Noch ehe das erste Licht über den Zinnen von Hohenfels kroch, war Ravenna bereits wach.
Sie war nicht erwacht – sie war aufgestanden. So wie man ein Schwert vom Haken nimmt:
schwer, entschlossen, bereit.
Das Schlaflager aus rauem Leinen war kühl, fast feindlich – wie sie es liebte. Kein Kissen, kein Trost. Denn der Glaube verlangte Entbehrung, nicht Bequemlichkeit.
Im kleinen Oratorium kniete sie nieder. Der Boden war kalt, der Stein hart, die Dornengeißel lag bereit.
Ohne Laut, ohne Zittern schlug sie sich dreimal sieben Mal. Nicht zur Buße – sondern zur Erinnerung:
„Ein Körper, der weich ist, dient dem Feind.
Ein Geist, der zittert, gehört den Götzen.
Und ich gehöre einzig dem Herrn.“
Als das Blut sickerte, fühlte sie sich ganz. Rein. Wach. Bereit.
Der Wehrgang empfing sie mit Wind und Nebel.
Die Türme ragten wie betende Finger in den grauen Himmel. Und zwischen ihnen schritt sie – das Haupt erhoben, der Blick fest, das Schwert an der Seite.
Ein Rekrut nieste.
Sie blieb stehen. Der Junge versuchte, Haltung anzunehmen, doch seine Hände zitterten.
„Schwäche ist wie Schimmel“, sagte sie ruhig. „Man duldet ihn einmal – und bald fault das ganze Haus.“
Er wurde dem Stall zugeteilt. Vier Wochen ohne Waffen – zur Reinigung.
Die Messe war voll.
Die Menschen von Hohenfels standen dicht an dicht in der Kapelle. Frauen mit schmalen Gesichtern, Männer mit rauen Händen, Kinder mit großen Augen.
Ravenna trat vor den Altar, schlicht gekleidet – aber unübersehbar.
Sie sprach ohne Pathos. Ihre Stimme war wie Hammer auf Amboss.
„Der Herr liebt euch – weil ihr ihm dient.
Doch draußen, jenseits der Felder, wandern jene, die ihn verspotten.
Die sich nicht beugen, sondern begehren.
Die Elfen mit ihren goldenen Augen, die Orks mit ihrer tierischen Kraft, die Zwerge mit ihren Lügen.
Sie nennen es Freiheit – wir nennen es Sünde.
Und was sündigt, soll brennen.“
Die Kinder weinten nicht. Sie wussten, dass Tränen keinen Platz hatten unter dem Kreuz.
Ein Streit entbrannte im Dorf.
Zwei Familien, alte Schuld, ein umgestürzter Grenzpfahl. Ravenna hörte sich alles an. Still, regungslos.
Dann legte sie beiden Vätern die Hand auf die Schulter.
„Euer Zorn ist verständlich. Doch seid gewarnt: Wer in Hohenfels die Ordnung stört, dient den Feinden Gottes – auch wenn er hier geboren wurde.“
Beide senkten den Blick. Sie ließ sie leben. Diesmal.
Am Nachmittag rief sie die Knappen zusammen.
Keine Reden. Kein falscher Stolz.
Nur Stahl gegen Stahl. Schild an Schild. Schweiß und Schmerz.
Als einer fiel, trat sie an ihn heran.
„Du blutest? Gut. Dann weißt du jetzt, wie der Glaube schmeckt.“
Und als er zögerte, sich zu erheben, streckte sie ihm die Hand hin. Nicht aus Mitleid – sondern aus Pflicht.
Abends verteilte sie Brot an die Alten und Kranken.
Mit eigenen Händen.
„Ihr seid alt – aber ihr habt geglaubt. Ihr habt gesät. Und ich beschütze, was ihr gepflanzt habt.“
Eine Frau fragte:
„Herrin… warum hasst Ihr die Fremden so sehr?“
Ravenna antwortete leise, beinahe zärtlich:
„Weil sie nicht glauben. Weil sie lachen, wo sie beten sollten. Weil sie leben, ohne zu gehorchen.
Und weil Gehorsam das erste Opfer ist, das der Herr verlangt.“
Als die Nacht kam, stand sie allein auf dem Turm.
Kein Blick reichte weit genug, um die Welt da draußen zu sehen –
aber sie brauchte ihn auch nicht.
Sie wusste, was dort lauerte: Mischblut. Götzenanbeter. Namenlose Götter mit vielen Zungen. Händler mit falschen Münzen. Elfen, die Liebe wie ein Spiel sahen.
Orks, die glaubten, ihre Faust sei ein Gesetz.
„Eines Tages“, sagte sie leise,
„werdet ihr schreien.
Und der Herr wird nicht antworten.
Weil ihr seine Sprache nie gesprochen habt.“
Sie küsste das kleine Olivenholzkreuz, das sie trug.
Dann ging sie hinab.
Und in der Stille Hohenfels’ brannte ein einziger Gedanke wie eine Flamme im Dunkel:
„Was nicht glaubt, soll brennen. Was glaubt, wird kämpfen.“