Die Nachricht der Krone – eine Geschichte über Rogar Siram

((Dies ist meine Teilnahme an dem Gewinnspiel von @Altan zur 100. Folge auf seinem Kanal. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen))

Rogar spürte das kalte Eisen des Säbels an seinem Hals. Er war mit den Händen nach oben an den Mast des Schiffes gebunden, welches er vor zwei Tagen für seine erste Seefahrt betreten hatte. Vor zwei Tagen! Nicht mal zwei Tage hatte es die Crew ohne eine Meuterei ausgehalten.
Rogar Siram war schon zu den jungen Tagen seiner Jugend zur See gefahren. Dass er auch im späteren Leben zur See fahren wollte, war so klar, wie das Meer, welches an die Küste seines Heimatortes schlug. Mit 17 Jahren war er bei Kapitän Goldzahn, einen sehr schrulligen, aber liebenswürdigen Mann in die Lehre gegangen. Sein Vater hatte ihn den Kapitän vorgestellt. Der Kapitän und sein Vater waren beide gute Freunde und so nahm Kapitän Goldzahn Rogar Siram unter seine Fittiche. Das erste Jahr seiner Lehre zum Seemann verbrachte Rogar an Land. Der Kapitän brachte ihm alles bei, was er wusste. Von 67 verschiedenen Seemannsknoten, über die verschiedensten Winde auf hoher See, war alles dabei.

Im Sommer des zweiten Jahres, wurde Kapitän Goldzahn von der Königin des Landes beauftragt, eine wichtige Nachricht von einer der unzähligen Inseln des Landes zu der Königin zu bringen. Von der Königin einen solchen Auftrag zu bekommen, geschieht nur einmal im Leben, erklärte der Kapitän Rogar, bevor sie aufbrachen. Rogar war sehr glücklich, dass erste Mal zusammen mit seinem Lehrer auf die hohe See zu fahren und war über den Auftrag der Königin genauso erfreut, wie der Kapitän selbst. Wer ihn jedoch nicht erfreut hatte, war die Crew des Schiffes, welche sie angeheuert hatten. Es waren alle sehr zwielichtige Kerle. Ungehobelt und nicht wirklich vertrauensvoll. Rogar hatte schon geahnt, dass es schnell zu einer Meuterei kommen könnte, aber so schnell?

Kaum waren sie außer Reichweite von Land oder anderen Schiffen gewesen, hatten die Verbrecher zugeschlagen. Rogar konnte sich nur noch an einen harten Schlag auf den Hinterkopf erinnern, bevor er mit den Händen an den Mast gefesselt aufgewacht war und das Metall des Säbels am Hals gespürt hatte.

Der Säbel gehörte zu Arrak, dem Anführer der Bande. Arrak war ein sehr schmächtiger Mann, welcher wohl ohne die hinterlistigsten Tricks, die er immer wieder auf Lager hatte, nie einen Kampf gewonnen hätte. Hinter Arrak standen Quetsch Piet und Gaub. Sie waren die rechte und die linke Hand von Arrak. Arrak ging ohne sie irgendwo hin. Quetsch Piet war ein mit Muskelbepackter Mann, welcher jedoch ein Hirn mit der Größe einer Erbse besaß. Bei Gaub war man nie wirklich sicher woran man war. Dank der langen Haare, die er oder sie sich immer ins Gesicht geschlagen hatte, wusste Rogar noch nicht einmal mit Sicherheit, ob Gaub männlich oder weiblich war. Dieses Auftreten macht Gaub völlig unberechenbar und noch gefährlicher als den Muskelprotz Quetsch Piet. Und selbst bei dieser Aussage war sich Rogar nicht sicher.

Der Säbel kitzelte Rogar an der Kehle. Er wagte kaum noch zu atmen. Arrak lachte und offenbarte seine gelben Zähne: „So, und jetzt wirst du mir schön erzählen, wo der Schatz ist.“ „Was für ein Schatz?“, fragte Rogar. Der Säbel an seiner Klinge drückte sofort tiefer: „Du verkaufst uns hier nicht für blöde! Nicht du! Wir wissen genau, dass du und dein ach so wunderbarer Kapitän eine Nachricht für die Königin überbringen solltet. Und wenn etwas mit einem solchem Aufwand zur Königin gebracht wird, ist meinst etwas zu holen. Also wo ist der Schatz?“ Rogar schluckte. Er wusste doch gar nicht was in der Nachricht stand, geschweige denn wo sie war. Er wusste doch auch nicht mehr, als dass sie eine Nachricht an die Königin überbringen sollten. Die Stimme von Arrak riss ihn aus seinen Gedanken: „Ich warne dich: Wenn du nicht spurst, dann wird es dir so ergehen wie dem Käpten.“ Mit einem Nicken zeigte er auf den hinter ihm liegenden Körper vom Kapitän Goldzahn. Seine Kehle war mit einem glatten Schnitt durchtrennt worden. Rogar blickte völlig entgeistert auf die Leiche seines Lehrers. Gaub lachte bei dem Anblick hysterisch. Arrak kam nun näher an Rogar und schob sich so wieder in sein Blickfeld: „Also wo ist der Schatz?“ Eine unbändige Wut packte Rogar mit aller Macht. Wut auf diese Bande voller Deckskerle, die aus reinster Habgier seinen Lehrer ermordet hatten. Die Wut verlieh ihn neue Kräfte. Er packte allen Mut zusammen und stoß sich mit den Beinen von Boden ab. Am höchsten Punkt seines Sprunges riss er die Beine kerzengerade nach vorne und traf Arrak vor die Brust. Der Tritt ließ Arrak keuchend zu Boden gehen und schlug ihn den Säbel aus der Hand. Endlich konnte Rogar wieder atmen ohne die Angst, eine Klinge könnte sich in sein Fleisch schneiden. Doch die Ruhe währte nur ein Augenblick. Kaum hatten sich die drei Seeräuber von dem plötzlichen Angriff erholt, da stürmte auch schon Quetsch Piet vor und holte mit einer Faust, welche so groß war, wie ein Wackerstein, zum Schlag aus. Er traf Rogar direkt im Gesicht und ihm wurde schwarz vor Augen.

Als Rogar wieder zu sich kam, war es Nacht geworden. Sein Kopf schmerzte von dem Schlag und als er sich mit der Zunge über die Zähne fuhr, merkte er, dass einer Fehlte. Aber immerhin, er war am Leben. Arrak und seine Bande schienen es sich nicht leisten zu können, ihn umzubringen, weil sie dachten, er wäre der einzige, der noch wüsste, wo der vermeidliche Schatz der Königin versteckt war. Dabei hatte er doch keinen blassen Schimmer. Doch Rogar wusste, sollten die Seeräuber das herausfinden, was früher oder später geschehen würde, wird er seine letzten Atemzüge an einer Hand abzählen können. Er musste sich irgendwie befreien, aber wie? Rogar ließ seinen Blick über das Deck schweifen. An der Feuerstelle des Schiffes saß die Crew. Fetzen von dem Lied, das sie sangen, drang an sein Ohr:

Hej-ho, hej-ho! Auf den sieben Meeren,
hej-ho, hej-ho, bläst ein harter Wind.

Keiner der Piraten achtete auf Rogar. Er begann sich ruckartig hin und her zu bewegen, um die Seile, die ihn an den Händen am Mast fesselten, zu lockern. Nach dem Tritt gegen Arrak hatten die Mistkerle jedoch auch noch seine Beine an den Mast gefesselt, was sein Zappeln nicht gerade einfacher machte.

Hej-ho, hej-ho! Wenn wir sie dann queren,
hej-ho, hej-ho, zittert jedes Kind.

Da löste sich die Fessel um sein Handgelenk, sodass er die linke Hand herausziehen konnte. Hektisch begann er die andere Hand zu befreien, um dann mit beiden Händen an den Beinfesseln zu arbeiten. Er wagte es kaum sich runterzubeugen, aus Angst, jemand könnte ihn bemerken.

Hey, noch eine Buddel Rum!
Denn der Rum macht so schön dumm.
Und wenn dann die Sonne glüht,
macht sie noch so herrlich müd!

Nach einer halben Ewigkeit konnte er in feinster Millimeterarbeit auch die Fußfesseln lösen. Langsam und im Schutze der Dunkelheit, schlich Rogar in Richtung Beiboote, um so schnell wie möglich zu verschwinden. Da kam ihn ein Gedanke: Der Kapitän hatte ihm immer gepredigt, wichtige Dinge vor einer Schiffcrew zu verstecken. Das Versteck muss ausgefallen sein, aber auch den bestimmten Wumms haben, damit es gut ist. Hatte der Kapitän vielleicht die Nachricht an die Königin irgendwo auf dem Schiff versteckt. Das brachte Rogar ins Grübeln. Könnte er es schaffen das Versteck zu finden? Arrak und seine Bande hatten sicher schon die gesamte Kajüte des Käptens auseinandergenommen, aber wie sah es mit dem Lagerraum aus? Rogar fluchte leisen und kehrte um. Auf Zehenspitzen schlich er langsam die Treppe zum Lagerraum hinunter. Fast hätte er die knarrende Treppenstufe vergessen. Geradeso stieg er über sie drüber.

Noch ‘ne kleine Rauferei,
wir Piraten sind so frei.
Noch ein garstig Lied dazu
und dann hat die Seele Ruh!

Das Lager war noch völlig unberührt. Lediglich das Regal mit dem Rum war fast leergeräumt. Hektisch suchte Rogar die Regale und Kisten ab. Da hörte er ein lautes Knarren. Die Treppenstufe. Jemand kam über die Treppe in das Lager herunter. Rogars Körper war stockstarr, als er Quetsch Piet die Treppe runterpoltern sah. Als Piet ihn entdeckte, legte sich ein dümmliches Grinsen auf sein Gesicht. „Ich mach dich jetzt Platt.“, frohlockte Quetsch Piet, „Und nimm es bitte nicht persönlich!“ Rogar versuchte zu kontern mit: „Und wenn ich dein Erbsenhirn unter einen Haufen Krempel begrabe…“ doch weiter kam er nicht, da Piet mit seiner Wackersteinfaust bereits ausholte und zuschlug.

Rogar duckte sich unter dem Schlag weg und wich einen weiteren Kinnhaken aus. Da sah Rogar ein langes Paddel. Mit der Spitze stach er nach Quetsch Piet und traf ihn am Bauch. Quetsch Piet brüllte vor Wut und Schmerz. Das Paddel überlebte keinen weiteren Stich. Quetsch Piet zerbrach es kurzer Hand in Zwei. Rogar musste weiter zurückweichen und spürte im Rücken die Schiffswand. Quetsch Piet baute sich breit vor ihm auf. Rogar war eingekesselt.
Wieder schlug Quetsch Piet zu. Gerade noch so konnte sich Rogar weg ducken. Die Faust von Piet durchbrach über ihn die Schiffswand. „Uff“, hörte Rogar Piet noch erstaunt rufen, da hatte er sich schon wieder aufgerappelt und sich aus Enge befreit. Panisch versuchte Quetsch Piet seine Faust aus der Wand zu befreien. Doch er steckte fest. Zu allem Überfluss begann nun Wasser aus dem Loch, in dem Quetsch Piets Hand feststecke, ins Schiff zu fließen. Piet wurde immer panischer. Er schlug nun immer mehr um sich. Seine Wackersteinfäuste flogen durch die Luft, rissen weitere Löcher in die Schiffwand und trafen dann ein Regal, auf den eine Kiste mit Kanonen Kugeln gelagert war. Das Regal brach über Piet zusammen und knockte ihn nun vollends aus. „… dann nimm bitte auch du das nicht persönlich.“, beendete Rogar seinen Satz.
Da sah er einen Umschlag auf den Boden liegen. Er hatte das königliche Wappen! Es war die Nachricht der Königin. Der Brief musste in der Kiste mit Kanonenkugeln versteckt gewesen sein. Das meinte Kapitän Goldzahn also mit „den bestimmten Wumms!“ Rogar schnappte sich den Brief und verließ das Lager. Der Rest der Crew hatte den Kampf nicht einmal mitbekommen. So betrunken waren sie alle bereits.

Rogar stieg in ein Beiboot, ließ sich zu Wasser und ruderte so schnell er konnte vom Schiff weg, welches durch das im Lagerraum steigende Wasser, bereits in Schieflage geraten war. Die Gewissheit, dass die Mörder seines Lehrers mit seinem Schiff untergehen würden, linderte seine Wut und seinen Schmerz um den Verlust.

Am zweiten Tag auf seiner Flucht im Beiboot, traf er ein Handelsschiff der königlichen Flotte. Die Mannschaft brachte den jungen Seemann umgehend zur Königin, als er ihnen von seiner Geschichte und dem Brief erzählte. Die Königin erhielt ihren Brief und schickte Rogar zur Belohnung in eine der Mannschaften, der königlichen Flotte. Dort konnte Rogar seine Lehre zum Seefahrer beenden. Er blieb noch einige Jahre bei der königlichen Flotte, bis er sich sein eigenes Schiff kaufte um die Meere zu besegeln. Aber das ist eine andere Geschichte.

((Quelle Liedtexte [kursiv]: Jim Knopf und die Wilde 13 - 11 Auf den sieben Meeren - YouTube ))

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