𝔙𝔬𝔯𝔴𝔬𝔯𝔱
Herzlich Willkommen zu der Charaktervorstellung von Caitlyn Macbeth
Solltest du irgendwelche Ideen oder Ausbesserungen haben, so melde dich gerne direkt bei mir.
𝔄𝔩𝔩𝔤𝔢𝔪𝔢𝔦𝔫𝔢𝔰
Name: Caitlyn Macbeth
Geschlecht: Weiblich
Alter: 21 Jahre
Geburtstag: 22.7
Rasse: Mensch - Europäerin
Wohnort: Sgúdan
Herkunft: Edinburgh, Schottland
Religion: Christentum - römisch-katholisch
Beruf: Dieb
𝔄𝔲𝔰𝔰𝔢𝔥𝔢𝔫
(Quelle : Pinterest)
Caitlyn Macbeth hat langes schwarzes Haar, das links und rechts wild geflochten ist, jedoch auch glatte Haare die nach hinten fallen. Sie ist leicht gebräunt und hat drei schmale Narben, die über ihrer linken Braue und über ihre rechte Wange verlaufen. Ihre grau-grünen Augen strahlen eine gewisse Entschlossenheit und Nachdenklichkeit aus. Ihre Körpergröße beträgt 1,74 Meter und ihr Körper ist schlank, aber kräftig gebaut. Sie trägt meist schwarze Kleidung mit Rüstungsdetails an den Schultern und den Handgelenken. Ebenfalls trägt sie einen schwarzen Umhang mit einer hängenden Kapuze. Außerdem hat sie fast immer ihr Schwert oder zumindest einen Dolch, als Waffe dabei.
ℭ𝔥𝔞𝔯𝔞𝔨𝔱𝔢𝔯𝔢𝔦𝔤𝔢𝔫𝔰𝔠𝔥𝔞𝔣𝔱𝔢𝔫:
- Hinterlistigkeit
- Entschlossenheit
- Schutzinstinkt
- Intelligent
- Humorvoll
𝔉ä𝔥𝔦𝔤𝔨𝔢𝔦𝔱𝔢𝔫:
- Lesen, Schreiben und einfaches Rechnen
- Emotionale beeinflussung von anderen
- Spielen einer falschen Identität
- Grundlagen der Wund- und Krankheitsheilung
- Umgang mit Nahkampfwaffen
𝔖𝔱ä𝔯𝔨𝔢𝔫:
- Anpassungsfähigkeit
- Resilienz
- Erfindungsreichtum
𝔖𝔠𝔥𝔴ä𝔠𝔥𝔢𝔫:
- Misstrauisch gegenüber Fremden und das oft falsche interpretieren ihrer Emotionen.
- Unverarbeitete Traumata können sie belasten und ihre Handlungsfähigkeit beeinträchtigen.
- Ungeduld in langwierigen Situationen führt öfters zu hastigen Entscheidungen.
- Anhaltend schwere Arbeit kann sie nicht lange Standhalten
𝔉𝔞𝔩𝔰𝔠𝔥𝔢 ℑ𝔡𝔢𝔫𝔱𝔦𝔱ä𝔱
Achtung, Spoiler!
Aus Angst vor dem britischen Militär und aufgrund ihrer Tätigkeit als Dieb, gibt sich Caitlyn in der Öffentlichkeit als Lucy Devies aus. Lucy Devies war das Mädchen, welches Caitlyn damals auf dem Weg zum Hospital vermeintlich das Leben gerettet hat.
Ganz im Gegenteil zu ihrer tatsächlichen Identität, kleidet sie sich als Lucy eher farbenfroher und aufwändiger.
Trotz dessen, das Caitlyn bereits sehr geübt im vorspielen einer Rolle ist, passieren ihr manchmal Fehler, welche auf die falsche Identität hinweisen können. Vor allem ihre Schwächen gewähren einen Einblick darin, wer sie wirklich ist.
𝔊𝔢𝔰𝔠𝔥𝔦𝔠𝔥𝔱𝔢
𝕯𝖎𝖊 𝕸𝖆𝖈𝖇𝖊𝖙𝖍-𝕲𝖊𝖘𝖈𝖍𝖜𝖎𝖘𝖙𝖊𝖗
Triggerwarnung
In der Geschichte „Die Macbeth Geschwister“, erzählt aus der Perspektive von Caitlyn Macbeth, werden sensible Themen wie Mord und Selbstmord beschrieben. Diese Erzählung könnte für einige Leser
verstörend oder belastend sein. Bitte lies die Geschichte nur, wenn du dich mental und emotional dazu in der Lage fühlst.
Prolog
Ich erinnere mich noch genau an die Tage unserer Kindheit, als Edward und ich durch die üppigen Wälder unserer Heimat streiften, ein kleines Dorf vor den Toren Edinburghs. Wir waren unzertrennlich, mein Bruder und ich, verbunden durch das Blut unserer Familie und die Abenteuerlust, die in unseren Herzen brannte. Das Dorf lag in einem wunderschönen Wald mit einem seichten Fluss. Edward und ich verbrachten dort schon als Kinder viel Zeit. Unsere Eltern waren immer für uns da. Es fehlte uns an nichts. Wir waren frei und unbeschwert, ahnungslos gegenüber den Schatten, die sich später über unser Leben legen sollten.
Dies ist der Beginn unserer Geschichte – die Geschichte von Edward und mir, von unserer Trennung und der gestohlenen Freiheit. Es ist eine Geschichte von Mut, Hoffnung und dem unerschütterlichen Band zwischen Geschwistern, das auch in den dunkelsten Stunden nicht zerbricht.
Kapitel 1. Licht vor dem Dunkel
Eine der vielen Geschichten, die uns oft abends am Ofenfeuer erzählt wurden, handelte von unserer Geburt. Wie Mutter und Vater uns mit Liebe und Hoffnung in diese Welt begrüßten. Meine Mutter sagte stets, dass meine Augen im selben Moment leuchteten, als ich das erste Mal das Licht der Welt erblickte, als ob ich das Feuer der Familie Macbeth in mir trüge. Edward, nur wenige Minuten nach mir geboren, schien ruhig und gelassen, doch sein fester Griff an Vaters Finger verriet die Stärke, die in ihm schlummern sollte. Unsere Eltern, Gawyn und Nialla Macbeth, waren die Säulen unseres Lebens. Vater war ein Mann mit einem warmen, beständigen Lächeln. Er arbeitete als berüchtigter Kartograph und hatte in diesem Metier schon viele Erfolge erzielt. „Schaut her, Kinder“, sagte Vater oft, während er uns über eine Karte gebeugt seine neuesten Entdeckungen zeigte. „Diese Linien hier führen zu den Bergen, die ich euch eines Tages zeigen werde.“ Mutter, mit ihren sanften Händen und weisen Augen, war das Herz unseres Hauses. „Egal wohin ihr geht“, pflegte sie zu sagen, „ihr werdet immer hierher zurückkehren, zu eurem Heim.“ Sie wusste immer, wie sie uns trösten konnte, und ihre Geschichten und Lieder waren der Stoff unserer Träume. Oft fühlt es sich auch heute noch so an, als wäre Mutter direkt neben mir und würde „Die Sterne am Himmel“ singen, kurz bevor ich in den Schlaf falle. Sie flüsterte stets voller Stolz zu mir, dass ich mit meinem Aussehen wohl den schönsten Ritter dieser Welt verdiente.
Schon früh lehrte Vater uns den Umgang mit Karte und Kompass sowie das Orientieren an Sonne und Sternen. „Hier, halt den Kompass gerade“, sagte er, als wir das erste Mal durch den Wald wanderten. Mutter hingegen vermittelte Edward und mir die nötigen Fertigkeiten, um ein Feuer zu entfachen oder mit etwas Stoff Kleidung herstellen zu können. „Seht ihr diese Nadel und diesen Faden?“, fragte sie, als sie uns zeigte, wie sie einen Riss an Edwards Hose flickte. Ebenso sorgten unsere Eltern dafür, dass uns ein Lehrmeister Lesen und Schreiben sowie einfaches Rechnen beibrachte. Mein Bruder und ich waren seit den ersten Sekunden unseres Lebens unzertrennlich. Wir verbrachten unsere Tage im Wald, lauschten dem Gesang der Vögel und erlebten immer neue spannende Abenteuer. Ich erinnere mich noch genau an den einen Nachmittag, als wir uns vorstellten, die mutigsten Entdecker zu sein. Ich konnte die Aufregung in Edwards Augen sehen und fühlte dasselbe Kribbeln der Abenteuerlust in meinem Bauch. Diese Momente waren unsere kleine Welt, eine Welt, die nur uns gehörte und in der wir uns sicher und geborgen fühlten. In jenen frühen Jahren waren Edward und ich unschuldig und unbesorgt. Wir hatten noch keine Ahnung von den Herausforderungen und Kämpfen, die uns bevorstanden.
Doch eines war gewiss: Solange wir unsere Eltern hatten, fühlten wir uns sicher, geliebt und bereit, alles zu meistern, was das Leben uns entgegenwerfen würde.
Als mein Bruder und ich unser vierzehntes Lebensjahr erreichten, hatte der britische König Wilhelm II. einen Erlass an alle Großstädte und Dörfer des Landes gesandt, dass alle Mädchen im Alter von zwölf Jahren oder darüber nun ein Kloster besuchen müssten, um zu lernen, wie man verletzte und kranke Soldaten behandelt, damit diese schnell wieder einsatzfähig sind. Ebenso müsse jeder Junge ab demselben Alter in eine militärische Einrichtung geschickt werden, um das Soldatenleben zu erlernen. Denn ein Krieg mit den Franzosen stand bevor. Der Herzog der Normandie hatte den britischen König verärgert, weshalb dieser zum Aufrüsten aufrief. So kam es zu der dunklen Nachricht, als zwei Soldaten an unsere Haustür klopften. Mein Vater öffnete vorsichtig die Tür nur einen Spalt. Immer wenn Soldaten oder Sheriffs in der Nähe waren, war er nervöser und vorsichtiger als sonst. Ich habe nie verstanden, weshalb, aber es fiel mir auf. Wer weiß, ob mein Vater etwas zu verheimlichen hatte. Schließlich atmete Vater kurz durch und öffnete die Tür ganz, um zumindest ein wenig normal zu wirken. Die Soldaten lasen den Erlass vor und fragten nach, ob Kinder im Alter von zwölf oder älter im Haus seien. Meine Mutter kam während des Gesprächs dazu und war schockiert. Sie konnte es gut verbergen, doch mein Vater spürte es. Sie sorgte sich um uns beide, die Kinder, die schon zwei Jahre über der Grenze waren und höchstwahrscheinlich sofort mitgenommen werden würden. Die beiden sagten, sie hätten keine Kinder, und versuchten sich irgendwie herauszureden. Die Gesichter der Soldaten wirkten ungläubig. Sie gingen fort und drohten den beiden noch hinterher, einen Untersuchungsbefehl stellen zu lassen. Die Tür ging zu, und eine nachdenkliche und besorgniserregende Stille trat im Raum ein. Wir kamen gerade von oben herunter, als wir merkten, dass die Soldaten fortgingen. Die beiden liefen direkt auf uns zu und beugten sich zu uns hinunter.„Packt eure Sachen, ihr müsst fürs Erste fort von hier“, sagte unsere Mutter. Vater legte dann seine Hände auf unsere Schultern. „Passt bitte auf euch gegenseitig auf und zieht los in den Norden zu eurem Onkel. Er wird eine Zeitlang auf euch aufpassen.“In diesem Moment war ich am Boden zerstört, ich spürte einen stechenden Schmerz in der Brust. Wie konnte diese heile Welt in diesem so friedlichen Dorf nur in so kurzer Zeit zerstört werden? Ich schaute einen Moment auf meine Mutter und dann auf meinen Vater. Beide schienen dasselbe zu spüren wie ich, doch wirkten sie recht entschlossen.
Ich schaute zu Edward hinüber. Er schaffte es wohl noch, einen quälenden Satz herauszubringen… Ich wollte nur noch aufstehen… diesem elendigen Albtraum entfliehen und so wie immer mit meiner Familie am gemeinsamen Tisch sitzen… Aber so war es nicht. Ich stand nicht auf. Ich war in keinem Traum. Das, was gerade geschah, war Realität.
Mutter gab uns beiden einen Kuss auf die Stirn und erklärte uns die gesamte Wahrheit. Jedenfalls glaubten wir, es sei die gesamte Wahrheit. Mir kamen die Tränen, doch meine Mutter ging auf die Knie und wischte sie mir aus dem Gesicht. Sie gab mir erneut einen Kuss auf die Wange, legte ihre wärmende Hand auf meine eisige Schulter und flüsterte mir aufmunternd zu: „Prinzessin“, begann sie langsam, „wir haben dir und deinem Bruder alles beigebracht, um in dieser Welt da draußen zu überleben. Achtet gut aufeinander, wir werden uns sehr bald wiedersehen, wenn die Luft wieder sauber ist. Wir packten also das Nötigste und zogen hinaus. Immer wieder blickten wir zurück zu unseren Eltern. Sie taten das Gleiche, mit Tränen in den Augen. Wir zogen weiter durch das Dorf, versteckt in den schmalen Gassen und hinter den Mauern. Immer wieder hatten wir knappe Begegnungen mit Soldaten. Schließlich rannten wir durch das Tor des Dorfes, hinaus ins Land und durch die Wälder. Zu schnell ging die Sonne unter und unsere Sicht wurde durch den abendlichen Nebel, der durch die Wälder zog, getrübt. Unser Hunger plagte uns und unsere Beine machten es auch nicht mehr lange. Wir waren gezwungen, eine Pause zu machen, und suchten nach Holz und Feuersteinen, um in der feuchten Luft ein Feuer zu entfachen. Als es schließlich brannte und wir in die leuchtenden Flammen starrten, vergaßen wir kurz, in welch gefährlicher Situation wir uns befanden. Alle unsere Sorgen waren verschwunden und unsere Gedanken schweiften zu den vergangenen Wochen und Monaten des Friedens.
Langsam, im Mondschein der Nacht, schliefen wir beide an der Glut des Lagerfeuers ein. Eingehüllt in unsere Mäntel, nutzten wir unsere Armbeugen als Kissen. Ich wurde unsanft geweckt, als Edward mich rüttelte und leise auf die näher kommenden Fackeln deutete. Die vertraute Ruhe des Waldes war verschwunden, und ein Knoten bildete sich in meinem Magen. Instinktiv griff ich nach meinen Sachen und beobachtete, wie Edward geistesgegenwärtig die Glut unseres Lagerfeuers mit Erde bedeckte. Wir mussten schnell und lautlos handeln, das wusste ich. Wir suchten Schutz hinter den Bäumen und Büschen, und ich versuchte, meinen Atem so flach wie möglich zu halten. Mein Herz schlug wie wild, doch ich wusste, dass ich keine Angst zeigen durfte. Ich wusste, dass Edward sich auf mich verließ, genauso wie ich auf ihn. Sein Blick traf meinen, und ich erkannte, dass auch er mit aller Kraft versuchte, ruhig zu bleiben.Die Fackeln kamen näher, das Licht tanzte auf den Bäumen, und ich fühlte die Spannung in der Luft. Jeder Muskel in meinem Körper war angespannt, bereit zu reagieren, falls es nötig wäre. Doch ich wusste, dass unser bester Schutz in der Stille und Dunkelheit lag. Ich zwang mich, ruhig zu atmen und meine Gedanken klar zu halten.Nach einer kurzen Weile hörten wir das Rascheln von Kettenhemden und das Klappern von Eisenschuhen. Die Soldaten nahmen wohl diesen Weg, um nach Edinburgh zu gelangen. Sonst nutzten sie immer den Handelsweg und nicht diesen schmalen Pfad durch den Wald. Edward tippte mir auf die Schulter, und ich verstand sofort. Wir mussten uns leise und vorsichtig weiterbewegen, den Soldaten entkommen, bevor sie uns entdeckten. Der Gedanke, dass sie den engen Waldpfad statt des üblichen Handelswegs wählten, ließ mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Sie suchten gezielt nach Kindern wie uns – Kindern, die versuchten, dem Schicksal zu entkommen, das uns allen drohte.
Wir waren wohl nicht die Einzigen oder die Ersten, die so etwas taten. Gerade als wir uns unbemerkt davonschleichen wollten, rief ein Soldat plötzlich: „Ich habe etwas gefunden!“ Eine Fackel neigte sich näher zum Boden, genau dort, wo wir unser Lagerfeuer entzündet hatten. „Hier waren welche, und das ist nicht lange her. Schwärmt aus und durchsucht das gesamte Waldgebiet! Panik überkam uns, und unsere Schritte beschleunigten sich. Dennoch versuchten wir, leise und unbemerkt zu bleiben. Als wir jedoch an einer großen Eiche vorbeigingen, bemerkten wir nicht die schlafende Eule, die auf einem Ast ruhte. Durch unsere Schritte wurde sie aufgeschreckt und flog durch die Baumkrone, was ein lautes Rascheln der Blätter verursachte. Die Aufmerksamkeit dreier Soldaten richtete sich sofort auf das Geräusch, und sie kehrten in unsere Richtung um. Unsere Angst wuchs, und unsere Handlungen wurden unüberlegter. Wir begannen zu rennen und traten auf trockenes Laub und Äste. Schließlich entdeckten uns die Soldaten und jagten uns direkt hinterher. „Dort drüben, ich habe zwei entdeckt. Hinterher!“Ich begann zu rennen. Meine Beine bewegten sich wie die eines Wolfes, der seine Beute mit voller Kraft verfolgt. In diesem Moment dachte ich an nichts mehr, ich wollte nur noch überleben. Ich durchquerte Fahnen, sprang über große Äste und Steine und schien mit meinem Fluchtversuch recht weit zu kommen. Zumindest wurden die Rufe leiser. Ich blickte hinter mich – die Fackeln waren weit entfernt, doch sie folgten mir immer noch. Ich rannte weiter, und erst dann bemerkte ich, was ich verloren hatte. „Wo ist mein Bruder?“ Ich dachte darüber nach, während ich weiterlief. Ich blickte nach links und nach rechts, bis es schließlich passierte: Ich stolperte über eine große Baumwurzel, die aus dem Boden ragte. Ich fiel auf einige Steine, meine Knie erlitten eine Reihe von Schnittwunden. Ich versuchte, mich zu beherrschen und weiterzulaufen, doch es war zu spät. Mehrere Soldaten stürmten auf mich zu und packten mich grob an den Armen. Ich schrie vor Schmerz und aus Angst. Was werden sie mir nun antun? Wo ist Edward? Hat er es geschafft, zu entkommen?
Ich versuchte, mich aus den Griffen der Soldaten zu befreien. Ich trat sie mit meinen Beinen so gut ich konnte und riss an meinen Armen. Doch es brachte nichts mehr. Es kamen noch weitere Soldaten hinzu. Sie packten mich nun auch an den Füßen und trugen mich davon.
Die Frage, wo mein Bruder war, begleitete mich in meinen Gedanken, während die Soldaten mich durch den Wald trugen. Dann erreichten wir einen Wagen. Schon von weitem hörte ich ein jämmerliches Wimmern. Die Wachen warfen mich hinein und verschlossen die Tür. Ich stand auf und schaute durch die Gitterstäbe, die mich von der Außenwelt trennten, nach draußen. Ich sah einen anderen Wagen und darin eine Hand, die sich in meine Richtung streckte. Es war Edward. Das Einzige, was ich jetzt noch tun konnte, war ihm das Gleiche zu tun und ebenfalls meine Hand auszustrecken. Der Wagen setzte sich in Bewegung, und mir wurde schwarz vor Augen.
Also war es wohl so weit. Das erste Mal waren Caitlyn und Edward voneinander getrennt und wussten nicht, was alles auf sie zukommen mochte.
Kapitel 2. Konsequenzen des Krieges
Ich spürte das Wackeln und Schütteln des Wagens. Ich öffnete langsam und schmerzend meine Augen. Ich war nach wie vor in diesem Wagen. Ich rappelte mich langsam auf und erblickte sofort, dass meine Hände und meine Kleidung mit Blut verschmiert waren. “Was ist nur passiert?”, fragte ich mit leiser quälender Stimme während ich mir vor Schmerz den Kopf stützen musste. Nach einem Moment antwortete mir eine mädchenhafte Stimme : “Dir wird das selbe geschehen wie mir”. Ich schaute mich um, woher diese Stimme kam und dann erkannte ich auch recht schnell, dass tatsächlich ein anderes Mädchen in diesem Wagen eingesperrt wurde. Ihre Augen waren glasig und ihre Wangen etwas feucht, fast so, als hätte sie die gesamte Fahrt elendig vor sich hin gejammert. Das fremde Mädchen verriet mir nach nur kurzer Zeit, wie rücksichtslos ich in diesen Wagen geschmissen wurde. Sie zeigte auf meinen Kopf, um den ein Stück Stoff gewickelt wurde, welches ebenfalls durchrinnt war mit meinem Blut, “Du hättest sterben können, wenn ich nicht hier gewesen wäre”, sprach sie zu mir. Ich konnte nur schlucken, als ich darüber nachdachte.
Nach einiger Zeit kam der eiserne Wagen dann zum stehen. Ich hörte einige Stimmen, teilweise sogar Geschrei. Ich blickte hinaus und sah wie zwei jungen die Pferde vom Wagen lösten und diese in eine Stallung brachten. Die Morgensonne schien bereits etwas in den Hof. Doch dann öffnete sich die Tür. Eine dunkel gekleidete, ältere Dame blickte mit grimmigen Blick hinein. Sie hatte ein Stück Papier in der Hand und verlaß die Namen “Caitlyn Macbeth und Lucy Devies, korrekt?”. Ich nickte nur knapp und das fremde Mädchen tat es mir gleich. Die scheinbare Ordensschwester forderte uns zum Verlassen des Wagens auf. Dann wurde ich auch schon recht schnell von meiner Gleichgesinnten getrennt und zu einem größeren Schlafsaal geführt. Auf dem Weg dorthin habe ich recht schnell erkannt, das ich zum Hospital von Edinburgh gebracht wurde. Auf einigen Liegen lagen teilweise sogar blutende Soldaten, die noch hier um ihr Leben kämpften. Die Betten, die dort im Schlafsaal verbaut waren, sahen unbequem und instabil aus. Jeder Schlafsaal umfasste wohl mit Leichtigkeit 12 Betten. Die Dame zeigte auf ein Bett und sprach zu mir : “Hier wirst du von nun an nächtigen.”. Das Bett bestand aus mehreren Holzlatten, auf denen eine etwas dickere Decke lag und ein kleineres Kissen.
Doch viel Zeit um mich daran zu gewöhnen hatte ich nicht. Recht schnell wurde ich zu einem Behandlungsraum gebracht. Dort lagen einige Männer auf verschiedensten Liegen und schienen sichtlich unter großen Schmerzen zu leiden. Dies konnte ich vor allem an deren Gestöhne schnell feststellen. Auf der anderen Seite des Raumes haben sich bereits einige Mädchen und ein Medicus versammelt. Ich wurde zu ihnen gebracht um mich der Gruppe anzuschließen. Der Medicus zeigte uns, wie man mit einem Messer einen Pfeil aus dem Körper richtig entfernt und wie man die starke Blutung schnell unterbrechen kann. Auch wurde uns Mädchen am selbigen Tage noch gelehrt, wie man kleinere Wunden richtig versorgt und wie eine Schiene an einen gebrochenen Arm oder Bein richtig befestigt wird.
Nach dem ersten anstrengenden Tag brach nun aber die erste Nacht herein und wir Mädchen wurden zu unserem Schlafsaal geleitet. Scheinbar war ich nicht die einzige Neue in diesem Saal, direkt gegenüber von meinem Bett erkannte ich Lucy Devies wieder, das Mädchen, welches mit mir im selben Wagen hierher gebracht wurde. Sie saß dort zusammengekauert auf ihrem Bett und weinte jämmerlich vor sich hin. Doch war sie wohl nicht die Erste, der dieser Einschnitt in ihr Leben stark zusetzte. Auch rechts neben mir jammerte eine weibliche Stimme. Doch mir konnte das nichts mehr entlocken. Ich fiel sofort vor Erschöpfung in den Schlaf.
Es wurde wieder Hell im steinigen Schlafsaal und eine Ordensschwester rief alle zum Erwachen auf. Sie erzählte uns, dass man uns heute beibringen würde, wie man Verletzte im Alltag zu pflegen hat. Sie brachte uns in den Keller des Hospitals, denn hier sollte sich auch die Küche befinden. Wir gingen an einigen dunklen Räumen vorbei, auch einen, in dem ich eine blutverschmierte Säge und ein Hammer erblicken konnte. Ich versuchte dies aber zu ignorieren und folgte der Gruppe weiter in die Küche des Hospitals. Hier zeigte uns eine Dame kurz, wie sie Nahrung für die Kranken kocht. Dann mussten wir ihr Aushelfen und das gleiche tun wie sie. Scheinbar bekamen die Kranken hier nur eine Pampe aus Hafer und dazu ein kleines Stückchen Brot zum Essen. Auf jeden Fall sah es nicht gerade so appetitlich aus wie das, was Mama uns damals immer zauberte, dachte ich mir so, als ich das sah.
Als wir in der Küche fertig waren, wurde ein Teil unserer Gruppe nach oben zum Innenhof geführt. Hier sollten wir Leuten, die teilweise nur noch ein Bein besaßen, zeigen, wie sie mit Krücken laufen können. Ich ekelte mich etwas bei der Vorstellung, wo diese Männer ihr anderes Bein wohl verloren haben, dann wurde ich aber einem solchen zugeteilt und half ihm beim Laufen. Viel sprechen durfte ich mit den Soldaten zumindest nicht, darauf haben die Ordensschwestern reichlich Acht gegeben.
Nun war es aber wieder so weit, die zweite Nacht bricht ein. Diesmal aber sollten wir ganz ohne weitere Begleitung zu unserem Schlafsaal gehen. Die Ordensschwester die sonst auf unsere ganze Gruppe acht gegeben hatte, lief nun hinab in den Keller. “Wohl um die anderen Mädchen zu holen?”, dachte ich mir. Als ich mit den Übrigen kurz vor dem Eingang unseres Schlafsaals war, ertönte ein lauter schmerzerfüllter Schrei aus demselben Keller, in dem sich auch die Küche befand. Doch diesmal war es kein Schrei eines Mädchens, sondern eher ein solcher eines Soldaten. Ich musste nicht lange überlegen, um die grausame Wahrheit zu wissen, wieso von dort unten aus den dunklen Räumen ein solcher Schrei ertönt. Recht schnell rannte ich hinein in den Schlafsaal und warf mich auf mein Bett. Die Vorstellung, dass die blutverschmierte Säge und der Hammer die ich dort im Morgengrauen entdeckt habe, gerade Anwendung finden, bringt mich zum Zittern. Ich schaute mich von meinem Bett aus um, wo bleibt der Rest unserer Gruppe? Doch dann öffnete sich die Tür zu unserem Schlafsaal wieder. Lucy wurde von zwei Ordensschwestern hier zurück zum Schlafsaal gebracht. Sie ließen Lucy auf ihrem Bett nieder und verließen den Saal. Die Tür knallte zu und Lucy begann mal wieder zu weinen. Doch diesmal fällt mir etwas bei ihr auf, sie hatte recht frisches Blut an ihrem Arm kleben. “Musste sie etwa beim Sägen helfen?”. Meine Gedanken überschlagen sich eine ganze Weile, bis dann plötzlich Lucys Gejammer ein abruptes Ende fand. Für einen ganz kurzen Moment war es Still in unserem Schlafsaal, nur noch die Öllampen an der Wand konnte man hören.
Doch dann ertönt ein weiterer Schrei,
diesmal war er nicht nur aus dem Keller, sondern direkt gegenüber von mir. Ich sprang vor Schreck auf und schaute zu dem Bett von Lucy. Dort musste ich erblicken, wie sich Lucy mit einem der Messer, die es in der Küche des Hospitals gab, einige Stiche in den Oberkörper sowohl als auch einen abschließenden Stich in ihren Hals zufügt. Einiges Blut hatte sich bereits unter ihrem Bett gesammelt. Ich stand dort wie eingefroren. Noch nie habe ich so etwas grausames erblicken müssen. Es hatte nicht lange gedauert, da war das Schreien auch schon verstummt. Nur noch das Messer, das aus ihrer Hand entfiel, gab ein Geräusch von sich, als es auf den blutgetränkten Boden traf. Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Ich stand dort noch eine ganze Weile, bis ich mich dann wieder komplett verstört auf das harte Bett gelegt habe. Schlafen konnte ich diese Nacht nicht mehr…
Am darauffolgenden Tag wechselten wir Mädchen immer zwischen den Aufgaben hin und her. Mal musste ich beim Kochen aushelfen, mal die Verletzten versorgen und mal solchen wieder bei ihrem Alltag helfen. Ich konnte kaum klar Denken. Zu schlimm ist die Vorstellung darüber, was in diesem Schlafsaal geschehen war. In meinen Gedanken hatte ich zu dieser Zeit kein wenig Hoffnung, keinen Spaß und keine Emotionen. Ich habe einfach getan, was getan werden musste.
Doch sollte dieser Tag auch etwas besonderes für mich bereithalten.
Ich war dabei, einem älteren Mann zu lehren, wie er sich mit seinen holzigen Krücken fortbewegen sollte. Als dann mal wieder die Aufgaben gewechselt wurden, wurde ich zum Eingang des Hospitals gebracht. Hier kamen alle Soldaten oder andere Verletzte an, um auf die Behandlung zu warten. Die Leute die hier lagen hatten sicher einen langen, schmerzhaften Weg hinter sich. Hier mussten schon viele von uns Mädchen arbeiten, an jeder Liege stand bereits jemand. Dann aber kurz bevor die Ordensschwester wieder mit mir umdrehen wollte, kam ein neuer Verletzter hinzu. Ich blickte knapp auf die Liege. Dort lag ein regungsloser Junge. Es tropfte noch etwas Blut von der Liege auf den Boden hinab. Die Schwester zeigte auf den neuen Verletzten, der gerade am Ende des Raumes gebracht wurde. Dort stand bereits ein Medicus der ein Tuch vor eine Wunde drückte um die Blutung zu stoppen. Er befahl mir seine Aufgabe dort zu übermehmen und ging dann sogar davon. Es gab wohl andere Patienten, die seine Arbeit mehr verdient hätten als diese arme Seele. Als der Medicus verschwunden war, betrachtete ich den Körper des Verletzten genauer und dann wurde mir erst klar, wen ich denn gerade behandeln musste. Es war Edward!
Natürlich geriet ich in dem Moment in Panik, so wie es jede gute Schwester tun sollte, wenn sie ihren Bruder regungslos auf einer Liege erblickte. Mir gingen plötzlich so viele Dinge durch den Kopf. “Wie konnte das nur passieren? Wie habe ich das nur verdient…”. Ich überprüfte seinen Herzschlag und stellte dann aber mit großer Erleichterung fest, dass er doch noch am Leben war. Sein Herz schlug zwar nicht schnell, aber noch ausreichend genug, um wieder zu erwachen. Die Blutung der Wunde lies nach und in kurzer Zeit war es dann soweit. Edward öffnete seine Augen. Das erste Mal hatte ich wieder einen Grund, um mich zu freuen.
Er erzählte mir, was er dort in der Kaserne alles mitmachen musste. Immer wieder blickten Ordensschwestern vorbei, daher musste ich zumindest so tun, als würde ich ihn noch behandeln. Die Idee das er sich nur um ins Hospital zukommen eine fast tödliche Schnittwunde zusetzt hatte mich empört. Dennoch ist er so zumindest wieder bei mir.
Die nächsten Tage über pflegte ich ihn mit meinen Fähigkeiten, die ich im Hospital erlernt hatte. Schon schnell erging es ihm besser.
Doch soll uns keine Ruhe gelassen werden. Am letzten Tag, kurz vor Edwards Entlassung aus dem Hospital, kam eine Gruppe Herrschaften in das Hospital. Sie fragten den obersten Medicus ob sich hier ein Edward Macbeth aufhielt, da dieser dem Kriegsdienst entflohen sei. Edward schaute mich an und ich ihn. Wir wussten beide, was nun zu tun war. Ich blickte aus dem Pflegezimmer von Edward hinaus auf den großen Flur. Dort sah ich einen Offizier und den Medicus. Beide verschwanden in meinem zugeteilten Schlafsaal. Wohl suchten sie mich, weil ich seine Schwester war und entsprechend so in ihren Akten hinterlegt bin. Ich gab Edward ein Zeichen und er quälte sich aus seiner Liege hinaus. Wohl tat er so, als würde es ihm mehr weh tat als es wirklich konnte. Wir beide rannten aus dem Hospital hinaus. Er war etwas schneller als ich, aber das war ich ja schon von damals aus dem Wald gewohnt. Draußen war es kalt und regnerisch. Wir kletterten ein Gebäude herauf. Wohl sind wir den Soldaten fürs erste entkommen.
Somit flohen wir, wir flohen gemeinsam über den Dächern Edinburghs, zu den Toren. Doch dieses Mal schien uns niemand zu folgen. Haben wir es geschafft? Waren wir frei? Konnten wir unsere Eltern wieder sehen? Es schien wieder ein Hoffnungsfunke. Jedoch wie lange hielt dieser Funke an? Wir waren skeptisch.
Kapitel 3. Gestohlene Freiheit
Als wir beide vor den großen steinernen Bögen standen, spürte ich sofort die Gefahr. Die beiden Soldaten, die am Tor Wache hielten, hatten uns im Blick, und ich wusste, dass wir dieses Mal keinen Ausweg hatten. Kein Plan, keine Strategie. Edward und ich sahen uns an, und ich erkannte die gleiche Unsicherheit in seinen Augen, die auch in mir aufstieg. Ich atmete tief durch, als mein Herz schneller schlug. Die kalten Blicke der Soldaten schienen durch mich hindurch zu sehen, und ich hatte Mühe, meine Fassade aufrechtzuerhalten.
„Wieso wollt ihr aus der Stadt?“ fragte einer der Soldaten mit rauer Stimme. Ich konnte spüren, wie Edward nervös wurde. Er versuchte, eine Antwort herauszubringen, doch seine Verletzung machte es ihm schwer. „W… wir…“, stammelte er. Ich öffnete den Mund, um ihm zu helfen, aber da war der andere Soldat schneller. „Ihr könnt nicht mehr aus der Stadt. Die Franzosen haben die äußeren Ringe des Landes belagert. Die Stadt bleibt die nächsten Tage verschlossen. Wer weiß, wie lange es dauern wird.“
Erleichterung und Frustration kämpften in mir. Wir waren gefangen, aber wenigstens wurden wir nicht weiter befragt. Edward atmete tief aus, und ich folgte seinem Beispiel, bedankte mich knapp, und gemeinsam drehten wir uns um. Die Gassen, durch die wir liefen, fühlten sich plötzlich enger an, die Stadt schien uns zu erdrücken. Als wir in einem kleinen Hof anhielten, wusste ich, dass wir jetzt einen neuen Plan brauchten.
„Was machen wir jetzt?“ fragte ich, während mein Blick über die alten Mauern des Hofes schweifte. „Wir können nicht nach Hause. Du hast deinen Posten verlassen, und ich bin aus dem Hospital geflohen.“ Die Situation war ernst, das wussten wir beide. „Wir brauchen neue Kleidung und einen Unterschlupf“, sagte Edward schließlich. Ich nickte. Es war die richtige Entscheidung, uns aufzuteilen, auch wenn ich bei dem Gedanken, ihn allein losziehen zu lassen, ein flaues Gefühl im Magen hatte.
„Ich suche einen Unterschlupf“, sagte ich, „du besorgst die Ausrüstung.“ Wir trennten uns, und ich spürte sofort die Einsamkeit. Obwohl wir es schon oft getan hatten, fühlte sich diese Trennung anders an, gefährlicher. Aber ich durfte keine Zeit verlieren.
Ich schlängelte mich durch die Gassen, hielt mich fern von den Hauptstraßen und suchte nach einem sicheren Versteck. Die Stadt war voller Leben, aber für Menschen wie uns war sie eine Falle. Jeder falsche Schritt könnte unsere letzte Freiheit bedeuten. Ich dachte an den verlassenen Turm in der Nähe des Stadtrandes, den ich vor einer Weile entdeckt hatte. Es schien eine gute Wahl zu sein. Der Weg dorthin war nicht einfach. Wachen patrouillierten an den Ecken, und ich musste mich oft in den Schatten der Gebäude verstecken, um ihnen auszuweichen.
Als ich schließlich deb alten Turm erreichte, spürte ich ein wenig Erleichterung. Die Tür hing schief in den Angeln, aber das Innere war trocken und verborgen. Perfekt für uns. Ich überprüfte den Turm schnell, bevor ich mich auf den Boden setzte, den Rücken gegen die kühle Steinwand gelehnt. Meine Gedanken wanderten zu Edward. Ob er schon fündig geworden war? Ich vertraute ihm, aber die Stadt war gefährlich, und seine Verletzung machte mir Sorgen.
Gerade als ich begann, mich zu entspannen, hörte ich plötzlich in der Ferne aufgeregtes Rufen. „Haltet den Dieb!“ Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Sofort sprang ich auf und spähte aus dem Fenster. In der Ferne sah ich eine Gestalt durch die Gassen rennen, verfolgt von mehreren Stadtwachen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich erkannte, dass es Edward war.
Mein Atem beschleunigte sich, als ich sah, wie er sich durch die Menschenmengen schlängelte, über Stände sprang und sich geschickt den Verfolgern entzog. Doch dann packte eine Wache seine Kapuze, und für einen Moment sah ich sein Gesicht. Panik durchzuckte mich. Jetzt wussten sie, wer er war. Ich ballte meine Fäuste und wusste, dass wir keine Zeit zu verlieren hatten. Wenn sie ihn erwischten, würde alles verloren sein.
Ich musste etwas tun, aber zuerst musste ich sicherstellen, dass unser Unterschlupf bereit war. Ich schob die alten Möbel beiseite, arrangierte den Raum so gut es ging und wartete angespannt auf Edwards Rückkehr. Als er schließlich keuchend und mit einem entschuldigenden Grinsen im Gesicht hereinkam, konnte ich nicht anders, als ihm eine Standpauke zu halten. „Du bist wahnsinnig, Edward! Sie haben dein Gesicht gesehen!“
Doch er winkte nur ab. „Wir haben alles, was wir brauchen“, sagte er. „Jetzt müssen wir nur noch durchhalten.“
In den nächsten Tagen richteten wir uns in dem alten Turm ein, der zu unserem neuen Versteck wurde. Verschiedener Stoff, Teppiche und alte Möbel verwandelten den Raum in etwas, das fast gemütlich wirkte, doch die Bedrohung war immer präsent. Wir wussten, dass die königliche Garde uns jeden Moment finden könnte. Der Krieg gegen die Franzosen tobte weiter, und auch wenn die Tore der Stadt eines Tages wieder öffnen würden, blieb die Angst in uns.
Tage wurden zu Wochen, Wochen zu Monaten. Wir waren inzwischen 21 Jahre alt, und die Stadt war zu unserem Zuhause geworden. Edward lief wie immer über die Dächer, während ich mich um unsere Nahrung kümmerte. Doch mit jedem Tag wuchs in mir das Gefühl, dass dieser Zustand nicht ewig andauern konnte. Edwards neue Rolle als Fear sgàile – der Schattenmann – brachte uns sowohl Ruhm als auch Gefahr. Während er die Reichen bestahl, um den Armen zu helfen, wuchs die Wut des Königs auf ihn. Sein Name war in der ganzen Stadt bekannt, und es dauerte nicht lange, bis er auch im Palast fiel.
Wer mich aufsuchte kannte meinen Namen. Als Nighean an Sgàil - Mädchen des Schattens, wurde ich im gesammten Volk bekannt. Ich half den Armen, den Kindern, den Müttern und den Alten. Ich versorgte sie mit guter Nahrung, die wir von den reichen Händlern gestohlen hatten und kümmerte mich um ihre Krankheiten und Beschwerden. Dies lies uns als Schatten der Stadt bekannt werden.
Wir hatten uns geschworen, zusammenzuhalten, egal was kam. Doch tief in mir wusste ich, dass diese Harmonie nicht ewig währen konnte.
Eines Nachts, als der Mond hoch am Himmel stand, saß ich am Rand eines Dachs und ließ meine Beine über die Kante baumeln. Der Wind spielte mit meinem langen Haar, doch ich spürte ihn kaum, so sehr war ich in Gedanken versunken. Die Erinnerungen an früher überkamen mich – unsere Kindheit, das Lachen unserer Eltern, die warmen Sommerabende vor unserem alten Haus. Aber diese Erinnerungen wurden zunehmend von einer Bitterkeit überlagert. Wie lange war es her, dass wir sie das letzte Mal gesehen hatten? Edward und ich hatten uns so sehr in unserem neuen Leben als Schatten verloren, dass wir den Kontakt zu ihnen fast vergessen hatten. Und jetzt, wo wir endlich darüber sprachen, brannte in mir ein Schuldgefühl.
Edward brachte es schließlich auf den Punkt: „Wir müssen sie sehen, Caitlyn. Es ist zu lange her.“ Ich nickte nur. Keine Worte waren nötig, um zu wissen, dass er recht hatte. Also beschlossen wir, uns auf den Weg zu machen.
Es war nicht einfach, unser Doppelleben zurückzulassen. Die Stadt brauchte uns, wir konnten die Bürger nicht einfach im Stich lassen. Doch gleichzeitig wusste ich, dass wir uns dieser Reise nicht länger entziehen konnten. Wir mussten sie finden – unsere Eltern.
Wir verließen die Stadt so, wie wir es gewohnt waren: leise, unbemerkt, wie Schatten. Mein Körper kannte die Bewegung, als wir über die Dächer huschten. Ich fühlte die nächtliche Kühle in der Luft, das vertraute Gefühl des Adrenalins, das durch meine Adern rauschte. Doch heute war es anders – mein Herz war schwerer. Nicht wegen eines Vorhabens, sondern wegen der Unsicherheit, was uns erwarten würde.
Als wir die Mauern der Stadt hinter uns ließen, stahlen wir zwei Pferde aus einem der Ställe. Es fühlte sich falsch an, selbst für uns, die sonst nie zögerten, das Gesetz zu brechen. Doch wir hatten keine Zeit zu verlieren. Mein Blick fiel auf Edward, der schweigend neben mir ritt. Auch er schien von der gleichen Unruhe erfasst zu sein, die mich plagte.
Während wir durch die Nacht ritten, breitete sich ein bekanntes, unangenehmes Gefühl in mir aus. Es war wie eine Kälte im Nacken, die man nicht abschütteln konnte. Ich spürte es, bevor ich es verstand: Wir waren nicht allein. Jemand oder etwas verfolgte uns. Instinktiv legte ich meine Hand an den Dolch an meiner Seite. Wir beide waren darauf trainiert, auf diese leisen Warnsignale zu achten, aber in dieser Nacht sagte mir etwas, dass diese Verfolgung anders war.
Doch es gab keine Zeit, um darüber nachzudenken. Die ersten Sonnenstrahlen tauchten den Horizont in ein sanftes Licht, und vor uns erstreckte sich das Dorf, in dem wir aufgewachsen waren. Es sah kleiner aus, als ich es in Erinnerung hatte, fast verfallen. Und doch war da, am Ende der Straße, unser Haus. Es stand da, wie ein stummer Zeuge der Jahre, die vergangen waren.
Mein Herz schlug schneller, als wir uns dem vertrauten Gebäude näherten. Was, wenn sie nicht mehr da waren? Oder schlimmer noch, was, wenn sie uns nicht wiedererkennen würden? Edward und ich hatten uns verändert, wir waren nicht mehr die Kinder, die dieses Dorf einst verlassen hatten.
Ich hielt inne und atmete tief ein, versuchte, die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Edward sah mich an, seine Augen spiegelten meine Gedanken wider. Gemeinsam, mit einem letzten tiefen Atemzug, gingen wir auf das Haus zu.
Wir schauten uns an und ein glückliches Lächeln kam über unser beider Gesichter. Rasch stiegen wir von unseren Pferden und rannten zum Haus. Wir lachten und glaubten nicht, dass wir es doch geschafft hatten. Wir waren wieder zu Hause. Jedoch spürte ich etwas. Dieses Dorf hatte schon lange nicht mehr den kindlichen Schimmer an sich. Bevor ich aber wirklich darüber nachdenken konnte, bemerkte ich ein helles Licht, Flammen und Rauch. Das Haus, unsere Heimat und Zuhause, explodierte direkt vor unseren Augen. Das Feuer stieg schnell in die Höhe, dass man es meilenweit erblicken konnte. Der Rauch verdunkelte noch die kalte Nacht. Neben den lodernden Flammen saß ich auf den Knien, mein Körper zitterte, während ich die Hitze des Feuers spürte. Der Anblick vor mir verschlug mir den Atem – unser Haus, unser Zuhause, das Haus, in dem wir aufgewachsen waren, brannte lichterloh. Ein lautes, verzweifeltes „Nein!“ entwich meinen Lippen, doch es fühlte sich an, als würde der Schrei in der Leere des Feuers verhallen. Tränen strömten unaufhaltsam über mein Gesicht, während ich meine Hände in den Boden krallte, unfähig zu begreifen, was gerade passierte.
„Warum…?“ flüsterte ich, doch meine Stimme ertrank im Prasseln der Flammen. All die Erinnerungen, die hier lebten, all die Momente, die uns mit diesem Ort verbanden – sie schmolzen dahin, wurden zu Asche vor meinen Augen.
Ich wusste, dass Edward hinter mir stand. Ich konnte sein leises Schluchzen hören, auch wenn er versuchte, es zu unterdrücken. Sein Schmerz spiegelte meinen wider, das konnte ich fühlen. Aber anders als ich, war er still. Ich schrie für uns beide, als ob mein verzweifelter Ruf das Feuer stoppen könnte, als ob irgendetwas es rückgängig machen könnte. Doch die Flammen verschlangen alles, ohne Gnade.
Meine Hände ballten sich zu Fäusten, die Nägel gruben sich in meine Handflächen, doch der Schmerz war nichts im Vergleich zu dem brennenden Gefühl in meiner Brust. „Nein…“ flüsterte ich wieder, diesmal leiser, fast ein Gebet. Ich dachte, dass nichts uns, unsere Eltern, unser Zuhause zurückbringen würde.
Das Haus stürzte ein, und mit ihm das letzte Stück Hoffnung, das ich noch in mir trug.
Die Flammen fraßen sich weiter durch die Reste des Hauses, als ich hörte, wie die Dorfbewohner aus ihren Häusern traten, starr vor Schock. Ihre stummen Blicke ruhten auf der Feuersbrunst, doch ich konnte sie kaum wahrnehmen. Meine Welt schien in sich zusammenzubrechen.
Plötzlich hörte ich das metallische Klingen von Kettenhemden. Das Geräusch, das in den stillen Nachthimmel schnitt, wurde immer lauter. Noch bevor ich die Augen öffnete, wusste ich, wer es war. Wir hatten ihn erwartet. Edward und ich hatten immer gewusst, dass uns unsere Vergangenheit einholen würde, doch dass es so enden würde… damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich spürte Edwards Anwesenheit hinter mir, wie sein stummer Blick auf mir ruhte. Als ich mich schließlich umdrehte, traf mich sein ernster Ausdruck. Ein Nicken von ihm, und mir wurde klar: Es gab keinen Ausweg. Diese Konfrontation war unvermeidlich. Noch bevor ich mich erheben konnte, ertönte eine kalte, bekannte Stimme hinter uns.
„Ergebt euch, Sgáile – oder soll ich eher sagen, Macbeth?“ Die Stimme war unverkennbar, und als ich mich langsam umdrehte, starrte ich in die Augen des Soldaten, der uns einst getrennt hatte. Der Mann, der mich von Edward fortgerissen und unser Leben unwiderruflich verändert hatte. Seine Worte schwebten schwer in der Luft, durchtränkt von einem grausamen Triumph. „Ganz genau“, fuhr er fort, „wir wissen, wer ihr seid. Wir wissen alles von euch.“
Edward, dessen Zorn ich spüren konnte, auch ohne ihn anzusehen, erhob die Stimme. „Du hast unsere Eltern umgebracht!“
Der Soldat schüttelte den Kopf und lächelte schief. „Nein, sie sind nicht tot. Sie leben. Aber sie sind an dem Ort, den sie verdient haben – im Kerker des Castles.“ Das fiese Grinsen auf seinem Gesicht machte mich krank, und in mir stieg eine Wut auf, die ich kaum unter Kontrolle halten konnte.
„Du Monster!“ schrie ich, meine Stimme zitterte vor Verzweiflung und Zorn. Der Soldat lachte nur, ein kaltes, höhnisches Lachen. „Kommt auf die Perspektive an, nicht wahr? Ergebt euch jetzt, und vielleicht werdet ihr eure Eltern noch einmal sehen.“
Edward ballte die Fäuste. „Niemals werden wir uns ergeben!“ Ich konnte die Spannung in seinem Körper spüren, er war bereit zu kämpfen, auch wenn die Chancen gegen uns standen. Doch der Soldat blieb ungerührt. „Nun gut, dann wird der Befehl erteilt, eure Eltern dem Henker zu übergeben. Ihr könnt sie auf dem Friedhof wiedersehen – wenn ihr in Ketten vor ihren Gräbern kniet.“
Mein Herz raste. Jeder meiner Instinkte schrie danach, sofort anzugreifen, doch tief in mir wusste ich, dass wir keine Wahl hatten. Der Soldat hatte uns in der Hand. Widerwillig, den Zorn und die Verzweiflung in mir unterdrückend, folgte ich Edward, als wir uns ergaben und die Soldaten uns in Ketten legten. Mit jedem Schritt, den wir taten, brannte das Haus weiter hinter uns, ein Symbol für alles, was wir verloren hatten.
Die Reise nach Edinburgh war still und bedrückend. Die Kälte des Nebels, der die Straßen umhüllte, kroch mir in die Knochen, während das metallische Klingen der Ketten an unseren Handgelenken bei jedem Schritt lauter wurde. Ich dachte fieberhaft nach, suchte verzweifelt nach einem Plan, um unsere Eltern zu retten. Die Straßen der Stadt wirkten düsterer als je zuvor, als wir dem Edinburgh Castle näherkamen. Blitze zuckten in der Ferne und kündigten ein drohendes Gewitter an. Die Soldaten zerrten uns in die Burg und durch die Korridore, bis wir schließlich vor dem Thronsaal standen.
Der Raum war düster, nur von Kerzen erleuchtet, und der König saß auf seinem Thron, eingehüllt in einen schweren weißen Pelzumhang, mit einem Gesichtsausdruck, der nichts als kalte Arroganz ausstrahlte. Er wirkte furchteinflößend, ein Mann, der Macht besaß und sie mit aller Grausamkeit nutzte. Als wir vor ihm auf die Knie gezwungen wurden und unsere Kapuzen von den Köpfen gerissen wurden, traf mich sein kalter Blick wie ein Schlag.
„Na endlich“, begann er mit einer Stimme, die vor Selbstgefälligkeit triefte. „Die Schatten von Schottland. Seid ihr nun bereit, eure Schandtaten einzugestehen?“
Edward antwortete mit fester Stimme: „Welche Schandtaten? Wir tun das Richtige für die Menschen!“ Doch der König lachte nur, ein lautes, spöttisches Lachen. „Ihr stiftet Chaos, bringt die Menschen gegen mich auf. Ihr seid es, die das Land ins Verderben stürzen…“
Meine Hände ballten sich, die Ketten gruben sich in meine Haut, als ich die Worte kaum ertrug. „Ihr habt diesen Krieg angefangen! Nicht wir!“
Ich spürte Edwards Blick auf mir, und in dem Moment verstand ich. Wir würden kämpfen. Und wir würden gewinnen – oder sterben.
Ich stand dort, in den Fängen der Soldaten, noch unfähig, mich zu befreien. Ihre eisernen Griffe schnitten in meine Arme, doch das war nichts im Vergleich zu dem Sturm, der in mir tobte. Edward schrie voller Zorn, während ich verzweifelt versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Das Gefühl der Hilflosigkeit zermalmte mich, doch ich durfte mir nichts anmerken lassen. Nicht vor dem König. Nicht vor Edward.
„In diesem Land herrscht Chaos, weil ihr einen Krieg gegen Verbündete angefangen habt!“, schrie Edward und warf dem König Worte wie scharfe Klingen entgegen. Ich konnte die Spannung im Raum spüren, als der König nur spöttisch lachte.
Ich sah zu Edward. Sein Zorn, seine Wut – es war alles berechtigt, aber es machte mir auch Angst. Wir waren gefangen, und dieser König würde keine Gnade walten lassen. Der Gedanke an das, was kommen könnte, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
Dann öffnete sich die große Tür des Saales. Das Knarren des schweren Metalls hallte durch die Stille, und mein Herz schlug schneller, als zwei Wachen zwei Menschen hereinzerrten. Ketten rasselten, und meine Augen weiteten sich, als ich erkannte, wer es war.
Meine Stimme klang erstickt, als ich sie aus dem Dunkel der Panik riss. „Mutter? Vater?“ Es fühlte sich an, als würde die Zeit für einen Moment stillstehen, als die Erkenntnis mich traf.
Unsere Eltern – in Ketten, gequält und zerbrochen. Ich konnte kaum atmen, als ich ihre erschöpften Gesichter sah. Meine Mutter flüsterte unseren Namen, doch es klang wie ein letztes Gebet, das im Wind verloren ging.
Der König erhob sich, und seine Gestalt, durch das Spiel von Licht und Schatten vergrößert, ließ ihn bedrohlicher erscheinen, als er war. „Ergebt euch und ordnet euch dem König, Schotten und Engländer unter“, dröhnte seine Stimme durch den Saal.
Ich hielt den Atem an. Ich wusste, was Edward gleich tun würde. Er konnte seinen Zorn nicht unterdrücken, nicht in einem Moment wie diesem. Und so antwortete er dem König, voller Wut und Verachtung. Doch während er sprach, konnte ich den Blick nicht von unseren Eltern wenden. Sie waren schwach, gebrochen. Der Gedanke, sie so zu verlieren, raubte mir fast den Verstand.
Der König ging drohend auf und ab, seine Hände hinter dem Rücken verschränkt. Dann winkte er seine Soldaten heran. Mit einer einzigen Bewegung zogen diese ihre Schwerter und hielten sie unseren Eltern an den Hals. Für einen sekundenkurzen Moment wurde mir Schwarz vor Augen. Ich sah das Bild von damals, dort im Hospital, als Lucy mit dem Messer in ihrem Hals zugrunde ging. Ich riss meine Augen auf.
Mein Blick wanderte zwischen Edward, dem König und den Schwertern hin und her. Es war, als würde die Zeit stehenbleiben. Ich wusste, was gleich passieren würde, wenn wir nicht sofort handelten.
Edward sah mich an, und in diesem Moment wusste ich, dass wir keine Wahl hatten. Unser Vater nickte ihm zu, und in diesem kurzen, wortlosen Moment verstanden wir alle, was zu tun war. Diese alte, geheime Fähigkeit, die uns gelehrt wurde – eine Fähigkeit, die wir nie einsetzen sollten, es sei denn, das Leben unserer Liebsten stand auf dem Spiel.
Ich konzentrierte mich. Es fühlte sich an, als würde jede Faser meines Körpers auf diesen einen Moment hinbrennen. Mit einem Ruck riss ich mich aus dem Griff der Soldaten, fühlte die Kraft durch mich hindurchströmen. Edward und unsere Eltern taten es mir gleich. Wir kämpften uns durch, setzten Tritte und Schläge gezielt ein. Jeder Schlag traf mit der Wucht der Verzweiflung, die uns in diesem Moment antrieb.
Als der letzte Soldat zu Boden fiel, standen wir endlich wieder vereint. Der Moment der Erleichterung war kurz, als wir uns in die Arme schlossen, unsere Tränen in den Umarmungen verloren. Doch das Glück war flüchtig.
Der König, mit einem hasserfüllten Ausdruck, rief eine ganze Armee von Wachen in den Saal. Wir hatten keine Zeit zu trauern, keine Zeit zu denken. Rücken an Rücken kämpften wir, als wäre es der letzte Kampf unseres Lebens. Jeder Hieb, jeder Stoß war ein Überlebensinstinkt. Die Klingen prallten aufeinander, Funken sprühten, und ich spürte, wie die Wut mich übernahm. Ich verlor mich in der Raserei des Kampfes, trieb die Soldaten zurück, brachte einen nach dem anderen zu Boden. Aber es fühlte sich nicht wie ein Sieg an.
Als endlich der letzte der Wachen gefallen war, war es für einen kurzen Moment still. Edward und ich tauschten einen erschöpften, aber erleichterten Blick aus. Doch als wir den Saal überblickten, spürte ich, wie sich eine eiskalte Hand um mein Herz legte.
Inmitten der leblosen Körper, die wir niedergestreckt hatten und einem Teich aus kochendem Blut, lagen zwei weitere – zwei, die wir liebten.
Wir rannten los, ohne zu zögern. Meine Gedanken wirbelten durcheinander, während ich mich neben unserer Mutter auf den Boden fallen ließ. Meine Knie schliffen über den rauen Steinboden, doch ich spürte den Schmerz kaum. Alles, was zählte, war sie. Ich stützte ihren Kopf vorsichtig in meinem Schoß, mein Herz raste, und die Angst schnürte mir die Kehle zu. Edward kniete neben Vater, genauso verzweifelt wie ich.
Ich sah hinunter auf meine Mutter. Ihre Kleidung war zerfetzt, und Blut sickerte aus den tiefen Wunden an ihrem Bauch. Meine Hände zitterten, als ich versuchte, den Druck auf die Wunden zu verstärken, doch das Blut floss weiter. Tränen brannten in meinen Augen. „Nein, das darf nicht wahr sein…“, flüsterte ich kaum hörbar. Ein Teil von mir weigerte sich, zu akzeptieren, was hier gerade geschah.
Edward saß schwer atmend neben Vater, dessen Atem bereits flach ging. „Edward, Caitlyn…“, begann Vater mit schwacher Stimme. „Es ist in Ordnung. Wir haben es geschafft. Wir haben den König verwundbar gemacht. Jetzt liegt es an euch beiden, den letzten Schlag zu führen.“
„Nein!“, rief ich, meine Stimme zitterte vor Verzweiflung. „Ihr könnt uns jetzt nicht verlassen. Wir haben so lange gekämpft, um euch zu finden!“ Ich spürte die Tränen, wie sie unaufhaltsam über meine Wangen liefen. Meine Hand hielt die meiner Mutter fest, als könnte ich sie damit hier bei uns halten.
Sie hob schwach die Hand und streichelte meine Wange, ein schwaches Lächeln auf den Lippen. „Caitlyn, meine Liebe…“, flüsterte sie. „Wir sind so stolz auf euch, auf alles, was ihr getan habt. Ihr seid stärker, als ihr denkt.“
Die Worte meiner Mutter durchbohrten mich wie ein Messer. „Aber…“, begann ich mit zitternder Stimme. „Ihr wisst nicht, was wir alles getan haben, wie weit wir gehen mussten, um hierherzukommen. Ich wollte euch alles erzählen, zusammen am Kamin, so wie früher.“
Meine Mutter lächelte, und es war das schönste und zugleich schmerzhafteste Lächeln, das ich je gesehen hatte. „Wir wissen es, meine Prinzessin…“, flüsterte sie. „Wir waren immer bei euch. In jedem Moment.“
Ein leises Keuchen entwich meinen Lippen, als mir klar wurde, was sie meinte. All die Male, als ich das Gefühl hatte, dass uns jemand beobachtete, beschützte – es war keine Einbildung. Es waren unsere Eltern. Sie waren nie wirklich fort gewesen. Sie hatten uns auf unserem Weg begleitet, auch wenn wir es nicht bemerkt hatten.
Meine Gedanken schossen durch die Vergangenheit, jedes Mal, als ich mich umgesehen hatte, jeden Moment, in dem ich spürte, dass jemand da war – es war wahr. Ich holte tief Luft und kehrte in die Gegenwart zurück. Meine Mutter sah mir in die Augen, dann wanderte ihr Blick zu Edward, der die Hand unseres Vaters hielt. Ihre Augen leuchteten vor Stolz und Liebe.
„Wir lieben euch“, flüsterten beide, fast gleichzeitig, mit letzter Kraft. Ihre Worte hallten in meinem Herzen wider, ein Anker, der mich in diesem Moment festhielt. Doch dann wurden ihre Blicke leer, ihre Körper schlaff. Die Kälte, die ich so sehr gefürchtet hatte, breitete sich in mir aus.
„Nein… bitte, nein!“, schrie ich, aber es war zu spät. Sie waren fort.
Die Tränen strömten über mein Gesicht, und ich hielt meine Mutter noch fester, als könnte ich sie so zurückholen. Edward schrie neben mir, sein Zorn war greifbar, sein Schmerz unvergleichlich. Die Realität traf uns mit brutaler Härte – unsere Eltern, unsere Familie, die Vorfahren der Macbeth, waren tot. Ermordet von einem Feind, der uns alles genommen hatte.
Kapitel 4. Rückschlag des Friedens
Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als Edward und ich dem König gegenüberstanden. Mein Herz raste, mein Atem ging flach, doch mein Griff um das Schwert war fest. Der König sah uns an – erst mit Arroganz, dann mit einem leichten Anflug von Angst, als wir ihm näher kamen. Ich konnte die Wut spüren, die in mir aufstieg, eine Wut, die so lange unter der Oberfläche gebrodelt hatte, dass sie nun unaufhaltsam war.
„Was wollt ihr?“ schrie er, seine Stimme überschlug sich zwischen Wut und Furcht. Doch bevor ich antworten konnte, stürzte Edward sich auf ihn, und die beiden rangen zu Boden. Der König bäumte sich auf, ein Mann, der um sein Leben kämpfte, und es gelang ihm, Edward von sich zu stoßen.
„Eine weitere Armee ist auf dem Weg!“ brüllte der König und griff nach dem Dolch an seiner Seite. Doch seine Worte prallten an mir ab. Was war schon eine Armee, verglichen mit dem Verlust unserer Eltern, unseres Zuhauses? Ich hob mein Schwert, bereit, den Kampf zu beenden, doch ein lautes Krachen aus dem Gang ließ mich innehalten.
„Marcus wird euch finden!“ schrie der König und richtete sich mühsam auf. Blut sickerte aus einer Wunde an seiner Seite – ich wusste nicht, ob es von Edwards Angriff herrührte oder von der kurzen, chaotischen Auseinandersetzung. Doch die Angst in seiner Stimme verriet mir, dass er die Kontrolle verloren hatte.
„Lass ihn, wir müssen gehen!“ Edwards Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Seine Hand packte meinen Arm, zog mich zurück. Ich zögerte, das Schwert noch immer erhoben, doch die Schatten am Ende des Thronsaals verrieten mir, dass Verstärkung nahte.
„Das ist noch nicht vorbei!“ stieß der König hervor, während er taumelte und sich an den Rand seines Thrones klammerte. Ich warf ihm einen letzten Blick zu, dann folgte ich Edward.
Wir rannten durch die Gänge, das Echo unserer Schritte hallte durch die hohen Hallen des Palastes. Die Schreie des Königs, sein keuchender Atem und seine Drohungen verfolgten uns, doch sie wurden bald vom Lärm unserer Verfolger übertönt.
„Hier entlang!“ Edward führte mich zu einem großen, farbenfrohen Fenster, das den Thronsaal überblickte. Wir zerschlugen das Glas, und kalte Nachtluft strömte herein. Noch einmal sah ich zurück. Der König war verschwunden, nur ein blutiger Abdruck auf dem Thron zeugte von unserem Kampf.
Wir sprangen. Der Aufprall ließ meine Knie zittern, doch wir liefen weiter, bis wir die Sicherheit der Dunkelheit erreichten.
Edward sprach über den Frieden, an den wir beide glaubten. Ich fragte mich, ob wir ihn je wirklich finden würden, oder ob das Blut, das an meinen Händen klebte, für immer meine Seele verdunkeln würde.
Die Worte des Königs verfolgten mich noch lange. „Versenkt die Macbeth in die Tiefen des Meeres.“ - Sprach er noch zu einem Söldner Marucs. Es waren nicht nur Drohungen; sie waren sein letzter Versuch, uns zu stören.
Ich wusste von Marcus, dem Söldner, und seiner Grausamkeit. Er würde nicht ruhen, bis er uns gefunden hatte. Doch in dieser Nacht, als Edward und ich auf der Kutsche in unser Heimatdorf zurückkehrten, war ich von einer seltsamen Ruhe erfasst. Vielleicht war es der Spätsommer, der noch in der Luft lag, oder vielleicht der Gedanke, dass wir für einen Moment frei waren. Der Kutscher pfiff ein Lied, das mir vertraut war. Ein Lied unserer Mutter. Die Melodie brachte Erinnerungen zurück – Erinnerungen an eine Zeit, in der unser Leben noch unbeschwert gewesen war.
Die Luft der nebeligen Nacht, war warm. Der Spätsommer begann. Edward und ich dachten noch lange über die Worte des Königs und der unserer Eltern nach. Langsam wurden wir innerlich ruhiger, als wir unser Heimatdorf erreichten. Unsere Finger schmerzten, das damit zu tun hatte, dass wir gekämpft hatten und auch, dass wir mit Kraft zwischen die Holzbohlen einer Pritsche uns versteckten. Der Kutscher pfiff ein keltisches Lied, dass wir von unserer Mutter kannten. Jeder Straße und jedes Haus, dass wir passierten, enthüllte Erinnerungen aus unserer Kindheit. Es fühlte sich für einen Moment so an, als wäre ich im letzten Kampf gestorben. Alles, meine gesamten Erinnerungen an die Familie, an unser friedliches Leben, zogen so an mir vorbei.
Nach einer schmerzvollen Fahrt unter der Kutsche ließen wir uns direkt vor dem Anwesen von der Kutsche fallen. Der Schlamm ließ unseren Aufprall ein wenig weicher wirken, doch der Anblick war schmerzvoller, als die Landung. Das Gebäude, unser Heimathaus, war eine reine Ruine. Die Fenster wurden zerstört, die Türen und Fassaden wurden eingebrochen. Das sonst so schön strahlende Anwesen aus Holz und Stein, sah nur noch aus, wie ein zusammengezimmerter Haufen Materialien, dass überzogen war mit Pech. Wir begaben uns schleichend und immer wieder mit wachsamen Umblicken in das Haus. Das Holz knarrtschte laut unter unseren Füßen. Jeder Schritt in die Erinnerung war wie ein Schwertstich in unser Herz. Es war schwer für mich zu ertragen, doch wird es wohl nie mehr so sein, wie es mal war.
Singen, tanzen und Handwerken. Alles Dinge, die wir als Familie nie wieder machen konnten. Wir hatten nur noch uns zwei, die einzigen Überlebenden der Familie Macbeth. Unsere Blicke gingen durch den Flur. Durch die Erinnerungen hörte ich sogar die Stimmen und das Kreischen von Edward und mir, als wir durch diese Gänge tobten. Als ich zu ihm sah, merkte ich, dass er ebenfalls solche Erinnerungen gerade durchging. Wir liefen weiter in die Stube hinein. Der Morgenwind zog durch die Wände und Räume des verkohlten und zerstörten Hauses. In der Stube sahen wir noch die Möblierung, die noch gut an der Stelle stand, wo sie auch zurückgelassen wurde.
Ein großes Sofa stand noch immer in der Mitte des Raumes, verstaubt und verblasst, aber an dem Platz, den es immer eingenommen hatte. Ich konnte meinen Vater beinahe sehen, wie er dort saß und uns Geschichten erzählte, während wir uns an ihn kuschelten. Geschichten von Helden, die für das Gute kämpften, von Abenteuern in fernen Ländern und von Weisheit, die oft über Kraft siegte. Mein Blick wanderte zum Kamin, vor dem wir oft im Winter spielten und uns wärmten, während draußen der eisige Wind gegen die Fenster peitschte.
Es war so lange her, dass ich diese Momente fast wie einen Traum empfand, unwirklich und fern. Doch die Erinnerungen daran schmerzten, so als wäre es erst gestern gewesen. Der lange Schreibtisch unseres Vaters war noch da, von Staub bedeckt, aber unverändert. An diesem Tisch brachte er uns das Lesen und Schreiben bei. Ich erinnerte mich an die unzähligen Stunden, in denen ich neben Edward saß und versuchte, die geschwungenen Buchstaben zu verstehen, während unser Vater geduldig jede Frage beantwortete. Es war ein sicherer Ort, ein Ort des Lernens und des Zusammenhalts.
Hinter dem Schreibtisch erstreckte sich die breite Bibliothek, die beinahe die gesamte Wand einnahm. Diese Regale waren voller Bücher, die Wissen und Weisheit enthielten, und ich hatte dort einen Großteil meiner Kindheit verbracht. Edward und ich durchstöberten jedes einzelne Buch, lernten über fremde Kulturen, alte Traditionen und wissenschaftliche Entdeckungen. In diesen Regalen hatten wir uns oft versteckt, stundenlang gelesen und die Welt um uns herum vergessen. Diese Bücher hatten uns geholfen, als die Welt um uns herum zusammenbrach, als wir herausfinden mussten, wie wir überleben konnten.
Aber eines hatten wir in all diesen Büchern nie gefunden: die Fähigkeit zu töten. Das Töten, das Kämpfen – das hatten die Bücher nicht gelehrt. Ich hatte es von Edward gelernt, als er aus der Kaserne zurückkam und mir beibrachte, wie man ein Schwert hält, wie man sich verteidigt. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr begann ich mich zu fragen: Woher hatten unsere Eltern das Kämpfen gelernt? Sie hatten uns nie von ihrer Vergangenheit erzählt, und doch waren sie so geschickt mit den Schwertern gewesen, als hätten sie ihr ganzes Leben lang geübt.
Diese Frage ließ mich nicht los. Unsere Eltern, die immer so friedlich wirkten, die uns Weisheit und Wissen lehrten, hatten in ihren letzten Momenten gekämpft wie Krieger. Ich konnte es mir nicht erklären, aber es war eine Wahrheit, die ich akzeptieren musste. Vielleicht hatten sie Geheimnisse, von denen wir nie erfahren würden. Vielleicht hatten sie uns nicht alles erzählt. Doch eines war sicher: Sie hatten uns vorbereitet, auf eine Weise, die ich erst jetzt wirklich verstand.
Der Gedanke, dass sie uns nicht alles gesagt hatten, schmerzte. Aber gleichzeitig fühlte ich mich ihnen näher als je zuvor.
Als ich meine Hand langsam über die verstaubten Bücherregale gleiten ließ, spürte ich die raue Oberfläche des alten Holzes unter meinen Fingern. Meine Gedanken wanderten durch die Zeit, als wir hier noch gemeinsam mit unseren Eltern saßen, und ich versank für einen Moment in den Erinnerungen. Doch plötzlich bemerkte ich etwas. Ein feiner Windzug, der Staub durch eine schmale Spalte zwischen den verkohlten Regalen zog. Es war so unscheinbar, dass ich es beinahe übersehen hätte. Doch mein Instinkt sagte mir, dass hier etwas nicht stimmte.
Neugierig trat ich näher an die Stelle heran und musterte die Spalte genauer. Etwas war seltsam. Vorsichtig zog ich an dem Regal, das schwerer war, als es aussah. Mit einem tiefen, widerwilligen Knarren bewegte es sich und öffnete sich schließlich, wie eine alte Tür, die seit Jahrzehnten niemand mehr betreten hatte. Es kostete mich einige Mühe, das Regal weiter aufzuziehen, aber als ich es schließlich schaffte, offenbarte sich dahinter ein dunkler, schmaler Gang, der in die Tiefe des Hauses führte.
Mein Atem stockte. Was war das? Edward und ich tauschten einen Blick aus, und ich konnte die gleiche Mischung aus Überraschung und Anspannung in seinen Augen sehen, die auch in mir wütete. Ohne zu zögern griff ich nach einer kleinen Holzbohle, die noch herumlag, und wickelte ein trockenes Stück Stoff darum. An einem schwach flimmernden Feuerrest auf dem Boden zündete ich das provisorische Gebilde an, und schon bald erhellte die Flamme den finsteren Eingang des Tunnels.
Mit der improvisierten Fackel in der Hand gab ich sie Edward, der uns den Weg leuchten sollte. Ohne ein Wort zu verlieren, ging ich voran, während er hinter mir den Tunnel erhellte. Meine Schritte waren vorsichtig, doch bestimmt. Der Gang wirkte alt, fast schon antik. Die Wände bestanden aus groben, feuchten Steinen, die aussahen, als hätten sie seit Jahrhunderten keinen Menschen mehr gesehen. Der Geruch erinnerte mich sofort an die alten Abwasserkanäle, die wir in den römischen Städten gelernt hatten. Ein modriger, feuchter Gestank erfüllte die Luft, vermischt mit dem Echo von Wassertropfen, die regelmäßig auf den steinernen Boden fielen.
Der Tunnel war gründlich gebaut, als hätte man ihn für die Ewigkeit errichtet. Die Wände waren von dem stetigen Fluss des Grundwassers leicht durchnässt, und das gleichmäßige Tropfen ließ uns beide in eine seltsame Stille fallen. Es war unheimlich – dieser verborgene Gang, den wir niemals zuvor entdeckt hatten. Was hatte unsere Familie hier versteckt? Warum war er so gut verborgen gewesen? Jeder Schritt, den wir weiter in die Dunkelheit wagten, verstärkte meine Anspannung. Aber gleichzeitig spürte ich auch eine seltsame Faszination.
Endlich schien der Tunnel schließlich zu enden, und wir traten in einen kleinen Raum ein, der sich vor uns öffnete. Als Edward die Fackeln an den Wänden entzündete, wurde der Raum von einem warmen, flackernden Licht erfüllt, das jede Ecke erhellte. Was sich vor uns ausbreitete, war ein Bild, das ich niemals erwartet hätte: Der Raum war vollständig unbeschädigt, aber chaotisch, als hätte jemand ihn vor langer Zeit hastig verlassen. In der Mitte stand ein großer, hölzerner Schreibtisch, umgeben von Regalen, die mit alten Schriftrollen und Karten gefüllt waren. Es war, als wären wir in eine andere Zeit zurückversetzt worden.
Ich konnte kaum glauben, was ich sah. „Was hat Vater hier gemacht?“ flüsterte ich, obwohl die Antwort auf der Hand lag. Dieser Raum – verborgen tief unter unserem zerstörten Haus – war offensichtlich sein geheimer Arbeitsplatz. Aber warum? Warum sollte er einen solchen Ort versteckt halten?
Neugierig begann ich den Schreibtisch zu durchsuchen, während Edward die Regale untersuchte. In den Schubladen fand ich altes Pergament, Tintenfässer und zerknitterte Notizen, die keinen Sinn ergaben. Doch dann stieß ich auf etwas Besonderes. Es war eine zusammengerollte Karte, die sorgfältig unter ein paar Dokumenten versteckt lag. Als ich sie auseinanderrollte, erkannte ich sofort die Besonderheit. Unsere Namen – die Namen von Edward und mir – standen deutlich auf der Karte, als wären wir die einzigen, die sie jemals finden sollten.
„Edward, schau dir das an“, sagte ich und hielt die Karte hoch. Er trat näher, und gemeinsam betrachteten wir sie. Eine Insel war darauf verzeichnet, weit entfernt von allem, was wir kannten, aber ohne irgendeine Wegbeschreibung. Auf der Rückseite der Karte war ein Rätsel niedergeschrieben, dessen Bedeutung uns zunächst entging. Doch das, was wirklich meine Aufmerksamkeit erregte, war die Überschrift. Auf Gälisch, der Sprache, die unsere Familie oft sprach, stand dort nur ein einziges Wort: Saorsa. Freiheit.
Dieses Wort hallte in mir wider. Freiheit. Hatte unser Vater dies für uns geplant? Hatte er diesen Zufluchtsort geschaffen, damit wir, die letzten Überlebenden der Macbeths, eines Tages dort einen Neuanfang wagen konnten? Die Frage, warum er uns das nie erzählt hatte, brannte in mir. Aber gleichzeitig verstand ich: Er hatte es für uns versteckt, für genau diesen Moment, wenn es keinen anderen Ausweg mehr gab.
„Wir müssen diese Insel finden“, sagte ich schließlich entschlossen. Der Gedanke, an einem Ort zu leben, der nicht von Krieg, Verrat und Tod durchdrungen war, erfüllte mich mit Hoffnung. Doch das Rätsel auf der Rückseite der Karte und die Worte unseres Vaters mahnten uns zur Vorsicht. ‚Reist niemals nur allein, denn nur Glück allein, bringt keinen Frieden.‘
Wir beide wussten, was das bedeutete. Diese Reise konnten wir nicht allein unternehmen. Wir brauchten Menschen, die uns begleiteten – eine Gemeinschaft, die mit uns den Weg in die Freiheit wagte. Und vor allem brauchten wir jemanden, der ein Schiff hatte, um uns dorthin zu bringen. Aber wo sollten wir solche Menschen finden? Wer würde zwei Geschwistern folgen, die den König niedergestochen und Hochverrat begangen hatten?
„Dying Whale“ lautete die Antwort. Diese Taverne war bekannt, dass dort nur der schlimmste Abschaum sich vergnügte. Ein Sammelbecken von Dieben, Piraten und anderem Gesindel.
Wir betraten die dunkle, verrauchte Stube, in der die Luft schwer vom Gestank schwitzender Männer, abgestandenem Bier und salzigem Meerwasser war. Der Raum wurde nur von schmutzigen Öllampen erleuchtet, die flackernde Schatten an die Wände warfen. Das Gedränge von Seeleuten und Söldnern, die sich in ausgelassenem Lärm verloren, umgab uns. An den Ecken des Raumes standen Bänke und Tische, überfüllt mit Männern, die laut redeten, lachten und ihre Grogkrüge aneinanderstießen. Die raue Musik eines Spielmanns erklang und lockte einige von ihnen auf die Beine, die im Takt der wilden Melodie zu tanzen begannen.
Wir suchten uns einen Platz am Rand des Raumes, wo wir das Treiben aus sicherer Entfernung beobachten konnten. Die Unruhe im Raum ließ meine Gedanken wandern. All diese Männer hatten sicherlich viele Geschichten zu erzählen, doch wir suchten nur eine bestimmte Person. Es war eine dieser Situationen, in denen wir niemandem vertrauen konnten, aber gleichzeitig einen Verbündeten finden mussten. Edward und ich tauschten einen Blick, und ich konnte sehen, dass auch er angespannt war. Wir wussten, was auf dem Spiel stand.
Irgendwann sah ich, wie Edward aufstand und sich zum Wirt bewegte, der am Tresen stand und mit schroffen Zügen einige Gläser polierte. Ich lehnte mich etwas vor, um zu hören, was sie besprachen.
„Sagt, gibt es hier gute Segler, die ein Schiff besitzen?“ hörte ich Edward fragen.
Der Wirt sah ihn misstrauisch an. „Wollt Ihr fliehen, Sir?“ fragte er mit einem halb verschmitzten Lächeln.
Edward grinste verlegen. „Ich habe nur ein Ziel, das ich erreichen muss“, antwortete er.
Der Wirt nickte und deutete mit einem Nicken in eine Ecke des Raumes. „Versucht es dort drüben, Käpt’n Robert. Er ist einer der Besten, aber nicht leicht zu überzeugen.“
Mit einem dankbaren Nicken kehrte Edward zu mir zurück und deutete in die Richtung, in die der Wirt gezeigt hatte. Ich folgte seinem Blick und entdeckte den besagten Käpt’n Robert, der an einem Tisch saß. Locker zurückgelehnt trank er aus einem seiner zahlreichen Grogkrüge, während sein langer, buschiger Bart und die Narben in seinem Gesicht ihm ein wildes, fast schon bedrohliches Aussehen verliehen.
Wir traten gemeinsam auf ihn zu, und ohne uns sofort zu beachten, hob er nur einen Finger, um uns zu bedeuten, dass wir warten sollten, bis er seinen Grog in einem Zug leerte. Schließlich sah er auf und musterte uns skeptisch. „Ihr seid Käpt’n Robert, Sir?“ fragte Edward.
Der Käpt’n nickte langsam. „Aye, was wollt Ihr von mir?“ brummte er und sah uns mit durchdringendem Blick an.
Ich trat einen Schritt vor und sprach mit fester Stimme: „Wir suchen den besten Segler mit einem Schiff, der uns zu einer Insel führt.“
Robert hob eine Braue. „Welche Insel? Je nachdem, wie diese Insel besiedelt ist, kann ich zustimmen oder nicht.“
„Die Insel ist nicht besiedelt. Zumindest glauben wir das“, sagte Edward.
Der Käpt’n lachte rau und spöttisch. „Ihr glaubt? Junge, wenn du mich und mein Schiff dabei haben willst, solltest du überzeugt sein und nicht nur glauben.“
Ich spürte, wie sich die Spannung zwischen uns aufbaute, aber Edward blieb ruhig und zog die zusammengerollte Karte aus seiner Tasche. „Ist Euch diese Insel bekannt, wenn Ihr wirklich alle Inseln dieser Welt kennt?“ fragte er und schob die Karte über den Tisch.
Der Käpt’n hob mahnend einen Finger. „Es gibt keine Insel, die ich nicht kenne in den Weltmeeren“, behauptete er mit selbstsicherem Ton.
Edward grinste und öffnete die Karte, wobei er sich vorsichtig umsah, um sicherzugehen, dass niemand uns beobachtete. Doch die Menge war viel zu beschäftigt mit Trinken, Essen und Tanzen, um uns Beachtung zu schenken. „Seid Ihr Euch da wirklich sicher?“ fragte Edward herausfordernd, als der Käpt’n die Karte begutachtete.
Nachdenklich sah Robert die Karte an und runzelte die Stirn. „Entweder ist das ein Atoll oder diese Insel existiert nicht.“
Ich trat vor und sah ihm direkt in die Augen. „Wir sind uns sicher, dass unser Vater, der diese Karte angefertigt hat, niemals eine Insel erfinden würde. Vor allem nicht, wenn er uns dorthin schicken wollte.“
Der Käpt’n musterte uns für einen Moment schweigend, bevor er fragte: „Warum fragt Ihr dann nicht Euren Vater, ob er Euch ein Schiff chartert?“ Doch unsere Blicke verrieten ihm die Wahrheit, noch bevor wir ein Wort sagen konnten. Unsere Vergangenheit war in unsere Gesichter geschrieben, und er verstand sofort.
„Ich verstehe“, sagte er leise und seufzte. „Also gut, mir wurde es hier ohnehin zu langweilig. Ihr habt mich dabei.“
Ein breites Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, und ich sah zu Edward. „Wir haben unser Schiff“, sagte er, und in seiner Stimme lag die Erleichterung, die wir beide empfanden. Endlich, ein Schritt näher an unserem Ziel.
Der Käpt´n stand auf und setzte seinen Hut auf. „… Mein Schiff. Außerdem wird noch einer dabei sein. Ich werde das Schiff nicht mit zwei unerfahrenen Kindern segeln. Ach übrigens, mein vollständiger Name lautet Käpt´n Henry Robert und mein Schiff ist die Seglair Dorcha.“
Wir merkten uns den Namen und wir folgten ihn schließlich zu einem anderen Mann, der an der Schenke saß. Henry stellte ihn uns vor. „Darf ich vorstellen, Jonathan Blackthorn. Er ist zwar nicht der Beste, aber ein erfahrender Seemann und ein guter alter Freund. Er war der Einzige auf meiner Seite, nach der Meuterei.“ Ich blicke überrascht: „Eine Meuterei?“
„Lange Geschichte, meine Crew wandte sich gegen mich. Ich konnte das Schiff noch retten, die Crew jedoch nicht. Na ja und jetzt sitze ich hier fest, denn man braucht mindestens drei Leute um das Schiff wirklich gut zu segeln.“
Nach einem kurzen Gespräch mit Jonathan wurden wir jedoch unterbrochen. Durch die Tür der Taverne stürmten plötzlich englische Soldaten rein und ein Mann, der nicht nach dem Militär aussah, sprach den Wirt an. „Wir suchen zwei Personen. Ein Mann und eine Frau. Sie haben den König umgebracht und wir haben einen Haftbefehl gegen sie.“ Sie zeigten Phantomzeichnungen von uns und hielten dies hoch. Der Wirt blickte überrascht, so wie die Anderen, als der Satz fiel: „Der König wurde umgebracht.“ Edward und ich wurden nervös und versteckten uns hinter zwei Holzpfeilern. Wir dachten, wir wären jetzt hier in der Falle, doch danach passierte etwas, dass wir nicht erwarteten. Die Gäste der Taverne, die Diebe und Piraten, versammelten sich unauffällig vor uns und verdeckten uns. Der Mann sah in die Menge. „Wir wissen, wer ihr alle seid. Und wenn nicht einer spricht, dann hetze ich die gesamte Armee auf diese Taverne.“ Ein großer, breiter schwarzer Mann trat hervor und sprach mit seiner tiefen Stimme: „Ihr werdet nicht an uns vorbeikommen.“
Auf einmal stürmten die Soldaten und die Diebe aufeinander zu. Sie prügelten und bekämpften sich so, als gäbe es keinen Morgen mehr.
Ehe ich mich versah, war Edward schon auf dem Weg zum Wirt, wohl um ihn zu befragen, was hier vor sich ging. Natürlich. Er musste wieder alles hinterfragen. „Edward!“ rief ich, aber er war bereits in ein Gespräch vertieft. „Wir müssen los. Komm schon, Bruder!“
Ich sah ihn an, er war unschlüssig, als würde er noch etwas von dem Wirt hören wollen, aber die Situation ließ uns keine Zeit. Die Soldaten kamen näher, und das Letzte, was wir brauchten, war eine Festnahme. Also packte ich seinen Arm und zog ihn durch das Gedränge. Die Musiker spielten weiter, als wäre der Kampf nur eine weitere Randnotiz in ihrem Seemannslied. Der Käpt’n und seine Crew bahnten sich bereits den Weg nach draußen. Es war ein wahnsinniges Durcheinander, aber wir schafften es, bis zum Hafen zu kommen, wo unser Schiff, die „Sealgair dorcha“, auf uns wartete.
Während die Männer hektisch versuchten, die Leinen zu lösen, warf ich immer wieder einen Blick zurück. Die Soldaten waren uns dicht auf den Fersen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als einer von ihnen beinahe Edward am Umhang erwischte, doch Jonathan rettete ihn mit einem gezielten Schlag seines Paddels. Wir legten ab und ließen das Festland und die britischen Inseln hinter uns.
Das offene Meer war ein befreiender Anblick, doch die Ruhe hielt nicht lange an. Ein Sturm zog auf, und ich musste meinen Platz an Deck finden, um mit anzupacken. Jeder von uns wurde mehrmals von den Wellen über das Deck gespült, doch wir gaben nicht auf. Der Sturm war gewaltig, und es fühlte sich an, als würde das Meer selbst versuchen, uns zu verschlingen. Ich schrie Befehle über den Wind hinweg, meine Hände fest um das Tau gekrallt, während wir gegen die tosenden Wellen kämpften.
Stunden später ließ der Sturm endlich nach, und erschöpft ließ ich mich auf das nasse Holz des Decks fallen. Es war eine kurze Erholungspause, doch ich wusste, dass wir bald wieder auf den Beinen sein würden. Henry, der Käpt’n, stand bereits wieder aufrecht und hielt mit seinem Fernglas Ausschau. Ich konnte sehen, dass auch er die Gefahr noch nicht vorüber wähnte.
Während Edward sich tief in die Karten unseres Vaters vertiefte, hielt ich mich in der Nähe des Steuerrads und half Henry bei der Navigation. Die See war unberechenbar, und ich wusste, dass wir keinen Fehler machen durften. Edward hatte immer ein Gespür für Rätsel und Geheimnisse, aber auf See war ich diejenige, die den Kurs halten musste. Die Worte unseres Vaters waren ein Rätsel, doch es war mein Instinkt, der uns sicher durch den Sturm brachte.
Die Nächte auf dem Meer waren die seltenen Momente, in denen ich zur Ruhe kam. Edward und ich saßen oft zusammen, beobachteten den Sonnenuntergang und dachten an unsere Eltern. Es war seltsam, wie nah sie uns in diesen Momenten schienen, als würden sie mit uns auf diesem Schiff stehen, still und beobachtend. Doch die Erinnerung an ihren Tod war immer präsent, ein schmerzhaftes Echo, das nicht verklang.
Unsere Reise führte uns zu vielen Häfen, zu fremden Kulturen und Wundern, die wir uns nie hätten vorstellen können. Diese kurzen Augenblicke des Glücks gaben mir die Kraft, weiterzumachen, obwohl die Last auf meinen Schultern schwer war. Edward und ich wussten, dass wir eine Verantwortung hatten, das Werk unseres Vaters zu vollenden, doch manchmal fragte ich mich, ob wir jemals wirklich ankommen würden.
Nach einem Jahr auf See erreichten wir endlich den Ort, der auf den Karten unseres Vaters markiert war. Doch alles, was uns dort erwartete, waren Felsen und Wrackteile. Die Crew begann zu murren, und ich sah, wie Enttäuschung auf den Gesichtern um uns herum aufstieg. Selbst Henry wirkte niedergeschlagen, obwohl er es nicht zeigte. Jonathan hingegen ließ seinem Zorn freien Lauf.
„Also war die ganze Reise umsonst?“ hörte ich ihn sagen. „Wir haben kaum noch Vorräte, keinen Wind und keine Insel in Sicht. Ich glaube, euer Vater war verrückt.“
Ich konnte sehen, wie Edward mit sich rang, die Karte wieder und wieder studierte, als könne er etwas finden, das er übersehen hatte. Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Wir müssen Geduld haben, Edward. Wir warten, bis der Wind zurückkehrt und durchsuchen dann das gesamte Gebiet.“ Ich sah die Männer in der Runde an, ihre erschöpften Gesichter. Sie vertrauten uns, und ich wusste, dass ich ihnen diese Hoffnung geben musste, auch wenn ich selbst nicht sicher war.
Der Wind kam schließlich zurück, doch er war stärker und wilder als zuvor.
Kapitel 5. Die verbogene Welt
Dunkle Wolken türmten sich über uns auf, und ich spürte die Spannung in der Luft, bevor der erste Blitz den Himmel zerriss. Der Wind heulte wie ein geisterhaftes Flüstern, und ich wusste, dass uns etwas Schreckliches bevorstand. Meine Augen wanderten über das Deck, wo die Crew hektisch versuchte, das Segel unter Kontrolle zu bekommen. Ich stand an der Armbrust, die Hände fest um den Griff geklammert, während mein Blick immer wieder zu Edward hinüberschweifte, der sich kampfbereit aufstellte.
Das Knattern der Segel wurde lauter, und ich riss den Kopf herum. Die „Judge“, das Kriegsschiff von Marcus, kam mit voller Wucht auf uns zu. Meine Zähne knirschten vor Anspannung, als ich sah, wie die Männer auf dem feindlichen Schiff sich auf einen Angriff vorbereiteten. Ich wusste, dass dies kein gewöhnlicher Kampf werden würde – Marcus hatte uns schon seit Wochen gejagt, und nun war er bereit, alles zu geben, um uns zu vernichten.
„Alle Mann auf Position!“ rief ich, meine Stimme scharf und klar durch den Wind getragen. Ich sah, wie die Crew in Bewegung kam, während das gegnerische Schiff immer näher rückte. Die „Sealgair dorcha“ ächzte unter dem Druck der tobenden See, aber ich wusste, dass wir mehr als nur das Meer zu fürchten hatten.
Der Zusammenstoß war heftig. Holz splitterte, als die Schiffe aufeinanderprallten, und der Gestank von Schießpulver und Blut füllte die Luft. Edward kämpfte an meiner Seite, aber ich musste den Fokus auf das gegnerische Schiff richten, die Armbrust laden und auf die nächste Bedrohung zielen. Die Angreifer stürmten an Bord, und mein Körper spannte sich, als ich sah, wie die ersten Kämpfer auf uns zukamen. Mit einem gezielten Schuss traf ich den Ersten direkt in die Brust, doch die Feinde kamen immer weiter.
Ich wusste, dass ich mich früher oder später in den Nahkampf stürzen musste. Mit einem schnellen Griff zog ich mein Schwert und stellte mich dem nächsten Gegner. Die Klinge traf hart auf seine, und ich spürte den Schmerz in meinen Armen, als der Schlag meine ganze Kraft erforderte. Die Geräusche des Kampfes vermischten sich mit dem Tosen des Sturms und dem Grollen des Strudels, der sich bedrohlich vor uns auftat.
Henry war überall, sein Dolch blitzte im Dämmerlicht, und ich konnte nicht anders, als zu bewundern, wie er sich durch die Feinde schnitt, als wäre es das einfachste der Welt. Doch dann kam der Moment, den ich am meisten fürchtete: Ein lauter, durchdringender Schrei. Ich drehte mich um und sah, wie Henry, unser Käpt’n, von der Klinge eines Söldners niedergestreckt wurde. Es war, als würde die Zeit für einen Moment stillstehen.
„Nein!“ schrie ich, meine Stimme überschlug sich vor Entsetzen, doch ich konnte nicht zu ihm. Ich musste weiterkämpfen, musste dafür sorgen, dass die Crew überlebte. Doch in meinem Herzen spürte ich den gleichen Schmerz, den ich empfunden hatte, als wir unsere Eltern verloren hatten. Die Welt schien für einen Augenblick nur aus Blut, Schwertkämpfen und Verlust zu bestehen.
Edward war schneller als ich und eilte zu Henrys Seite. Ich sah, wie er sich über den sterbenden Käpt’n beugte, und in diesem Moment wusste ich, dass wir einen weiteren Verlust nicht so leicht überwinden würden. Henry hatte uns mehr als nur angeführt – er war unser Fels in der Brandung gewesen, die Person, die uns durch die gefährlichsten Stürme geleitet hatte.
„Fürchtet den Tod nicht, denn er fürchtet uns!“ Henrys letzte Worte hallten durch das Getümmel, und ich konnte sehen, wie sie die Männer motivierten, weiterzukämpfen, obwohl der Schmerz in meinen eigenen Knochen pochte.
Ich biss die Zähne zusammen und schwang mein Schwert mit all meiner verbleibenden Kraft. Blut und Schweiß vermischten sich auf meiner Haut, doch ich wusste, dass wir nicht aufgeben durften. Henrys Tod musste für etwas stehen – er durfte nicht umsonst gewesen sein.
Als Edward sich aufrichtete, den Hut des Käpt’ns in den Händen, sah ich den Schmerz in seinen Augen. Wir hatten wieder jemanden verloren, der uns nahe stand. Aber diesmal war es anders. Diesmal wusste ich, dass wir jetzt auf uns allein gestellt waren. Es gab keinen Kapitän mehr, der uns durch die Gefahren leitete. Jetzt mussten Edward und ich diese Verantwortung übernehmen.
„Für Henry!“ rief Edward, und ich schrie mit ihm. Unsere Stimme hallte über das Deck, und die Crew kämpfte nun mit einer Wildheit, die ich nie zuvor gesehen hatte. Doch die „Judge“ war immer noch stark, und Marcus näherte sich uns mit einem Blick, der nichts Gutes verhieß.
Ich sah den Zweikampf zwischen Edward und Marcus, und mein Herz setzte einen Schlag aus, als die beiden aufeinanderschlugen. Jeder Schlag, jeder Hieb schien das Schicksal unserer Reise zu entscheiden. Ich konnte nur zusehen, wie die Klingen aufeinandertrafen und Funken flogen. Doch als Edward schließlich die Oberhand gewann und Marcus in den Strudel stürzte, spürte ich eine Welle der Erleichterung.
Der Jubel hielt nicht lange an, denn der Strudel war immer noch da, und er zog uns unaufhaltsam in sein Zentrum. Mit vereinten Kräften versuchten Jonathan, Edward und ich, das Schiff unter Kontrolle zu bringen, doch die Natur war stärker. Wasser brach über uns herein, und ich wusste, dass wir verloren waren.
Als ich erwachte, spürte ich den nassen Sand unter mir. Das Rauschen der Wellen und das helle Licht der Sonne waren das erste, was ich wahrnahm. Benommen richtete ich mich auf und blickte mich um. Edward und Jonathan lagen ebenfalls im Sand, erschöpft, aber lebendig. Wir hatten überlebt. Doch als ich die Insel sah, auf der wir gestrandet waren, wusste ich, dass dies erst der Anfang war.
Die letzten Sonnenstrahlen des Tages spiegelten sich auf der ruhigen See, als ich das gesammelte Holz auf den Boden legte. Der Sand unter meinen Füßen war warm, und der Wind trug den salzigen Geruch des Meeres zu mir. Mein Blick wanderte über den Horizont, als ob ich dort eine Antwort finden könnte, was uns als Nächstes bevorstand. Die Höhle, unser neues Zuhause, lag hinter mir, und es war seltsam, nach all den Stürmen und Kämpfen endlich einen Moment der Ruhe zu haben.
Ich hörte, wie Edward näher kam, seine Schritte im Sand leise, aber vertraut. Er stellte sich neben mich, doch weder er noch ich sprachen ein Wort. Für einen Moment genossen wir einfach die Stille, die nur vom leisen Rauschen der Wellen unterbrochen wurde. „Glaubst du, dass es zu Ende ist und wir unser Ziel erreicht haben?“, fragte er plötzlich, seine Stimme ruhig, aber voller Nachdenken.
Ich ließ meine Augen weiter auf den Sonnenuntergang gerichtet, spürte, wie mein Atem sich dem Rhythmus des Meeres anpasste. „Ich denke, es ist das Ende einer Ära“, sagte er, bevor ich antworten konnte, „aber der Anfang von etwas Neuem.“ Ich sah, wie sich seine Schultern leicht entspannten, doch in seinen Worten lag auch eine Schwere, die ich nur zu gut kannte. Wir hatten viel hinter uns gelassen – Menschen, Orte, selbst Teile von uns selbst – und nun standen wir hier, auf einer unbekannten Insel, mit einer ungewissen Zukunft.
„Es war nie nur unser Ziel, zu überleben“, dachte ich. „Wir wollten immer mehr – Freiheit, ein Leben jenseits der Fesseln der Vergangenheit.“ Ich erinnerte mich an all die Kämpfe, die wir gemeinsam durchgestanden hatten. Unsere Eltern, Henry, sogar die Männer, die wir auf unserer Reise verloren hatten. Sie alle waren Teil dessen, was uns hierhergebracht hatte, doch jetzt mussten wir einen neuen Weg finden.
„Nein“, sagte ich schließlich, drehte mich zu ihm und legte eine Hand auf seine Schulter. „Das ist nicht das Ende. Es ist der Beginn von etwas, das größer ist als alles, was wir uns jemals vorgestellt haben. Es gibt immer noch diejenigen, die uns folgen werden – Menschen, die nach Frieden suchen, so wie wir es getan haben. Aber sie müssen auch lernen, sich zu nehmen, was ihnen zusteht.“
Edward nickte, doch seine Augen blieben auf den Horizont gerichtet. Ich konnte die Zweifel in seinem Blick sehen, aber auch den unerschütterlichen Willen, der ihn immer angetrieben hatte. Er war jetzt der Kapitän, doch ich wusste, dass auch er sich manchmal fragte, ob er den Erwartungen gerecht werden konnte.
Wir hatten den Orden der Schattenwölfe gegründet – eine Gemeinschaft, die im Verborgenen wachsen sollte, weit weg von den Zwängen der Welt, die wir hinter uns gelassen hatten. Aber auch in der Dunkelheit musste man führen können. Und ich wusste, dass mein Bruder die richtige Person dafür war, auch wenn er es selbst noch nicht ganz erkannt hatte.
„Wir haben lange gekämpft“, sagte ich, meine Stimme leise, „und wir werden weiterkämpfen müssen. Aber das ist es wert.“ Ich sah ihn an, fest entschlossen, ihn wissen zu lassen, dass ich immer an seiner Seite stehen würde. „Wir haben ein neues Leben begonnen, und egal, was auf uns zukommt, wir werden es meistern. Zusammen.“
Er lächelte leicht, und ich wusste, dass er meine Worte verstand. Die Wellen brachen leise am Strand, während die Sonne unterging und die Welt um uns herum in sanftes Licht tauchte. Ein neues Kapitel begann, und was auch immer es bringen mochte, ich war bereit.
Es war der Beginn einer neuen Ära – für uns, für die Schattenwölfe, für alles, was noch kommen würde.
~Ende?
Mehr über die Macbeth-Geschwister
Caitlyn und ihr Bruder sind unzertrennlich.
Eine ausführliche Beschreibung zu Edward Macbeth und die gesamte Geschichte aus seinen Augen, wurde von @Doctor_Insane verfasst und kann hier gefunden werden :
Edward Macbeth - der Schattenmann