„Ein schöner Schein ist nicht gleich heilig. Der Teufel trägt auch Flügel, wenn er sich als Engel ausgibt.“
Der erste Lichtstrahl fiel durch das Buntglasfenster und warf rubinrote und goldene Schatten auf die kalte Halle. Der Boden war frisch gescheuert, das Banner mit dem Kreuz Ravennas hing schwer über dem steinernen Thronstuhl. Zwei Wachen in weißem Waffenrock mit rotem Kreuz standen regungslos zu beiden Seiten.
Ravenna von Hohenfels saß auf ihrem Hochsitz, die Hände gefaltet, das Schwert Judicium Dei neben sich gelehnt. Ihr Blick ruhte scharf auf der Frau, die vor ihr kniete.
Johanna von Freiburg – aufrecht trotz der Haltung. Ihr Gesicht war von alten Narben gezeichnet, doch ihre Wunden waren verheilt. Das Kettenhemd, das sie trug, war schlicht, aber gepflegt. Die Haut unter dem Metall war nicht mehr fiebrig, sondern klar. Ihre Augen blickten ruhig, wachsam – mit einem Mut, der weder Trotz noch Unterwerfung war.
„Man sagte mir, du seist aus einem Hospital gekommen“, begann Ravenna. Ihre Stimme war kontrolliert, beinahe freundlich. „Dass du dort gepflegt wurdest, nach einer langen Reise. Nun stehst du hier, gesund – und nennst dich Ritterin.“
Johanna neigte leicht das Haupt. „Ich folge der Jungfrau und ehre die Mütterlichkeit als höchste christliche Tugend“, sagte sie schlicht. „Ich bin gekommen, um zu dienen, und, wenn es Gott gefällt, zu kämpfen.“
Ravenna runzelte kaum merklich die Stirn.
„Du sagst, du seist eine Ritterin. Und doch nennst du weder Banner noch Eid, keinen Herren, der dich entsandte.“
„Die, denen ich diente, leben nicht mehr“, sagte Johanna leise. „Was ich war, bin ich durch Tat geworden, nicht durch Zeremonie.“
Ravenna trat langsam die Stufen ihres Throns hinab. Ihre Schritte hallten über den Stein.
Sie lügt, dachte sie. Oder sie verschweigt zu viel. Vielleicht beides.
Doch da war etwas an dieser Frau – eine Art von innerer Glut. Kein Aufbegehren, sondern ein Feuer, das man kanalisieren konnte.
„Du wirkst nicht wie eine Bittstellerin“, sagte Ravenna, nun mit leiser Härte. „Eher wie jemand, der seine Klinge schon zu oft für seine eigenen Ziele gezogen hat.“
Johanna hob langsam den Blick. „Meine Ziele sind nicht von mir selbst. Ich folge der Ordnung Gottes. Und suche einen Ort, an dem ich dienen kann – unter einer Herrin, die das Wahre von der Täuschung zu scheiden weiß.“
Ein Moment der Stille.
Dann trat Ravenna einen Schritt zurück, hob die Hand. „So höre, Johanna von Freiburg. Ich gewähre dir ein Lehen. Du wirst mir Treue schwören – mir allein.“
Sie sah ihr tief in die Augen. „Aber bedenke, was du mir verschweigst, kennt vielleicht schon mein Gott. Wenn du lügst, so wird es nicht ewig verborgen bleiben.“
Ravenna beugte sich leicht vor. „Und wisse: Ich dulde keinen Sturm in meinen Mauern. Du bist mein Schwert – nicht mein Richter.“
Johanna senkte das Haupt, küsste schweigend den Ring Ravennas.
Als sie hinausgeführt wurde, blieb Ravenna allein zurück in der Halle.
Die Tür hallte dumpf hinter Johanna ins Schloss, und das Echo ihrer Schritte verklang im Gewölbe. Für einen Moment war nichts zu hören als das leise Flackern der Kerzen, das ferne Rauschen des Windes hinter den Mauern.
Ravenna stand reglos auf dem untersten Absatz ihres Throns. Ihre Hände ruhten auf dem Knauf ihres Schwertes. Judicium Dei – das Urteil Gottes – schien in der Stille schwerer zu wiegen als je zuvor.
Sie schloss die Augen.
So viele hatten gekniet. So viele hatten geschworen. Einige hatten Wort gehalten, andere hatten sie verraten. Doch sie selbst war stets standhaft geblieben – eine Feste in einem Land voll Götzen, Zweifel und Zersetzung.
Die Glut des Morgens brach nun voll durch das Fenster und fiel auf ihr Antlitz. Rot wie Blut. Gold wie das Himmelreich.
„Herr“, flüsterte sie, „wenn ich fehlgegangen bin, so richte mich. Wenn ich recht gehandelt habe, dann stärke meine Hand. Ich will nicht lieben, wo du Hass verlangst. Ich will nicht schonen, was du verdammt hast.“
Sie trat zurück auf den Hochsitz, setzte sich nieder wie eine Königin ohne Krone – als Richterin, Mutter und Schwert.
Die Halle war kalt, doch in ihr brannte das Feuer weiter.
Und so begann ein neuer Tag in Hohenfels – unter dem Banner des Kreuzes, mit Ravenna von Hohenfels auf ihrem steinernen Thron, unbeugsam wie der Glaube, dem sie diente.