem neuen Glanz in den Augen, trat vor, um ein selbst verfasstes Gedicht vorzutragen:
„Aus Dunkelheit kommt Licht,
Aus Schmerz erwächst Stärke,
Aus Verwirrung entspringt Klarheit,
Und aus Krankheit wird Heilung geboren…“
Nach der Zeremonie, als die Familie allein im Tempel zurückblieb, flüsterte Eloran: „Ich weiß jetzt, was ich werden will, wenn ich groß bin.“
„Und das wäre?“, fragte Taelon lächelnd.
„Ein Alchemist oder besser gesagt ein Forscher“, antwortete Eloran mit Bestimmtheit. „Jemand, der helfen kann, wenn andere leiden und Heilung brauchen.“

Lyrianna und Taelon tauschten einen stolzen Blick. Die Zukunft schien voller Möglichkeiten, und Eloran, gestärkt aus seiner Krankheit, war bereit, seinen Weg zu gehen.

Elyria umarmte Eloran fest, als sie den Tempel verließen. „Ich hatte solche Angst, dich zu verlieren“, gestand sie. „Versprich mir, dass du nie wieder so krank wirst.“

„Ich verspreche, dass ich immer zurückkommen werde, egal was passiert“, sagte Eloran ernst. Es war ein Versprechen, das auf die Probe gestellt werden würde.

In den Wochen nach seiner Genesung kehrte Eloran langsam zu seinen gewohnten Aktivitäten zurück. Die Welt schien ihm klarer, als hätte die Krankheit einen Schleier von seinen Augen genommen. Die alchemistischen Prinzipien, die er von seiner Mutter gelernt hatte, ergaben nun einen tieferen Sinn.

Sein Vater bemerkte die Veränderung. „Vielleicht war deine Krankheit eine Prüfung“, sagte Taelon. „Nicht nur für deinen Körper, sondern auch für deinen Geist.“

„Es war, als könnte ich durch die Oberfläche der Dinge hindurchsehen“, antwortete Eloran nachdenklich. „Ich sehe die Verbindungen zwischen den Dingen, wie sie zusammenfließen.“

„Mit der Zeit wirst du deine eigene Sprache finden, um das zu erklären“, sagte Taelon.

So trat Eloran in sein zehntes Lebensjahr ein – gestärkt, mit einer neuen Klarheit und einem klaren Ziel vor Augen. Die Welt lag ihm zu Füßen, und er war bereit, die Geheimnisse der Alchemie und Heilkunst zu erforschen.

Kapitel IV

Praktische Ausbildung

In den Jahren nach seiner Genesung widmete sich Eloran mit wachsender Hingabe der Alchemie. Die Erfahrung seiner Krankheit – und die stille, tiefgreifende Verbindung zu den Kräften der Welt, die er während dieser Zeit gespürt hatte – vertieften seinen Wissensdurst. Mehr denn je war er entschlossen, all das zu ergründen, was Averlyn an alchemistischer Weisheit zu bieten hatte.

Obwohl seine Mutter Lyrianna ihm die grundlegenden alchemistischen Prinzipien bereits beigebracht hatte und als seine erste wahre Mentorin galt, erkannte sie, dass Eloran noch viel mehr lernen konnte. Sie arrangierte kurze Lehreinheiten bei verschiedenen Meistern der Stadt, damit er einen Einblick in unterschiedliche Techniken erhalten konnte. Bei Meisterin Elowen, Meister Thalan und Meisterin Varis sammelte er wertvolle Erfahrungen, doch diese blieben eher flüchtige Begegnungen als tiefgreifende Mentorschaften.

Der wahre Wendepunkt in Elorans alchemistischer Ausbildung kam mit zwölf Jahren, als er Meister Ceridwen begegnete, einem älteren Seelelfen mit silbernen Haaren und klugen Augen, der für seine experimentellen Ansätze in der Alchemie bekannt war. Ceridwen war eine Legende in Averlyn, bekannt für seine unorthodoxen Methoden und bahnbrechenden Entdeckungen. Sein Labor, das sich in einem der ältesten Türme der Stadt befand, war ein faszinierendes Chaos aus brodelnden Kesseln, glitzernden Kristallen und dicken, staubigen Büchern.

„Die meisten Alchemisten sind zufrieden damit, bestehende Rezepte zu perfektionieren,“ sagte Ceridwen bei ihrem ersten Treffen, während er Eloran mit einem durchdringenden Blick musterte. „Aber die wahre Kunst liegt darin, das Unbekannte zu erforschen und neue Wege zu finden.“

Anders als die vorherigen Lehrmeister erkannte Ceridwen sofort Elorans außergewöhnliches Talent und nahm ihn unter seine Fittiche. Was als gelegentlicher Unterricht begann, entwickelte sich schnell zu einer tiefen Mentor-Schüler-Beziehung, die nur mit der Bindung zu seiner Mutter vergleichbar war. Unter Ceridwens Anleitung begann Eloran, über den Tellerrand der traditionellen Alchemie hinauszuschauen. Er lernte, wie man verschiedene alchemistische Traditionen kombinieren konnte und wie man aus Fehlschlägen oft mehr lernte als aus Erfolgen. Ceridwen ermutigte ihn, jedes Experiment sorgfältig zu dokumentieren, nicht nur die erfolgreichen, und nach Mustern und Verbindungen zu suchen, wo andere nur Zufälle sahen.

In Meister Ceridwens umfangreicher privater Bibliothek entdeckte Eloran auch alte Texte über die theoretischen Grundlagen der Seeltierbindung und die energetischen Eigenschaften dieser besonderen Verbindung – ein Thema, das ihn zunehmend faszinierte, besonders da er sich dem Alter der Seelenbindung näherte. Er verbrachte Stunden damit, vergilbte Pergamente und lederne Folianten zu studieren, die von der Natur der Seeltiere und ihrer Verbindung zur materiellen Welt handelten.

„Warum interessiert dich gerade die Verbindung zu den Seeltieren so sehr?“, fragte ihn Ceridwen eines Tages, als er Eloran dabei beobachtete, wie er einen alten Text über die energetischen Eigenschaften von Seeltieren studierte.

Eloran zögerte einen Moment, unsicher, wie er seine Gedanken in Worte fassen sollte. „Ich denke, es liegt daran, dass Alchemie die Transformation der Materie ist, während die Seeltierbindung die Transformation des Geistes zu sein scheint. Aber wenn beide so grundlegend verschieden sind, warum fühlt es sich dann so an, als sollte es eine Verbindung zwischen ihnen geben?“.

Ceridwen lächelte anerkennend, ein Funkeln in seinen alten Augen. „Diese Frage, mein junger Freund, KIWI haben sich schon viele große Geister gestellt. Und doch hat niemand eine befriedigende Antwort gefunden. Vielleicht bist du derjenige, der sie eines Tages finden wird.“

Diese Worte blieben bei Eloran haften und prägten seine Forschungsrichtung für die kommenden Jahre. In Ceridwen hatte er nicht nur einen zweiten nachhaltigen Mentor neben seiner Mutter gefunden, sondern auch einen Gleichgesinnten, der seine unkonventionellen Ideen förderte, anstatt sie zu unterdrücken. Gemeinsam begannen sie, Experimente zu entwerfen, die traditionelle alchemistische Prozesse mit Elementen kombinierten, die in Ritualen zur Stärkung der Seeltierbindung verwendet wurden, stets auf der Suche nach Brücken zwischen diesen beiden Welten.

Die Seelenbindung mit Nyxis

Im goldenen Licht des späten Nachmittags stand Eloran über sein Experiment gebeugt. Die Werkstatt seiner Mutter – ein Heiligtum der Alchemie mit hohen Fenstern und Regalen voller sorgsam etikettierter Gefäße – war erfüllt vom Duft verschiedener Kräuter und Mineralien. Heute, mit fünfzehn Jahren, widmete er sich einem besonders anspruchsvollen Vorhaben: der Extraktion einer flüchtigen Essenz aus der Myrrhalis-Blüte.

Diese seltene Pflanze, von den Ältesten auch „Seelenspiegelin" genannt, blühte nur in jenen besonderen Nächten, wenn Mondlicht und Erdenergie in vollkommener Harmonie schwangen. Sie war ein Geschenk von Elyria gewesen, seiner engsten Vertrauten, die sie bei einer ihrer botanischen Expeditionen im nebelverhangenen Hain von Teryl’Laín entdeckt hatte – einem Ort, von dem es hieß, dass dort die Stimme der Seele lauter sprach als das Flüstern der Gedanken.

„Ich dachte sofort an dich, als ich sie sah", hatte Elyria gesagt und ihm die sorgsam verpackte Blüte überreicht. „Ihre Essenz soll verstärken, was bereits in uns schlummert, aber noch verborgen liegt."

Mit präzisen, bedachten Bewegungen mischte Eloran nun die Essenzen der Blüte mit verschiedenen Katalysatoren. Seine Konzentration war ungebrochen, seine Hände ruhig. Über einer kleinen, kontrollierten Flamme erhitzte er die Mischung behutsam und beobachtete fasziniert, wie die Flüssigkeit einen tiefen Blauton annahm und von innen heraus zu leuchten begann.

Das Unerwartete geschah in einem Augenblick völliger Stille: Ein plötzlicher Energiestoß durchzuckte die Mischung. Ein gleißendes Licht blitzte auf, gefolgt von einer Explosion, die die Werkstatt erschütterte. Glasscherben tanzten durch die Luft, und ein blauer, in allen Spektralfarben schimmernder Nebel breitete sich im Raum aus.

Lyrianna, die den Knall vernommen hatte, stürzte mit rasendem Herzen in die Werkstatt. Doch anstelle von Zerstörung und einem verletzten Sohn fand sie Eloran inmitten schillernder Energien, die wie Nordlichter durch den Raum wogten. Die Explosion hatte keinen Schaden angerichtet – sie hatte stattdessen ein Tor zwischen den Welten geöffnet.

Vor ihren staunenden Augen formte sich aus diesen tanzenden Energien eine Schneeeule. Ihr Gefieder leuchtete wie frisch gefallener Schnee, und ihre Augen strahlten in einem hellen, kristallinen Blau und warmen Bernsteingelb. Majestätisch schwebte sie in der Luft, die Flügel weit ausgebreitet, umhüllt von einem sanften, pulsierenden Leuchten.

„Nyxis", flüsterte Eloran. Der Name kam über seine Lippen, als hätte er ihn seit jeher gekannt – ein vergessenes Wort, das plötzlich wieder in sein Bewusstsein trat. Die Eule sank zu ihm herab und landete sanft auf seinem ausgestreckten Arm, ihre Krallen fest aber schmerzlos um seinen Unterarm geschlossen.

In diesem Moment bildete sich im Zentrum des aufgewirbelten Reagenzglases, das erstaunlicherweise unbeschädigt geblieben war, ein Mondsteinkristall. Im Licht der untergehenden Sonne schimmerte er in allen Farben des nächtlichen Firmaments – in tiefem Blau, kühlem Silber, geheimnisvollem Violett und einem Hauch von Gold.

„Mein Herz", sprach die Eule in Elorans Gedanken, und er verstand. Der Mondsteinkristall war zu Nyxis’ Herz geworden, dem materiellen Anker ihrer Seelenbindung. Von diesem Moment an wurde der Kristall sein kostbarster Besitz, den er später in einem silbernen Amulett nah an seinem eigenen Herzen trug.

Lyrianna stand wie versteinert in der Tür, ihre Augen geweitet vor Ehrfurcht. Sie hatte viele Seelenbindungen in ihrem Leben miterlebt, doch keine wie diese – so ungewöhnlich in ihrer Entstehung, so intensiv in ihrer Manifestation.

Die Kunde von Elorans außergewöhnlicher Seelenbindung während eines alchemistischen Experiments verbreitete sich rasch durch ihr Viertel in Averlyn. Während die meisten jungen Seelelfen ihre Seeltiere während des traditionellen Rituals des Tiy yé Fairevclévan oder in Momenten tiefer spiritueller Einkehr kennenlernten, war Elorans Erfahrung einzigartig – ein Zeichen seiner besonderen Verbindung zwischen Wissenschaft und Spiritualität, zwischen alchemistischer Transformation und der Bindung mit seinem Seelengefährten.

Am folgenden Abend traf Eloran sich mit Elyria im Garten ihres Hauses. Die Dämmerung hatte den Himmel in Purpur und Gold getaucht, und der süße Duft blühenden Nachtjasmins durchzog die abendliche Luft. Mit leuchtenden Augen und vor Aufregung bebender Stimme berichtete er ihr von Nyxis und der unerwarteten Art, wie die Bindung zustande gekommen war.

„Es war, als hätte ich sie schon immer gekannt", erklärte er, während die Schneeeule, für Elyria unsichtbar, auf seinem Arm ruhte. „Als wäre ein Teil von mir, der immer gefehlt hat, endlich heimgekehrt."

Elyria betrachtete ihn mit einer Mischung aus aufrichtiger Freude und leiser Wehmut. Mit vierzehn Jahren hatte sie noch keine Seelenbindung erfahren, und wie alle jungen Seelelfen sehnte sie sich danach, ihren eigenen spirituellen Gefährten zu finden.

„Wie fühlt es sich an?„, fragte sie leise, während sie nervös eine Strähne ihres platinblonden Haares um einen Finger wickelte. „Mit einem Seeltier verbunden zu sein?“

Eloran schloss die Augen und überlegte einen Moment. „Es ist, als hätte ich mein Leben lang nur mit halber Stimme gesungen und könnte nun den vollen Klang hören. Sie ist immer bei mir, selbst wenn du sie nicht siehst." Er lächelte. „Nyxis sagt, dass sie dich mag. Sie spürt deine Neugierde und Wärme."

Elyria errötete leicht. „Wirklich? Das ist… das bedeutet mir viel." Sie blickte sehnsüchtig zum Himmel. „Ich hoffe, mein Seeltier findet mich auch bald."
„Das wird es", versicherte Eloran und drückte sanft ihre Hand. „Jeder Seelelf findet seinen Gefährten zur richtigen Zeit. Vielleicht kommt deine Bindung ganz anders als meine – vielleicht beim nächsten Fest oder während einer deiner Expeditionen."

Dieser vertraute Moment vertiefte die Freundschaft zwischen Eloran und Elyria noch weiter. Das gegenseitige Verständnis und die aufrichtige Anteilnahme an den Erfahrungen des anderen waren ein kostbares Geschenk, dessen Bedeutung beiden jungen Seelelfen bewusst war.

In den folgenden Monaten half Elyria Eloran, seine neue Verbindung zu verstehen und zu stärken. Sie sammelte seltene Kräuter, die traditionell zur Vertiefung der Seelenbindung verwendet wurden, und vertiefte sich in den Büchern ihrer Mutter in das Wissen über die besonderen Eigenschaften von Eulen als Seeltiere – Weisheit, Intuition und die Fähigkeit, in der Dunkelheit zu sehen, was im übertragenen Sinne als die Gabe gedeutet wurde, verborgene Wahrheiten zu erkennen.

Der Weg zur Akademie

Was in jenen ersten Monaten mit Nyxis begann, entwickelte sich über die nächsten zwei Jahre zu einer tiefen Symbiose. Mit Ceridwens Unterstützung lernte Eloran, seine alchemistischen Studien mit den Einsichten zu verbinden, die ihm seine Schneeeule bot. Nyxis half ihm, Energiemuster wahrzunehmen, die den meisten verborgen blieben, was seine Experimente auf ungeahnte Weise bereicherte.

Eines Abends, als Taelon und Eloran gemeinsam über alten Schriften in der Bibliothek von Averlyn saßen, legte sein Vater ein reich verziertes Buch beiseite und betrachtete seinen Sohn mit einem nachdenklichen Blick. „Dein Geist wächst schneller als die Quellen, die wir dir hier bieten können“, sagte er leise. „Ich denke, es ist Zeit, dass du die Lehren der Lohandriel kennen lernst.“

Die Akademie von Lohandriel war eine ehrwürdige Institution, in der die größten Gelehrten der Seelelfen seit Generationen ihr Wissen weitergaben. Taelon selbst hatte dort in seiner Jugend studiert, ebenso wie zahlreiche Mitglieder ihrer Familie über die Jahrhunderte. Es war eine Tradition, doch keine Selbstverständlichkeit – nur jene mit wahrem Potenzial wurden dort aufgenommen.

Der Gedanke die täglichen Lektionen mit Ceridwen zurückzulassen, erfüllte Eloran mit gemischten Gefühlen. Doch als er die Möglichkeiten bedachte, die Tiefen des Wissens, die dort auf ihn warteten, spürte er ein wachsendes Verlangen in seinem Herzen. Nyxis, seine stille Begleiterin, teilte seine Neugierde und sein Sehnen nach tieferem Verständnis.

Mit der Unterstützung seiner Mutter, die ihrem Sohn sanft zuredete, diesen nächsten Schritt in seiner Ausbildung zu wagen, traf Eloran seine Entscheidung. Die Freude war groß, als Elyria ihm mitteilte, dass auch sie die Akademie besuchen würde – wenn auch nur für ausgewählte Kurse in Heilkunde, Botanik und, wie sie mit einem verschmitzten Lächeln hinzufügte, Alchemie. „So können wir gemeinsam lernen, auch wenn du den ganzen Tag dort verbringst und ich nur für einige Stunden komme“, sagte sie, und Eloran spürte, wie sich ein Teil seiner Bedenken auflöste. Ceridwen betrachtete diesen Übertritt nicht als Ende ihrer gemeinsamen Arbeit, sondern als natürliche Erweiterung. Er schenkte seinem Schüler ein ledergebundenes Notizbuch mit seinem persönlichen Siegel. „Trage hier die Fragen ein, die man dir an der Akademie nicht beantworten kann“, sagte der alte Meister mit einem verschmitzten Lächeln. „Wir werden sie bei deinen Besuchen gemeinsam erforschen.“ Für Eloran war es beruhigend zu wissen, dass er zwar neue Wege beschreiten würde, aber die wichtigen Verbindungen zu seinem Mentor, seiner Familie und vor allem zu Elyria bestehen bleiben würden.

Kapitel V

I. Die ersten Schritte in der Akademie

Der weiße Marmor glänzte im Morgenlicht, als Eloran zum ersten Mal durch das Nordtor der ehrwürdigen Akademie von Lohandriel schritt. Siebzehn Jahre war er alt, ein Alter der Schwellen und Übergänge. Türkisfarbene Kristallfenster warfen schillernde Reflexionen auf den Innenhof, ein Tanz aus Licht und Farben, der ihn sofort in seinen Bann zog. Die Akademie hatte etwas Erhabenes, beinahe Sakrales – ein Ort, an dem Licht und Wissen zu einer Einheit verschmolzen.
Sein Vater Taelon begleitete ihn zur Einschreibung, seine Schritte gemessen und würdevoll wie stets. Der Gang durch die marmornen Hallen war von leiser Ehrfurcht getragen.
„Die Lohandriel wird deinen Geist formen,“ erklärte Taelon seinem Sohn, während sie gemeinsam durch die imposanten Korridore der Akademie schritten. Seine Stimme hallte sanft von den hohen Decken wider. „Aber vergiss nie, dass wahre Weisheit aus der Balance zwischen Theorie und Praxis entsteht. Das eine ohne das andere ist wie ein Vogel mit nur einem Flügel.“
Eloran nickte nachdenklich, den Blick auf die kunstvollen Mosaikfenster gerichtet, deren Muster das einfallende Sonnenlicht in tanzende Farben verwandelten. Der Gedanke an die kommenden Jahre, an all das Wissen, das hier auf ihn wartete, erfüllte ihn mit einer Mischung aus Aufregung und ehrfürchtiger Scheu.

Das akademische Leben

Die ersten Monate an der Lohandriel waren von intensiver Lernerfahrung geprägt. Die prächtigen Hörsäle mit ihren hohen, gewölbten Decken und kunstvollen Mosaikfenstern wurden zu Elorans zweitem Zuhause. In den weitläufigen Bibliotheken mit ihren nach altem Pergament duftenden Büchern und den gut ausgestatteten Laboratorien mit ihren glitzernden Gerätschaften konnte er seine Neugier in alle Richtungen ausleben.
Die Gebäude umschlossen einen großen Innenhof, in dessen Zentrum ein kristallklarer Teich lag, dessen Oberfläche im Frühjahr von rosafarbenen Blütenblättern der Sternkirschbäume bedeckt war. In diesem Garten, zwischen sorgfältig gepflegten Beeten und geschwungenen Steingängen, fanden die Studenten Ruhe zum Meditieren oder lebhafte Diskussionen in kleinen Gruppen.
Eloran sog jedes Wissen in sich auf – ob es um geometrische Konstruktionen ging, die Struktur von Mineralien oder den Aufbau von magischen Formeln. Von Anfang an zeigte er eine besondere Begabung für bestimmte Fächer. In Mathematik und Geometrie beeindruckte er seine Lehrer mit seiner Fähigkeit, komplexe Muster zu erkennen und abstrakte Konzepte zu visualisieren – eine Gabe, die ihm auch in der Alchemie zugutekam.
In der Naturkunde vertiefte er sein bereits beträchtliches Wissen über Mineralien und deren Eigenschaften. Mit flinken Fingern zermahlte er Proben, beobachtete chemische Reaktionen und zeichnete detaillierte Skizzen von Kristallstrukturen, die selbst seinen erfahrenen Dozenten auffielen.
Besonders fasziniert war er von den Vorlesungen zur Alchemie, wo er sein praktisches Wissen mit theoretischen Grundlagen vertiefen konnte. Hier lernte er die historischen Kontexte der alchemistischen Traditionen kennen und wie sich verschiedene Schulen und Denkrichtungen im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hatten.
Die Lektionen in Astronomie erinnerten ihn an die Nächte, in denen sein Vater ihm die Sternbilder erklärt hatte. Oft blickte er durch das große Teleskop im höchsten Turm der Akademie und spürte einen Hauch jener kindlichen Ehrfurcht, die ihn erfüllt hatte, als er zum ersten Mal die Weiten des Universums begriff.
Die Kurse in Geologie halfen ihm, die Eigenschaften verschiedener Mineralien für seine alchemistischen Experimente besser zu verstehen. Mit jedem neuen Wissen, das er erwarb, schienen sich tausend neue Fragen zu öffnen – ein endloser Kreislauf der Neugier, der ihn antrieb.

Weise Mentoren

Unter den Lehrmeistern der Akademie fand Eloran in Meisterin Elyndra seine erste wahre Mentorin. Die alte Seelelfe mit den violetten Augen und dem silbernen Haar, das sie in einem kunstvollen Knoten trug, lehrte spirituelle Philosophie. Ihre Hände, von feinen Altersflecken gezeichnet, bewegten sich beim Sprechen wie die Flügel eines Vogels, betonten jedes Wort mit Anmut und Präzision.
Bei ihr lernte er nicht nur über Religionen und Rituale – sie lehrte ihn, die Fragen selbst zu lieben. In ihrem kleinen, mit Büchern vollgestopften Büro, das nach Kräutertee und altem Pergament duftete, führten sie lange Gespräche über die Natur der Realität, die Verbindung zwischen Geist und Materie, das Wesen der Zeit.
„Es ist nicht die Antwort, die dich formen wird,“ sagte sie ihm einmal, während sie eine winzige Teetasse zwischen ihren faltigen Händen drehte. Ihr Blick war klar und durchdringend wie der einer viel jüngeren Person. „Sondern der Mut, nicht aufzuhören zu fragen.“
„Die meisten Studenten deines Alters suchen einfache Antworten,“ bemerkte Elyndra ein anderes Mal, nachdem Eloran eine besonders tiefgründige Frage zur Natur der Realität gestellt hatte. „Aber du, Eloran, scheinst die Komplexität der Fragen selbst zu schätzen. Das ist eine seltene Gabe.“
Professor Thyrian, ein belesener Gelehrter der Astronomie mit silbergrauem Haar und einer Vorliebe für samtige Roben in Nachtblau, wurde zu seiner zweiten wichtigen Bezugsperson an der Akademie. Seine tiefe, resonante Stimme hallte durch das Observatorium, wenn er von den Sternen sprach, und seine Augen leuchteten mit dem gleichen Feuer, das Eloran in seinem eigenen Herzen spürte.
Der Professor nahm den jungen Eloran unter seine Fittiche und teilte mit ihm seine Begeisterung für die Himmelskörper und deren mystische Verbindungen zur Alchemie. Oft arbeiteten sie bis tief in die Nacht, beobachteten die Bewegungen der Planeten oder diskutierten über die kosmischen Einflüsse auf alchemistische Prozesse.
„Die Sterne, junger Eloran,“ erklärte Professor Thyrian oft, während sie gemeinsam durch das imposante Teleskop der Akademie blickten, „sind nicht nur Lichter am Himmel. Sie sind Schlüssel zum Verständnis der elementaren Kräfte, die alles Leben durchweben – auch deine Alchemie.“
Und dann war da Professor Farendir – hochgewachsen, hager, mit strengem Blick und akkurat zurückgebundenem aschgrauem Haar. Seine Bewegungen waren präzise wie die eines Uhrwerks, seine Worte ebenso scharf geschliffen wie die Messer, mit denen er seine Ingredienzien für alchemistische Demonstrationen zerteilte. Als Leiter des Grundseminars für Transformative Alchemie stand er für Tradition, Präzision und die unbedingte Einhaltung bewährter Methoden.
Mit rhythmischem Tippen seines Silberstifts auf Holz mahnte er zur Ordnung, ein charakteristisches Geräusch, das jeden Studenten sofort verstummen ließ. „Grundlagen,“ war sein Lieblingswort, die erste Silbe stets besonders betont, „sind nicht verhandelbar.“

II. Herausforderungen und Konflikte

Der erste Konflikt – Die Stunde bei Professor Farendir

Es war während seiner dritten Woche an der Akademie, als Eloran zum ersten Mal den Widerstand gegen seine eigenwilligen Ideen zu spüren bekam. An diesem besonderen Tag demonstrierte Professor Farendir die klassische Zweifachbindung zwischen Mineralien und Flüssigkeiten, ein grundlegendes Prinzip der transformativen Alchemie.
Das Labor war erfüllt vom Duft ätherischer Öle und dem leisen Zischen der Brenner. Studenten standen in ehrfürchtiger Stille um den zentralen Demonstrationstisch, auf dem Professor Farendir seinen Versuchsaufbau präpariert hatte. Sonnenlicht fiel durch hohe Fenster und ließ die Glaskolben und Silberinstrumente funkeln.
„Beachtet die präzise Reihenfolge der Zugabe,“ erklärte Farendir, während seine schlanken Finger eine silbrige Substanz abwogen. Seine Stimme klang scharf wie geschliffenes Glas. Das rhythmische Tippen seines Silberstifts auf dem Holztisch unterstrich jedes Wort. „Erst das Salz, dann die Essenz, niemals umgekehrt. Dies ist ein Grundprinzip, das seit Jahrhunderten bewährt ist.“
Die Studenten beobachteten ehrfürchtig, wie sich die Flüssigkeit im Glaskolben von klar zu einem tiefen Blau verfärbte – genau wie von der Theorie vorhergesagt. Zufriedene Nicken gingen durch den Raum, und Farendir blickte stolz über seine Brille hinweg, während er die nächsten Schritte des Prozesses erläuterte.
Eloran jedoch hatte seine Hand bereits gehoben, ein nachdenklicher Ausdruck auf seinem Gesicht. Der Mondstein an seinem Hals schimmerte leicht, als reflektiere er seine aufkeimenden Gedanken.
„Ja, Eloran?“ Farendirs Stimme enthielt bereits einen Hauch von Ungeduld, als hätte er Widerspruch erwartet. Sein Silberstift hielt mitten im Takt inne.
„Professor,“ begann Eloran, seine Stimme ruhig, aber bestimmt, „wenn die Katalyse tatsächlich auf dem Prinzip der Resonanz basiert, wie in den Schriften von Meisterin Elythia beschrieben, dann müsste es doch möglich sein, die Reihenfolge umzukehren, wenn man die Temperatur präzise anpasst.“
Ein unheilvolles Schweigen legte sich über den Raum. Die anderen Studenten wechselten nervöse Blicke, einige rückten sogar unmerklich von Eloran ab, als fürchteten sie, mit seiner Ketzerei in Verbindung gebracht zu werden. Farendirs Gesicht verhärtete sich merklich, eine steile Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen.
„Meisterin Elythias Theorien,“ entgegnete er kühl, jede Silbe wie ein Eiszapfen, „sind spekulativ und für Fortgeschrittene bestenfalls interessant, für Anfänger jedoch verwirrend.“ Das Tippen seines Stiftes wurde schneller, schärfer. „Wir folgen hier den bewährten Methoden. Die Reihenfolge ist nicht verhandelbar.“
Aber Eloran, in dessen Augen ein Funkeln lag, das Nyxis’ unsichtbare Präsenz verriet, ließ nicht locker. Die Schneeeule in seinem Geist drängte ihn, seine Gedanken weiterzuverfolgen, ihren gemeinsamen Pfad der Erkenntnis nicht aufzugeben.
„Aber wenn die Grundprinzipien stimmen, dann—“
„Genug!“ Farendirs Stimme schnitt durch den Raum wie ein Messer. Der Silberstift landete mit einem scharfen Klacken auf dem Tisch. „Diese Diskussion ist beendet. Wer die Grundlagen nicht respektiert, wird niemals die Höhen der wahren Alchemie erklimmen.“
Nach dem Unterricht zog Farendir Eloran beiseite. Das Sonnenlicht hatte sich verändert, warf nun längere Schatten durch die hohen Fenster. Die anderen Studenten waren bereits verschwunden, hastig und mit gesenkten Blicken, als fürchteten sie, Zeugen einer Exekution zu werden.
„Deine Neugier ist bemerkenswert,“ sagte Farendir, nun etwas milder, eine Hand an seinem perfekt gebundenen Kragen zurechtrückend. „Aber gefährlich, wenn sie nicht von Respekt vor der Tradition begleitet wird. Die Wege unserer Vorfahren sind nicht ohne Grund etabliert.“
Eloran verließ das Labor mit gemischten Gefühlen – Frustration über die starre Haltung seines Professors, aber auch mit einer stillen Entschlossenheit, die wie ein kleines Feuer in seiner Brust brannte. Ich werde es beweisen, dachte er, während Nyxis in seinem Geist eine beruhigende Präsenz ausstrahlte. Eines Tages werde ich zeigen, dass es andere Wege gibt.
Dieser kleine, frühe Konflikt sollte nur der erste von vielen sein – der Beginn einer Spannung zwischen Innovation und Tradition, die seine akademische Laufbahn prägen würde. Wie ein Riss im Marmor, fein, kaum sichtbar, aber mit der Zeit wachsend.

Die Herausforderung der Alchemie

Mit jedem Semester an der Akademie wurde die Kluft zwischen Elorans Herangehensweise und der traditionellen Lehre deutlicher. Die Alchemie blieb seine stärkste Disziplin, aber auch der Bereich, in dem er am häufigsten aneckte. Die Labore der Akademie eröffneten ihm zwar Möglichkeiten, die er sich nie hätte träumen lassen, doch unter der strengen Leitung von Professor Farendir wurden präzise Abläufe erwartet, die seiner Natur zuwiderliefen.
Im dritten Semester, während einer fortgeschrittenen Übung zur Metallumwandlung, reichte Eloran eine Arbeit ein, die weit über die gestellte Aufgabe hinausging. Statt nur die vorgeschriebene zweistufige Transmutation durchzuführen, hatte er einen vollständigen Kreisprozess entwickelt, der das Material zu seinem Ursprung zurückführte – eleganter und effizienter als die traditionelle Methode.
„Beeindruckend,“ gab Professor Farendir widerwillig zu, während er Elorans Notizen durchblätterte. Das regelmäßige Tippen seines Silberstifts verriet seine Unruhe. „Aber gefährlich in seiner Abweichung. Es ist nicht eure Aufgabe, die Grundprinzipien neu zu schreiben, Eloran. Zuerst das Fundament, dann das Gebäude.“
„Aber ist nicht jedes neue Gebäude ein Fortschritt gegenüber dem alten?“ fragte Eloran leise. „Die Alchemisten vor uns haben auch experimentiert, sonst hätten wir heute keine ‚bewährten Methoden‘.“
Farendir seufzte, legte den Silberstift für einen seltenen Moment beiseite. „Ihr verkennt den Unterschied zwischen Evolution und Revolution, junger Mann. Die wahre Kunst liegt in der behutsamen Verfeinerung, nicht im Umsturz.“
Diese Gespräche wiederholten sich in Variationen über die Jahre. Manchmal entwarf Eloran eigene Experimente, oft in den stillen Stunden der Nacht, wenn das Labor nur von Kerzenlicht erhellt wurde. Andere Male stellte er Fragen, die das Curriculum sprengten, und erntete dafür sowohl Bewunderung als auch Misstrauen – ersteres von Studenten und fortschrittlichen Lehrern wie Professor Thyrian, letzteres von den Hütern der Tradition.
Trotz solcher Reibungen fühlte Eloran sich zunehmend heimisch an der Akademie. Mit einigen gleichgesinnten Kommilitonen formte er eine Studiengruppe, die sie „Die Fragenden“ nannten – eine lockere, doch tiefsinnige Gemeinschaft von Seelelfen, die sich weigerten, Antworten als endgültig zu akzeptieren.
Sie trafen sich oft im Gartenpavillon der Akademie, wo die Luft vom Duft seltener Blumen durchdrungen war, und diskutierten bis tief in die Nacht. Ihre Debatten reichten von der Natur des Lichts bis zur Frage, ob die Seelen der Verstorbenen in den Sternen fortleben. Eloran blühte in diesen Gesprächen auf, sein Geist entfaltete sich wie eine seltene Blume unter der Sonne der freien Gedanken.

Das Durchbruchsexperiment mit Nyxis

Der Winter hatte Lohandriel fest im Griff. Kristalline Frostmuster schmückten die Laboratoriumsfenster, durch die das fahle Licht eines silbernen Mondes fiel. Die Akademie lag längst in Stille gehüllt – nur in einem Labor im Ostflügel flackerte noch ein einsames Licht.
Eloran blickte auf den kleinen Messingschlüssel in seiner Hand. Ein Vertrauensbeweis von Professor Thyrian, ungewöhnlich für einen Studenten im zweiten Jahr. „Für die wahre Erkenntnis gibt es keine Stunden,“ hatte der alte Sterndeuter gesagt, ein feines Lächeln in den Fältchen um seine Augen. „Manchmal,“ hatte er hinzugefügt, leiser, beinahe verschwörerisch, „flüstert die Wahrheit nur in der Stille der Nacht.“
Draußen heulte der Wind, ein einsames Echo zu den Gedanken, die in Elorans Kopf wirbelten. Sein Atem bildete kleine Wolken im kühlen Raum, während er auf das Experiment hinarbeitete, das sein Herz seit Monaten beschäftigte.
„Professor Farendir würde es missbilligen,“ murmelte er zu sich selbst, während seine Finger feine Linien aus Silberpulver auf dem Arbeitstisch zogen. „Eine Untermischung der Disziplinen.“
Der Mondstein an seinem Hals pulsierte sanft, als spüre er Elorans wachsende Aufregung. Behutsam ordnete er sieben Kristalle in einem perfekten Kreis an. Jeder war sorgfältig ausgewählt – nicht nur für seine alchemistischen Eigenschaften, sondern auch für seine Resonanz mit der besonderen Energie von Nyxis.
Eine Brücke, dachte er. Eine Brücke zwischen den Welten der Alchemie und der Seeltierbindung. Genau wie seine Abschlussarbeit einst heißen würde. Genau wie die unausgesprochene Verbindung, die ihn mit Elyria verband – zwei Seelen, die sich umkreisten wie Himmelskörper, angezogen von einer Kraft, die er noch nicht ganz begreifen konnte.
Er spürte, wie Nyxis’ Bewusstsein dem seinen näherkam, wie die Schneeeule aus ihrem Schlummer erwachte, angezogen von seinem Fokus.
„Bist du bereit, meine Freundin?“ flüsterte er in die Stille des Labors, und die Antwort kam nicht in Worten, sondern als warme Woge der Zustimmung, die seinen Geist umspülte.
Immer, Seelengefährte.
Als Eloran den ersten Tropfen der silbrig schimmernden Flüssigkeit auf den zentralen Kristall fallen ließ, schien der Mondstein an seinem Hals heller zu leuchten. Und ganz leise, fast an der Grenze seiner Wahrnehmung, glaubte er für einen kurzen Moment den fernen Duft von Salz und Wasser zu spüren – eine flüchtige Vorahnung, schnell vergessen im Rausch des Experiments.
Eine besondere Form der Alchemie begann: Während die Flüssigkeit mit dem Kristall reagierte, sandte Nyxis feine Impulse ihrer eigenen Energie in die Reaktion. Eloran diente als Kanal, spürte, wie die Kraft durch ihn hindurchfloss, von seinem Geist in die materielle Welt, ein lebendiger Stromkreis aus Gedanke, Geist und Materie.
Was dann geschah, überraschte selbst ihn: Die Kristalle begannen zu vibrieren, ein melodischer Ton erfüllte den Raum, fein und klar wie das Läuten einer kleinen Silberglocke. Feine, eisig-blaue Lichtfäden verbanden die Steine miteinander, formten ein komplexes, dreidimensionales Muster, das im Dunkel des Labors schwebte wie ein gefrorener Sternennebel.
Mit angehaltenem Atem betrachtete Eloran das Phänomen. Es war, als blicke er auf eine physische Manifestation der Verbindung zwischen ihm und Nyxis – eine sichtbar gemachte Brücke zwischen zwei Welten, die bisher nur in seinem Geist existiert hatte.
Stunden vergingen, während er jedes Detail akribisch dokumentierte, die Lichtmuster zeichnete, die Schwingungs-Frequenzen notierte, die energetischen Übertragungen verzeichnete. Dies war mehr als ein Experiment – es war ein Beweis für seine Theorie, dass die Alchemie und die Seeltierbindung auf denselben fundamentalen Prinzipien beruhten, unterschiedliche Ausdrucksformen einer einzigen, universellen Wahrheit.
Als der Morgen graute und die ersten Sonnenstrahlen durch die Frostblumen an den Fenstern fielen, löschte Eloran die letzten Kerzen und verschloss sorgfältig seine Notizen. Ein Gefühl tiefer Befriedigung durchströmte ihn – er hatte einen Schritt in unbekanntes Terrain gewagt und etwas Wunderbares entdeckt.
Als er am nächsten Tag seine Ergebnisse Professor Thyrian zeigte, leuchteten die Augen des alten Gelehrten auf. „Das, mein junger Freund,“ sagte er, während er durch die Seiten blätterte, die Finger ehrfürchtig über die detaillierten Zeichnungen der Lichtmuster gleitend, „könnte eines Tages die Grenzen zwischen unseren Disziplinen neu definieren.“
„Oder sie verwischen,“ erwiderte Eloran nachdenklich, den Blick auf die tanzenden Staubpartikel im Sonnenlicht gerichtet, die ihn an die schwebenden Lichtfäden seines Experiments erinnerten.
Professor Farendir hingegen reagierte wie erwartet mit Skepsis. „Interessant, aber ohne praktischen Nutzen,“ war sein knappes Urteil, als er die Aufzeichnungen durchsah, sein Silberstift in schnellem, nervösem Takt auf dem Tisch trommelnd. „Und viel zu gefährlich, um es ohne Aufsicht durchzuführen. Ich rate dir, dich wieder auf die grundlegenden Praktiken zu konzentrieren.“
Diese gegensätzlichen Reaktionen kristallisierten die wachsende Spaltung in der akademischen Gemeinschaft – zwischen jenen, die wie Thyrian offen für neue Verbindungen waren, und jenen, die wie Farendir die Reinheit der traditionellen Disziplinen bewahren wollten. Eloran stand im Zentrum dieses Konflikts, ein junger Seelelf, dessen Geist Brücken baute, wo andere Grenzen zogen.

III. Elyria und Eloran

Mit Elyria an der Akademie

Elyria, seine beste Freundin seit Kindertagen, war ebenfalls an der Lohandriel eingeschrieben, allerdings nicht im Vollzeitstudium. Sie belegte ausgewählte Kurse in Heilkunde, Botanik und – zu seiner besonderen Freude – auch Alchemie. Ihr platinblondes Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern, fing das Licht ein und umrahmte ihr Gesicht wie einen Heiligenschein, wenn sie sich über ein Experiment beugte oder konzentriert einer Vorlesung lauschte.
Obwohl sie beide weiterhin in ihren Elternhäusern in Averlyn wohnten, schuf ihre gemeinsame Zeit an der Akademie eine besondere Verbindung zwischen ihnen – eine Insel intellektueller Freiheit und Entdeckung inmitten ihrer vertrauten Heimatstadt.
Nach dem Unterricht trafen sie sich oft auf der kleinen Terrasse des Ostflügels. Die untergehende Sonne warf dann ein goldenes Licht durch die Kristallfenster und tauchte alles in warme Farben. Zwischen duftenden Kräutern und blühenden Blumen saßen sie stundenlang zusammen. Mal waren ihre Köpfe über Bücher gebeugt, mal führten sie Gespräche, die leicht zwischen wissenschaftlichen Theorien und persönlichen Erinnerungen hin und her flossen.
„Erinnerst du dich noch an jenen Abend am See?“, fragte Elyria an einem milden Frühlingstag, während sie gedankenverloren eine Seite in ihrem Buch über Heilpflanzen umblätterte. Das Licht fiel durch die frischen grünen Blätter der Rankpflanzen, die den Pavillon umgaben, und malte tanzende Muster auf das aufgeschlagene Buch. „Als wir die Sterne beobachteten und du mir die Geschichte der Konstellation von deinem Vater erzähltest?“
Eloran lächelte bei der Erinnerung, spürte die Wärme jenes längst vergangenen Sommerabends. „Natürlich. Du hast dann diese wundervolle Zeichnung gemacht – die Sterne, verbunden durch silberne Linien, die aussahen wie Wurzeln eines unsichtbaren Baumes.“
„Ich habe sie noch immer“, gestand sie leise, ihr Blick traf seinen, smaragdgrüne Augen, in denen sich das Frühlingslicht spiegelte. „In meinem Tagebuch aus jener Zeit.“
Eine sanfte Brise wehte durch den Pavillon, brachte den Duft von Jasmin und frisch geschnittenem Gras mit sich. Für einen Moment schienen alle Sorgen der Akademie, alle Konflikte mit Professor Farendir in weite Ferne zu rücken.
Diese ruhigen Stunden, in denen sie Vergangenheit und Gegenwart miteinander teilten, gaben Eloran mehr Halt, als er zugeben wollte. Trotz der vertrauten Umgebung konnte der Alltag an der Akademie mit all dem Wissen und den hohen Erwartungen manchmal überwältigend sein – besonders für ihn, der nie aufhörte zu fragen und immer tiefer graben wollte.
Elyria schien dies zu spüren, ohne dass er es aussprechen musste. Sie hatte eine Art, im richtigen Moment aufzutauchen, mit einer neuen botanischen Entdeckung oder einer Frage zu seinen alchemistischen Theorien, die seinen Geist wieder auf festen Boden zurückbrachte, wenn er sich in abstrakten Gedankengängen zu verlieren drohte.

Eine tiefere Verbindung

Trotz ihrer unterschiedlichen Ausbildungswege blieb ihre Freundschaft stark, und sie fanden stets Zeit füreinander. Elyria hatte sich unter der Anleitung ihrer Mutter zu einer talentierten Kräuterkundigen entwickelt und arbeitete immer mehr in deren Heilpraxis mit, mit einem besonderen Gespür für die heilenden Eigenschaften von Pflanzen. Ihre Hände kannten die Sprache der Blätter und Wurzeln, ihre flinken Finger entzauberten die Geheimnisse der natürlichen Welt mit einer Leichtigkeit, die Eloran oft bewunderte.
Ihre natürliche Begabung für Heilpflanzen, ihr wacher Geist und ihre kritische Sichtweise bereicherten jede ihrer Diskussionen. Wo sein Denken manchmal zu theoretisch wurde, brachte sie ihn zurück zum Praktischen, zur lebendigen Anwendung des Wissens. Und wo ihre Herangehensweise manchmal zu intuitiv war, half er ihr, methodischer zu denken, Muster zu erkennen und Prinzipien zu formulieren.
An Tagen, an denen sie gemeinsame Kurse besuchten, beobachtete Eloran manchmal aus dem Augenwinkel, wie konzentriert sie den Ausführungen der Dozenten folgte. Ihre smaragdgrünen Augen funkelten vor Neugier und Intelligenz, ihre Lippen bewegten sich manchmal lautlos, als wiederhole sie wichtige Konzepte für sich selbst. In solchen Momenten spürte er eine seltsame Wärme in seiner Brust, ein Gefühl, das er noch nicht ganz einordnen konnte oder wollte.
Gemeinsam entwickelten sie innovative Methoden, Pflanzenessenzen alchemistisch aufzubereiten – eine Symbiose aus Intuition und Theorie. Bei diesen Projekten ergänzten sie sich perfekt: Eloran brachte seinen methodischen Ansatz, seine Präzision und sein theoretisches Wissen ein. Elyria steuerte ihren intuitiven Zugang zu Pflanzen, ihre geschickten Hände und ihr Gespür für die feinen Energien der Natur bei. Wo er Formeln sah, spürte sie das Leben.
„Du siehst die Zahlen und Formeln hinter allem, ich spüre die Lebenskraft in den Pflanzen“, erklärte sie einmal an einem späten Nachmittag, als sie gemeinsam im Experimentalgarten der Akademie arbeiteten. Sonnenstrahlen fielen durch das Blätterdach und malten goldene Flecken auf den Boden zwischen den Kräuterbeeten. „Zusammen sehen wir die ganze Wahrheit.“
Eloran nickte, während er vorsichtig Tropfen einer blassgrünen Flüssigkeit in einen Mörser gab, in dem Elyria zuvor Blätter einer seltenen Heilpflanze zerrieben hatte. „Wie zwei Hälften eines Ganzen,“ murmelte er, mehr zu sich selbst als zu ihr.
Ihre Hände streiften sich, als sie gemeinsam den Mörser hielten, und für einen Moment hielt er den Atem an, überwältigt von einer plötzlichen Welle der Zuneigung, die ihn durchströmte. Nyxis, die unsichtbar auf einem Regalbrett über ihnen ruhte, sandte ihm ein warmes Gefühl der Bestätigung.

Gemeinsame Erfolge

Aus ihrer Zusammenarbeit entstanden mehrere vielversprechende Projekte. Sie kombinierten die Heilkräfte bestimmter Pflanzen mit alchemistischen Verfahren und verstärkten so deren Wirkung. Ihr Arbeitsstil entwickelte sich zu einem wortlosen Tanz – sie reichten einander Instrumente und Zutaten, ergänzten gegenseitig ihre Notizen, fingen Gedanken auf, bevor der andere sie ausgesprochen hatte.
Ihr größter Stolz war ein Elixier aus dem zweiten Studienjahr – eine Tinktur, die sie gemeinsam an langen Winterabenden entwickelt hatten, wenn der Schnee leise gegen die Laborfenster rieselte und das Feuer im kleinen Ofen knisterte. Durch Elorans alchemistische Methode konnten sie die Wirkung der von Elyria ausgewählten und zubereiteten Kräuter so verstärken, dass das Mittel selbst tiefe seelische Erschöpfung leicht linderte.
Die ersten Versuche waren fehlgeschlagen, hatten Flaschen zerbersten lassen und die Luft mit beißendem Rauch gefüllt. Doch mit jedem Fehlschlag lernten sie, passten ihre Methoden an, verfeinerten ihre Berechnungen und das Timing der Zugaben.
Als sie schließlich erfolgreich waren, als die Flüssigkeit in der Phiole mit einem sanften blauen Licht zu leuchten begann, hatten sie sich spontan umarmt, lachend und erschöpft von der tagelangen Arbeit. Eloran erinnerte sich noch immer an den Duft ihres Haares in jenem Moment, nach Kräutern und Mondlicht.
Einer der Dozenten, ein älterer Seelelf mit weisem Blick und einem silbernen Bart, der bis zur Brust reichte, beobachtete ihre Zusammenarbeit einmal aus der Ferne und bemerkte später zu einem Kollegen: „Diese beiden – sie sind wie die beiden Hände eines Musikers. Jede könnte allein spielen, aber zusammen erschaffen sie Harmonien, die allein unmöglich wären.“
Es waren nicht nur die akademischen Erfolge, die ihre Verbindung stärkten. In den Pausen zwischen den Vorlesungen saßen sie oft am Ufer des kleinen Teichs im Innenhof der Akademie, wo smaragdgrünes Moos die Steine überzog und kleine, goldene Fische durch das klare Wasser schnellten. Hier teilten sie ihre Sorgen, Träume und Gedanken, in einem Raum vollkommenen Vertrauens.
Eloran erzählte von seinen manchmal verwirrenden Visionen und Ideen, die wie Blitze in seinem Geist auftauchten und ihn mit einer Intensität überwältigten, die er kaum in Worte fassen konnte. Elyria hörte zu, nicht nur mit ihren Ohren, sondern mit ihrem ganzen Wesen, und half ihm, seine Gedanken zu ordnen, das Chaos zu einer Melodie zu formen.
„Es ist, als würde ich manchmal zu viel auf einmal sehen,“ gestand er ihr eines Nachts, als sie spät von der Bibliothek zurückkehrten, der Weg nur vom Mondlicht und den Laternen der Nachtwächter erhellt. „Alle Verbindungen, alle Möglichkeiten – wie ein Netz aus Lichtfäden, das sich über die Welt spannt. Es ist wunderschön, aber manchmal…“
„Manchmal überwältigt es dich,“ vollendete sie seinen Satz, ihre Hand fand die seine in der Dunkelheit.
„Ja,“ sagte er leise. „Genau das.“

Unausgesprochene Gefühle

An einem besonders kalten Winterabend, als sie im Lichterglanz des Laboratoriums eine ihrer gemeinsamen alchemistischen Studien durchführten, berührten sich ihre Hände zufällig über einem Glaskolben. Eine elektrisierende Wärme durchströmte ihn, ließ seinen Herzschlag stolpern. Ihre Augen trafen die seinen, und in diesem stillen Austausch lag ein unausgesprochenes Verständnis, eine wortlose Anerkennung, dass ihre Verbindung wuchs und sich in etwas Tieferes, Komplexeres verwandelte.
Mit der Zeit vertiefte sich ihre Beziehung. Was einst eine Kindheitsfreundschaft gewesen war, entwickelte sich langsam, aber spürbar zu etwas Größerem – einer Verbindung, die über die gemeinsame Forschung hinausging, die in jene verborgenen Räume des Herzens vordrang, wo Worte oft zu grob sind, um die feinen Schattierungen der Empfindung zu beschreiben.
Ihre Zusammenarbeit wurde intensiver, ihre Gespräche vertraulicher. Eloran ertappte sich immer häufiger dabei, wie sehr er sich auf die Abende freute, die sie gemeinsam im Labor oder im Garten verbrachten – nicht nur wegen der Arbeit, sondern wegen Elyria selbst. Ihr Lachen, ihre Art, über Dinge nachzudenken, selbst die Art, wie sie schweigen konnte, hatten sich in sein Herz geschlichen, leise und unaufhaltsam wie Wasser, das durch Stein sickert.
Oft saßen sie einfach nur schweigend nebeneinander, während der Abendwind durch die hohen Gräser strich und die Sterne langsam am Himmel erschienen. In diesen stillen Momenten spürte Eloran eine Verbindung zu Elyria, die er kaum beschreiben konnte. Es war, als schwängen ihre Seelen in einer gemeinsamen Frequenz, als wären ihre Gedanken und Gefühle Teil eines größeren Ganzen.
Ihre Nähe brachte sein Herz zum Stolpern und schenkte ihm gleichzeitig tiefen Frieden. Manchmal, wenn das Mondlicht ihre Silhouette umrahmte oder eine verirrte Strähne ihres Haares im Sonnenlicht glänzte, wollte er einfach ihre Hand nehmen oder ihr sagen, wie wichtig sie für ihn war. Doch die Worte blieben ungesagt, gefangen in seiner Kehle. Vielleicht aus Furcht, ihre besondere Freundschaft zu gefährden – oder weil er glaubte, dass später noch genug Zeit dafür sein würde.
Und so blieben sie in dieser seltsamen Schwebe – mehr als Freunde, weniger als Liebende, verbunden durch unsichtbare Fäden aus gemeinsamen Erinnerungen, geteiltem Wissen und einer Zuneigung, die täglich wuchs, unausgesprochen, aber allgegenwärtig wie die Luft, die sie atmeten.
An einem lauen Frühlingstag, als sie gemeinsam auf einer Bank unter einem blühenden Sternkirschbaum saßen, dessen zarte Blüten wie Schneeflocken um sie herum tanzten, legte Elyria ihren Kopf einen Moment auf seine Schulter. Der Duft ihres Haares umhüllte ihn, süß wie Honig und frisch wie Morgentau.
„Weißt du“, sagte sie leise, ihre Stimme kaum mehr als ein Flüstern, „manchmal denke ich, dass wir uns schon immer gekannt haben. Als wären unsere Seelen alte Freunde, die sich nach langer Trennung wiedergefunden haben.“
Eloran antwortete nicht, aber seine Hand fand ihre, und ihre Finger verschränkten sich sanft miteinander, wie die Wurzeln zweier nebeneinander wachsender Bäume, die mit der Zeit untrennbar werden. In diesem Moment schien die Zeit stillzustehen, und alles – die Akademie, die Studien, die Zukunft – trat in den Hintergrund. Was blieb, war nur diese unausgesprochene Gewissheit: Was auch immer kommen mochte, sie würden es gemeinsam durchstehen.
Nyxis, die unsichtbar über ihnen in den Zweigen des Baumes ruhte, sandte ihm ein Bild: zwei Sterne, die umeinander kreisten, verbunden durch unsichtbare Kräfte, ihre Bahnen für immer miteinander verflochten. Und zum ersten Mal seit jener Nacht im Labor glaubte er wieder flüchtig, ganz an der Grenze seiner Wahrnehmung, den fernen Duft von Salz und Wasser zu spüren. Eine Vorahnung, die kam und ging wie eine Welle am Strand.

IV. Abschluss und Ausblick

Die Abschlussarbeit

Die Jahre an der Lohandriel vergingen wie im Flug. Unter der Anleitung von Professor Ilyara, einer respektierten Gelehrten im Bereich der Seeltierbindung, verfeinerte Eloran sein Verständnis der energetischen Aspekte dieser Verbindung und lernte, wie er dieses Wissen in seine alchemistischen Arbeiten integrieren konnte. Während seiner Studienzeit nutzte er seine Verbindung mit Nyxis, um seine akademischen und alchemistischen Studien zu vertiefen. Die Schneeeule, mit ihren hellblauen Augen und der Gabe, energetische Muster zu erkennen, hatte Fähigkeiten, die seine eigenen Forschungen bereicherten und ihm neue Perspektiven eröffneten.
Zu seinem Abschluss an der Lohandriel im Alter von einundzwanzig Jahren präsentierte Eloran eine bemerkenswerte These mit dem Titel „Die Brücke zwischen Materie und Seele: Theoretische Grundlagen einer integrativen Alchemie“. In dieser Arbeit verband er Erkenntnisse aus verschiedenen Disziplinen und legte den Grundstein für sein lebenslanges Forschungsgebiet – die Verbindung zwischen alchemistischen Prozessen und den feinstofflichen Energien der Seeltierbindung.
Wochenlang hatte er an dieser Arbeit gefeilt, unterstützt von Elyria, die seine ersten Entwürfe gelesen, seine Gedanken herausgefordert und ihm geholfen hatte, die komplexen Konzepte in eine klarere Form zu bringen. Oft saßen sie bis tief in die Nacht in seinem kleinen Studierzimmer, umgeben von Büchern und Notizen, während der Wind an den Fensterläden rüttelte und Nyxis auf ihrem Lieblingsplatz am Fensterbrett döste.
„Es geht nicht nur um die Verbindung von Alchemie und Seeltierbindung,“ erklärte Eloran ihr einmal, während er frustiert durch seine Notizen blätterte, „es geht um ein ganz neues Verständnis davon, wie Energie und Materie, Geist und Körper miteinander interagieren.“
Elyria hatte nachdenklich genickt, während sie einen Absatz in seinem Manuskript umformulierte. „Du versuchst, eine Brücke zu bauen, wo andere nur getrennte Inseln sehen.“
„Genau,“ hatte er geantwortet, dankbar für ihr tiefes Verständnis. „Genau das.“
Die Präsentation seiner Abschlussarbeit fand im großen Auditorium der Lohandriel statt, vor einem Publikum aus Professoren, Mitstudenten und speziell eingeladenen Gästen, darunter Elyria und ihre Mutter, sowie natürlich Lyrianna und Taelon. Der kreisrunde Saal mit seiner imposanten Kuppel und den prächtigen Wandgemälden, die die Geschichte der Akademie darstellten, war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Eloran stand auf dem erhöhten Podium, Nyxis unsichtbar aber präsent an seiner Seite, und legte seine Theorie mit Klarheit und Überzeugung dar. Sonnenlicht fiel durch die hohen Fenster, ließ den weißen Marmor des Podiums leuchten und seine silbernen Gewänder glitzern – die traditionelle Kleidung für Abschlusspräsentationen.
„Die alchemistische Tradition,“ begann er, seine Stimme fest trotz des leichten Zitterns in seinen Händen, „lehrt uns, dass die Materie durch bestimmte Prozesse transformiert werden kann. Die Tradition der Seeltierbindung zeigt uns, dass Geister über Grenzen hinweg verbunden sein können. Was ich heute vorstellen möchte, ist eine Theorie, die diese beiden Traditionen nicht als separate Disziplinen betrachtet, sondern als zwei Ausdrucksformen eines einzigen, fundamentalen Prinzips.“
Als er das Podium betrat, suchten seine Augen instinktiv nach Elyria in der ersten Reihe. Ihr aufmunterndes Lächeln und der stolze Glanz in ihren Augen gaben ihm die Kraft, die er brauchte. Sie hatte ihn am Vorabend bis spät in die Nacht bei den letzten Vorbereitungen unterstützt, seine Notizen gelesen, seine Argumente kritisch hinterfragt und ihm geholfen, die komplexen Ideen in eine klare, verständliche Form zu bringen.
Während seiner Präsentation bezog er sich auf seine früheren Experimente, insbesondere jenes nächtliche Experiment mit Nyxis, das er inzwischen unter kontrollierteren Bedingungen wiederholt und verfeinert hatte. Er erläuterte, wie die energetischen Muster der Seeltierbindung mit den Transformationsmustern der Alchemie korrespondierten, wie beide auf ein gemeinsames Prinzip der Resonanz und Harmonie zurückgeführt werden könnten.
„In der Verbindung dieser Disziplinen,“ schloss er seine Präsentation, das Licht der Kristallfenster in seinem Rücken, „liegt ein Potenzial, das wir erst zu erahnen beginnen. Eine Alchemie, die nicht nur Materie transformiert, sondern auch den Geist berührt; eine Seeltierbindung, die nicht nur in der geistigen Ebene existiert, sondern auch materielle Manifestationen finden kann. Eine Brücke zwischen Welten, die wir zu lange als getrennt betrachtet haben.“

Geteilte Meinungen und tiefe Unterstützung

Doch statt einhelliger Zustimmung erntete er geteilte Reaktionen. Während eine Fraktion seiner Dozenten – allen voran Professorin Elyndra und Professor Thyrian – seine Arbeit als visionär lobte und großes Potenzial in seinem interdisziplinären Ansatz sah, reagierten andere, insbesondere Professor Farendir und einige konservative Stimmen des alchemistischen Kollegiums, mit deutlicher Ablehnung.
„Zu spekulativ,“ meinte Farendir während der anschließenden Fragerunde, seine Stimme kühl und abweisend, der Silberstift in seiner Hand bewegte sich in schnellem, nervösem Takt. „Zu wenig gesichert, zu sehr von persönlichen Empfindungen und Symbolik getrieben. Das mag eine schöne Theorie sein, aber keine solide Wissenschaft.“
„Die Trennung der Disziplinen hat ihren Grund,“ fügte ein älterer Professor hinzu, dessen Name Eloran entfallen war, „sie garantiert methodische Strenge und verhindert Verwässerung der Prinzipien.“
Professor Thyrian hingegen verteidigte Elorans Ansatz mit Leidenschaft. „Innovation,“ rief er, sein silbernes Haar leuchtete im Sonnenlicht, „entsteht genau dort, wo wir bereit sind, über Grenzen hinauszublicken! Der junge Eloran hat hier nicht nur Mut bewiesen, sondern auch methodische Sorgfalt und intellektuelle Redlichkeit.“
Es war der Höhepunkt eines wissenschaftlichen Zerwürfnisses, das sich über die Jahre entwickelt hatte – zwischen jenen, die wie Eloran nach neuen Wegen suchten, und jenen, die an traditionellen Lehrmeinungen festhielten. Die Debatte wurde hitzig, und Eloran fand sich im Zentrum eines akademischen Sturms wieder, der in den Hallen der Lohandriel noch lange nachhallen würde.
Nach seinem Vortrag, als die Menge sich langsam zerstreute und die aufgeregten Diskussionen in kleinere Gruppen übergingen, verließ Eloran mit gesenktem Kopf den Saal. Die Anspannung der letzten Stunden lag noch immer schwer auf seinen Schultern. Er wollte nur noch in die Stille seiner Studienräume zurückkehren, doch auf dem Weg dorthin hörte er, wie einige der traditionelleren Studenten tuschelten, als er an ihnen vorbeiging.
‚Da geht er, der selbsternannte Seelenalchemist,‘ flüsterte einer mit kaum verhohlener Ablehnung. ‚Er denkt, er kann die heiligen Rituale der Seelenbindung auf bloße chemische Prozesse reduzieren.‘
‚Professor Farendir sagt, solche Experimente bewegen sich auf gefährlichem Terrain,‘ antwortete ein anderer. ‚Die Seelenbindung ist eine spirituelle Erfahrung, keine Laborreaktion.‘
Eloran tat, als hätte er nichts gehört, doch der Begriff ‚Seelenalchemist‘ hallte in seinen Gedanken nach. Was sie abwertend meinten, erschien ihm plötzlich wie eine perfekte Beschreibung seiner Forschung - genau diese Brücke zwischen dem Spirituellen und dem Materiellen wollte er bauen.
Als er den Korridor verließ, fand er Elyria, die abseits im schattigen Bogengang des angrenzenden Gartens auf ihn wartete, ihr Gesicht ein Spiegel seines eigenen Gefühlssturms – Stolz, Freude, aber auch Verunsicherung angesichts der geteilten Reaktionen.
„Du warst brillant“, sagte sie fest, ihre Augen leuchtend vor Überzeugung, als sie zu ihm trat. „Lass dich nicht von ihren engstirnigen Ansichten beirren. Was du beschrieben hast – diese Brücke zwischen den Welten – es ist real. Ich habe es gesehen, wenn wir zusammen gearbeitet haben. Ich spüre es jedes Mal, wenn du mir von Nyxis erzählst.“
Sie trat näher, nahm seine Hände in ihre, und er spürte, wie sich die Anspannung in ihm zu lösen begann, wie Wärme durch seine Adern floss, wo zuvor nur Kälte und Zweifel gewesen waren. Ihre Finger waren warm und fest, gaben ihm Halt in einem Moment, in dem alles andere zu schwanken schien.
„Was sie nicht verstehen, Eloran,“ fuhr sie fort, ihre Stimme sanft, aber von unbezweifelbarer Überzeugung getragen, „ist, dass du nicht nur eine Theorie vorgestellt hast. Du hast einen Weg gezeigt, den wir gemeinsam gehen können.“
In diesem Moment, umgeben vom Duft der Nachtjasmine und dem fernen Echo akademischer Debatten, wurde ihm klar, dass sein Weg, so umstritten er auch sein mochte, nicht einsam sein würde. In Elyria hatte er nicht nur eine Mitforscherin und Freundin gefunden, sondern eine Seelenverwandte, mit der er eine Verbindung teilte, die ebenso tief und bedeutsam war wie jene mit seinem Seeltier.

Abschluss und Neuanfang

Bei der Abschlusszeremonie, die eine Woche später in der Großen Halle der Akademie stattfand, überreichte Meisterin Elyndra ihm eine seltene, handgebundene Kopie von „Etherea Substantia“ – einem alten philosophischen Text über die Natur der Realität, mit persönlichen Anmerkungen versehen. Der schwere Lederband lag kühl in seinen Händen, die goldenen Lettern auf dem Einband glänzten im Licht der Zeremonienkerzen.
„Dein Weg wird nicht leicht sein,“ sagte sie leise, als sie ihm das wertvolle Buch überreichte, ihre alten Augen voller Weisheit und Mitgefühl. „Aber er wird von Bedeutung sein – nicht nur für dich, sondern vielleicht auch für die Zukunft unseres Volkes.“
Professor Thyrian gab ihm einen silbernen Kompass, dessen Nadel nicht nach Norden zeigte, sondern auf eine Richtung, die nur der Träger sehen konnte – ein seltsames, altes Artefakt, dessen Bedeutung der Professor nur mit einem Augenzwinkern andeutete. „Für einen, der neue Wege findet,“ sagte er mit einem geheimnisvollen Lächeln, „ist es wichtig zu wissen, wo das Herz hinstrebt.“
Selbst Professor Farendir kam, um ihm zu gratulieren, wenn auch mit zurückhaltender Förmlichkeit. „Eure Methoden mögen unkonventionell sein,“ sagte er steif, der Silberstift ruhte für einmal bewegungslos in seiner Brusttasche, „aber euer Fleiß und eure Hingabe sind unbestreitbar. Ich wünsche euch Erfolg auf eurem Weg – wo auch immer er hinführen mag.“
Mit seinem Abschluss im Jahr 23.985 beendete Eloran seine formelle Bildung an der Lohandriel in Averlyn. An dem Tag, als er zum letzten Mal durch das große Nordtor der Akademie schritt, diesmal nicht als Student, sondern als gelehrter Alchemist, bemerkte er einen seltsamen Schauer, der ihm über den Rücken lief. Nyxis, immer sensitiv für seine Stimmungen, ließ ein leises Flüstern in seinem Geist erklingen.
„Was ist es, meine Freundin?“ fragte er leise, während er am marmornen Torbogen innehielt, seine Hand auf dem kühlen Stein ruhend, als wolle er ein letztes Mal die Essenz dieses Ortes in sich aufnehmen.
Eine Veränderung liegt in der Luft, kam Nyxis’ telepathische Stimme, leise und bedächtig. Ich spüre es. In den Winden. Im Wechsel der Gezeiten. Eine Pause. Die Zukunft… sie trägt den Duft von Salz und Wasser.
Eloran dachte an die Handelsschiffe, die regelmäßig den Hafen von Averlyn anliefen, beladen mit Waren aus fernen Ländern. Ein leichtes Unbehagen beschlich ihn, ein flüchtiger Schatten über seinem Geist, doch er schob es beiseite. Vor ihm lag ein Jahr der intensiven Forschung an der Seite von Meister Ceridwen, einem angesehenen Alchemisten, der sein unkonventionelles Talent erkannt und ihn als Assistenten angefordert hatte, und die Vertiefung seiner Beziehung zu Elyria. Die Zukunft schien voller Möglichkeiten, ein offenes Buch, dessen Seiten darauf warteten, beschrieben zu werden.
Er konnte nicht wissen, dass der Duft von Salz und Wasser, den Nyxis wahrgenommen hatte, ein Vorbote war – dass nur ein Jahr später ein tragisches Schiffsunglück seine Heimatstadt erschüttern und sein Leben für immer verändern würde. Der Schatten dieser Zukunft zog bereits am Horizont auf, unbemerkt von allen außer der sensiblen Schneeeule, deren Wahrnehmung über das Materielle hinausreichte.

Das letzte Jahr der Normalität

In diesem letzten Jahr der Normalität blühte Eloran auf. Nach seinem Studium an der Lohandriel vertiefte er die Zusammenarbeit mit Meister Ceridwen, seinem langjährigen Mentor seit Kindheitstagen. Die Rückkehr zu seinem Lehrmeister fühlte sich wie eine Heimkehr an – doch nun kehrte er zurück mit dem reichen Wissen der Akademie, das er in die gemeinsame Forschung einbringen konnte.
Ceridwen empfing ihn mit offenen Armen und einem stolzen Lächeln, als er Elorans Abschlussarbeit in seinen Händen hielt. „Ich wusste schon immer, dass du über den Horizont hinausblicken würdest,“ sagte der alte Alchemist, während er durch die kunstvollen Zeichnungen der Energiemuster blätterte. „Nun können wir als ebenbürtige Forscher zusammenarbeiten.“
Der ältere Alchemist, mit seinem struppigen grauen Bart und den immer leicht zerzausten Haaren, erwies sich weiterhin als idealer Partner – erfahren genug, um Eloran zu leiten, wenn er es brauchte, aber offen genug, um seine unkonventionellen Ansätze zu unterstützen und nun auch von ihm zu lernen.
„Tradition und Innovation,“ pflegte Ceridwen zu sagen, während er mit flinken Fingern Reagenzien mischte, „sind wie Einatmen und Ausatmen. Man braucht beides, um zu leben.“
An einem ruhigen Abend, als sie gemeinsam über einem komplexen Experiment arbeiteten, erzählte Eloran von den gemischten Reaktionen auf seine Arbeit an der Akademie. „Manche nannten mich abfällig einen Seelenalchemisten,“ gestand er, während er sorgfältig einen Tropfen silbriger Essenz in eine brodelnde Lösung fallen ließ.
Ceridwen lachte leise, seine Augen funkelten im Schein der Laborkerzen. „Seelenalchemist?“ Der alte Mann strich nachdenklich über seinen Bart. „Ein treffender Name, wenn auch vermutlich nicht als Kompliment gedacht. Die Verbindung von Seele und Substanz ist seit Jahrhunderten ein verbotenes Territorium - zu heilig für die Einen, zu unwissenschaftlich für die Anderen. Nur die wenigsten haben den Mut, diese Grenze zu überschreiten.“
Die Lösung vor ihnen änderte ihre Farbe von einem tiefen Blau zu einem strahlenden Violett - ein perfekter Übergang, der die Harmonie ihrer alchemistischen Kunst widerspiegelte. „Die größten Durchbrüche,“ fuhr Ceridwen fort, während er die Farbveränderung mit zufriedenem Nicken beobachtete, „entstanden immer dann, wenn jemand wagte, zwei scheinbar unvereinbare Welten zu verbinden. Was die traditionellen Alchemisten nicht verstehen wollen, ist dass in der Verbindung des Materiellen mit dem Spirituellen ein Potential liegt, das wir kaum zu erahnen beginnen.“
Er hob seine Tasse zum Toast. „Auf den Seelenalchemisten und seine Entdeckungen, die noch bevorstehen. Trage diesen Namen mit Stolz, Eloran.“
Gemeinsam begannen sie, Elorans Theorien in praktische Anwendungen umzusetzen, experimentierten mit neuen Methoden an der Schnittstelle zwischen Alchemie und Seeltierbindung. Ihr Labor im alten Turm wurde zu einem Ort lebhafter Diskussionen und wagemutiger Experimente, die manchmal tief in die Nacht andauerten.
Auch die Verbindung zwischen Eloran und Elyria wuchs weiter, blühte auf wie eine seltene Pflanze, die endlich den richtigen Nährboden gefunden hat. In ihrer gemeinsamen Arbeit, in den langen Gesprächen unter dem Sternenhimmel und in den stillen Momenten des Verständnisses wuchs seine Liebe zu ihr, unausgesprochen und doch allgegenwärtig.
An einem warmen Sommerabend, als sie am Ufer des Sees saßen, wo sie als Kinder so oft gespielt hatten, und das Licht der untergehenden Sonne das Wasser in flüssiges Gold verwandelte, waren sie dem Geständnis seiner Gefühle näher als je zuvor. Die Luft war erfüllt vom Duft blühender Linden und dem fernen Gesang der Nachtvögel, die den kommenden Abend begrüßten.
„Elyria,“ begann er, sein Herz schlug so heftig, dass er sicher war, sie müsse es hören können, „ich…“
Aber in diesem Moment erschien ein Bote vom Hafen, der nach Elyria suchte. Ihre Mutter benötigte dringend ihre Hilfe bei einem kranken Seemann, der gerade mit hohem Fieber von einem Handelsschiff gebracht worden war. Der Moment verging ungenutzt, die Worte blieben ungesagt, schwebten in der Luft wie Nebel, der sich langsam auflöst.
Es waren die kleinen Gesten, die ihre wachsende Zuneigung offenbarten – ein Händedruck, der länger anhielt als nötig, ein Blick, der mehr sagte als tausend Worte, das Teilen von Träumen und Ängsten in den frühen Morgenstunden, wenn die Stadt noch schlief und die Welt ihnen allein zu gehören schien.
Doch noch immer sprach er nicht offen über das, was in seinem Herzen wuchs. Vielleicht war es jugendliche Scheu, vielleicht die Überzeugung, dass sie alle Zeit der Welt hätten, um die Worte zu finden, die seine Gefühle angemessen beschreiben würden. Sie waren jung, standen am Anfang einer vielversprechenden Zukunft, und die Welt lag vor ihnen, scheinbar endlos in ihren Möglichkeiten.
An seinem zweiundzwanzigsten Geburtstag, als sie gemeinsam auf dem Balkon seines Elternhauses standen und den Vollmond betrachteten, der silbern über dem Meer aufging, spürte er wieder den seltsamen Duft von Salz und Wasser, stärker diesmal, begleitet von einem eisigen Hauch, der nichts mit der warmen Sommernacht zu tun hatte.
Bald, flüsterte Nyxis in seinem Geist, ihre Stimme ungewöhnlich ernst. Die Wellen kommen näher.
Er konnte nicht wissen, dass das Schicksal seinen eigenen Zeitplan hat und dass manche Worte besser früh gesprochen werden, bevor die Wellen des Lebens einen auseinandertreiben. Das Schiffsunglück, das Averlyn für immer verändern würde, wartete bereits am Horizont, bereit, in sein Leben einzubrechen und alles zu verändern, was er kannte und liebte. Und die ungesprochenen Worte würden zu einer Last werden, die er viele Jahre mit sich tragen würde – eine Erinnerung an den Preis, den wir für unser Zögern

Die Weiteren Kapitel muss ich leider als Antworten verfassen wegen des Limits.

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Hallo @Zeitlos ,
danke für das schreiben deiner Cv und Hut ab du bist ja schon fast ein Profi der Seelelfen ;D


Vorgeschichte: In dem Abschnitt „Einführung in die Tharyána Religion“ bezeichnest du Taelon als Hüter der Nyáre va Galys, dies ist zu dem Zeitpunkt jedoch Lyanara Enolá Mhyreya. Jedoch kann es sein, das er mit vielen ausschnitten dieser arbeitet.

Du hast ja geschrieben, dass du den Rest noch einfügst. Ich sage dir jedoch welche Themen du noch einarbeiten müsstest. Einmal wie dein Char mit dem Untergang Averlyns umgeht und wie er nach Raélyn und dann Exulor gefunden hat.


Schon mal danke, schreib mir bitte sobald du fertig bist.

Liebe Grüße,
Loulette :kissing_cat:

Kapitel VI : Der Untergang von Averlyn

Der Schicksalstag

Für die meisten Bewohner stand Averlyn in voller Blüte, als die Tragödie hereinbrach. Die weiße Stadt mit ihren türkisfarbenen Bannern schimmerte unter der Frühlingssonne, die Brunnen sprudelten kristallklar, und die schwebenden Gärten blühten in verschwenderischer Pracht. Die magischen Kristalllaternen erhellten die Nächte mit stetigem, warmem Licht, und der Alltag folgte seinem gewohnten Rhythmus.
Nur wenige Sensitive wie Nyxis spürten die unterschwelligen Veränderungen – ein leichtes Vibrieren in der Luft, der kaum wahrnehmbare Duft von Salz und Wasser, manchmal vermischt mit dem subtilen Hauch von Rauch, der durch die Stadt wehte wie ein Vorbote kommender Tragödien. Doch selbst Eloran, trotz seiner Verbindung zu seiner weisen Schneeeule, konnte die volle Bedeutung dieser Vorahnungen noch nicht erfassen.
Es war ein klarer Frühlingsmorgen, die Bäume in den Gärten blühten in verschwenderischer Pracht, und das Leben der Seelelfen folgte seinem gewohnten, harmonischen Rhythmus. Handwerker öffneten ihre Läden, Gelehrte eilten zur Akademie, und Kinder spielten fröhlich auf den mit Mosaiken geschmückten Plätzen.
Eloran stand in Meister Ceridwens Werkstatt über eine komplexe Destillation gebeugt. Er hatte monatelang an dieser speziellen Formel gearbeitet – einer Essenz, die die Kommunikation zwischen einem Seelelfen und seinem Seeltier verstärken sollte. Die klare Flüssigkeit in der Retorte pulsierte sanft mit einem goldenem Schimmer, während er konzentriert die Temperatur der Flamme regulierte.
Plötzlich ertönten Rufe von der Straße. Zuerst einzelne, dann viele, die zusammenflossen wie ein anschwellender Strom. Die ersten Gerüchte erfassten die Stadt wie ein Lauffeuer, verbreiteten sich von Haus zu Haus, von Straße zu Straße.
‚Das Schiff des Adels… verbrannt… versunken… alle tot!‘
Die Worte drangen durch die offenen Fenster der Werkstatt und durchbrachen Elorans Konzentration. Mit einem scharfen Klirren zersprang sein kostbares Glasgefäß, obwohl er es nicht berührt hatte. Die Flüssigkeit in seinem Destillationskolben, die eben noch kristallklar gewesen war, trübte sich plötzlich – ein unheimliches Echo der Verdunkelung, die über ihre Stadt hereinbrechen würde."
„Meister Ceridwen?“ Eloran blickte sich um, aber der ältere Alchemist war bereits zur Tür geeilt, sein Gesicht aschfahl.
„Bei den Ahnen… wenn das wahr ist…“ murmelte Ceridwen, bevor er hinausstürmte.
Eloran verließ mit zitternden Händen seine Arbeit und eilte nach draußen. Die Straßen füllten sich rasch mit verstörten Seelelfen, die aus ihren Häusern und Werkstätten strömten. Überall sah man fragende Gesichter, hörte ungläubige Ausrufe, bemerkte die erste Welle der Panik, die durch die Menge pulsierte.
Vor dem Palast des Königs hatte sich bereits eine große Menge versammelt, die lautstark Antworten von den Vertretetn forderte. Der prächtige türkisfarbene Gebäudekomplex mit seinen schimmernden Kristalltürmen wirkte plötzlich verlassen und unerreichbar. Die sonst so prächtigen Wasserspiele vor dem Eingangsportal waren verstummt, als hätte die Kunde auch sie erstarren lassen.
Eloran kämpfte sich durch die Menge, suchte nach einem bekannten Gesicht, jemanden, der mehr wissen könnte. Niemand konnte glauben, was geschehen war – alle zweiundsiebzig Adlige, die Führenden der drei großen Seelelfenstädte Averlyn, Yurtuna und Aramynta, bei einem Schiffsunglück verloren.
„Es kann nicht sein,“ murmelte eine ältere Frau neben ihm. „Der König, die Königin,… wer soll uns jetzt führen?“ Ihre Stimme brach, und Tränen rannen über ihr faltenreiches Gesicht.
Es klang unmöglich – der gesamte Hochadel aller drei Seelelfenstädte hatte sich auf einem Schiff befunden, zu einem edlen Empfang der Zwerge.
Eloran kämpfte sich weiter durch die Menge, um nach Hause zu gelangen. In den Gesichtern der Leute sah er eine Mischung aus Schock, Trauer und wachsender Furcht. Nyxis, die wie immer unsichtbar auf seiner Schulter saß, spürte seine Unruhe und teilte ihre eigenen Beobachtungen mit.
Etwas fühlt sich falsch an, kommunizierte die Schneeeule in seinen Gedanken. Nicht nur Trauer liegt in der Luft, sondern auch… Zwietracht. Als würden unsichtbare Linien bereits Grenzen zwischen den Elfen ziehen.
Als Eloran endlich sein Elternhaus erreichte, fand er seine Mutter und seinen Vater in ernstem Gespräch mit mehreren anderen angesehenen Bürgern der Stadt. Taelon, normalerweise die Ruhe selbst, gestikulierte heftig, sein silbergraues Haar wirkte ungekämmt, und tiefe Sorgenfalten durchzogen sein Gesicht.
„Wir müssen schnell handeln,“ hörte Eloran seinen Vater sagen. „Wenn das Machtvakuum zu lange besteht, wird es zu spät sein. Die Stadt braucht eine Führung.“
Lyrianna bemerkte ihren Sohn zuerst. „Eloran! Den Ahnen sei Dank, dass du wohlauf bist. Die Stadt ist in Aufruhr.“
„Ist es wahr?“ fragte Eloran, noch immer hoffend, dass alles nur ein grausamer Irrtum sei, ein Missverständnis, das sich bald aufklären würde.
„Taelon nickte schwer. ‚Die Nachricht kam vor einer Stunde durch einen überlebenden Matrosen, der an die Küste geschwemmt wurde. Er berichtete von einem verheerenden Feuer, das mitten in der Nacht ausbrach und das Schiff verzehrte, während ein aufkommender Sturm die Rettungsversuche erschwerte.‘ Er senkte die Stimme. ‚Manche flüstern bereits von dunkler Magie oder Sabotage. Die Flammen sollen unnatürlich schnell gewütet haben.‘“

Die ersten Risse

Die folgenden Tage waren geprägt von hektischer Aktivität. Als angesehener Gelehrter und Ratsmidglied wurde Taelon in den Notrat berufen, der eilig zusammengestellt wurde, um die Stadt zu führen. Eloran begleitete seinen Vater zu mehreren dieser Sitzungen und war schockiert über die rasch wachsenden Spannungen zwischen den verschiedenen Fraktionen innerhalb Averlyns.
Einige forderten sofortige Verbindungen mit Yurtuna oder Aramynta, um die Seelelfenstädte unter einer neuen Führung zu vereinen. Andere bestanden darauf, dass Averlyn seine Unabhängigkeit bewahren und einen neuen Monarchen aus den eigenen Reihen wählen sollte. Wieder andere flüsterten von Verrat und behaupteten, der Schiffbruch sei kein Unfall gewesen, sondern das Werk feindlicher Mächte – der Zwerge oder gar anderer Elfenrassen, die den Seelelfen ihren Reichtum und ihre Magie neideten.
„Du verstehst jetzt, warum Wissen so wichtig ist,“ sagte Taelon eines Abends zu Eloran, als sie erschöpft von einer weiteren ergebnislosen Ratssitzung heimkehrten. Die Straßen waren bereits dunkler als früher, viele der magischen Laternen leuchteten nur noch schwach oder waren ganz erloschen, nicht durch Verfall, sondern weil niemand mehr da war, um ihre Energie zu erneuern. „Ohne unsere Geschichte, ohne die Weisheit der Ahnen in der Nyáre va Galys, hätten wir überhaupt keinen Kompass in diesen stürmischen Zeiten. Die Hüter der heiligen Texte tragen eine große Verantwortung – ohne ihre Arbeit wäre unser kulturelles Erbe längst verloren.“
Eloran half in der Großen Bibliothek, wichtige historische Dokumente zu sichern, während sein Vater mit den anderen Gelehrten nach Präzedenzfällen in der Geschichte der Seelelfen suchte – nach Zeiten, in denen ähnliche Krisen gemeistert wurden. Die einst so prächtigen Hallen der Bibliothek wirkten nun gedämpfter, als würden selbst die Bücher trauern.
Die Akademie von Averlyn, einst ein Zentrum lebhafter Debatten und intellektueller Entdeckungen, wurde immer leerer, als viele Schüler und Lehrer die Stadt verließen oder zu beschäftigt waren, um den Unterricht fortzusetzen. Die prächtigen Räume mit ihrem kunstvollen Dekor und den umfangreichen Bibliotheken wirkten gespenstisch in ihrer Verlassenheit.
Doch die politische Situation verschlechterte sich schneller, als Lösungen gefunden werden konnten. Aus Yurtuna und Aramynta kamen Nachrichten von zunehmenden Unruhen. In beiden Städten kämpften Fraktionen um die Macht, und alte Allianzen zerbrachen im Streit darüber, wer Schuld an der Katastrophe trug. Handelsrouten wurden unterbrochen, was zu Versorgungsengpässen führte. Früher freundschaftliche Beziehungen zwischen den drei Städten kühlten ab, als jede versuchte, ihre eigene Zukunft zu sichern, oftmals auf Kosten der anderen.
In Averlyn selbst zeigten sich die ersten sichtbaren Risse des Niedergangs bereits drei Monate nach dem Schiffsunglück. Die prächtigen öffentlichen Gärten, einst das Herzstück der Stadt, verwilderten, da die Gärtner nicht mehr bezahlt werden konnten oder die Stadt verlassen hatten. Das leuchtende Türkis der Stadtwappen verblasste unter der Sonne, als würde selbst die Farbe ihre Kraft verlieren.
Der legendäre Sternbrunnen, einst das pulsierende Herz Averlyns, hustete nun mehr, als dass er floss. Wo früher Wasserstrahlen in perfekter Harmonie die Sternbilder des Nachthimmels nachzeichneten, tanzten jetzt unregelmäßige Fontänen wie fiebernde Gedanken. Die Sternenkarte des Löwen brach mittendurch ab, der Große Bär verlor einen seiner Sterne, und die Himmelsschlange zuckte wie im Todeskampf. Die magischen Kristalle, die einst die Wasserströme mit präziser Magie lenkten, hatten ihren Glanz verloren – matt und stumpf wie die Augen eines Sterbenden, deren Wissen mit ihnen ins Grab sinken würde.
Für Eloran war es schmerzlich zu beobachten, wie die Stadt seiner Kindheit mit erschreckender Geschwindigkeit zu verfallen begann. Er fand Trost in seiner Alchemie und verbrachte noch mehr Zeit in der Werkstatt, experimentierte mit Tinkturen, die die Seele beruhigen und den Geist klären sollten. Seine Forschungen zur Verbindung zwischen Alchemie und der Seelenbindung nahmen eine praktischere Wendung – er wollte Mittel finden, um den Elfen in Averlyn zu helfen, mit der wachsenden Verzweiflung umzugehen.
Elyria und ihre Mutter Soralia widmeten sich währenddessen der Versorgung der Kranken und Bedürftigen. Sie richteten eine provisorische Heilstation in ihrem Haus ein, wo sie Verletzte behandelten und Heilkräuter an jene verteilten, die sie sich nicht mehr leisten konnten. Der einst gepflegte botanische Garten hinter ihrem Haus wurde nun für den Anbau praktischer Heilpflanzen genutzt.

Feindseligkeit in zerfallenden Straßen

An einem kühlen Herbstmorgen, etwa sechs Monate nach dem Schiffsunglück, machte sich Eloran auf den Weg zu einem der wenigen noch funktionierenden Märkte, um Zutaten für seine Heilmittel zu besorgen. Die Straßen, einst voller Leben und Farbe, wirkten nun grau und abgenutzt. Wo früher Musikanten gespielt und Kinder gelacht hatten, herrschte nun eine bedrückende Stille, nur unterbrochen vom gelegentlichen Streit über knappe Ressourcen.
„Da ist er – der Seelenalchemist!“ Die Stimme folgte Eloran wie ein Schatten durch die halb verlassene Straße. Er beschleunigte seinen Schritt, ohne sich umzudrehen. In den letzten Wochen hatte er gelernt, dass es besser war, Konfrontationen zu vermeiden.
Seit Wochen wuchs die Spannung in Averlyn. Die Stadt hatte sich in rivalisierende Fraktionen gespalten: Die „Bewahrer“ um Ältesten Tharion, einen hochgewachsenen Seelelfen mit strengem Blick und einem weißen Bart, wollten die traditionellen Werte schützen und setzten auf militärische Stärke. Die „Erneuerer“ unter Führung von Ratsherrin Elyndra, Elorans ehemaliger Lehrerin an der Lohandriel, suchten diplomatische Allianzen mit benachbarten Völkern. Und die „Abtrünnigen“ verließen die Stadt in wachsender Zahl, überzeugt, dass Averlyn verloren war.
„He, ich rede mit dir!“ Ein junger Seelelf trat ihm in den Weg, flankiert von zwei weiteren. Ihre Armbinden zeigten das Symbol der Bewahrer – eine stilisierte Flamme in traditionellem Türkis. Der Anführer, nicht viel jünger als Eloran selbst, hatte ein langes Messer am Gürtel, und sein Gesicht war verzerrt von Arroganz und kaum verhohlener Wut. „Stimmt es, dass du die heiligen Rituale in deinen Tränken verwendest?“
Eloran atmete tief durch und versuchte, ruhig zu bleiben. „Ich forsche über die energetischen Eigenschaften der Seelenbindung,“ entgegnete er ruhig. „Ich entweihe keine Rituale.“
Der Anführer spuckte vor Elorans Füßen aus, ein klarer Affront gegen den Sohn eines angesehenen Gelehrten. „Ketzer wie du sind der Grund für Averlyns Fall! Die Ahnen strafen uns, weil wir ihre Gesetze missachten. Tharion sagt, wir müssen zurück zu den reinen Lehren, zu den alten Wegen.“
Nyxis drängte in seinem Geist zur Vorsicht. Sie sind zu dritt und bewaffnet. Dies ist nicht der Moment für Stolz.
„Ich versuche nur zu helfen,“ sagte Eloran und hob beschwichtigend die Hände. „Meine Tinkturen lindern Leid.“
„Hilf, indem du verschwindest!“ Der junge Seelelf stieß ihn hart gegen die Schulter. „Tharion sagt, wir müssen zu den alten Wegen zurückkehren. Kein Platz für Seelenalchemie und andere Ketzereien.“
Eloran wich zurück, seine Hand glitt in seine Tasche, wo er eine kleine Phiole mit beruhigender Essenz aufbewahrte. Er hoffte, sie nicht einsetzen zu müssen, aber wenn es nötig wäre…
„Lasst ihn in Ruhe.“ Eine neue Stimme hallte durch die Straße, kraftvoll trotz ihres Alters. Ein älterer Seelelf in zerschlissener, aber sauberer Robe trat aus einem Hauseingang. Eloran erkannte Meister Faelan, einen ehemaligen Lehrer der Akademie, dessen Tochter er vor einigen Wochen mit einem fiebersenkenden Elixier geholfen hatte. „Dieser junge Mann hat meiner Tochter geholfen, als eure ‚Bewahrer‘ zu beschäftigt waren, die alten Wege zu predigen, statt den Kranken zu helfen.“
Die drei zögerten, dann wichen sie zurück. „Du stehst auf der falschen Seite, alter Mann,“ warnte der Anführer, bevor sie sich entfernten, nicht ohne einen letzten drohenden Blick auf Eloran zu werfen.
Eloran atmete erleichtert auf. „Danke, Meister Faelan.“
Der Alte nickte grimmig. „Pass auf dich auf, Junge. Die Stadt zerfällt nicht nur physisch. Die Herzen der Elfen verhärten sich in Angst und Verzweiflung. In solchen Zeiten suchen sie nach einfachen Antworten und Sündenböcken.“ Er seufzte schwer. „Manchmal ist es leichter, einen Ketzer zu finden als die eigene Verantwortung anzuerkennen.“
Auf dem restlichen Heimweg spürte Eloran die unsichtbare Präsenz von Nyxis stärker als sonst – ein schützender Schatten über ihm. Er fragte sich, wie lange ihre forschenden Geister noch in einer Stadt existieren konnten, die zunehmend von Angst und Aberglauben beherrscht wurde.

Die Monate des Kampfes

Die nächsten Monate waren geprägt von verzweifelten Versuchen, die Seelelfen-Kultur zu bewahren. Taelon wurde zu einer zentralen Figur in diesem Kampf, da die Große Bibliothek zu einem der letzten Bollwerke gegen den Verfall wurde. Eloran, mittlerweile dreiundzwanzig Jahre alt und ein anerkannter Alchemist, unterstützte seinen Vater nach Kräften.
„Was wir nicht retten können, müssen wir zumindest dokumentieren,“ erklärte Taelon seinem Sohn, während sie zusammen alte Texte kopierten und katalogisierten. Sie saßen im Herzstück der Bibliothek, einem runden Raum mit einer Glaskuppel, durch die man die Sterne sehen konnte. Um sie herum türmten sich Stapel von Büchern und Schriftrollen – manche so alt, dass die Tinte zu verblassen begann. „Eines Tages wird jemand dieses Wissen brauchen, um unsere Kultur wiederaufzubauen.“
In der Stadt hatten sich verschiedene Gruppen gebildet. Einige versuchten, durch diplomatische Bemühungen mit benachbarten Völkern Unterstützung zu finden. Andere setzten auf militärische Stärke und forderten aggressive Maßnahmen, um die Position der Seelelfen zu sichern. Wieder andere begannen, die Stadt zu verlassen und kleine Siedlungen in entfernten Gebieten zu gründen, überzeugt, dass Averlyn nicht mehr zu retten war.
Die Straßen, einst voller Leben und Musik, wurden stiller. Viele Gebäude standen leer, ihre Bewohner geflohen oder umgesiedelt. Die einst so lebendigen Märkte schrumpften auf wenige Stände zusammen. Nachts ertönten manchmal Schreie oder das Klirren von Waffen – Anzeichen für die zunehmende Gesetzlosigkeit in einigen Vierteln.
Lyrianna stellte ihre alchemistischen Fähigkeiten in den Dienst der Gemeinschaft, indem sie Heilmittel für die wachsende Zahl der Kranken herstellte. Die Versorgungskrise führte zu Unterernährung, und ohne die magischen Schutzbarrieren, die früher von den adligen Zauberern aufrechterhalten wurden, drangen nun auch mehr Krankheiten in die Stadt ein.
Eloran arbeitete an ihrer Seite und lernte schnell, wie man mit begrenzten Mitteln wirksame Medizin herstellen konnte. Seine unkonventionellen Forschungen zahlten sich aus – durch die Kombination von Alchemie mit den Prinzipien der Seelenbindung konnte er Heilmittel entwickeln, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist stärkten.
„Du hast eine Gabe, die in diesen dunklen Zeiten besonders wertvoll ist,“ sagte seine Mutter zu ihm, als sie beobachtete, wie seine Tinkturen einem Kind halfen, das seit Wochen nicht mehr gesprochen hatte, nach dem Verlust seiner Eltern. Das kleine Mädchen mit den silberweißen Haaren hatte zum ersten Mal wieder gelächelt, als es das sanft leuchtende Elixier getrunken hatte. „Die Fähigkeit, Hoffnung zu schaffen, wo keine mehr zu sein scheint.“
In diesen harten Monaten vertiefte sich auch Elorans Beziehung zu Elyria. Was als Kinderfreundschaft begonnen und sich zu einer intellektuellen Partnerschaft entwickelt hatte, war inzwischen zu einer tieferen Verbindung herangewachsen. Die unausgesprochene Anziehung zwischen ihnen wurde in der Dunkelheit, die Averlyn umhüllte, zu einem Lichtpunkt in ihrem Leben. Nach langen Tagen der Arbeit trafen sie sich oft in einem kleinen Pavillon im verwilderten botanischen Garten, teilten ihre Sorgen und Hoffnungen und schmiedeten Pläne für eine ungewisse Zukunft. Manchmal saßen sie einfach schweigend nebeneinander, die Finger sanft ineinander verschränkt, während sie den Sternenhimmel betrachteten, der trotz allem noch immer so klar und unveränderlich über der sterbenden Stadt leuchtete.
„Glaubst du, Averlyn wird überleben?“ fragte Elyria eines Abends, ihren Kopf an seine Schulter gelehnt. Der Pavillon, einst ein architektonisches Schmuckstück mit filigranen Schnitzereien und schimmernden Kristallen, zeigte nun deutliche Spuren des Verfalls – abgebrochene Ornamente und fehlende Edelsteine, die von verzweifelten Bewohnern entfernt worden waren.
Eloran schwieg lange, bevor er antwortete. „Nicht in der Form, wie wir es kannten,“ sagte er schließlich leise. „Aber vielleicht in einer neuen Gestalt, irgendwann in der Zukunft. Die Seelelfen haben schon früher dunkle Zeiten überstanden.“
Elyria drückte seine Hand fester, und er spürte die Wärme ihrer Nähe wie einen Anker in stürmischer See. „Manchmal denke ich, dass wir – du und ich – dazu bestimmt sind, etwas von Averlyn zu bewahren, egal wohin uns das Leben führt.“
Er beugte sich vor und küsste sanft ihre Stirn, ein zarter Moment der Verbundenheit in einer Welt, die auseinanderzufallen schien. „Wir tragen Averlyn in uns,“ stimmte er zu. „In unserem Wissen, in unseren Erinnerungen, in der Art, wie wir die Welt sehen. Das kann uns niemand nehmen.“

Ein schmerzhafter Abschied

Eines Tages, etwa anderthalb Jahre nach Beginn des Niedergangs, kamen Soralia und Elyria mit beunruhigenden Nachrichten zu Elorans Familie. Der Himmel über Averlyn war an diesem Tag besonders grau, als spiegelte er bereits die Schwere der bevorstehenden Trennung wider.
In der einst gemütlichen Wohnstube, die nun spartanischer wirkte – viele der wertvolleren Gegenstände waren gegen Lebensmittel eingetauscht worden – saßen sie zusammen um den alten Eichentisch. Soralia, deren Gesicht in den letzten Monaten deutlich gealtert war, brachte ihre Nachricht ohne Umschweife vor.
„Gerüchte von zunehmender Gewalt gegen Seelelfen in den südlichen Gebieten haben uns erreicht,“ erklärte sie mit ernster Stimme. „Eine Gruppe von Heilern plant, dorthin zu reisen, um zu helfen. Sie haben mich gebeten, mich ihnen anzuschließen, und ich habe zugestimmt.“
Lyrianna griff nach der Hand ihrer alten Freundin. „Es ist gefährlich, Soralia. Die Straßen sind nicht mehr sicher, und die südlichen Regionen sollen von Banditen heimgesucht werden.“
„Wir können nicht länger in Averlyn bleiben,“ erwiderte Soralia mit schwerer Stimme. „Unsere Fähigkeiten werden anderswo dringender benötigt. Und ich fürchte, diese Stadt hat keine Zukunft mehr.“
Die Nachricht traf Eloran, obwohl er seit langem mit diesem Ausgang gerechnet hatte. Es war die Endgültigkeit der Entscheidung, die ihn erschütterte – nicht die Überraschung. Er hatte selbst zu Elyria gesagt, dass Averlyn in seiner bekannten Form nicht überleben würde, und doch fühlte sich die Realität ihres Abschieds schmerzhafter an als die abstrakte Idee davon.
Was ihn jedoch am meisten schmerzte, war der Gedanke, dass Elyria ebenfalls gehen würde. Sie saß still neben ihrer Mutter, den Blick gesenkt, aber er konnte die Entschlossenheit in ihrer Haltung erkennen. Natürlich würde sie gehen – ihre Loyalität zu ihrer Mutter war unerschütterlich, und als talentierte Heilerin wurde sie anderswo gebraucht.
„Wann werdet ihr abreisen?“, fragte er leise, während sein Herz sich zusammenzog bei dem Gedanken an ein Leben ohne ihre tägliche Gegenwart.
„In drei Tagen,“ antwortete Soralia. „Die Karawane kann nicht länger warten. Ein Konvoi von Händlern bietet uns Schutz, aber sie können ihren Zeitplan nicht ändern.“
Die folgenden Tage vergingen wie im Traum. Eloran half Elyria und ihrer Mutter beim Packen, sortierte Heilkräuter und stellte Tinkturen her, die sie auf ihrer Reise brauchen würden. Die beiden verbrachten jede freie Minute miteinander, wissend, dass ihre gemeinsame Zeit zu Ende ging.
Sie wanderten durch die vertrauten Orte ihrer Kindheit – die nun leeren Hallen der Lohandriel, den verfallenden Sternbrunnen, den verwilderten Garten, in dem sie als Kinder gespielt hatten. Jeder Ort trug Erinnerungen, die sie wie kostbare Schätze sammelten, um sie in einer ungewissen Zukunft zu bewahren.
„Wirst du mit deiner Mutter in Averlyn bleiben?“ fragte Elyria während einer dieser Wanderungen. Sie standen auf einer kleinen Brücke über einem der vielen Kanäle der Stadt. Das Wasser darunter, einst kristallklar und von magischen Lichtern durchflutet, war nun trüb und leblos.
„Vorerst ja,“ antwortete Eloran. „Mein Vater weigert sich, die Bibliothek aufzugeben, und meine Mutter wird ihn nicht verlassen.“ Er seufzte leise. „Aber ich weiß nicht, wie lange wir noch bleiben können. Die Stadt stirbt, Elyria. Jeder spürt es, auch wenn nicht jeder es zugeben will.“
Sie nickte traurig. „Versprich mir, dass du gehen wirst, bevor es zu spät ist. Finde einen sicheren Ort, Eloran. Es gibt Gerüchte, dass einige Seelelfen planen, eine neue Gemeinschaft zu gründen, irgendwo im Osten jenseits der Berge, wo es sicherer sein soll.“
„Ich habe davon gehört,“ bestätigte er. „Wenn… wenn wir Averlyn verlassen müssen, werden wir vielleicht auch diesen Weg einschlagen.“ Er zögerte kurz, bevor er hinzufügte: „Vielleicht… vielleicht können wir uns dort eines Tages wiedersehen, in einer neuen Heimat, wo auch immer sie sein mag.“
Elyria lächelte unter Tränen und ergriff sanft sein Gesicht zwischen ihre Hände. „Das würde ich mir wünschen. Mehr als alles andere.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft. Dieser erste richtige Kuss war süß und bitter zugleich, ein Versprechen und ein Abschied.
Am letzten Abend vor ihrer Abreise trafen sie sich im botanischen Garten, der einst so prächtig gewesen war und nun größtenteils verwildert dalag. Der Mond stand voll und rund am Himmel, sein silbernes Licht verlieh der Szene eine überirdische Schönheit, als wolle die Natur ihnen ein letztes, perfektes Bild schenken.
Eloran hatte ein kleines, silbern gefasstes Fläschchen mitgebracht – seine fortschrittlichste Kreation, die Mut und Klarheit fördern sollte. Es hatte ihn Wochen intensiver Arbeit gekostet, diese Tinktur zu perfektionieren, eine Kombination aus den seltensten Essenzen, die er noch finden konnte, und alchemistischen Prozessen, die er in jahrelanger Forschung entwickelt hatte.
„Es wird dir helfen, deinen Weg zu finden,“ sagte er leise, als er ihr das Fläschchen überreichte. Im Mondlicht schimmerte die Flüssigkeit in einem sanften Blauton, durchzogen von silbernen Schlieren, die an Sternenlicht erinnerten. „Ein Tropfen unter die Zunge, wenn du Kraft brauchst oder wenn die Dunkelheit zu überwältigend erscheint.“
Elyria nahm das Geschenk mit zitternden Händen entgegen und drückte es an ihr Herz. Dann wandte sie sich zu einer geschützten Ecke des Gartens, wo, durch ein kleines Wunder oder vielleicht durch ihre eigene beharrliche Pflege, ein Sternenlicht-Jasmin noch immer blühte. Sie beugte sich vor, presste ihre Lippen auf einen Zweig und schnitt ihn vorsichtig ab. Mit geübten Fingern wickelte sie ihn sorgfältig in ein Stück Seide, das sie aus ihrer Tasche zog.
„Damit du dich immer an unseren Anfang erinnerst,“ flüsterte sie, als sie ihm das kleine Bündel überreichte. Ihre Augen glänzten im Mondlicht von ungeweinten Tränen. „Und daran, dass jeder Abschied auch ein neuer Anfang sein kann.“
Für einen langen Moment standen sie schweigend da, in einer engen Umarmung, während die ersten Sterne am Himmel erschienen. Die Nacht um sie herum war ungewöhnlich still, als hielte selbst die Stadt den Atem an angesichts ihres Abschieds.
Eloran sah in ihre Augen, die im Mondlicht schimmerten. „Ich möchte, dass du weißt…“ begann er, seine Stimme fast ein Flüstern, „dass ich dich…“ Die Worte schienen unzureichend für das, was er fühlte.
„Ich weiß,“ flüsterte sie zurück und berührte sanft sein Gesicht. „Ich auch.“
Langsam neigte er sich zu ihr. Ihre Lippen trafen sich in einem Kuss, der zugleich zart und verzweifelt war - ein Versprechen, eine Erinnerung, ein Abschied. Die Zeit schien stillzustehen, während sie alles in diesen einen Moment legten, was sie nicht in Worte fassen konnten.
Als sie sich schließlich lösten, blieben ihre Stirnen noch einen Moment aneinander gelehnt. „Finde mich,“ flüsterte sie, ihre Stimme kaum hörbar. „Eines Tages. Irgendwo.“
„Ich schwöre es,“ antwortete er, seine Stimme belegt von unterdrückten Tränen.
Dann, mit einer letzten Berührung seiner Wange, löste sie sich aus seiner Umarmung und ging, ihre Schritte leise auf dem Kiesweg, Tränen still über ihre Wangen laufend.

Der endgültige Zerfall

Im Winter des Jahres 23.986, kaum zwei Jahre nach dem verheerenden Schiffsunglück, war das Schicksal Averlyns besiegelt. Die einst strahlende Stadt der Seelelfen war zu einem Schatten ihrer selbst geworden – die Bevölkerung auf weniger als ein Drittel geschrumpft, wichtige Gebäude zerstört und jeder Versuch einer stabilen Führung an internen Konflikten gescheitert.
An einem eiskalten Morgen riss ein donnerndes Krachen Eloran aus dem Schlaf. Er stürzte aus dem Haus und sah mit Entsetzen, dass einer der ikonischen weißen Türme, die das Stadtbild von Averlyn geprägt hatten, eingestürzt war. Die magischen Verstärkungen, die ihn jahrtausendelang gestützt hatten, waren schließlich versiegt, wie eine Kerze, deren letztes Wachs verzehrt ist.
Der Anblick des zerbrochenen Turms, dessen schimmernde Fragmente über einen ganzen Stadtteil verstreut lagen wie die Scherben eines kostbaren Kristallglases, war herzzerreißend. Dieser Turm, bekannt als die „Säule des Lichts“, hatte einst magisches Licht ausgestrahlt, das selbst in der dunkelsten Nacht den Heimkehrenden den Weg gewiesen hatte. Nun lag er in Trümmern, ein unübersehbares Symbol für Averlyns endgültigen Fall.
Es war das Signal für viele der verbliebenen Einwohner, dass es Zeit war zu gehen. In den folgenden Tagen bildeten sich Karawanen von Flüchtlingen, die mit ihren wenigen Habseligkeiten die einst große Stadt verließen. Sie zogen in alle Richtungen – einige in kleinere Siedlungen in der Nähe, andere auf der Suche nach dem gerüchteweise existierenden neuen Seelelfen-Zufluchtsort, wieder andere ohne klares Ziel, nur getrieben von dem Wunsch, der sterbenden Stadt zu entkommen.
Taelon weigerte sich zunächst zu gehen. „Die Bibliothek… wir können die Schriften nicht zurücklassen,“ beharrte er, obwohl Risse im Gebäude darauf hindeuteten, dass auch dieses bald einstürzen könnte. Sein Gesicht war eingefallen, seine einst so kraftvolle Gestalt gebeugt, als trüge er die Last des Wissens, das zu verlieren drohte, auf seinen eigenen Schultern.
„Vater, es ist zu gefährlich,“ drängte Eloran. „Wir können einige der wichtigsten Werke mitnehmen, aber nicht alles retten.“
„Du verstehst nicht,“ entgegnete Taelon mit ungewohnter Schärfe. "Diese Schriften sind mehr als nur Bücher. Sie sind die Seele unseres Volkes, das Fundament unserer Kultur. Unsere heiligste Bücher sind bereits mit der Hüterin verschollen,wenn wir nun auch den Rest verlieren, was bleibt dann von den Seelelfen?”.
Eloran und seine Mutter stürzten sich mit einer Entschlossenheit in die Rettungsaktion, die Taelons leidenschaftliche Worte widerspiegelten. Ihre Hände griffen behutsam und gleichzeitig fieberhaft nach den Büchern und Schriftrollen, als wären es zerbrechliche Seelenfragmente ihres Volkes. Besonders die Kommentare zur Nyáre va Galys – eine Sammlung, die Generationen von Gelehrten mit Hingabe zusammengetragen hatten – wurden wie heilige Reliquien behandelt .Sie arbeiteten Tag und Nacht, sorgfältig auswählend, was mitgenommen werden konnte und was zurückgelassen werden musste – eine herzzerreißende Aufgabe für Taelon, der sein Leben dem Schutz dieses Wissens gewidmet hatte.
Am Abend des dritten Tages ihrer Rettungsaktion gab es ein weiteres Beben, stärker als das vorherige. Der Boden selbst schien zu erzittern, und durch die Bibliothek hallte ein unheimliches Knirschen und Ächzen. Teile der Decke brachen herab, und Taelon wurde unter einem fallenden Bücherregal eingeklemmt. Eloran und zwei andere Gelehrte, die ihnen geholfen hatten, schafften es, ihn zu befreien, aber er war schwer verletzt – sein rechtes Bein zerquetscht, innere Verletzungen vermutet.
„Mein Sohn,“ flüsterte Taelon, als sie ihn vorsichtig nach draußen trugen, sein Gesicht verzerrt von Schmerz, aber seine Augen klar und intensiv. „Du musst weitermachen. Bewahre unser Wissen. Das Herzstück unserer heiligen Bücher… ich bete zu den Ahnen, dass sie es beschützen mögen, wo auch immer es sein mag. Aber diese Kommentare und Ergänzungen, die wir gerettet haben… sie werden eines Tages benötigt werden.“
Sie brachten ihn in ihr Haus, wo Lyrianna verzweifelt versuchte, seine Verletzungen zu behandeln. Doch selbst ihre großen Heilkünste stießen an ihre Grenzen angesichts der schweren Verletzungen und ihres Mangels an den spezialisierten alchemistischen Zutaten, die einst so leicht verfügbar gewesen waren. Die ganze Nacht über arbeitete sie unermüdlich, mischte Tinkturen, sprach Gebete und tat alles in ihrer Macht Stehende, um ihren Gemahl zu retten.
Eloran wich nicht von der Seite seines Vaters, hielt seine Hand und erzählte ihm von den Schriften, die sie gerettet hatten, als könnte die Gewissheit, dass das Wissen bewahrt wurde, ihm Kraft geben, zu überleben. Doch mit jedem verstreichenden Stundenglas wurde Taelons Atem flacher, sein Puls schwächer.
In seinen letzten Momenten reichte Taelon seinem Sohn ein in Tuch gewickeltes Bündel – wertvolle Kommentare und Ergänzungen zu den heiligen Schriften, Randnotizen von Generationen von Gelehrten, unter denen sich auch seine eigenen befanden, die das Verständnis um der verschollen Nyáre va Galys vertiefte und erweiterte. „Eines Tages,“ sagte er mit schwacher Stimme, während seine Hand die seines Sohnes drückte, „wird ein neues Averlyn entstehen. Die heiligen Bücher selbst werden wieder auftauchen, ich glaube daran das sie die Ahnen zu uns zurückbringen. Aber diese Gelehrtenkommentare, die wir gesammelt haben… sie dürfen nicht verloren gehen.“
Mit diesen Worten schloss Taelon seine Augen zum letzten Mal, ein letzter, friedlicher Atemzug entwich seinen Lippen, während draußen weitere Teile der Stadt in sich zusammenfielen, als ob die Stadt selbst um einen ihrer treuesten Söhne trauern würde.
Eloran und Lyrianna bereiteten für den nächsten Tag die Beerdigung vor – ein heiliges Ritual, das Taelons Leben und seine Reise zu den Ahnen würdigen sollte. Beide trugen sie Gewänder in einem tiefen Smaragdgrün, Taelons Lieblingsfarbe, die seine tiefe Verbindung zur Weisheit und den alten Schriften symbolisierte.
Die Zeremonie fand nahe dem nun zerstörten Tempel statt, in einem kleinen Garten, der durch ein Wunder oder vielleicht durch Taelons eigene regelmäßige Pflege seine Schönheit bewahrt hatte. Für jeden Meilenstein in Taelons Leben wurde eine besondere Geste vollzogen: Für seine Seelenbindung entzündeten sie eine silberne Kerze, deren Flamme stetig und stark brannte wie die Verbindung zu seinem Seeltier. Für seine Ehe mit Lyrianna flochten sie zwei Bänder ineinander, die nun untrennbar verbunden waren. Für seine Berufung als Gelehrter legten sie ein aufgeschlagenes Buch mit leeren Seiten nieder, das sich mit seiner Weisheit füllen würde. Für Elorans Geburt pflanzten sie einen kleinen Setzling des Lúthion-Baumes, ein Symbol des fortbestehenden Lebens.
Mit klarer, wenn auch von Trauer gezeichneter Stimme, sprach Eloran die traditionellen Worte: „Míra vá nolsë, thala vá talanë, elya vá menára“ – „Aus Wissen kommt Weisheit, aus Weisheit kommt Verstehen, aus Verstehen kommt Frieden.“
Als die Zeremonie endete, stand die Sonne hoch am Himmel, ihre Strahlen fielen durch die Wolken wie die ausgestreckten Finger der Ahnen, die Taelon willkommen hießen. Eloran und Lyrianna standen schweigend Hand in Hand, ihre Trauer zu tief für Worte, aber in ihren Herzen die Gewissheit, dass Taelons Erbe in ihnen weiterleben würde.
„Was werden wir jetzt tun?“, fragte Eloran seine Mutter, als sie von der Beerdigung zurückkehrten. Ihr Haus, einst ein Ort voller Leben und Wärme, wirkte nun seltsam leer, als hätte Taelons Tod einen unausfüllbaren Raum hinterlassen.
Lyrianna blickte auf die zerfallende Stadt, die einst ihre Heimat gewesen war. „Wir werden bleiben, um deinem Vater die Zeit zu geben, seinen Weg zu den Ahnen zu finden.“ Sie berührte sanft den kristallinen Anhänger an ihrem Hals – ein Geschenk von Taelon, als sie ihre geheiratet haben. „Danach… werden wir sehen, wohin uns der Weg führt. Vielleicht zu einer der neuen Siedlungen, von denen wir gehört haben.“
So zogen sie in einer kleinen Siedlung unweit am Rande der zerfallenden Stadt Averlyn. Mit den wenigen verbliebenen Seelelfen teilten sie, was sie hatten, und nutzten ihre alchemistischen Fähigkeiten, um das harte Leben erträglicher zu machen. Die geretteten Schriften bewahrten sie sorgsam auf – ein Schatz aus Kommentaren und Ergänzungen, der eines Tages die heiligen Bücher bereichern würde, wenn sie wieder auftauchten.
In den folgenden Monaten hörten sie vereinzelt Gerüchte über weitere überlebende Seelelfen, die versuchten, ihre Kultur an verschiedenen Orten neu zu beleben. Ihre kleine Siedlung wurde immer kleiner, als mehr und mehr Elfen weiterzogen, auf der Suche nach besseren Orten zum Leben.
In stillen Momenten dachte Eloran oft an Elyria, fragte sich, wo sie sein mochte, ob sie sicher war, ob sie je erfahren würde, was aus ihm und Averlyn geworden war. Der getrocknete Jasminzweig, den sie ihm geschenkt hatte, wurde zu einem kostbaren Talisman, den er stets bei sich trug – eine Erinnerung an glücklichere Zeiten und an ein Versprechen, das er im Herzen noch immer hielt.

Kapitel VII : Von den Ruinen Averlyns bis zur Gegenwart

Aufbruch nach Raélyn

Eloran stand auf einem Hügel am Rande der Siedlung und blickte in weiter Ferne auf die weitläufigen Ruinen, die einst das prächtige Averlyn gewesen waren. Zwischen den umgestürzten Türmen und eingesunkenen Plätzen wuchsen bereits Ranken und Wildblumen, die Natur holte sich langsam zurück, was ihr einst abgerungen worden war. Es war Frühling des Jahres 23.992 – sechs Jahre nach dem endgültigen Zerfall ihrer geliebten Stadt.
Die aufgehende Sonne warf ihr warmes, goldenes Licht über die zerfallene Pracht, Tautropfen glitzerten auf den Spinnweben zwischen gebrochenen Säulen. Nyxis kreiste hoch oben in der Luft, ihr schneeweißes Gefieder leuchtete im Morgenlicht. Die Schneeeule genoss diese frühen Stunden, in denen die Welt noch still war und nur das Rauschen des Windes die Stille durchbrach.
Seit einigen Wochen hatten sie Gerüchte gehört, dass im Zentrum der Ruinen ein neuer Anfang entstanden war. Zwei junge Seelelfen, bekannt als die togeglaubten Valrás-Schwestern, hatten die heiligen Bücher der Nyáre va Galys unter einem alten Baum gefunden und begannen, eine neue Stadt aufzubauen - Raélyn, benannt nach der Geborgenheit (Raén) und dem Fluss (Lyn), der durch das Gebiet floss.
„Bist du sicher, dass wir dorthin gehen sollten?“ fragte Eloran seine Mutter, während er die letzte Kiste mit den geretteten Schriften festzurrte. Ihr kleines Haus am Rand der Ruinen, in dem sie nach Taelons Tod sechs Jahre gelebt hatten, wirkte bereits verlassen. Die wenigen persönlichen Gegenstände waren in Kisten verpackt oder verschenkt worden. „Unsere kleine Siedlung hat uns all die Jahre Schutz geboten.“
Lyrianna, deren silbernes Haar nun von feinen weißen Strähnen durchzogen war, trat zu ihm und legte eine Hand auf seinen Arm. Trotz der Härten der vergangenen Jahre strahlte sie noch immer innere Stärke und Anmut aus. „Dein Vater glaubte an die Wiedergeburt unserer Kultur. Diese Schwestern, Überlebende des Adels aus Averlyn haben die heiligen Bücher gefunden - es ist, als öffne sich eine Tür, die lange verschlossen war. Wenn irgendwo ein neues Zuhause für uns entstehen kann, dann dort - im Herzen dessen, was wir verloren haben.“
Eloran nickte und half seiner Mutter auf den kleinen Karren, den sie mit ihren wichtigsten Besitztümern beladen hatten. Mit einem letzten Blick auf die Siedlung, die ihnen in den dunkelsten Zeiten Zuflucht geboten hatte, begaben sie sich auf den Weg zum Zentrum der Ruinen, wo das neue Raélyn entstehen sollte.
Die Reise durch die Trümmer der einst glorreichen Stadt war eine schmerzhafte Erinnerung an alles, was verloren gegangen war. Straßen, auf denen einst das Leben pulsierte, waren nun überwuchert oder eingestürzt. Von den prächtigen Gebäuden standen oft nur noch die Grundmauern. Und doch gab es Anzeichen von neuem Leben – hier eine notdürftig reparierte Brücke, dort ein kleiner Garten zwischen den Ruinen.
An einem Abend, als sie nicht mehr weit vom Zentrum entfernt rasteten, hörte Eloran zum ersten Mal die vollständige Geschichte der Gründung Raélyns. Sie hatten sich einer kleinen Gruppe anderer Reisender angeschlossen, die ebenfalls von den Gerüchten der neuen Stadt angezogen worden waren. Um ein kleines Lagerfeuer sitzend, tauschten sie Geschichten und Hoffnungen aus.
„Die Valrás-Schwestern fanden die heiligen Bücher unter einem uralten Baum mit lilanen Blüten,“ erzählte ein älterer Seelelf mit wettergegerbtem Gesicht. „Lyanara und Maylala, Töchter der königlichen Familie von Averlyn. Man sagt, sie überlebten das Schiffsunglück, wie durch ein Wunder. Als sie die heiligen Bücher entdeckten, sollen sich ihre Seeltiere gemeinsam manifestiert haben – ein schwarzer für Lyanara und eine weiße Katze für Maylala. Ein Zeichen der Ahnen.“
„Eine gemeinsame Manifestation beider Seeltiere,“ flüsterte eine junge Frau ehrfürchtig. Ein Zeichen der Ahnen, dass sie die rechtmäßigen Hüterinnen der Nyáre sind."
Eloran tauschte einen Blick mit seiner Mutter, deren Augen im Feuerschein glänzten. Vielleicht gab es tatsächlich verschiedene Wege, wie die Ahnen ihre Gunst zeigen konnten.
Am nächsten Tag erreichten sie die äußeren Bereiche von Raélyn – ein farbenfroher Banner mit dem Blütensymbol der neuen Stadt wehte über einer neu errichteten Palisade. Beim Nähertreten offenbarte sich eine Stadt im Werden: ein Mosaik aus improvisierten Unterkünften und halbfertigen Bauwerken. Doch trotz der provisorischen Natur der Siedlung spürte Eloran sofort eine Atmosphäre der Hoffnung und des Neubeginns, die stark an das frühe Averlyn seiner Kindheit erinnerte.
Am Eingang der entstehenden Stadt wurden sie von einer jungen Seelelfe mit türkisfarbenen Streifen in ihrem dunklen Haar begrüßt. Sie stellte sich als Arielle vor, eine der Botschafterinnen der Valrás.
„Woher kommt ihr?“ fragte sie freundlich, ein aufgeschlagenes Buch in den Händen, in dem sie offenbar die Neuankömmlinge verzeichnete.
„Averlyn,“ antwortete Eloran. „Oder vielmehr dem, was davon übrig ist. Wir haben in einer kleinen Siedlung in der Ferne vom Rande der Ruinen gelebt.“ Er deutete auf den Karren. „Wir haben einige seiner Schriften gerettet.“
Arielles Augen weiteten sich. „Die Schwestern würden sich freuen, euch persönlich kennenzulernen. Besonders wenn ihr Schriften aus Averlyn gerettet habt.“ Sie schnappte sich eine der jüngeren Helferinnen. „Führe sie zum Lilienpalast, bitte.“
Der „Lilienpalast“ entpuppte sich als ein großer, kunstvoll verzierter Pavillon im Zentrum der entstehenden Stadt. Der Name schien fast ironisch angesichts der einfachen Unterkünfte und provisorischen Bauten ringsum, doch Eloran erkannte die Symbolik – die neue Führung von Raélyn präsentierte sich nicht in abgehobener Pracht, sondern inmitten des Volkes, einfach und zugänglich.
Der Pavillon war aus lila und türkisfarbenem Stoff gefertigt, bestickt mit Szenen aus den alten Legenden. Im Inneren saßen zwei junge Frauen an einem niedrigen Tisch, über Karten und Pläne gebeugt. Die ältere, Lyanara, strahlte ruhige Autorität aus, während die jüngere, Maylala, vor Energie zu vibrieren schien. Was Eloran sofort auffiel, war, dass Maylala unterschiedlich gefärbte Augen hatte - eines grün, eines braun, eine seltene Eigenschaft unter Seelelfen, die oft als Zeichen besonderer Begabung interpretiert wurde.
„Neuankömmlinge aus Averlyn, Hoheiten,“ stellte die junge Helferin sie vor und zog sich dann diskret zurück.
Lyanara erhob sich und begrüßte sie mit der traditionellen Geste der Seelelfen – eine leichte Verbeugung mit der rechten Hand über dem Herzen. „Willkommen in Raélyn. Jeder Überlebende aus Averlyn bringt ein Stück unserer Vergangenheit zurück, das wir in unsere Zukunft weben können.“
Eloran trat vor und wickelte vorsichtig das Bündel mit den Schriften aus. „Mein Vater Taelon war ein angesehener Gelehrter des Wissens und ein enger Vertrauter euerer Familie. Diese Kommentare und Ergänzungen sind sein Vermächtnis.“ Er reichte es Lyanara, deren Augen sich weiteten, als sie einige der Titel erkannte.
„Taelon… Ich erinnere mich an ihn,“ sagte sie leise. „Er war oft im Palast, um mit unserem Vater zu sprechen. Ein weiser Mann.“ Sie blätterte durch die Aufzeichnungen. „Diese Schriften sind von unschätzbarem Wert. Sie werden einen Ehrenplatz in unserer Bibliothek erhalten.“
„Die Ahnen haben dafür gesorgt, dass das Wesentliche bewahrt bleibt,“ sagte Lyanara bei der Übergabe. „Doch jedes Fragment unserer Vergangenheit, das zurückgebracht wird, ist ein weiterer Faden im Gewebe unserer Zukunft.“ Sie schlug eines der Bücher auf, und Eloran erkannte sofort die sorgfältige Handschrift seines Vaters am Rand. „Diese Kommentare werden uns helfen, die heiligen Texte besser zu verstehen.“
„Ihr beide sollt im Hibiskus-Viertel wohnen,“ erklärte Lyanara nach der Übergabe. „Es ist noch im Aufbau, aber eines der schöneren Gebiete, mit Blick auf den Fluss. Wir brauchen Elfen wie euch – Elfen, die das Wissen und die Fertigkeiten der alten Zeit bewahren.“
Als sie den Pavillon verließen, drehte sich Maylala noch einmal um, ihre verschiedenfarbigen Augen leuchteten vor Begeisterung. "Seid ihr Alchemisten? „
„Ich war Heilerin und Alchemistin in Averlyn,“ antwortete Lyrianna lächelnd. „Und mein Sohn hat sein Leben der Alchemie gewidmet, besonders der Verbindung zwischen alchemistischen Prozessen und der Seelenbindung.“
„Faszinierend!“ Maylalas Augen leuchteten auf. „Ihr müsst mir unbedingt mehr davon erzählen. Wir brauchen solches Wissen hier in Raélyn!“
Als sie zur zugewiesenen Unterkunft geführt wurden, spürte Eloran zum ersten Mal seit dem Fall von Averlyn so etwas wie echte Hoffnung. Vielleicht gab es hier in Raélyn einen Platz für ihn und seine Forschungen. Vielleicht würde er hier die Antworten finden, nach denen er so lange gesucht hatte.

Neue Wurzeln in Raélyn

Die ersten Jahre in Raélyn vergingen in einem Wirbel aus Aufbau und Anpassung. Aus dem provisorischen Lager wuchs eine richtige Stadt mit soliden Gebäuden, gepflasterten Straßen und blühenden Gärten. Die spirituelle Verbindung der Seelelfen, lange unterdrückt in den letzten Tagen Averlyns, erwachte in der neuen Gemeinschaft zu neuem Leben, genährt durch die wiederentdeckten heiligen Schriften.
Eloran und Lyrianna richteten im Erdgeschoss ihres neuen Heims eine alchemistische Werkstatt ein. Die großen Fenster, die auf eine kleine Gartenterrasse hinausgingen, ließen reichlich Licht herein und erinnerten Eloran an seine erste Werkstatt in Averlyn. Sie hatten einen kleinen Brunnen in der Mitte des Raumes eingerichtet, dessen sanftes Plätschern an den großen Sternbrunnen von Averlyn erinnerte und eine beruhigende Atmosphäre für ihre alchemistischen Arbeiten schuf.
„Es fühlt sich fast wie damals an,“ sagte er eines Morgens zu seiner Mutter, während sie gemeinsam ein komplexes Heilmittel für einen älteren Seelelfen zubereiteten. Der Duft von getrockneten Kräutern erfüllte den Raum, und das goldene Licht der frühen Morgensonne ließ die Phiolen und Glaskolben auf den Regalen funkeln.
„Und doch ist es anders,“ erwiderte sie, während sie mit geübten Händen Kräuter in einem Mörser zerkleinerte. „In Averlyn waren wir Teil einer alten Tradition. Hier bauen wir etwas Neues auf. Das ist eine seltene Gelegenheit, Eloran. Die Chance, die Tradition zu bewahren und gleichzeitig neue Wege zu erkunden.“
Es war wahr. Die Valrás-Schwestern förderten eine Atmosphäre der respektvollen Innovation. Obwohl sie die alten Traditionen ehrten und bewahrten, erkannten sie auch, dass die Seelelfen sich anpassen mussten, um zu überleben. Diese Balance zwischen Bewahrung und Erneuerung zog viele kreative Geister an und machte Raélyn schnell zu einem Zentrum des Fortschritts.
In den Abendstunden half Eloran oft im neu errichteten Tempel, wo die wiederentdeckten heiligen Bücher studiert wurden: die Nyáre va Galys, die Nyáre va Marthor und die Nyáre va Lumequenta. Der kreisförmige Bau mit seiner offenen Kuppel und den kunstvollen Mosaiken wurde schnell zum spirituellen Herzstück Raélyns. Hier konnte Eloran sein Wissen über die Texte weitergeben, dass er von seinem Vater gelernt hatte, und gleichzeitig von den verschiedenen Interpretationen der anderen Gelehrten lernen.
Während dieser Studien traf Eloran auf Meister Farindel, einen älteren Alchemisten mit fuchsrotem Haar trotz seines Alters, der sich auf die Herstellung spezieller Färbemittel spezialisierte. Die purpurnen und lila Farbtöne, die er entwickelte, wurden bald zum Markenzeichen Raélyns und schmückten die Banner, Gewänder und Gebäude der neuen Stadt.
Unter Farindels Anleitung lernte Eloran die Kunst der Farbextraktion und -stabilisierung, aber auch einen anderen Zugang zur Alchemie als Ganzes die er lange nicht mehr richtig ausüben konnte.
Während dieser Zeit entwickelte sich auch ein besonderes Band zwischen Eloran und der jüngeren der Valrás, Maylala. Die quirlige junge Anführerin war fasziniert von Elorans Wissen und besuchte oft seine Werkstatt, um ihm bei seinen Experimenten zuzusehen oder ihm Fragen zu stellen. Ihre Neugier und ihr scharfer Verstand erinnerten ihn manchmal an Elyria, obwohl die beiden in ihrem Temperament sehr unterschiedlich waren. Der Gedanke an Elyria brachte stets ein bittersweets Gefühl mit sich - ein Stich der Sehnsucht begleitet von der warmen Erinnerung an ihre letzten gemeinsamen Augenblicke im mondbeschienenen Garten.
„Wie machst du das?“ fragte Maylala eines Nachmittags, als sie zusah, wie er eine Flüssigkeit von tiefem Blau zu strahlendem Violett verwandelte, nur durch das Hinzufügen eines farblosen Tropfens.
„Eine Katalysator-Reaktion,“ erklärte er. „Der Tropfen selbst verändert sich nicht, aber er ermöglicht den anderen Substanzen, sich zu transformieren. Etwas Ähnliches geschieht bei der Seelenbindung – die Essenz des Seeltieres katalysiert eine Transformation im Seelelfen, und umgekehrt.“
Maylala beugte sich näher, ihre verschiedenfarbigen Augen – eines grün, eines braun – glänzten vor Neugier. „Deine Alchemie ist wie Magie.“
„Nicht Magie,“ korrigierte er lächelnd, die Worte seiner Mutter zitierend. „Wissenschaft und Kunst zugleich. Die Kunst der Transformation – nicht nur von Materie, sondern auch des Geistes, der diese Materie beobachtet.“
Sie lachte, ein Klang wie plätscherndes Wasser. „Du klingst wie die alten Weisen in unseren Büchern. Kein Wunder, dass Lya dich so schätzt.“
In diesen friedlichen Jahren blühte Raélyn auf, und mit ihm auch Eloran. Die Wunden des Verlusts von Averlyn und seines Vaters heilten langsam, ersetzt durch die Freude, Teil eines neuen Anfangs zu sein. Auch Lyrianna fand in Raélyn neue Erfüllung, wurde zu einer geschätzten Heilerin und Lehrerin, die ihr Wissen an die jüngeren Generationen weitergab.
Doch trotz all seiner Fortschritte und der Anerkennung, die er in Raélyn fand, verspürte Eloran manchmal eine innere Unruhe, ein Gefühl, dass es da draußen noch mehr zu entdecken gab. In solchen Momenten wanderte sein Blick oft zum Horizont, und Nyxis, die seine Gedanken spürte, schien besonders unruhig zu werden. In stillen Nächten fand er sich oft dabei, den getrockneten Jasminzweig, Elyrias Abschiedsgeschenk, in den Händen zu halten und sich zu fragen, ob sie noch lebte, ob sie irgendwo da draußen war, ob sie sich an ihn erinnerte.

Der Große Sturm

Der Himmel über Raélyn verdunkelte sich mit unnatürlicher Geschwindigkeit an jenem verhängnisvollen Nachmittag im Jahr 24.000, acht Jahre nach der Gründung der Stadt. Was als einzelne dunkle Wolke am Horizont begann, wuchs zu einer bedrohlichen Wand aus schwarzen Sturmwolken heran, durchzuckt von violetten Blitzen, die ein gespenstisches Licht über die Stadt warfen.
Die Elfen eilten von den Straßen und Plätzen in ihre Häuser, Läden schlossen hastig, und Eltern riefen ihre Kinder herein. Eine beunruhigende Stille legte sich über die Stadt, nur unterbrochen vom fernen Grollen des herannahenden Unwetters.
Eloran stand in seiner Werkstatt über eine Destillation gebeugt, als die ersten Windböen die Fensterscheiben zum Klirren brachten. Der Luftdruck veränderte sich so plötzlich, dass einige der empfindlicheren Glasinstrumente zersplitterten, und er musste schnell eine Flamme löschen, bevor sie sich ausbreiten konnte.
„Mutter!“ rief er, erinnerte sich dann, dass Lyrianna im östlichen Viertel Heilkräuter sammelte. Sorge stieg in ihm auf, als der Wind weiter an Stärke zunahm.
„Finde sie,“ bat er Nyxis, und die Schneeeule erhob sich von ihrem Platz und schoss zur Tür hinaus, eine verschwommene weiße Gestalt gegen den sich verdunkelnden Himmel.
Kaum hatte er die wertvollsten Materialien in Sicherheit gebracht, hörte er bereits die ersten Alarmrufe durch die Stadt hallen. Die Miliz, eine erst kürzlich gegründete Schutztruppe, eilte durch die Straßen und warnte die Bewohner, in ihren Häusern zu bleiben.
Ein ohrenbetäubendes Krachen ließ alle zusammenzucken, gefolgt von fernen Schreien.
„Das kam vom Palast,“ rief jemand. „Der östliche Turm!“
Elorans Herz setzte einen Schlag aus. Der östliche Flügel des „Lilienpalastes“ – inzwischen ein richtiges Gebäude aus Stein und Holz – beherbergte die neu errichtete Bibliothek, in der die heiligen Schriften aufbewahrt wurden.
„Die Schriften!“ Die Erinnerung an den Einsturz der Bibliothek in Averlyn und den Tod seines Vaters flutete sein Bewusstsein. Ohne nachzudenken stürzte er in den heulenden Sturm hinaus.
Der Wind peitschte mit solcher Gewalt, dass er kaum vorankam. Regen und kleine Hagelkörner prasselten auf ihn nieder, während er sich gegen die Böen stemmte. Andere Seelelfen eilten in dieselbe Richtung – die Bibliothek und ihre Schätze zu schützen war ein instinktiver Impuls für jeden, der die Tragödie von Averlyn miterlebt hatte.
Als sie den Palast erreichten, bot sich ein Bild der Verwüstung. Der östliche Turm war teilweise eingestürzt, Trümmer blockierten den Haupteingang. Doch statt zu verzweifeln, organisierten sich die Seelelfen schnell. Einige begannen, die Trümmer wegzuräumen, während andere Ketten bildeten, um Wasser zu transportieren und kleinere Brände zu löschen, die durch Blitzeinschläge entstanden waren.
Eloran schloss sich einer Gruppe an, die einen Seiteneingang freilegte. Mit vereinten Kräften gelang es ihnen, sich Zugang zur Bibliothek zu verschaffen. Der Anblick, der sie erwartete, ließ sein Herz erneut aussetzen.
Die Bibliothek selbst bot ein Bild des Chaos. Ein großes Loch klaffte in der Decke, durch das Regen und Wind eindrangen. Regale waren umgestürzt, kostbare Pergamente lagen im Wasser, und einige der älteren Schriftrollen waren bereits so durchweicht, dass die Tinte zu verlaufen begann.
„Bildet eine Kette,“ kommandierte Eloran, seine Stimme fest trotz des Entsetzens, das er fühlte. „Wir retten, was wir können. Die trockensten Schriften zuerst, dann die beschädigten!“
In den nächsten Stunden arbeiteten sie unermüdlich im Kampf gegen die Zeit und die Elemente. Der Sturm tobte mittlerweile mit voller Kraft über der Stadt, riss Dächer ab und entwurzelte Bäume. Doch in der Bibliothek ging die Rettungsaktion weiter, beleuchtet von eilig aufgestellten Laternen, deren Flammen im Zugwind flackerten.
Zu Elorans Erleichterung tauchte auch Lyrianna auf, durchnässt aber unverletzt. Nyxis hatte sie gefunden und in Sicherheit gebracht, bevor sie sich dem Rettungstrupp angeschlossen hatte. Gemeinsam arbeiteten Mutter und Sohn, um beschädigte Schriften zu identifizieren und zu sortieren.
„Einige davon können wir noch retten,“ murmelte Lyrianna, während sie vorsichtig Wasser von einem wertvollen Folianten abtupfte. „Aber wir brauchen spezielle alchemistische Mittel, um die Tinte zu fixieren.“
„Ich weiß genau, was wir brauchen,“ antwortete Eloran. „Wenn der Sturm vorüber ist, können wir in unserer Werkstatt die nötigen Tinkturen zubereiten.“
Als der Sturm schließlich nachließ, waren sie erschöpft, durchnässt und voller Schlamm, aber sie hatten einen großen Teil der Schriften gerettet. Nicht alle – einige waren unwiederbringlich verloren, darunter auch wichtige historische Dokumente. Doch das Herzstück des Wissens der Seelelfen, die heiligen Bücher der Nyáre, war bewahrt worden, wenn auch mit Wasserschäden und beschädigten Seiten.
Die nächsten Tage waren geprägt von gemeinschaftlicher Anstrengung und gegenseitiger Unterstützung. Überall in der Stadt halfen die Bewohner einander, Schäden zu reparieren, Verletzte zu versorgen und jene zu trösten, die Hab und Gut verloren hatten. Die Valrás-Schwestern koordinierten die Hilfsmaßnahmen mit bewundernswerter Effizienz, wobei Lyanara die langfristige Planung übernahm, während Maylala mit ihrem unerschöpflichen Tatendrang überall dort auftauchte, wo Hilfe am dringendsten benötigt wurde.
Der Wiederaufbau nach dem Großen Sturm dauerte. Die Stadt wurde nicht einfach wiederhergestellt, sondern verbessert – robustere Gebäude, effizientere Wasserversorgung, geschütztere öffentliche Räume. Eloran stellte sein alchemistisches Wissen in den Dienst der Gemeinschaft, entwickelte wasserfeste Versiegelungen für Dächer und spezielle Tinkturen zur Restaurierung beschädigter Schriften.
Die Stadt wuchs und erblühte unter der Führung der Valrás, während Eloran seinen Platz als einer von vielen fand, die im Hintergrund zum Gedeihen der Gemeinschaft beitrugen – ein Mosaikstein im größeren Bild der wiedererstarkenden Seelelfen-Kultur.
Und doch fühlte er sich zunehmend, als stünde er am Rande einer größeren Veränderung. Der Große Sturm hatte ihn daran erinnert, wie zerbrechlich selbst die solidesten Strukturen sein konnten, und wie wichtig es war, nicht nur zu bewahren, sondern auch zu innovieren und anzupassen. Seine Forschungen zur Seelenbindung waren erneut in den Hintergrund getreten, während er seine Fähigkeiten dem Wiederaufbau widmete – doch die Fragen, die ihn seit seiner Jugend in Averlyn begleitet hatten, blieben unbeantwortet.

Die wachsende Unruhe

An einem stillen Abend, als der Himmel über Raélyn in den tiefen Blau- und Violetttönen schimmerte, die er so liebte, saß Eloran allein auf dem Dach seiner Werkstatt. Von hier aus konnte er die ganze Stadt überblicken – die geschwungenen Dächer, die Gärten, in denen die berühmten Raélyn-Veilchen blühten, und den großen Lilienpalast im Zentrum. Es war eine friedliche Szene, eine Stadt, die nach Katastrophe und Verlust wieder aufgeblüht war.
„Warum fühle ich mich so rastlos?“, fragte er leise.
Weil dein Weg noch nicht zu Ende ist, antwortete Nyxis, die neben ihm saß, ihr schneeweißes Gefieder silbrig im Mondlicht. Du hast mehr zu lernen und zu entdecken, als Raélyn dir bieten kann.
Er wusste, dass sie recht hatte. Seine Forschungen zur Verbindung zwischen Alchemie und Seelenbindung waren immer wieder unterbrochen wurden und sind hier an einen Punkt gelangt, wo er immer wieder gegen dieselben Grenzen stieß. Die Seelelfen von Raélyn waren offen für Innovation, aber nur innerhalb bestimmter Grenzen. Experimente, die die heilige Natur der Seelenbindung zu sehr in Frage stellten, wurden mit zunehmendem Unbehagen betrachtet.
Die nächsten Tage verbrachte Eloran in stiller Reflektion, während er seine alltäglichen Pflichten erfüllte. Er beobachtete die Stadt und ihre Bewohner, lauschte ihren Gesprächen und Hoffnungen. Raélyn hatte sich erholt und prosperierte. Vielleicht, so dachte er, war es Zeit für ihn, weiterzuziehen – nicht aus Unzufriedenheit, sondern aus dem tiefen Wunsch, mehr zu lernen und eines Tages mit neuem Wissen zurückzukehren.

Die Begegnung mit dem Wanderer

Es war ein gewöhnlicher Markttag, als Lyrianna mit dem Fremden zurückkehrte. Eloran hatte gerade eine komplizierte Destillation beendet, als das vertraute Klopfen seiner Mutter an der Tür erklang.
„Dies ist Kazimir,“ stellte sie vor. „Ein Händler, der weit gereist ist und seltene Kräuter für meinen Garten mitgebracht hat. Ich dachte, seine Geschichten könnten dich interessieren.“
Kazimir, ein Mensch mittleren Alters mit wettergebräuntem Gesicht und lebhaften Augen, die eine tiefe Weisheit ausstrahlten, verneigte sich leicht. Um seinen Hals hingen zahlreiche Amulette und Talismane aus verschiedenen Kulturen – ein wandelndes Museum von Reisen und Begegnungen.
„Es ist mir eine Ehre, eucj kennenzulernen,“ sagte er mit einer Stimme, die durch einen leichten, fremdländischen Akzent gefärbt war.
Beim Abendessen entpuppte sich Kazimir als faszinierender Erzähler. Mit bildhaften Worten und enthusiastischen Gesten beschrieb er ferne Länder und exotische Kulturen, die Eloran nur aus Büchern kannte. Besonders seine Schilderungen von Exulor, einer multikulturellen Stadt auf einer Vulkaninsel, fesselten Elorans Aufmerksamkeit.
„Exulor ist ein lebendiger Schmelztiegel des Wissens,“ erklärte Kazimir, während er seine Hände ausbreitete, als wolle er die Vielfalt umfassen. „Zwerge, Menschen, verschiedene Elfenrassen – alle tauschen ihr Wissen frei aus, nicht in geschlossenen Gilden, sondern auf Marktplätzen, in Tavernen und bei spontanen Zusammenkünften. Es gibt einen natürlichen Fluss der Ideen, ungehindert von traditionellen Strukturen.“
Er öffnete seine Ledertasche und holte einen seltsam schimmernden Stein hervor, der im Kerzenlicht in ungewöhnlichen Farben glühte. „Die vulkanischen Mineralien dort haben Eigenschaften, die nirgendwo sonst zu finden sind. Dieser hier ist nur ein gewöhnliches Exemplar, aber tiefere in den Minen gefundene Stücke besitzen Energiesignaturen, die selbst die erfahrensten Alchemisten noch nicht vollständig verstehen können.“
Besonders eine Bemerkung Kazimirs ließ Eloran aufhorchen: „Die Einheimischen berichten von seltsamen Phänomenen im Schatten des Vulkans. Manche behaupten, dass die natürliche Energie des Berges mit spirituellen Verbindungen verschiedener Art resoniert. Ich traf einen Elfen, dessen Seeltier – oder wie ihr es nennt – sich in Exulor deutlicher manifestierte als jemals zuvor. Er sprach von Energieströmen, die zwischen dem Vulkan und seinem spirituellen Begleiter zu fließen schienen.“
Die Idee eines Ortes, an dem die rohe Energie eines Vulkans mit der Seelenbindung interagieren könnte, gepaart mit dem freien Austausch von Wissen zwischen verschiedenen Kulturen und dem Zugang zu einzigartigen alchemistischen Materialien, ließ Elorans Geist mit Möglichkeiten explodieren. Nach dem Essen bat er Kazimir, noch länger zu bleiben, und bombardierte ihn mit Fragen zu den alchemistischen Praktiken und energetischen Phänomenen in Exulor.
In den folgenden Tagen kehrte Kazimir mehrmals zurück, brachte weitere Proben vulkanischer Mineralien mit und zeichnete grobe Karten der Stadt. Mit jedem Gespräch wuchs Elorans Überzeugung, dass Exulor der nächste Schritt auf seinem Weg sein könnte – ein Ort, wo er nicht nur neue Perspektiven auf die Alchemie gewinnen, sondern auch die Wechselwirkung zwischen vulkanischen Energien und der Seelenbindung erforschen könnte. Vielleicht fand er dort endlich die fehlenden Puzzleteile für seine Theorie über die energetische Verbindung zwischen Materie und Seele.

Die Erkundung

Getrieben von neuer Neugier begann Eloran, systematisch alle verfügbaren Informationen über Exulor zu sammeln. In der Bibliothek von Raélyn fand er nur spärliche Erwähnungen – ein paar Handelsregister, einen veralteten Reisebericht, Legenden über den feuerspeienden Berg im fernen Meer.
Er bat die Valrás-Schwestern um Zugang zu den diplomatischen Aufzeichnungen, die Informationen über entferntere Regionen enthielten. Lyanara gewährte ihm die Erlaubnis, obwohl ihre Augen eine unausgesprochene Frage widerspiegelten.
„Du planst eine Reise,“ stellte sie fest, während sie ihm die Schlüssel zum Archiv überreichte. Es war keine Frage.
„Ich erwäge es,“ antwortete Eloran vorsichtig. „Es gibt Wissen dort draußen, das Raélyn eines Tages nützlich sein könnte.“
Lyanara nickte langsam. „Die Seelelfen haben zu lange in Isolation gelebt. Vielleicht ist es Zeit, dass einer von uns hinausgeht und zurückkehrt, um zu berichten.“
In den Archiven verbrachte Eloran lange Nächte, studierte Handelsrouten und Seekarten, berechnete Reisezeiten und mögliche Gefahren. Er fand Berichte über Schiffbrüche und Piraten, aber auch über erfolgreiche Handelsexpeditionen und diplomatische Missionen. Die Reise würde gefährlich sein, aber nicht unmöglich.
Gleichzeitig begann er, mit anderen Bewohnern Raélyns zu sprechen, die weit gereist waren – den wenigen Händlern, die regelmäßig die Grenzen des Seelelfen-Territoriums überquerten, einem alten Fischer, der behauptete, einst an einer Vulkaninsel angelegt zu haben, einem Gelehrten, der von Besuchen bei den Waldelfen im Osten berichtete.
Jede neue Information festigte seine Entschlossenheit. Die Welt war größer als Averlyn und Raélyn, und wenn er die Grenzen seiner Forschung erweitern wollte, musste er bereit sein, diese vertraute Welt zu verlassen.

Der innere Konflikt

Doch die Entscheidung war nicht einfach. Eloran fühlte eine tiefe Verbundenheit mit Raélyn und seiner Mutter. Die Stadt hatte ihm ein neues Zuhause gegeben, nachdem Averlyn verloren war. Hier hatte er Freundschaften geknüpft, Schüler unterrichtet, zum Wiederaufbau beigetragen. War es richtig, all das hinter sich zu lassen?
An mehreren Abenden besuchte er die Gedenkstätte für Averlyn, einen stillen Garten im Herzen Raélyns, wo ein Modell der gefallenen Stadt in Miniatur nachgebildet war. Er betrachtete die winzigen Türme und Brücken, erinnerte sich an Straßen und Plätze, an die Bibliothek, in der sein Vater gestorben war.
„Was würdest du tun, Vater?“, fragte er leise, während seine Finger über das kleine Modell glitten.
Der Wind raschelte in den Blättern der umgebenden Bäume, aber natürlich kam keine Antwort. Doch in seinem Herzen spürte Eloran, dass sein Vater Taelon – der sein Leben dem Wissen und seiner Bewahrung gewidmet hatte – verstehen würde.

Die Entscheidung

Einen Monat nach Kazimirs erstem Besuch lud Eloran seine engsten Vertrauten zu einem Abendessen ein – seine Mutter Lyrianna, zwei seiner begabtesten Lehrlinge und einen jungen Alchemisten namens Thaelon, den er als seinen möglichen Nachfolger betrachtete.
Als der Nachtisch serviert war – ein Kuchen mit den berühmten Raélyn-Veilchen garniert – räusperte sich Eloran und erhob sein Glas.
„Ich habe euch heute zusammengerufen, weil ihr mir alle sehr wichtig seid,“ begann er, seine Stimme leicht unsicher. „Und weil ich eine Entscheidung getroffen habe, die ich mit euch teilen möchte. Ich werde für eine Zeit nach Exulor reisen, um dort neue alchemistische Techniken zu studieren.“
Die Reaktionen reichten von Überraschung bis stillem Verständnis. Die Lehrlinge tauschten besorgte Blicke aus, während Thaelon versuchte, seine Aufregung zu verbergen.
Lyrianna lächelte nur sanft, ihre Augen glänzten im Kerzenschein. „Ich habe mich schon gefragt, wann du es aussprechen würdest. Ich habe diesen Blick in deinen Augen gesehen – denselben Blick, den dein Vater hatte, wenn er einer neuen Erkenntnis auf der Spur war.“
„Du bist nicht überrascht?“, fragte Eloran, erleichtert über ihre Reaktion.
„Mein Sohn, ich kenne dich seit dem Moment deiner Geburt. Dein Geist war nie dafür gemacht, an einem Ort zu verweilen. Selbst als Kind warst du immer am glücklichsten, wenn du etwas Neues entdecktest.“ Sie ergriff seine Hand. „Ich werde dich vermissen, aber ich würde dich nie zurückhalten.“

Die Vorbereitungen

Die nächsten zwei Monate waren gefüllt mit intensiven Vorbereitungen. Eloran verfasste detaillierte Aufzeichnungen seiner alchemistischen Forschungen und Rezepturen, damit sein Wissen in Raélyn erhalten blieb. Er verbrachte lange Stunden mit Thaelon, dem er die Leitung seiner Werkstatt anvertrauen würde, und schulte ihn in den komplexeren Aspekten seiner Arbeit.
Für seine Mutter richtete er das Obergeschoss des Hauses neu ein, damit sie bequemer leben konnte, und stellte sicher, dass eine junge Heilerin namens Sarielle bei ihr einzog, um ihr im Alltag zu helfen. Gemeinsam mit Lyrianna bereitete er große Vorräte an Heilmitteln vor, die sie für ihren persönlichen Gebrauch und für Notfälle in der Gemeinschaft verwenden konnte.
Seine praktischen Vorbereitungen für die Reise waren sorgfältig und methodisch. Mit Hilfe eines Händlers, der regelmäßig zu den südlichen Inseln reiste, sicherte er sich eine Passage auf einem zuverlässigen Schiff. Er studierte Meeresströmungen und Sternenkarten, um die Navigation zu verstehen, und lernte die Grundlagen der gemeinsamen Handelssprache, die in den Hafenstädten gesprochen wurde.
Besondere Aufmerksamkeit widmete er seiner alchemistischen Ausrüstung. Da er nicht alles mitnehmen konnte, musste er sorgfältig auswählen – die essentiellen Instrumente, die seltensten Zutaten, die wertvollsten Schriften. Jedes Stück wurde einzeln in Segeltuch gewickelt und in speziell angefertigten Kisten verstaut, die Erschütterungen und Feuchtigkeit widerstehen konnten.
Eine Woche vor seiner geplanten Abreise suchte er die Valrás-Schwestern auf, um sich offiziell zu verabschieden. Im großen Empfangssaal des Lilienpalastes überreichte er ihnen ein Geschenk – ein handgebundenes Buch mit seinen wichtigsten alchemistischen Entdeckungen, kunstvoll illustriert und in der traditionellen Sprache der Seelelfen verfasst.
„Dies ist mein Vermächtnis an Raélyn,“ sagte er, während er vor ihnen kniete. „Möge es der Stadt dienen, wie ich zu dienen versucht habe.“
Lyanara nahm das Buch mit einer formellen Verbeugung entgegen. „Raélyn nimmt dein Geschenk an und wird es bewahren. Mögen die Ahnen deinen Weg erhellen.“
Maylala hingegen ignorierte die Formalität und umarmte ihn spontan. „Vergiss nicht zu schreiben,“ flüsterte sie. „Ich will alles über diese verrückte Vulkanstadt erfahren.“

Der Abschied

Am Tag seiner Abreise erwachte Eloran vor Sonnenaufgang. Er stand auf seinem Balkon und beobachtete, wie das erste Licht die Türme und Dächer von Raélyn in goldenes Licht tauchte. Er prägte sich jedes Detail ein – die Farben, die Geräusche, den Duft der Raélyn-Veilchen, der durch die Morgenbrise getragen wurde.
Nyxis landete lautlos neben ihm, ihre Augen reflektierten das Morgenlicht.
Bist du bereit? fragte sie.
„So bereit, wie ich sein kann,“ antwortete er leise.
Zum letzten Frühstück mit seiner Mutter hatte Lyrianna alle seine Lieblingsgerichte zubereitet – Honigbrot mit Nüssen, Waldbeerenaufstrich und einen duftenden Kräutertee. Sie aßen meist schweigend, die Worte zwischen ihnen überflüssig nach all den Jahren des gegenseitigen Verständnisses.
Als sie fertig waren, überreichte Lyrianna ihm ein kleines, in Silber gefasstes Fläschchen, kunstvoll graviert mit den Symbolen der Seelelfen und mit einem Stöpsel versehen, der den Duft perfekt bewahrte.
„Die seltenste Essenz der Raélyn-Veilchen,“ erklärte sie. „Sie soll die Verbindung zwischen Seelelfen und ihren Seeltieren stärken, besonders über große Entfernungen hinweg. Damit Nyxis und du stets in Harmonie bleibt, egal wie weit ihr von Raélyn und Averlyn entfernt seid.“
Sie umarmte ihren Sohn fest, und er spürte die Wärme ihrer Liebe wie einen Schutzmantel um sich. „Vergiss nie, woher du kommst, mein Sohn, aber fürchte dich nicht davor, neue Horizonte zu entdecken. Das Leben ist eine Reise, und manchmal müssen wir vertraute Pfade verlassen, um unsere wahre Bestimmung zu finden.“
Auf dem Weg zum Hafen wurde Eloran von einem unerwarteten Anblick überrascht. Entlang der Hauptstraße hatten sich die Bewohner von Raélyn versammelt – seine Lehrlinge, seine Patienten, Nachbarn und Freunde. Sie streuten Blütenblätter der Raélyn-Veilchen auf seinen Weg und riefen ihm Segenswünsche und Abschiedsgrüße zu.
Am Ufer des Flusses wartete bereits das Schiff, das ihn zur Küste bringen würde, wo er auf ein größeres Handelsschiff umsteigen sollte. Ein letztes Mal drehte er sich um und blickte zurück auf die Stadt, die ihm nach Averlyn ein zweites Zuhause geworden war. Die aufgehende Sonne ließ die silbernen und türkisfarbenen Spitzen der Gebäude leuchten, als würde die Stadt selbst ihm zum Abschied winken.
„Ich kehre zurück,“ flüsterte er. „Mit neuem Wissen und neuen Geschichten.“
Dann wandte er sich um und bestieg das Schiff, das erste Fahrzeug auf seiner langen Reise nach Exulor. Eine neue Etappe seines Lebens begann, während hinter ihm Raélyn im Morgenlicht erstrahlte, ein Leuchtturm der Erinnerung und der Heimat, der ihn auf seiner Reise begleiten würde.
…….
Und von hier an wird gespielt!

Hallo @Loulette ,
So, ich hab alles eingefügt. Die Einbindung von @TinyM0on Charakter sind teilweise abgeklärt leider nicht alles da ich da aktuell keine Rückmeldung mehr bekommen habe, demensprechend kann es in Zukunft noch Änderungen im letzten Kapitel geben.