Er konnte sich noch genau an den Tag erinnern als er das erste Mal den Jadefrosch erblickte.
An jenem Tag war die Stadtluft kaum mehr zu ertragen, weshalb er zusammen mit seinem Vater zum ersten Mal vor dem Sommer auf das Anwesen geflüchtet war.
Jedes Mal wenn er sich an jenen Moment erinnerte spürte er die Wärme der Sonne auf seiner Haut.
Der Garten war trotz der Dürre in der Umgebung ein buntes Meer aus Farben.
Das sanfte Rauschen der Bäume hatte sich mit dem Plätschern der Brunnen und dem Gesang der Vögel vermischt.
Für ihn klang es damals als würden die Geräusche sich zu einem göttlichen Chor vereinen um von der Pracht seiner Familie zu singen.
Er fühlte sich so, als könnte er alles erreichen - als würde die Welt sich seinem Willen beugen, und so jagte er die Vögel durch den Garten bis er vor der Statue stand.
Sie zog seinen Blick wie magisch an und fesselte ihn in ihren Bann.
Der Junge hatte bereits viele Geschichten über diese Statue gehört und viele von ihnen waren ihm von seinem Vater selbst erzählt und doch ließ keine dieser Geschichten auf die Schönheit der Statue schließen.
Im Jahre 647, als das byzantinische Reich und das persische Sassanidenreich in einem brüchigen Frieden standen, erreichte ein außergewöhnliches Geschenk die Residenz der Familie Valdor. Ein persischer Adeliger, dessen Name in den Schatten der Geschichte verloren ging, hatte der Familie eine große Froschstatue aus makelloser Jade überbracht. Ihre Oberfläche war glatt wie Seide, ihr tiefes Grün schimmerte im Sonnenlicht, als ob es von innen heraus leuchtete.
Doch um dieses Geschenk rankten sich Gerüchte. Manche behaupteten, die Statue sei ein Symbol für Reichtum und Fruchtbarkeit, während andere sie als Fluch betrachteten – ein Versuch, die Familie Valdor durch subtile persische Magie zu verderben. Trotzdem fand der Jadefrosch seinen Platz im Garten des prächtigen Landhofes der Familie, umgeben von sprudelnden Brunnen und duftenden Olivenbäumen.
Jahrzehnte vergingen, und das Schicksal der Valdors nahm eine dramatische Wende. Arcadiapolis war zu einer wohlhabenden Stadt herangewachsen, in der Händler aus aller Herren Länder zusammenkamen, um ihre Waren feilzubieten. Die Valdors residierten in einem prachtvollen Palast aus weißem Marmor, dessen Säulen mit goldenen Mosaiken verziert waren. Ihre Macht war unangefochten, doch Neider und Feinde lauerten im Verborgenen.
Gerüchte über eine Verschwörung gegen die Familie Valdor kursierten bereits, als im Frühling des Jahres 1100 das Heer des byzantinischen Kaisers Basileios II. vor den Toren der Stadt erschien. Die Gründe für diesen Angriff blieben im Dunkeln, doch einige munkelten, dass es nicht nur um politische Macht, sondern auch um die sagenumwobene Jadefroschstatue ging. Man erzählte sich, dass der Kaiser von ihrer mystischen Kraft erfahren hatte und sie für sich beanspruchen wollte.
Als die Nachricht von der heranrückenden Armee Arcadiapolis erreichte, wurde die Stadt in Alarmbereitschaft versetzt. Händler und Bauern flohen, die Stadttore wurden verstärkt, und die Valdors berieten sich in eiligen Sitzungen mit ihren engsten Verbündeten. Die Familienoberhäupter trafen eine schwere Entscheidung: Die wertvollsten Besitztümer mussten in Sicherheit gebracht werden. Bereits Tage zuvor war die Jadefroschstatue auf einem Schiff in Arcadiapolis eingetroffen, um im dortigen Palast ausgestellt zu werden.
Während die Soldaten auf den Zinnen kämpften, herrschte in den Palästen panische Hektik. Diener rannten durch die Gänge, edle Damen versteckten sich hinter schweren Vorhängen, während die Herren des Hauses letzte Befehle erteilten. Die letzten Kutschen rollten zum Hafen, wo die prächtigen Schiffe bereits mit knarrenden Planken auf den Wellen schaukelten. Wertvolle Kisten wurden unter hektischen Rufen verladen, während am Horizont die ersten Feuersignale der angreifenden Armee zu sehen waren.
In der Dunkelheit der Nacht wurden die letzten Habseligkeiten verstaut, und die prächtigen Schiffe machten sich bereit, in See zu stechen. Als die Stadtmauern unter dem donnernden Ansturm der kaiserlichen Truppen brachen, lichtete die Flotte den Anker. Die Schreie der sterbenden Verteidiger vermischten sich mit dem heulenden Wind, während die Flüchtlinge in die dunklen Wellen hinaussegelten.
Wochenlang trieben die Überlebenden auf dem offenen Meer. Hunger und Angst wurden zu ihren ständigen Begleitern. Viele verloren den Mut, andere fanden Trost in der Hoffnung auf eine neue Heimat. Eines Tages, als die Sonne in blutroten Strahlen über dem Horizont aufging, entdeckten sie eine ferne Küstenlinie – unberührtes Land, fremd und wild. Ihre Schiffe liefen auf einer Sandbank auf, und die Flüchtlinge betraten den unbekannten Boden.
Unter den wenigen Gegenständen, die sie retten konnten, war die Jadefroschstatue. Sie wurde an den Strand getragen, ein stummer Zeuge der verlorenen Heimat. Die Valdors, nun entwurzelt und heimatlos, beschlossen, an diesem fremden Ort eine neue Stadt zu errichten. Sie nannten sie Theonopolis – ein Symbol für ihren ungebrochenen Willen und ihre Sehnsucht nach ihrer alten Heimat.
Die Statue erhielt einen Ehrenplatz auf dem Marktplatz vor dem Rathaus. Bald schon rankten sich neue Legenden um sie. Manche behaupteten, dass der Frosch den Flüchtlingen Glück brachte, da ihre Stadt trotz aller Widrigkeiten wuchs und gedieh.