Der Wind vom Meer trug den salzigen Duft über die offenen Straßen, als sich das Volk von Caldaris versammelte. Holzbohlen knarrten unter Schritten, dort wo der zukünftige Marktplatz langsam Form annahm – noch nicht gepflastert, aber voller Leben. Händler standen neben Fischern, Kinder neben Handwerkern, einfache Stoffe neben Reiseumhängen. Man sprach leise, fast ehrfürchtig, als sich vor dem noch im Bau befindlichen Rathaus eine kleine Erhöhung abzeichnete: ein provisorisches Podest aus dunklem Stein und grob gehauenen Balken. Über ihnen drehte ein einzelner Rabe seine Kreise, schwarz wie die Silhouette dessen, auf den nun alle warteten.
König Darius Ravaryn trat aus dem Schatten des halbfertigen Rathauses. Sein Mantel war schlicht und tiefschwarz, wie immer – ohne Gold, ohne Zier. Nur der Wind spielte mit dem Saum, als wollte er die Stille zerreißen. Es waren kaum Wachen zu sehen – man brauchte sie nicht. Die Menschen standen freiwillig und in Ruhe. Ihre Aufmerksamkeit lag bei dem einen Mann, der jetzt die kleine Erhöhung betrat. Ein Zimmermann legte den Hammer zur Seite. Eine alte Frau faltete die Hände. Ein Kind zog die Kapuze vom Kopf. Der Rabe krächzte auf – und verstummte.
Dann hob König Ravaryn langsam die Stimme:
"Bürgerinnen und Bürger von Caldaris,
wir stehen hier – nicht vor einem Denkmal, nicht vor einem fertigen Werk – sondern auf etwas, das wächst. So wie unser Markt, unser Rathaus, unsere Straßen – so wächst auch unsere Stadt. Und mit ihr der Geist, der sie erfüllt.
Darum bin ich heute hier, um euch zu verkünden: Die Farbe Gold wird aus unserer Flagge weichen. An ihre Stelle tritt das Grau.
Ich weiß, das Gold bedeutete euch etwas. Es war das Abbild unserer Felder, unserer Hoffnung, unseres Glaubens an das Morgen. Doch heute – sind wir nicht mehr dieselben, die einst aufbrachen. Wir sind nicht mehr nur Saat.
Dunkelblau bleibt, denn das Meer hört nicht auf, uns zu führen.
Weiß bleibt, denn unser Herz bleibt friedlich und offen.
Doch Grau tritt nun hinzu – nicht aus Schwermut, sondern aus Stärke.Grau ist die Farbe des Steins, auf dem wir bauen.
Grau ist die Farbe des Morgens, bevor das Licht kommt.
Es steht für Struktur, für Wandel, für den Mut, weiterzugehen, auch wenn der Weg noch nicht fertig ist.Caldaris ist jung, ja – doch wir haben nicht vergessen, wer wir sein wollen. Dieses Banner – unser neues Banner – soll nicht zeigen, was wir waren, sondern was wir sind und werden:
Eine Stadt im Aufbruch. Eine Stadt mit Zukunftsausblick und mit einem stabilen Fundament!
Möge das Grau wehen über unseren Häusern, noch bevor ihre Dächer gedeckt sind.
Möge es uns verbinden – nicht durch Glanz, sondern durch Wahrheit.Für Caldaris. Für unsere Zukunft."
Ein letzter Windzug strich durch die Gassen, als König Darius Ravaryn seine Arme hob – schwarz gekleidet, standhaft wie ein Schatten gegen das Licht des Tages. Dann löste sich hoch oben am Rathausturm die neue Flagge. Keine große Geste, kein prunkvoller Mechanismus – nur ein klares, stilles Zeichen. Das Banner entfaltete sich über die Holzfassade, ergriff die Luft, und für einen Augenblick schien ganz Caldaris den Atem anzuhalten. Dann brach der Jubel los – laut, ehrlich, unaufhaltsam. „Caldaris lebt!" „Lang lebe König Ravaryn!“ „Für das Neue, das bleibt!“ Die Stimmen des Volkes vereinten sich, schmetternd wie die Glocke einer erwachenden Stadt. Kinder klatschten, Männer riefen seinen Namen, Frauen warfen Tücher in die Luft, als sei ein Fest ausgerufen worden. Selbst jene, die sonst still waren, stimmten mit ein. Die Menschen und einzelne Elfen und Zwerge drängten näher ans Podest, nicht aus Neugier, sondern aus Zugehörigkeit. Sie wollten nah bei dem Mann stehen, der sie durch Sturm, Hunger und Zweifel geführt hatte. Dem sie das Dach über dem Kopf, das Brot auf dem Tisch und den Mut im Herzen verdankten. Ein Zwergenschmied reckte die Faust.
Ein Mädchen trat barfuß auf die Planken, rief: „Danke, König Darius!“
Und aus dem Hintergrund erklang der schlichte Ruf, der sich in alle Kehlen legte: „Du hast uns gehalten – und wir halten zu dir!“
Über all dem flog ein einzelner Rabe, seine Schwingen schwarz wie das Gewand des Königs, der noch immer dort stand – unbewegt, ruhig, beinahe ernst. Doch in seinem Blick lag jener stille Funke, der größer war als jedes Gold: Würde und Verbundenheit.
Im Anschluss dessen, gab es für den gesamten Tag keinerlei Pflichten…die Bürger nahmen Speis und Trunk von Morien, dem Wirt von Caldaris zu sich und feierten bis in die späte Stunde. Doch Darius Ravaryn, war nach seiner Rede bereits zurückgezogen in seinen eigenen Wänden um den alltäglichen Papierkram zu erledigen.