Das goldene Relief

Er konnte die ungebändigte Panik außerhalb dieses prächtigen Raumes hören und spüren und dennoch kniete er hier und bettete seelenruhig für die unsterblichen Seelen seiner Soldaten. In weniger als einem Tag würde diese Stadt sterben und dies nur wegen seinen Ambitionen. Er seufzte leise während er die tanzenden Schatten auf den prächtigen Fresken und Gemälden der Hauskapelle betrachtete. Seine Gier hatte hierfür gesorgt. Wie könnte er jemals diese Sünde wieder gut machen? Kurz bevor er sich erheben wollte viel sein Blick auf das in Gold geätzte Abbild der Erhebung Jesus. Der Blick des Abbildes wirkte als würde er ihn betrachten. Konstantin erwiderte den Blick der Darstellung. Was war das? Hatte er da nicht gerade den Gesang des Chors der großen Kathedrale vernommen? Er blickte sich um doch er war noch immer alleine. Irritiert blickte er erneut zu dem Abbild und schon vernahm er erneut den prächtigen Gesang.

Der Legende nach wurde das goldene Relief in den frühen Jahren nach der Spaltung des römischen Reiches erschaffen, in einer Zeit, in der Glaube und Kunst untrennbar miteinander verbunden waren. Der Schöpfer dieses Meisterwerks, ein Goldschmied von einzigartiger Begabung, soll eine göttliche Vision empfangen haben: Jesus Christus selbst offenbarte ihm die Pläne für das Relief und segnete sein Werk. Voller Hingabe und Ehrfurcht schuf der Goldschmied das Abbild der Erhebung Jesu – eine Darstellung von so tiefer Symbolik und Perfektion, dass es als ein Wunderwerk seiner Zeit galt.
Das Relief wurde zunächst in der ehrwürdigen Hagia Sophia aufbewahrt, wo es einen kleinen Seitenschrein zierte und Pilger aus nah und fern anzog. Doch in einer Zeit des Chaos und der Umwälzungen, als Konstantinopel von Aufständen heimgesucht wurde, verschwand das Artefakt spurlos. Für viele Jahrzehnte galt es als verloren, bis es schließlich in der Hauskapelle der einflussreichen Familie Valdor in Arcadiapolis wiederentdeckt wurde.
Nach der Flucht aus Arcadiapolis bewahrte Konstantin von Valdor, der erste Basileus des Reiches, das heilige Artefakt zunächst in seinen privaten Gemächern auf. Dort war es geschützt vor den Augen der Gierigen, verborgen und sicher, bis der Zeitpunkt gekommen war, ihm eine würdigere Bestimmung zu geben. Erst nach der Errichtung der großen Kirche in Theonopolis, einem Symbol des neu erblühten Glaubens und der Einheit, entschied Konstantin, das Artefakt der Kirche zu übergeben.
Dieser Akt war mehr als eine bloße Schenkung – es war eine spirituelle Bekräftigung seines göttlichen Anspruchs und seiner Verantwortung als Herrscher. In einer prachtvollen Zeremonie, begleitet von Gesängen, trug Konstantin das Relief eigenhändig zum Schrein der neuen Kirche. Dort fand das Artefakt seinen endgültigen Platz, wo es fortan als Symbol göttlicher Führung und Schutzes verehrt wird.

Einzigartig ist die göttliche Aura, die dem Relief nachgesagt wird. Gläubige berichten, dass man in Momenten der tiefsten Andacht und Einsamkeit den Gesang eines himmlischen Chors vernehmen könne. Eine Melodie, die das Herz erfüllt und die Seele durchdringt. Doch diese Erscheinung birgt auch eine schwere Last: Der Chor soll ein Bote sein, der den Betrachter vor eine folgenschwere Entscheidung stellt. Eine Entscheidung, die das Schicksal vieler beeinflusst. Die Stimmen der Engel, so sagt man, verweben sich mit Flüstern von Reue und Schuld, ein leises Echo der Gewissenserforschung.

Heute ruht das goldene Relief in einem prächtigen Schrein im Kirchgarten von Theonopolis. Dort wird es von der Priesterschaft des Basilier-Ordens verehrt und in regelmäßigen Ritualen gereinigt, damit kein irdischer Makel seine strahlende Schönheit trübt.
In Zeiten der Not oder des Krieges erwacht das Relief zu einem Symbol des Zusammenhalts und der Hoffnung. Es wird in einer goldenen, kunstvoll verzierten Schatulle durch die Straßen der Stadt getragen, begleitet von einer Prozession der Priester, die feierliche Gesänge anstimmen. In diesen Momenten vereinen sich die Gebete der Gläubigen mit der himmlischen Aura des Reliefs, und die Stadt wird von einem Gefühl der göttlichen Macht durchflutet.

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